Mit einem Satz werfe ich mich in Richtung des Messers und bekomme es fast zu fassen. Der zweite Schritt bringt mich zwar nah genug heran, um danach zu greifen, doch Theos Hand stößt meine beiseite und das Messer, welches meine Fingerspitzen grade so berührt haben, wirbelt herum und landet klirrend auf dem Boden. Ich lasse mich fallen und krieche eilig auf die Waffe zu, die nun einen guten Meter weiter weg auf dem Boden liegt. Auf der anderen Seite des Tresens vermute ich Theo, der das Gleiche tut. Jetzt geht es um jede Sekunde.

Theos Kopf taucht plötzlich neben meinem auf, als wir beide das Ende des Tresens erreicht haben und für eine Sekunde scheint die Welt stillzustehen.
Dann schnellt meine Hand nach vorne und greift nach dem Griff mit der scharfen Klinge. Vor Aufregung zitternd drehe mich auf den Rücken und halte das Messer warnend in beiden Händen vor mich. Theo stoppt noch in der Bewegung. Nur wenige Zentimeter trennen uns voneinander.

„Ich will dir nicht wehtun, also gibt mir bitte keinen Grund dazu!", warne ich ihn mit klopfendem Herzen. Wie versteinert sieht Theo mich an.

„Was wirst du jetzt tun, Simi?", fragt er mich herausfordernd, nachdem er sich gefangen hat. „Wirst du mich umbringen? Mich verletzten? Mir die Augen ausstechen? Du hast es schon einmal getan, du könntest es wieder tun. Ich hätte es verdient!"

„Was?", frage ich verwirrt. „Wovon redest du?"

Doch statt zu antworten stürzt sich Theo plötzlich auf mich und entwendet mir das Messer. Er ist jetzt über mir und schreit mich an: „Du oder ich, Simi, entscheide dich endlich! Du oder ich"

DU ODER ICH?

In meinem Kopf dröhnt es. Alles dreht sich. Ich kann meinen Sinnen nicht mehr trauen. Ein Gefühl von Übelkeit steigt in mir auf und ich sehe nur noch das Monster über mir, welches das Messer hebt und von mir eine Entscheidung verlangt, die ich nicht treffen kann.

‚Du oder ich' will es wissen. Aber ich will, dass niemand heute stirbt. Es gab schon genug Tote in dieser Geschichte. Moment. Das ist es. Mein Safeword!
Während sich das Messer meines Peinigers wie in Zeitlupe auf mich zubewegt, atme ich tief ein und versuche mich zu erinnern.
‚Du hattest nie eine Kamera in meinem Kopf', denke ich und schreie auf: „TRUMAN!"

Das Messer stoppt mitten in der Luft, ich reiße die Arme nach oben und der Raum vor meinen Augen fängt an zu verschwimmen. Die Küche verschwindet in einem dicken Nebel; die Ränder meines Gesichtsfeldes werden schwarz; der Boden, auf dem ich liege, löst sich auf.

Plötzlich versinke ich darin; ich bin schwerelos; ich falle. Meine Arme versuchen Halt zu finden, doch da ist nichts. Nur vollkommene Leere. Ein schwarzes Loch, das mich in sich einsaugt, mitreißt und am Boden wieder ausspuckt.

Schmerz durchfährt meinen Körper. Ich schreie auf. Noch einmal: „Truman!". Vielleicht haben sie mich nicht gehört? Immerhin falle ich nicht mehr.

„Schnell, der Stuhl ist umgekippt!"

„Zieh endlich das Kabel raus!"

„Hol den Doc, vielleicht ist sie verletzt."

„Eine Stunde fünfundvierzig, ein neuer Rekord."

„Nimm doch endlich den Helm ab!"

Ich spüre, wie sich jemand an meinem Kopf zu schaffen macht. Meine Hände wandern zu meinen Augen. Sind sie noch da? Alles ist so schwarz. Dann spüre ich, wie der Druck auf meiner Nase verschwindet. Helligkeit fällt durch meine noch geschlossenen Augenlieder.

„Füße hochlegen, falls sie einen Schock hat." Diese Stimme! Theo! Ich reiße die Augen auf, drehe mich panisch zu der Stimme um und versuche mich aufzusetzen. Drei Augenpaare starren mich an.

„Welche Simulation hat sie gespielt?" fragt der rundliche Fremde mit Theos Stimme. Instinktiv weiche ich zurück und stoße mit dem Kopf gegen eine harte Kante.
„Ted Bundy, vermute ich", grinste eine der jungen Frauen.
„Er heißt Theo!", protestiert die zweite.
„Er ist ein Psycho!", konstatierte die erste.

Ich sehe mich um. Weiße Wände, Tische, Stühle, Computer und Kabel. Plötzlich fällt mir alles wieder ein.
„Bin ich zurück?", unterbreche ich die Unterhaltung. Die Frauen sehen mich an. Nummer zwei lächelt.

„Ja Simone, du bist wieder im Hauptquartier!"