31 》Wut und Schmerz

Ich wollte aufschreien, aber soweit kam es nicht, denn seine Stimme huschte durch meinen Kopf. Lass das schön bleiben. Du willst doch, dass dir nichts widerfährt, oder?
Ich schluckte. Er wusste, wie er seine Macht demonstrieren konnte. Und ich wusste, dass er sich nicht scheuen würde, sie einzusetzen.

"H-hey, Aiden!", stotterte ich hilflos und rang mir ein Lächeln ab, um glaubwürdig zu wirken, "W-was machst du denn hier?"
Das wollte ich tatsächlich wissen. Natürlich war mir klar gewesen, dass er noch lebte und sicherlich nicht mit mir abgeschlossen hatte - nicht nach meiner Flucht. Aber warum ausgerechnet hier und warum jetzt? Was führte er im Schilde? Was wollte er mir nun schon wieder antun?

"Dich aus dem Schlamassel ziehen!", entgegnete Aiden lässig, bevor er sich an den Officer wendete, "Ich habe bereits mit ihrem Kollegen Mister Kimbell geredet. Ich nehme sie mit."
"Ach ja? Wenn Sie mich entschuldigen: ich werde zuerst selbst mit meinem Kollegen reden", verkündete der blonde Polizist skeptisch, warf dem Dunkelhaarigen einen letzten fragwürdigen Blick zu und verschwand. Nein verflucht, warum ließ er mich mit diesem Psychopathen alleine?

"So sieht man sich also wieder", Aiden grinste mich schelmisch an, "Wie geht's meiner geliebten Schwester?"
"Erspar' dir deine Lügen, du Heuchler", keifte ich wütend. Geliebte Schwester, pah. Er hatte mich den Wölfen zum Fraß vorgeworfen. Ihm hatte ich es zu verdanken, dass ich geschlagen und beinahe auch noch vergewaltigt worden war.

"Och Lizzy", er stieß einen theatralischen Seufzer aus, "Ich wollte doch nur das Beste für dich. Das sollte dir doch klar sein."
"Das Beste?!", rief ich entsetzt und schüttelte fassungslos den Kopf, "Du hast mich verkauft! Ich wurde gefoltert, du verdammtes Drecksschwein! Wäre Tony nicht gewesen, hätte man mich wahrscheinlich für jeden noch so erdenklichen Zweck missbraucht, bis ich schließlich wegen seelischer und körperlicher Verletzungen gestorben wäre! Weißt du, was ich dir schulde? Ich sollte dir eigenhändig den Hals umdrehen, um dich endlich aus der Welt zu schaffen!"
Mein Hals pochte vor Wut, das Blut schien doppelt so schnell durch meine Adern zu pumpen und alles in mir verkrampfte sich.

"Ich weiß, ich weiß", er lehnte sich an die Gitterstäbe und senkte seinen Blick, "Und das darfst du auch."
"Ich-...Moment, was?", stockte ich irritiert und legte den Kopf schief. Gab er mir gerade die Erlaubnis, ihn umzubringen? Was spielte er nun schon wieder für ein krankes Spiel?
"Nach diesem Job darfst du mir antun, was immer du willst. Ich werde mich nicht wehren", erläuterte er seine Aussage vage, was mich jedoch nur noch mehr verwirrte. Was für ein Job? Wovon zur Hölle sprach er?

"Ich werde es dir erklären", sagte er, als hätte er meine Gedanken gelesen - was er vermutlich auch getan hatte, "Aber nicht hier. Wir müssen dich erst wegschaffen. Dahin, wo unser eiserner Freund dich nicht findet."
"Er wird nicht nach mir suchen", entgegnete ich und atmete tief durch, da ich an den heutigen Morgen denken musste. Ich war mir sicher, dass er sich nicht darum bemühen würde, mich nochmals aus der Misere zu befreien. Ich war Tony Stark egal, das war mir nun klar.

"Ouh, autsch", gab Aiden von sich, woraufhin ich zu ihm aufsah. Er schenkte mir einen mitleidigen Blick. Na toll, er hatte schon wieder in meinem Kopf gestöbert und sich die Infos geholt, die er brauchte.
"Scheint, als hätte sich unser Milliardär doch nicht geändert", räusperte er sich und verschränkte locker die Arme vor seiner Brust, "Ich will ja nicht wie ein Besserwisser klingen, aber: ich hab's dir gesagt. Ich habe dich davor gewarnt, dass Tony Stark nicht der Mann ist, den du in ihm siehst."

