27 》 Ana
"Tony?", fragte ich den Braunhaarigen, der neben mir hinter dem Steuer seines Sportwagens saß und auf den Verkehr fokussiert war, kleinlaut.
"Hm?", machte er nur und überholte das Fahrzeug vor uns, weshalb ich Dank seiner überhöhten Geschwindigkeit in den Sitz gepresst wurde.
"Könntest...könntest du mich bei meinen Eltern absetzen?", räusperte ich mich, doch meine Stimme war noch immer leise, verlegen und womöglich von einem Hauch der Angst durchzogen. Und mein Herz...verdammt nochmal, es schlug mir fast aus der Brust. Seit ich wieder Zuhause war, wollte ich nur eines: Antworten auf die Fragen, welche meine Welt nach Aidens Auftauchen ins Wanken gebracht hatten. Und der Schlüssel dazu war meine Mutter. Auf der einen Seite wollte ich nichts sehnlicher, als mit ihr zu reden, doch andererseits fürchtete ich mich auch. Ich hatte Angst, sie gäbe mir nicht die Antworten, die ich gerne hören wollte. Und ich wusste ebenfalls nicht, ob es klug wäre, ihr von Aiden zu erzählen, wenn sie die Geschichte, die mir dieser aufgetischt hatte, denn tatsächlich bestätigen würde.
"Deine Eltern?", Tonys Ton klang verwundert, "Falls du denkst, sie hätten während deiner Abwesenheit eine kontinentale Suchaktion nach dir gestartet - falsch gedacht. Der scharfe Kerl neben dir hat das verhindert."
"Darum geht es gar nicht", ich seufzte und konnte mich nicht wirklich auf seine Worte konzentrieren, denn der Kloß in meinem Hals wuchs stetig weiter.
"Willst du denn gar nicht wissen, wie es mir möglich war, diese Katastrophe zu unterbinden?", entgegnete Tony fraglich und ich rieb mir über die heiße Stirn. Mein Kopf war kurz davor, zu explodieren.
"Doch", nuschelte ich und nahm einen tiefen Atemzug, um mich zu beruhigen.
"Ich hab' deinen Eltern einen kleinen Besuch abgestattet", erzählte er stolz, woraufhin all meine Sorgen plötzlich in die hinterste Ecke meines Kopfes geschoben wurden.
"Du hast was?", wiederholte ich ihn geschockt, "Warum?"
"Zu aller erst: ich habe mich benommen", versuchte er, mich zu besänftigen, "Und ich war dort, um etwaige Sorgen deiner Eltern zu stillen. Ich habe ihnen gesagt, du wärst bei mir eingezogen, lägst aber mit einer üblen Grippe seit Tagen im Bett und würdest dich melden, wenn es dir besser ginge. Dein Vater war recht grimmig, aber deine Mutter war wirklich niedlich. Ich glaub', sie hat nicht den leisesten Schimmer, wer ich bin. Sonst hätte sie mir wahrscheinlich den Kopf umgedreht."
"Natürlich weiß sie, wer du bist", murmelte ich erschöpft, "Sie gehörte zu S.H.I.E.L.D. Und da bist du ja bestens bekannt, oder nicht?"
Tony drehte die Musik leiser.
"Bitte was?", entfuhr er ihm entsetzt, "Ana gehört zu-"
Ich unterbrach ihn.
"Ja, sie war Teil dieses seltsamen Geheimdienstes", wiederholte ich mich entkräftet, "Hör' zu, das ist eine wirklich lange Geschichte und ich...ich will nicht darüber reden. Das alles macht mich einfach nur fertig. Meine Eltern haben mich mein ganzes Leben lang angelogen, dann wurde ich auch noch von meinem bescheuerten Bruder verschleppt und jetzt muss ich mein kleines Erbsenhirn diese Abstrusitäten verarbeiten. Aber das kann ich nicht. Ich...ich weiß nicht, was ich mit all diesem Mist anfangen soll! Aiden ist irgendwo da draußen, könnte es auf mich, meine Eltern und vielleicht sogar auf dich abgesehen haben und ich kann nichts tun! Ich kann zu meiner Mutter gehen und sie mit ihrer Vergangenheit konfrontieren und was wird sie mir höchstwahrscheinlich sagen? Dass es stimmt, dass alles stimmt! Nichts wird mehr so sein wie es einmal war."
