1 | Das Café
Hier sitze ich nun und langweile mich fast zu Tode. Mal ernsthaft, welche Person glaubt denn bitte, dass eine Geschichte, in der es um einen blöden Kanarienvogel geht, der eine Spielkarte mit dem Schnabel umdrehen kann, bei einem ersten Date ein guter Eisbrecher wäre?
Erst hatte ich dem einigermaßen attraktiven Mädchen, dass mir seit knapp zwanzig Minuten in einem kleinen Café gegenübersitzt, noch interessiert zugehört. Ich dachte, sie braucht sicher einfach nur eine Weile, um warm zu werden. Immerhin kannten wir uns nur von THE BLIND SITE, einer neuen Dating-Website, die komplett ohne Fotos auskam. Die Idee, sich tatsächlich nur über geschriebene Gespräche und dann direkt im echten Leben kennenzulernen, hatte mich gereizt.
Immerhin ist, grade in meinen Kreisen, Aussehen häufig das A und O. Und ich würde mich gerne mal wieder über andere Dinge unterhalten als Muskelaufbau und Musicals. Versteht mich nicht falsch, ich habe gerne einen attraktiven, muskulösen Mann vor mir und ich sehe mir auch alles an, was der Broadway zu bieten hat, aber das ist halt auch nicht alles.
Daher war ich umso erfreuter, als ich Alex auf der Website kennen lernte. Er war lustig, sensibel und klug. Er machte keine sexuellen Anspielungen und fragte auch nicht nach meiner Handynummer, um mir ein Dick Pic zu schicken. Jetzt wusste ich auch warum.
Alex war klein, hatte lange Haare und was am schlimmsten war: Alex hatte Brüste!
Nicht falsch verstehen, ich habe nichts gegen Brüste. Sie sind ganz wunderbar an Frauen. Nur leider hatte ich keine Frau erwartet. Vermutlich hatte sie bei der Erstellung ihres Profils versehentlich die falschen Pronomen angeben. So war sie ausgerechnet in meiner ‚Er sucht Ihn'- Suche gelandet.
Nun sitze ich also hier, den Kopf auf den Händen abgestützt, ihr gegenüber auf einem unbequemen Holzstuhl und bemühe mich, noch zuzuhören. Redet sie immer noch über den Piepmatz? Ich unterdrücke ein Gähnen und unterbreche sie dann.
„Hey, ich geh mal ganz kurz den Kaffee wegbringen", sage ich höflich und stehe auf.
„Das musst du nicht" sagt sie schnell, wahrscheinlich um mich am Tisch zu behalten. „Die Kellner räumen die Tassen ab."
Meine Augen weiten sich. Ernsthaft? Ungläubig starre ich das Mädchen an, das es anscheinend todernst meint. Ihr Blick ist unbeirrt auf mich gerichtet und anscheinend erwartet sie von mir, dass ich mich wieder setze. Stattdessen verkneife ich es mir, sie zu korrigieren und formuliere mein Vorhaben neu.
„Ich geh mal pinkeln", sage ich ungeniert, damit sie es versteht.
„Okay", meint sie nur nickend und ich spüre förmlich ihren Blick, der mir nachsieht, als ich in Richtung der Toilettenräume verschwinde. Etwas verärgert über dieses lahme Date, stoße ich die Tür auf. So habe ich mir das alles nicht vorgestellt!
Vielleicht sollte ich vortäuschen, dass ich einen wichtigen Anruf erhalten habe?
Nein, das kann ich nicht machen! Ich will nicht eines dieser Arschlöcher sein, die sich mit fadenscheinigen Ausreden davonstehlen!
Doch anlügen will ich sie auch nicht. Nur wenn ich ihr erzähle, dass ich auf Männer stehe, will sie womöglich noch meine neue beste Freundin werden und die habe ich schon. Also muss ich, wohl oder übel, brav zurück an den Tisch gehen und weiter mitspielen. Wer weiß schon, wohin mich diese Verabredung noch führt?
Während ich meine Hände wasche, schaut mir aus dem Spiegel ein attraktiver Mann mit stahlblauen Augen entgegen. Die braunen Haare sind unbändig und wild, wie ich es mag. Nur an den Drei-Tage-Bart muss ich mich noch gewöhnen. Den trage ich erst seit kurzem.
Als ich zu meinem Tisch zurückkehre, sehe ich überrascht, dass dort ein Mann bei meinem Date sitzt und ihr grade einen Zettel zuschiebt. Sie kichert hinter vorgehaltener Hand und nimmt schnell den Zettel an sich, als sie mich entdeckt.
„Hi?", sage ich fragend, als ich wieder vor dem Tisch stehe und meine Begleitung unruhig von einer Pobacke auf die andere rutscht. Der Mann, der auf meinem Stuhl sitzt, lächelt freundlich.
„Hi", antwortet er nur.
'Gott, wer hat denn den geschickt?!' Der Himmel scheint ein Einsehen mit mir zu haben. Anders kann ich mir diesen Adonis, der nun auf meinem Stuhl sitzt, nicht erklären. Ein blaues und ein grünes Auge beobachten mich interessiert unter dichten Wimpern. Seine buschigen Augenbrauen passen unglaublich gut zu seinem gepflegten Drei-Tage-Bart, der ein paar sinnliche Lippen umrahmt.