"Das ist das absolut Letzte, was ich jetzt gebraucht habe, aber danke für die Standpauke", zischte ich und stützte erschöpft mein Gesicht in den Händen ab, um das Geschehene zu verarbeiten. Ich bekam Tonys Worte einfach nicht aus meinem Kopf: "Du sahst letzte Nacht einfach wunderschön aus".
Wie hatte ich nicht bemerken können, dass selbst dieser glaubwürdige Satz nichts weiter gewesen war als eine Lüge? Ein billiger Trick, um mich um den Finger zu wickeln!

"Lizzy, hör' auf, an ihn zu denken", mahnte Aiden, "Dadurch quälst du dich nur selbst."
"Ach ja?", ich sprang von der kalten Steinbank, auf welcher ich bis gerade noch gesessen hatte, auf und lief auf die Gitterstäbe zu, vor welchen Aiden stand. Meine Hände umfassten den Kragen seines olivfarbenen Parkers und zerrten ihn näher an mich, sodass sein Körper gegen die kalten Eisenstangen gepresst wurde.

"Du magst vielleicht deine kleinen Gedankentricks draufhaben, aber das heißt noch lange nicht, dass du mich auch kennst! Also halt' deinen verdammten Mund und wage es nicht, mir noch ein einziges Mal einen Ratschlag zu geben!"
Aiden schnappte nach Luft und röchelte ein leises "Jaja, schon gut!", woraufhin ich vom Stoff seiner Jacke abließ. Er stolperte einige Schritte nach hinten und fuhr sich mit verzerrtem Gesicht über den geröteten Hals.
"Ich bin beeindruckt", er stieß einen Pfiff aus und hielt fortan Abstand von der Zelle, "Du hast trainiert, nicht wahr? Eins muss man Tony lassen: er ist ein guter Lehrer."
"Sprich' nicht über ihn", drohte ich ihm mit feindseeligem Blick, "Nicht über ihn oder irgendjemand anderen aus meinem Leben. Sag' mir verdammt nochmal, was du hier machst!"

"Ich brauche deine Hilfe", begann er, doch ich lachte spöttisch auf.
"Willst du mich verarschen?", entfuhr es mir entgeistert, "Meine Hilfe?! Denkst du ernsthaft, ich würde dir nach allem, was passiert ist, helfen?"
Er lehnte sich abermals an die gegenüberliegende Wand und seufzte.
"Natürlich nicht", erwiderte er wissend, "Ich weiß, dass du...sagen wir nicht gerade gut auf mich zu sprechen bist. Aber wenn du weißt, was auf dem Spiel steht, wirst du deine Meinung vielleicht nochmal überdenken."
Ich verengte meine Augen zu Schlitzen und wartete darauf, dass er endlich mit der Sprache rausrückte.
"Ich habe dein Leben in den Händen. Deines und das deiner Freunde, deiner Familie..."
"Du hälst mir eine Waffe an den Kopf? Was auch sonst!", ich schmiss sauer die Arme in die Luft und verspürte das dringende Bedürfnis, ihm eine reinzuhauen. Mit einer Kraft, die seit unserer ersten Begegnung in mir schlummerte.
"Bist du dabei oder nicht?", wollte er bloß wissen und sah mich eindringlich an. Seine dunklen Augen bohrten sich durch meine heiße Haut und schienen mein Innerstes zu zerreißen.
"Ja", ich nickte schließlich, weil ich wusste, dass dies die einzig richtige Entscheidung war, "Ja, ich bin dabei."

Und keinen Augenblick später kehrte der blonde Polizist zurück, um uns mitzuteilen, dass Aiden recht gehabt hatte und ich entlassen werden durfte.

So verließen wir gemeinsam die Polizeiwache und stiegen in den schwarzen Van, mit welchem mein psychopathischer Bruder mich damals verschleppt hatte - Aiden mit einer selbstsicheren Aura und ich mit dem Gefühl, dass dies die Ruhe vor dem Sturm war.

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Wenig später in der Polizeiwache...

"Wie sie ist weg?", rief Tony hysterisch. Vor einer knappen halben Stunde hatte man ihn angerufen und ihm mitgeteilt, Elizabeth wäre mit seinem McLaren angehalten und dann festgenommen worden. Er war natürlich sofort hergefahren, doch hier sagte man ihm, sie wäre bereits abgeholt worden. Er verstand es nicht. Er verstand nichts von all dem, was am heutigen Tag geschehen war. Er wusste nur, dass es kein guter Tag war.