Meine Stimme war mit jedem Wort lauter und unkontrollierter geworden, doch nun, wo wieder Stille im Wagen herrschte, nahm ich einen tiefen Atemzug und unterdrückte das dringende Bedürfnis, in Tränen auszubrechen.
"Es...es tut mir leid", seufzte ich schweren Gemüts, "Ich wollte dich nicht anschreien."
Mittlerweile hatte Tony am Straßenrand geparkt und bei einem kurzen Blick aus dem Fenster merkte ich, dass wir bereits vor der Einfahrt meines Elternhauses standen.
"Sieh' mich an, Elizabeth", bat mich Tony und ich drehte mich ihm betrübt zu.
"Du kannst nichts von all dem ungeschehen machen. Es wird für immer ein Teil von dir sein. Und das ist in Ordnung. Man sagt nicht umsonst, dass die Zeit alle Wunden heilt. Tiefe Wunden verschwinden nie ganz - diese Narben trägst du nunmal auf ewig. Aber du musst lernen, sie zu akzeptieren. Sie machen dich zu dem Menschen, der du bist. Sie zeichnen dich und lassen dich stärker werden. Und außerdem musst du mit ihnen nicht alleine fertig werden."
Er umgriff meine Hand und strich sanft mit seinem Daumen über diese.
"Ich kann und werde dich unterstützen. Egal was kommt. Das ist ein Versprechen. Und ich werde alles, was in meiner Macht steht, tun, um dieses Versprechen zu halten. Wir stehen das gemeinsam durch, hast du das verstanden?"
Er lehnte sich ein Stück nach vorne und musterte mich eindringlich. Ich konnte nur stumm nicken, meine Arme um ihn legen und seinen Oberkörper fest an meinen drücken.
"Danke", flüsterte ich ihm mit einer unsagbar großen Erleichterung ins Ohr und genoss in diesem Moment einfach nur seine Nähe und das Versprechen, welches mich bekräftigt hatte.
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"Willst du das wirklich?", fragte mich Tony abermals, als wir nebeneinander vor der roten Haustüre des Einfamilienhauses standen. Ich atmete tief ein, ließ die frische Luft meine Lungen füllen, ehe ich sie laut ausstieß. Augenblicklich waren alle Zweifel an den Rand gedrängt.
"Ja, will ich", antwortete ich ihm entschlossen, "Ich kann nicht davor weglaufen. Ich muss wissen, ob es stimmt. Und ich möchte ihre Gründe hören."
"Braves Mädchen", er klopfte mir auf die Schulter und zwinkerte mir zu, was lieb gemeint war, mich jedoch nicht zum Schmunzeln bringen konnte.
"Lizzy!", meine Mutter warf mir ein herzliches Lächeln zu, als sie die Türe öffnete, und ihr freudiger Blick glitt hinüber zu meinem Begleiter.
"Anthony? Was für eine Überraschung!", ihre Augen strahlten noch immer, doch als sie meinen kalten Blick endlich zu bemerken schien, knickte ihre Fröhlichkeit ein.
"Wir müssen reden", sagte ich emotionslos und sie nickte bloß verwundert, bevor sie zur Seite ging und uns den Eintritt in den Flur gewährte.
"Was ist los?", fragte sie direkt, als wir uns im Wohnzimmer befanden - Tony hatte sich im Sessel niedergelassen, aber ich wollte mich nicht auf die Couch setzen und so tun, als wären wir bei einem Kaffeeklatsch.
"Du hast mir einiges zu erklären, Ana."
Meine Mutter runzelte die Stirn, als ich sie mit ihrem Vornamen anredete.
"Elizabeth", sie faltete seelenruhig ihre Hände zusammen, "Was ist los?"
"Elizabeth", ich schnaubte verachtend auf, "Heiße ich überhaupt so? Alles, was du mir erzählt hast, war eine Lüge. Bist du überhaupt meine Mutter? Ist Dad auch wirklich mein Dad?"
"Wovon redest du bitte?", sie starrte mich entgeistert an, aber davon ließ ich mich nicht aus der Fassung bringen.
"S.H.I.E.L.D", mehr als dieses eine Wort musste ich nicht sagen, um sie dazu zu bringen, ihre Augenlider weit aufzureißen und sich mit einer plötzlich aufgekommenen Unsicherheit durchs dunkelbraune, kurze Haar zu fahren.
"Wieviel weißt du?", lautete prompt ihre Frage und ich hörte eine deutliche Nervosität in ihrer Stimme mitschwingen, obwohl sie sichtlich gegen diese anzukämpfen schien.
