Kapitel 12 ~ Beweise

Remus

„Beruhigen Sie sich, Mr Malfoy", sage ich zum wiederholten Mal, aber dabei bin ich selbst alles andere als ruhig. Es macht einfach alles keinen Sinn. Warum sollte Sirius das Leben seiner eigenen Tochter so aufs Spiel setzen? Oder waren seine Gefühle für sie auch nur gespielt? Erneut zerre ich den vollkommen verängstigten Jungen zurück auf den Stuhl neben mir und rufe mir ins Gedächtnis, dass Severus schon immer ein Meister der Zaubertränke gewesen ist. Wenn er ihr nicht helfen kann, dann kann es niemand. Zu meiner Rechten sitzt Fred Weasley vollkommen erstarrt und schaut mit glasigen Augen in weite Ferne.
Zwölf Jahre lang habe ich das Mädchen und ihre Familie gemieden, weil mich ihr Anblick zu sehr an meinen eigenen Verlust erinnert und ich den Teil von mir verabscheue, der sich zurück in diese einfachere Zeit wünscht, in der wir vier alle zusammen waren. Nun sitze ich hier und denke zum ersten Mal seit Jahren wieder darüber nach, wie wenig ich über meinen ehemaligen besten Freund weiß und wie sehr ich mich in ihm getäuscht habe.
Nach einer Ewigkeit tritt Severus aus dem Krankenflügel und fährt sich durchs fettige Haar. Sofort springt der junge Malfoy auf, flitzt flink wie ein kleines Wiesel zu seinem Hauslehrer und bombardiert ihn mit Fragen. Wie in Trance erhebt sich Fred und um nicht der einzig Sitzende zu sein, stelle ich mich nun ebenfalls hin. Automatisch kreuze ich die Arme vor der Brust.
„Sie können gehen, Mr Weasley", meint Severus leise und Fred sieht einen Moment aus, als wöllte er protestieren. Aber er nickt nur und geht mit schnellen Schritten davon.
„Ich muss Lucius und Narcissa informieren", murmelt Severus mehr zu sich selbst. „Ich muss mit ihnen die nächsten Schritte besprechen. Wir haben alle gedacht, dass sie hier sicher ist"
„Wie geht es ihr?", erkundigt sich Dumbeldore leise, der plötzlich hinter mir auftaucht. Noch immer geschwächt vom letzten Vollmond habe ich seine Ankunft nicht bemerkt. Severus seufzt schwer.
„Es war sehr knapp und die gängigen Gegenmittel wirken nur bedingt", gesteht Severus und der junge Malfoy wird noch blasser. „Das Gift ist äußerst schwarzmagisch, aber ich konnte es rechtzeitig erkennen. Allerdings benötigt das passende Gegengift drei Monate zum Reifen und in dieser Zeit befindet sie sich in einem komatösen Zustand. So ist sie vollkommen schutzlos"
„Ich werde die Schutzzauber um den Krankenflügel verstärken", verspricht Dumbledore und entfernt sich von uns, um die nötigen Zauber zu sprechen. Aber ich habe das Gefühl, dass es nicht reichen wird. Nichts hat bisher gereicht, um Sirius' Eindringen in Hogwarts zu verhindern. Aber ich behalte meine dunklen Gedanken für mich. Abrupt wendet Severus sich dem jungen Malfoy zu, ganz so als sei ihm eben erst eingefallen, dass er noch neben ihm stand. Sofort beginnt Severus seinen Schüler zu befragen.
„Der Junge hat gerade zusehen müssen, wie seine Cousine vergiftet worden ist, Severus", werfe ich ein, aber Severus ignoriert mich vollkommen. Wie immer, wenn er die Möglichkeit dazu findet.
„Wenn Sie etwas wissen, dass uns weiterhelfen kann, dann sagen Sie es jetzt, Mr Malfoy", sagt Severus kalt und Draco schluckt nervös.
„Ich kann nicht darüber sprechen, Sir", gesteht er leise. „Aber vielleicht kann ich es Ihnen zeigen"
Kaum nickt Severus, da macht der Junge bereits auf dem Absatz kehrt und marschiert geradewegs in Richtung Kerker davon. Die neugierigen Blicke der anderen Slytherins ignorierend stolziert der junge Malfoy durch den Gemeinschaftssaal und führt uns weiter zu den Schlafräumen. Irgendwie habe ich immer angenommen, dass alle Häuser Gemeinschaftsschlafräume hatte, aber Slytherin ist anders – wie immer. Es gibt zwar Gemeinschaftskorridore, aber ansonsten erhält jeder Schüler sein eigenes Zimmer. Was für ein Luxus. Vor ihrer Tür bleibt der junge Malfoy stehen und starrt einen Augenblick auf ihren Initialen. Dann öffnet Draco die Tür und bittet uns förmlich einzutreten.