"Abgeholt?", wiederholte er den blonden Polizisten leicht panisch, "Von wem?"
Normalerweise war Tony nicht so impulsiv, aber an dieser Frau war schließlich auch nichts normal. Er hatte es längst aufgegeben, in ihrer Gegenwart möglichst vernünftig zu wirken. Das musste er ohnehin nicht. Sie verstand ihn. Sie akzeptierte seine Schwächen. Dass er manchmal einen über den Durst kippte, sich wie ein Idiot verhielt und sowieso viel zu schlecht für sie war. Er hatte - bevor er ihr begegnet war - in den Spiegel gesehen und sich selbst mit einem zufriedenen Grinsen gemustert, weil er wusste, wie toll er war. Die Frauen waren auf ihn geflogen, es war, als wäre er der Magnet und sie die Eisenspäne. Aber bei Elizabeth war das anders. Sie hatte ihn von Anfang an vollkommen anders behandelt. Ihre Blicke waren ehrlich und ohne Hintergedanken, ebenso ihre Worte. Tony kam sich schwachsinnig vor, wenn er so über sie philosophierte, aber er konnte nicht leugnen, wie sehr er sie respektierte. Er liebte es, ihr zuzuhören, ihren Körper zu berühren, sie zum Lachen zu bringen...als diese Kleinigkeiten erfüllten ihn. Jede Sekunde, die er von ihr getrennt war, ließ seine Laune sinken. Er wusste noch genau, wie es war, als sie von diesem Irren - Aiden - gekidnappt worden war. Er hatte nicht schlafen und essen können. Tag und Nacht war er um die Welt geflogen, hatte nach ihr gesucht, bis auch die letzten Energiereserven aufgebraucht waren. Und dann hatte er wieder von vorne angefangen. Er hatte Angst - manische Panik traf es dabei eigentlich deutlich besser - gehabt, er würde sie nie wieder sehen. Das wäre das schlimmste, was ihm passieren könnte.

Doch genau diese Angst war nun wieder da, denn heute Morgen hatte er es verbockt. Manchmal schoss er einfach über sich selbst hinaus, ohne dabei wirklich zu merken, wieviel er falsch machte. Wie gesagt: sie war seiner Ansicht nach viel zu gut für ihn. Und er hielt es nicht aus, dass er sie andauernd verletzte. Er wollte doch einfach nur für sie da sein, jeden Tag, bis an den Rest seines verkorksten Lebens. Warum musste er es auch immer und immer wieder vermasseln? Warum konnte er nicht einfach wie ein gewöhnlicher Mann sein und ihr verdammt nochmal sagen, wie wichtig sie ihm war? Er war wahrhaftig ein Idiot. Darin war er einsame Spitze.

"Es kam so ein Kerl", erzählte ihm der Officer, "Ich glaube, er hat sie Schwesterchen genannt."
"Schwester?!", rief Tony voller Entsetzen und ihm war sofort klar, was geschehen sein musste. Seine schrecklichste Angst musste sich bewahrheitet haben.

"Sie haben sie einfach gehen lassen?!", schrie Tony nun schon fast und schien bei dem Gedanken daran, dass die wichtigste Person in seinem Leben gerade wahrscheinlich in Lebensgefahr schwebte, die Fassung zu verlieren, "Sind Sie verrückt?"
"W-was, aber-"
"Halten Sie die Klappe!", fuhr Tony den Officer panisch und zugleich mit einer ihm bisher unbekannten Wut an, "Wohin sind sie gefahren?"
"Ich dachte, ich soll die Klappe halten?", der Blonde zog seine Augenbrauen nach oben und Tony merkte, dass er kurz davor war, dem Gesetzeshüter eine reinzuschlagen.
"Arg!", grummelte er sauer und warf ihm einen wütenden Blick zu, "Wo sind sie hingefahren?"
"Ich...ich weiß es nicht!", erwiderte der Polizist überfordert, "Wirklich nicht! Ich schwöre es Ihnen, Sir!"
Tony schüttelte ungläubig den Kopf und spürte plötzlich ein Stechen in seinem Brustkorb.
"Ah!", murmelte er schmerzend und als sich das Gefühl verschlimmerte, entwich ihm ein qualvolles Stöhnen und er war gezwungen, sich an der Wand zu seiner Linken abzustützen.
"Sir, geht es Ihnen gut?", fragte der Blonde sofort besorgt und Tony, der sich mit seinen Händen kraftlos an den Ark-Reaktor fasste, war zu schwach, um ihm zu sagen, dass gerade vermutlich das passierte, wovor er sich seit Monaten gefürchtet hatte...

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Entschuldigt die kurze Pause - ich hatte irgendwie weder Zeit noch Bock aufs Schreiben.

Aber jetzt bin ich back mit einem...recht düsteren Kapitel würde ich sagen?

Ich entschuldige mich zudem für den fiesen Cliffhanger, aber ihr könnt ja gerne raten, was mit unserem lieben Tony passiert ist...

Ich hoffe, es hat euch nichtsdestotrotz gefallen und ich wünsche eine schöne restliche Woche :)

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