Kapitel 1 ~ Der Tag, der alles veränderte

Ellie

„Wie wird es sein? Hogwarts, meine ich. Wird sich irgendetwas ändern?", meine Stimme klingt seltsam. So anders, unschuldig und schwach, aber meine Tante kniet sich zu mir und streicht mir sanft übers Haar. Sie lächelt mich so warm an und schaut mir tief in die Augen, dass der Kloß in meinem Hals augenblicklich etwas kleiner wird.
„Nein, Ellie", wispert sie. „Nichts wird sich ändern. Egal was geschieht, du wirst immer zu uns gehören und jetzt los, sonst verpasst du noch deinen Zug"
Ich nicke und stehe auf. Als ich den Blick hebe, bemerke ich, dass mein Onkel und Draco uns beobachten, Lucius nachdenklich, Draco lächelnd. Der ganze Bahnsteig ist voller Menschen. Heimlich hatte ich gehofft, hier meine früheren Freunde zu sehen. Nur einen Blick auf sie zu erhaschen, doch jetzt bin ich froh, dass ich keinem von ihnen begegnet bin. Vermutlich hätten sie mich gar nicht erkannt. Bestimmt haben sie mich schon längst vergessen.
Immer noch lächelnd tritt Draco zu mir. Seine Augen fragen mich, ob ich bereit sei. Ein Lächeln erscheint auf meinem Gesicht und gemeinsam verabschieden wir uns von seinen Eltern. Aufgeregt suchen wir uns ein Abteil und schon bald setzt sich der Zug in Bewegung. Schon bald haben wir London hinter uns gelassen und ich werde immer hibbeliger, während Draco immer gelassener wird, als würde ihm der ganze Zug gehören. Gedankenverloren blickt er aus dem Fenster, bis er plötzlich seinen Kopf dreht, um mir etwas zu zeigen. Sofort sieht er die wachsende Angst in meinen Augen und nimmt meine Hand.
„Entspann dich, Lizzie", murmelt er selbstsicher und sieht mir dabei tief in die Augen. Viele die ihn nur oberflächlich kennen meinen, er wäre das Ebenbild seines Vaters, aber er hat Cissys Augen und Sanftheit geerbt, auch wenn er letztere nicht jedem zeigt. „Sie werden uns nicht trennen. Wir sind wahre Slytherins, Hogwarts wird unser sein"
Wie gerne wäre ich nur so selbstbewusst wie Draco. Dankbar lächele ich meinen besten Freund an und versuche mich zu entspannen. Inständig hoffe ich, dass niemand auffallen würde, dass ich anders bin. Meine Mutter hatte mich mit einem Fluch belegt, bevor sie gestorben war. Nie werde ich etwas vergessen können. Nichts, kein Gesicht, kein Wort, keine Stimme, keine Lüge.
Als ich sie fragte, warum sie mir dies angetan hatte, antworte sie in ihrem Fieberwahn: „Weil du die Eine bist, meine Liebe. Was auch immer man dir erzählen wird, du wirst nie vergessen, wer du wirklich bist. Wir wachen über dich, Helena"
Dann nahm meine Großmutter meine Hand und Mom schloss ihre Augen und öffnete sie nie mehr. Jeden Tag fehlt sie mir, unsere Gespräche, unser kleines Haus am Meer, das mitternächtliche Schwimmen mit ihr im Sommer. Meine Großmutter war immer nett zu mir, anders als zu meinem Vater. Mich hatte sie lieben können, wie ich war, denn ich war ihre letzte Chance auf Liebe.
Mit jedem Tag, der verging, wurde ich meiner Mutter immer ähnlicher. Mein Gesicht verlor immer mehr seine kindlichen Züge und wichen ihren klaren, edlen. Meine Lippen waren voll, (auch meine Unterlippe ein kleines bisschen voller als die Oberlippe ist), während unsere Nasen hübsch waren – weder zu groß noch zu klein. Meine Augen besaßen ihre seltsame Mischung aus grau und blau, die immer anders aussahen und meine Haare wurden immer dunkler, sodass sie sich mit ihrem hellen, braunen Goldton deutlich vom weißblond der Malfoys abhoben, aber irgendwie gerade noch so dazu passten.