Fasziniert folge ich Severus und Dumbledore in das Zimmer und bin überrascht, wie wenig es ihrer Persönlichkeit entspricht. Es ist hell, ordentlich und gemütlich. Wäre sie Sirius ein bisschen ähnlicher, würde hier das blanke Chaos herrschen. Aber ihre Bücher sind ordentlich auf dem Schreibtisch sortiert und auf ihrem Nachtisch steht ein Bild von ihrer Mutter. Schnell wende ich den Blick von Elizabeth ab und mustere den jungen Malfoy, der vollkommen verloren wirkt.
„Ich, Draco Malfoy, erlaube Ihnen hiermit zu sehen", sagt der Junge trocken. Im gleichen Augenblick fällt der Zauberglanz ab und mich durchzuckt Bewunderung für die Zauberkunst der jungen Hexe. Denn in ihrem Zimmer herrscht in Wirklichkeit das reinste Chaos – anders würde es bei Sirius auch nicht aussehen. Überall liegen Notizen, an der Wand hängen Zettel, Zeichnungen, Zeitungsausschnitte und Fotografien. Sie hat alles gesammelt, was über Sirius in den letzten Jahren geschrieben worden ist. Doch am meisten beunruhigt mich, wie häufig ich Peter erblicke – als Mensch und als Ratte.
„Sie ist davon überzeugt, dass ihr Vater unschuldig ist", erklärt der junge Malfoy leise. „Seit Jahren sammelt sie Beweise, damit sie das Verfahren gegen ihn neu aufrollen lassen kann. Hilft das?"
Langsam bücke ich mich nach der Notiz, die vor ihm auf den Boden liegt. Wurmschwanz = Krätze, Krätze fehlt Kralle, Blut auf Rons Bett, keine Zeugen für Tod -> vielleicht noch am Leben? steht in ihrer klaren Schrift geschrieben. Fieberhaft beginne ich die anderen Notizen zu lesen und versuche mich in die Welt ihrer Gedanken einzuschleusen.
„Aber das würde bedeuten", murmele ich leise.
„Ja", unterbricht mich Severus bitter und sieht mir zum ersten Mal direkt in die Augen. „Pettigrew ist der Verräter. Er lebt und er steckt hinter den Anschlägen, nicht Black"
Dumbledore begutachtet weiter ungerührt die vielen Belege und zwirbelt seinen Bart, während Severus bereits Pläne zu Peters Überführung schmiedet. Plötzlich hebt Dumbledore den Kopf und sieht mich über den Rand seiner Halbmondbrille erwartungsvoll an.
„Was denkst du, Remus? Du kennst die beiden am besten", fragt er sanft und ich versuche meine Gedanken zu ordnen.
„Es fällt mir schwer zu glauben, dass der Peter, den ich gekannt habe, zu dem hier fähig sein soll", beginne ich und der junge Malfoy schnaubt verächtlich. „Aber ehrlich gesagt, passen diese Taten auch nicht wirklich zu Sirius. Helena und Castor waren für ihn immer das Größte und er würde niemals ihr Leben derartig aufs Spiel setzen. Sie zu vergiften ist nichts anderes als ein Akt der Verzweiflung. Wer auch immer dahinter steckt, wollte sie zum Schweigen bringen"
„Das sehe ich auch so", meint Dumbledor ernst und massiert sich die Schläfen. „Wer weiß, was er tun wird, wenn er sich noch mehr in die Ecke gedrängt fühlt. Ich kann die Sicherheit meiner Schüler nicht noch mehr aufs Spiel setzen. Gehen Sie in Ihr Zimmer, Mr Malfoy und erzählen Sie niemandem, was Sie heute hier gesehen oder gehört haben"
Als Draco widerspricht, sieht Severus ihn nur scharf an und die Proteste des Jungen verstummen. Mit leisen Schritten entfernt er sich.
„Ich werde die Malfoys informieren und das Gegengift ansetzen", meint Severus und verlässt wie eine überdimensionale Fledermaus das Zimmer.
Manche Dinge ändern sich nie, denke ich melancholisch.
„Was haben Sie vor?", frage ich leise und wieder bedeckt mich Dumbledore mit seinem gütigen Halbmondbrillenblick. Mit ruhiger Stimme antwortet er: „Ich werde den Dingen ihren Lauf lassen"

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