„Hm, Kasimir", beginnt das Mädchen und ich wende meinen Blick ab von diesem Schmankerl und wieder meiner eigentlichen Begleitung zu. „Ich muss leider gehen. Ich habe einen wichtigen Anruf bekommen", nuschelt sie, während sie auf ihre Hände starrt, dessen rechte Faust immer noch das Papier umklammern muss, das ihr Mr. Sexy heimlich zugesteckt hat.
'Wie jetzt?', schießt es mir durch den Kopf, als ich mir der Situation bewusstwerde. Sie versetzt mich? Mehr Glück kann man wohl nicht haben!
„Oh... klar, das hat natürlich Vorrang", stammele ich etwas perplex über diese unvorhersehbare Wendung.
„Ja, man sieht sich", lächelt sie scheu und drängt sich an mir vorbei.
„Oder auch nicht", grinse ich.
„Wie?", fragt sie noch und ich verkneife mir, ihr die Anspielung an die Website zu erklären.
„Ich melde mich", winke ich freundlich und schäme mich nicht mal, über diese dreiste Lüge.
Das Klingeln des Glöckchens über der Tür, als sie das Café verlässt, lässt mich erleichtert ausatmen.
„Bitte!", höre ich eine Bass-Stimme neben mir sagen. Der attraktive Mann, der dort noch immer sitzt, lächelt mich an.
„Danke?", antworte ich höflich, nicht sicher, ob er es verdient hat. „Wer bist du?"
Ein Grinsen ziert sein Gesicht, auf dem sich nun ein freches Grübchen abzeichnet. „Ich denke, ich sollte dir das erklären", sagt er offen und macht eine Handbewegung, dass ich mich setzen soll. Ich folge seiner stummen Einladung und lasse mich auf dem Stuhl nieder, auf dem vor ein paar Sekunden noch Alex gesessen hat.
„Jetzt bin ich aber gespannt!"
Der Mann mit der tiefen Stimme sieht mich vertrauensvoll an. Seine schwarzen Haare stehen im starken Kontrast zu seinen verschiedenfarbigen Augen. Wie war noch der Begriff dafür?
„Theodor", lächelt der Mann und streckt mir seine Hand entgegen.
„Kasimir", begrüße ich ihn und ergreife sie. Es ist der Name, den ich dem Mädchen genannt habe und belasse es erstmal dabei. Sein Handschlag ist fest, aber nicht erdrückend. Seine Hände weich, aber nicht feminin. Genauso, wie ich es mag.
„Also," beginnt er und ich bin schon gespannt, was er zu sagen hat, „ich würde mich normalerweise nicht einmischen, aber in deinem Fall musste ich eine Ausnahme machen."
„Eine Ausnahme?", frage ich irritiert. Wovon redet er eigentlich?
„Ich arbeite nun schon eine ganze Weile in diesem Café und habe viele Paare bei ihren ersten Dates beobachten können", erklärt er. „Meistens kann ich ganz gut einschätzen, ob das Date gut läuft, oder nicht. Und bei euch musste ich mich leider einmischen."
Seine Augen glitzern ein wenig, als er mir so offen gesteht, dass er mich eben vor dem langweiligsten Date der Welt gerettet hat. Erst jetzt fällt mir auch die Schürze auf, die er trägt und auf der das Logo des Cafés prangt.
„Dann bist du ein Stalker", stelle ich unverblümt fest. Er lacht.
„Ich würde mich eher als Forscher bezeichnen."
„Was erforschst du denn?", erkundige ich mich nun neugierig.
„Das Paarungsverhalten geschlechtsreifer Großstädter in freier Wildbahn", sagt er lässig. Ich pruste meinen Kaffee quer über den Tisch.
„Sorry", murmele ich, noch immer grinsend und biete ihm eine Serviette an.
„Meine Schuld", winkt er ab, während er den Tisch abwischt. „Ich hätte es kommen sehen müssen."
Er grinst wieder und ich verliere mich ein wenig zu lange in seinen faszinierenden Augen. Ob eines der Augen etwas anderes sieht als das andere?
„Was hast du eigentlich zu dem Mädchen gesagt?", versuche ich das Gespräch wieder aufzunehmen, als ich merke, dass ich ihn zu lange angestarrt habe.
„Dass sie wunderschön ist und mit dir nur ihre kostbare Zeit vergeudet. Stattdessen habe ich ihr vermeintlich meine Nummer gegeben." Er lächelt ein wenig unsicher. „Ich hoffe, ich habe mich nicht verschätzt?", fragt er und blinzelt. Selbst wenn ich wütend sein wollte, könnte ich diesem süßen Blick nicht widerstehen. Trotzdem spiele ich kurz empört.
„Du hast mir mein Date ausgespannt?"
Er schaut mich entschuldigend an. „Kann ich es wieder gut machen?", fragt er und natürlich fällt mir da etwas ein.
„Wollen wir nachher noch was unternehmen? Immerhin ist meine Abendplanung nun hinfällig!", schlage ich vor.
„In einer halben Stunde habe ich Feierabend", bietet er an.
Ich grinse zufrieden. Vielleicht wird es ja doch noch ein schöner Abend.
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