Energisch schüttele ich meinen Kopf, um die Gedanken an meine Mutter zu verdrängen. Sanft stupse ich Draco mit dem Arm an und sage, dass er nicht bei mir sitzen und sich langweilen müsse. Unsicher lächelt er mich an, dann nickt er und verlässt unser Abteil. Abgesehen von dem schweigsamen, älteren, dunklen Jungen, der Draco und mich ignoriert, bin ich nun allein und kann meinen Kopf gegen die kühle Scheibe lehnen und mich auf meine Zukunft in Hogwarts konzentrieren. Seit dem Tod meiner Großmutter vor zwei Jahren und der Adoption durch Narzissa Malfoy scheint jeder über mein künftiges Haus nachzudenken. Mein Dad war der Erste in seiner Familie, der nicht nach Slytherin kam, sondern in Gryffindor landete. Meine Mom war nie in Hogwarts gewesen, sondern auf der kleineren Hexenschule in Deutschland. Aber was würde ich sein? Würde ich nach Gryffindor überhaupt passen? Würden sie mich überhaupt akzeptieren? Würde ich Draco verlassen können?
Wie immer höre ich ab diesem Punkt auf und zwinge mich an etwas anderes zu denken. Bevor meine Familie zerbrach, waren wir sehr glücklich. Ab und zu kamen Vaters Freunde vorbei. An Lily und James erinnere ich mich besonders gern zurück, weil Harry nur drei Tage jünger war als mein Bruder und ich. Manchmal hatten wir sogar zusammengespielt, wenn wir nicht in unserem verborgenen Haus waren. Aber nach dem Tod seiner Eltern und der Inhaftierung meines Vaters konnte meine Mutter meinen Bruder und mich nicht länger vor der wirklichen Welt verstecken. Jeder glaubt, mein Vater habe die Potters verraten. Aber mein Vater ist unschuldig und ohne Beweise glaubt mir niemand.
Mit einem Ruck öffnet sich die Tür und ich bin so überrascht, dass ich aufblicke in der Erwartung Draco zu sehen. Doch es sind zwei ältere, identisch aussehende, rothaarige Jungs, die den Unbekannten begrüßen. Einer von ihnen schaut zu mir herüber und fängt meinen Blick ein. Seine braunen Augen lassen mich aufhören zu denken und über mich selbst überrascht höre ich mich etwas zu schnell und zu glücklich sagen: „Hallo, Fred"
Niemals würde ich seine Augen vergessen können, selbst ohne den Fluch. Sprachlos sieht er mich an, dann wird sein Lächeln noch eine bisschen breiter.
„Sieh mal Georgie, wer uns gefunden hat", raunt er seinem Zwilling zu und nun betrachtet auch George mich näher. Als auch er mich erkennt, werden seine Augen ganz groß. Sein Mund formt ein stummes Wow. Interessiert mustert mich nun ihr dunkelhäutiger Freund, Lee.
„Ich wusste nicht mal, dass du hier sein würdest, Helena", meint George und ich zucke zusammen. Aus der Ferne höre ich George und Fred weiter scherzen, doch mein Lächeln fällt in sich zusammen. Obwohl mein voller Name Helena Elizabeth Black lautet, nennt mich seit dem Tod meiner Mutter jeder bei meinem zweiten Vornamen. Damals brauchte ich einen Neuanfang. Es war leichter Elizabeth Black zu sein, als Helena Black, die Tochter eines Massenmörders.
„Erinnerst du dich an Ron und Ginny?", fragt Fred und ohne meine Antwort erst abzuwarten redet er weiter. „Wir drei hatten immer so einen Spaß den beiden Streiche zu spielen! Machst du dir Sorgen wegen des alten Hutes? Brauchst du nicht, ich bin mir sicher, dass du zu uns nach Gryffindor kommen wirst"
Ein kaltes Lachen ertönt hinter den Zwillingen, blitzschnell drehen sie sich um und geben den Blick frei auf Dracos blasse Gestalt, die im Türrahmen steht.
„Ich glaube nicht, dass Gryfindor", er spuckt das Wort förmlich aus. „der richtige Ort für sie ist"
Entsetzt schließe ich kurz die Augen. Warum muss er ausgerechnet jetzt zurückkommen? Fred mustert Draco von oben bis unten und schnaubt: „Ja, du siehst auch schon so aus, als würdest du ganz genau wissen, was das Richtige für sie ist"
Bevor Draco zu einer bissigen Erwiderung ansetzen kann, stehe ich auf und schüttle den Kopf. Bemüht klar und ruhig zu sprechen sage ich: „Hört auf. Der Hut wird mich einsortieren und niemand sonst"
George nickt und zieht den ziemlich verletzt aussehenden Fred ohne ein weiteres Wort aus unserem Abteil. Ihr Freund schüttelt nur den Kopf und folgt ihnen. Dennoch kann ich sehen wie Fred vor Draco noch einmal kurz zum Stehen kommt, sich blitzschnell zu ihm hinunterbeugt, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern, bevor sein Bruder ihn weiterziehen kann. Draco werfe ich rasch einen genervten Blick zu, dann setzte ich mich wieder hin und hole ein Buch aus meiner Tasche. Gemeinsam mit zwei anderen bekannten Gesichtern, Gregory Goyle und Vincent Crabbe, setzt sich Draco zu mir.