"Ich weiß vieles, aber noch nicht alles", ich verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust, "Gib' mir einen Grund, dieses Haus nicht zu verlassen und dich zu vergessen."
Sie atmete laut aus und schlug sich vollkommen aufgelöst die Hände über dem Kopf zusammen.
"Weil ich dich über alles liebe!", erwiderte sie panisch und atmete tief durch, "Du verdienst die Wahrheit, das hast du schon immer. Aber ich hatte verdammt große Angst, dich zu verlieren! Es war so einfach, dir vorzumachen, wir wären eine normale Familie. Das war doch das einzige, was ich wollte - Normalität. Dein Vater auch. Er war heilfroh, als wir S.H.I.E.L.D hinter uns gelassen hatten. Aber bist du einmal Mitglied gewesen, scheint es der Rest der Welt auf dich abgesehen zu haben. Deswegen mussten wir fliehen und eine große Lüge aufbauen, um sicher zu sein. S.H.I.E.L.D ermöglichte uns einen Neustart, da warst du gerade einmal zwei Jahre alt. Aus Ana und Richard Austin wurden Ana und Richard Danes und aus ihrer Tochter, Jaila Austin, wurde-"
"Elizabeth Danes", murmelte ich und begriff langsam, was sie mir gerade berichtet hatte, "Ich."
Sie nickte und ich schüttelte fassungslos meinen Kopf. Das war doch nicht wahr. Meine Mutter hatte für S.H.I.E.L.D gearbeitet. Alles, was mir neunundzwanzig Jahre lang erzählt worden war, war nichts weiter als erlogen. Ich war gar nicht diejenige, für die ich mich seit Anbeginn meiner Existenz gehalten hatte. Elizabeth Danes war nichts weiter als eine Tarnung, eine leere Hülle, die keinerlei Bedeutung hatte. Wenn man mich danach gefragt hatte, wer ich war, hatte ich anderen stets diesen Namen genannt. Ich hatte gelogen. Unbewusst, aber dennoch mein Leben lang.
"Hör' zu Elli-", begann meine Mutter einfühlsam, doch ich unterbrach sie.
"Nicht Elli", entgegnete ich, "Ab sofort keine Lügen mehr."
"Jaila", fing sie abermals an und seufzte schwer, "Ich bereue nichts von dem, was ich getan habe. Im Gegenteil: die Zeit bei S.H.I.E.L.D hat mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Dort war es mir möglich, etwas zu verändern - etwas zu bewegen."
"Aber zu welchem Preis?", fragte ich verständnislos und mit verschränkten Armen.
"Zu einem hohen", sie seufzte und stieß dann hörbar laut einen Atemzug aus, "Elizabeth, Jaila - nenn' dich wie immer es dir beliebt. Es sind nur Worte. Sie machen dich nicht aus. Du kannst sein, wer immer du sein willst. Niemand schreibt dir etwas vor. Bei S.H.I.E.L.D war ich dagegen eingeschränkt. Eine Familie sah man dort nicht allzu gerne, aber letztlich war es das, was ich wollte. Aber dafür musste ich nunmal gewisse Dinge tun. Zum Beispiel die Wahrheit verdrehen, um dich zu schützen."
"Und warum weiß Dad es dann? Warum bin ich die einzige, die es erst jetzt erfahren hat?", meine Stimme wurde lauter und mein Gemüt zorniger. Das, was sie mir erzählte, klang nachvollziehbar, aber es erklärte noch immer nicht, warum ich das alles erst durch Aiden erfahren hatte. Sie hätte mich doch längst über ihre Vergangenheit aufklären können. Ich hätte es verstanden, wenn wir in Ruhe darüber geredet hätten.
"Weil dein Vater ebenfalls ausgebildet wurde-", begann sie, doch ich lachte ungläubig auf und schlug mir die Hände über dem Kopf zusammen.
"Du willst mich doch verarschen!", entgegnete ich fassungslos und gestikulierte wild mit meinen Armen, "Ihr beide wart also bei S.H.I.E.L.D und statt eure Tochter darüber aufzuklären, was das für sie bedeutet, verschweigt ihr es mir jahrelang und ich erfahre es von Aiden, der-"
Ich bremste mich selbst aus, als ich realisierte, was ich da gerade von mir gab.
"Aiden?", meine Mutter schloss einen Schritt zu mir auf und starrte mich hypnotisiert an, "Er...er lebt, nicht wahr?"
