100 | Das Café II
Meine Finger fummeln nervös am Zipper meiner Jacke. Auf oder zu? Wenn ich sie offen trage, sieht man gleich das enge Shirt, das meine definierten Muskeln so gut zur Geltung bringt. Andererseits wollte ich ja grade das eigentlich nicht; mich mit meinem Aussehen verkaufen. Also, Zipper wieder rauf.
Wer weiß, ob er heute überhaupt arbeitet? Mein Platz im Cafe ist ganz in der allerletzten Ecke, nahe der Toiletten. Von hier aus werde ich nicht gleich gesehen, habe aber alles ganz gut im Blick. Besonders die Küchentür und den Verkaufstresen.
Ich grinse bei der Idee, dass ich gleich bei Theo anrufen werde. Ich habe mir alles genau überlegt. Mein Handy wartet nur darauf, dass ich Theos Nummer wähle. Er wird sich vielleicht wundern, dass ich heute schon melde, wo wir uns doch gestern erst gesehen haben. Aber hey, das Leben ist zu kurz, um zu warten, oder?
Und immerhin möchte ich gerne der Typ Mensch sein, der sich nicht hinter seinen Ängsten vor Ablehnung versteckt oder irgendwelche ungeschriebenen Gesetze einhält: Rufe nie zuerst an, warte mindestens drei Tage und sage bloß nie zu früh, dass du jemanden magst. Das funktionierte vielleicht in einer früheren Zeit, als es noch Briefe und Telefone mit Wählscheibe gab, aber doch nicht mehr heute.
Auch wenn ich aufgeregt bin; mehr als mich wegdrücken kann er ja nicht. Und wenn er mir sagt, dass er heute leider arbeiten muss, bitte ich ihn einfach, dem netten jungen Mann an Tisch 17 einen Kaffee zu bringen. Und ja, das bin dann ich!
Voller Elan entsperre ich mein Handy. Auch wenn ich am liebsten sofort loslegen will, verführt mich das blinkende Auge an der Dating App dazu, sie zu öffnen. Anscheinend habe ich Post. Neugierig lese ich dich Nachricht. Sie ist von Alex.
„Das ist sehr lieb von dir! Ich habe mich auch falsch verhalten. Lass uns reden. Meine Adresse ist Kiefernweg 5. Klingel einfach bei Schubert. Bis gleich ❤️"
Ungläubig starre ich auf den Bildschirm. Habe ich was verpasst? Ich lese die Nachricht erneut und schaue auf den Zeitstempel.
Gestern? Wann soll das gewesen sein?
Ihr Satz klingt wie eine Antwort. Aber worauf? Aufgeregt, was ich wohl finden werde, scrolle ich hoch.
„Hallo Alex, es tut mir sehr leid, wie das Date heute im Café gelaufen ist. Ich würde mich gerne persönlich bei dir entschuldigen und finde, wir sollten uns noch eine Chance geben ❤️"
Erneut starre ich auf die Buchstaben, die dort schwarz auf weiß stehen. Wie kann das sein?
Wie kann diese Nachricht in unserem Chat gelandet sein? Ich habe sie definitiv nicht geschrieben!
Als ich den Verlauf weiter nach oben scrolle, sehe ich nur die letzten Nachrichten von vor unserer Verabredung im Café.
Bevor ich weiter rätseln kann, trudelt eine weitere Nachricht direkt vom Anbieter der Website ein:
"Hallo Kasimir,
hiermit informieren wir Sie darüber, dass wir ihre GEO-Daten im Rahmen der von Ihnen in den AGB zugestimmten Verwendung im Falle eines ‚Gefahr in Verzug' – Momentes, an die zuständigen Behörden weitergegeben haben.
Des Weiteren haben wir Ihren persönlichen Chatverlauf mit [Alex] unter Berücksichtigung der eingeschränkten Datenschutzauflagen freigegeben.
Bitte haben Sie Verständnis, dass wir uns vorbehalten, im Falle einer strafrechtlichen Nachverfolgung ihren Account unverzüglich zu sperren.
Mit freundlichen Grüßen,
ihr THE BLIND SITE-Team"
Mein Herz setzt für einen Moment aus um danach im Eiltempo davon zu galoppieren.
Was zum Henker geht hier vor? Was soll das alles? Bin ich im falschen Film? Bin ich noch nicht richtig wach?
Eine Nachricht aus meinem Newsticker ploppt auf und macht das Chaos perfekt. Unter dem Foto eines Krankenwagens, in den eine abgedeckte Trage geschoben wird, prangt reißerisch folgende Titelstory:
Darunter steht eine kurze Zusammenfassung der Tat und eine Beschreibung des Opfers. Aber ich brauche gar nicht viel zu lesen, denn ein kleines Detail auf dem Foto lässt sofort mein Blut in den Adern gefrieren. Wen auch immer sie geborgen haben, es war jemand, der im Haus Nummer 5 gewohnt hat!
Ich zähle eins und eins zusammen. Und komme auf drei. Das kann doch alles nicht wahr sein, oder? Was will man mir hier anhängen?
Während ich noch ungläubig in die Gegend starre, trifft mein Blick die Küchentür, die gerade aufschwingt. Theo. Er wirkt entspannt. Ganz anders als ich. Meine Finger Krallen sich in meine geballten Fäuste, Schweiß bildet sich auf meiner Stirn. Wann werden sie hier sein, um mich zu beschuldigen?
Theo lächelt. Bis er mich sieht. Er stoppt mitten in der Bewegung. Sieht mich an. Erkennt er mein Leiden? Doch bevor er etwas tun kann, höre ich bereits das bekannte Klingeln des Glöckchens über der Eingangstür. Sie haben mich gefunden.
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