„Was hat Fred zu dir gesagt?", will ich wissen. Doch Draco ignoriert meine Frage und beginnt sich vor den anderen Jungs über Freds Eltern lustig zu machen, indem er nachplappert, was Onkel Lucius mal erzählt hat. Als sich unsere Blicke kreuzen, wechselt er hastig das Thema. Seufzend klappe ich mein Buch auf und entfliehe unserem Abteil, bis Draco mir meinen neuen Schulumhang überwirft. Überraschte hebe ich den Blick und sehe, dass die drei sich bereits umgezogen haben. Ich verdrehe die Augen und drehe meinen Kopf zum Fenster. Ich habe gar nicht bemerkt, wie dunkel es geworden ist. Schweigend verstaue ich mein Buch und ziehe ich mir den Umhang über. Plötzlich bleibt der Zug stehen. Wir sind da. Panik macht sich in meinem Körper breit. Eine Hand legt sich auf meine Schulter und ich sehe in Dracos blasse Augen. Gregory und Vincent stehen im Gang. Das Schweigen zwischen uns bricht Draco als erster als Erster: „Hab keine Angst, Ellie. Alles wird so geschehen, wie es sein soll"
Traurig umarme ich ihn. Ob ich wohl je erfahren werde, was Fred zu ihm gesagt hatte? Wie in Trance verlasse ich den Zug und folge Draco in ein Boot hinein. Beruhigend nimmt Draco meine Hand. Wäre mir nicht so übel, hätte ich die Bootsfahrt auf dem See und das Schloss genießen können. Wir werden begrüßt und sollen uns alphabetisch geordnet aufstellen. Draco lässt meine Hand los und verschwindet von meiner Seite, um seinen Platz in der Schlange einnehmen zu können. Innerlich fluche ich kurz über meinen Nachnamen. Hätte er nicht wie Zabinis mit Z anfangen, sodass ich ganz zum Schluss, wenn niemand mehr wirklich aufpasst, dran sein können. Aber nein, ich bin eine der Ersten, die die Große Halle betritt und dann nach oben muss. Von meinem vorderen Platz in der Schlange kann ich Draco nicht mehr sehen. Mit wachsender Panik beobachte ich, wie die wenigen vor mir einer nach dem anderen einsortiert werden. Schließlich ruft mich Professor McGonagall nach vorn. Bemüht ruhig setze ich mich in Bewegung. Der Weg zum Stuhl der Entscheidung erscheint mir so unendlich lang. Was um mich herum passiert, nehme ich nicht mehr wahr. Da ist nur noch der hölzerne Stuhl und der Hut, welcher über mein weiteres Leben entscheidet. Vorsichtig setze ich mich auf den Stuhl und atme ein letztes Mal tief ein. Nach kurzem Überlegen schreit der Hut: „Slytherin" und ich erhebe mich. Der ganze Saal ist totenstill, nur die Slytherins klatschen begeistert und ich sehe Dracos Lächeln, Severus Freude und Freds Verwirrung, die sich schnell in Traurigkeit wandelt.
Nach dem Tod meines Bruders bin ich oft mit meiner Mutter bei den Weasleys gewesen, obwohl sie so viele Kinder haben, war ich immer nur bei den Zwillingen. Irgendetwas hatte mich immer zu Fred gezogen und als ich ihn nun nach der Sortierung ansah, weiß ich, dass ich wohl nie wieder seine „Lena" sein werde. Bald schon sitzt Draco neben mir und sprüht vor Begeisterung. Wir sind immer noch zusammen. Niemand ist wirklich überrascht, als Harry Potter und Ronald Weasley nach Gryffindor geschickt werden.
„Ich mag sie nicht, Ellie", meint Draco als wir bereits auf dem Weg zu unserem Gemeinschaftsraum sind. Unsicher schaue ich ihn an und warte auf eine weitere Erklärung. Er sieht mich an und schnaubt: „Na Potter und dieses kleine rote Wiesel, habe sie im Zug getroffen.... mit einem Schlammblut..."
Erschrocken sehe ich ihn an. Noch nie zuvor habe ich Draco jemanden als Schlammblut bezeichnen hören. Sehend, dass sein Mund sich weiterbewegt, höre ich dennoch keines seiner Worte. Etwas in meinem Bauch verwandelt ich in Eis und ich erkenne, dass sich alles hier ändern wird. Es verändert uns. In diesem Augenblick wusste ich, dass Draco und ich uns bald entscheiden mussten, wer wir wirklich sein wollen.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top