"Es stimmt? Es gibt ihn?", ich schluckte und als meine Mutter traurig nickte, fuhr ich mir kraftlos durchs zottelige Haar.
"Mum...ich-", ich hatte auf einmal keine Energie mehr, um mich verbal ausdrücken zu können, weshalb ich mich auf das Sofa setzte. Meiner Mutter schien es ähnlich zu gehen, denn sie gesellte sich zu mir und legte ihre Hand auf meine Schulter, woraufhin ich aufschaute. Ihre Augen waren trüb und leer.
"Ich habe mein halbes Leben lang um deinen Bruder getrauert. Doch vor einem Jahren erhielt ich diese seltsamen Briefe. In jedem stand immer wieder das Gleiche und jedes Mal war es nur ein Wort: Sohn. Erst dachte ich, es wäre ein dummer Scherz, doch irgendwann vermutete ich, dass diese Briefe von Aiden kämen. Dass man etwas mit ihm angestellt hatte - vielleicht eine Abwandlung von Projekt T.A.H.I.T.I. Ich weiß es nicht."
"Was ist das, dieses Projekt-", fragte ich, doch sie unterbrach mich.
"Aber du hast gesagt, dass du das alles von Aiden weißt. Geht es ihm gut? Wo ist er?", wollte sie wissen, woraufhin ich schluckte. Was sollte ich ihr denn sagen? Dass ihr Sohn von Hydra ausgebildet worden war und nun ein Psychopath war, der seine eigene Schwester an irgendwelche Gangster verkauft hatte?
Tony, der dem ganzen Gespräch nur stumm gelauscht hatte, räusperte sich plötzlich, weshalb meine Mutter und auch ich ihm Aufmerksamkeit schenkten.
"Er ist vor zehn Jahren in Detroit gestorben, an einer Überdosis. Doktor Travis erklärte Aiden nach seiner Geburt für tot, in Wahrheit hatte er jedoch andere Pläne mit dem Baby: seine Frau und er hatten sich schon lange ein Kind gewünscht, doch aufgrund ihrer Vorstrafen durften sie keines adoptieren. In seiner Verzweiflung entführte er Aiden und zog ihn als seinen eigenen Sohn auf. Seine Frau erfuhr erst letztes Jahr von der Straftat ihres Mannes, schickte Ihnen daraufhin vermutlich diese Briefe und vor einigen Monaten...nahm sie sich das Leben", erzählte Tony und senkte den Kopf, um Anteilnahme zu zeigen. Ich war sprachlos. Die fiktive Biografie meines Bruders, die sich Tony aus dem Ärmel geschüttelt hatte, klang besser als die tatsächliche. Sie war weniger schmerzend. Doch glaubte meine Mutter sie auch?
"Woher weißt du das?", fragte sie Tony mit leiser Stimme.
"Als Elli dann endgültig bei mir eingezogen ist, habe ich sie überprüft", antwortete er mit einer verblüffenden Ehrlichkeit, "Ich habe tief gegraben. Um sicher zu sein, dass sie auch wirklich die Person ist, für die ich sie halte. Und nach langer Recherche und der Hilfe meines Kumpels Rhodey stieß ich auf einige Überraschungen, die jedoch nur indirekt etwas mit meiner neuen Mitbewohnerin zu tun hatten."
"Oh Gott", meine Mutter, die ihm zu glauben schien, vergrub den Kopf in den Händen und schluchzte, "Es tut mir so unendlich leid, dich angelogen zu haben Süße! Ich...ich wollte dich doch nur beschützen!"
Ich warf Tony einen gequälten Blick zu, den er erwiderte, ehe ich meine Arme um meine Mutter legte.
"Es ist okay, Mum", hauchte ich einfühlsam, "Es ist okay."
Das war es wirklich. Meine Mutter hatte viel durchgemacht, das war mir nun klar. Und sie hatte immer nur versucht, mich vor den Grausamkeiten dieser Welt zu bewahren. Letztlich hatte sie nur das getan, was sie für richtig gehalten hatte und das konnte ich ihr nicht verübeln. Denn jeder andere Mensch tat das ebenso.
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Boah dieses Kapitel hat mich meine Nerven gekostet...ich hab es 1000 Mal umgeschrieben & letztlich bin ich immer noch nicht zufrieden ._.
Aber vielleicht hat es euch ja trotzdem gefallen & wie immer würde ich mich in dem Fall über eine Rückmeldung freuen :)
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