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Ein unvorsichtiger Schritt
Yeosang hatte sich nie für besonders mutig gehalten, doch die Neugier war an diesem Abend stärker als jede Vorsicht. Eigentlich wollte er nur die Toiletten finden – ein scheinbar harmloses Unterfangen in dem riesigen Schloss. Doch als er San auf dem Flur entdeckte, in ein Gespräch mit einer anderen Gestalt vertieft, änderte sich sein Vorhaben. Er konnte nicht sagen, warum, aber irgendetwas an der Situation ließ ihn innehalten.
Die andere Person war maskiert, und San, der normalerweise locker und freundlich wirkte, hatte eine ernste, beinahe bedrohliche Ausstrahlung, die Yeosang so noch nie an ihm gesehen hatte. Seine Neugier entflammte wie ein Funke, und ehe er sich versehen konnte, hatte er begonnen, ihnen leise zu folgen.
Seine Schritte waren nahezu lautlos – eine Fertigkeit, die er sich in den Jahren im Heim angeeignet hatte. Dort hatte er oft unentdeckt bleiben müssen, um Ärger aus dem Weg zu gehen. Nun erwies sich diese Fähigkeit als nützlich.
Der Weg führte tiefer in das Schloss, und die Gänge wurden zunehmend kälter. Yeosang fröstelte, denn er trug nur ein dünnes Shirt und eine leichte Hose. Die Kälte kroch ihm in die Knochen, doch er ignorierte sie und blieb konzentriert. Die spärliche Beleuchtung durch Fackeln sorgte für tiefe Schatten, in denen er sich verstecken konnte, wenn jemand ihm zu nahe kam.
Schließlich blieb er vor einer Tür stehen, die nur angelehnt war. Er hörte Stimmen, doch sie waren verzerrt, als ob sie durch ein Gerät verfremdet würden. Yeosang runzelte die Stirn. Was ging hier vor sich? Er versuchte, die Worte zu verstehen, doch der Klang blieb fremd und unnahbar.
Plötzlich hörte er Schritte hinter sich. Er drehte sich hastig um, doch es war zu spät. Zwei maskierte Gestalten hatten ihn entdeckt. Ehe er reagieren konnte, packten sie ihn an den Armen. Sein Herz hämmerte vor Schreck und Adrenalin.
„Wir haben gerade diesen Jungen beim Spionieren gefunden," sagte einer der Maskierten, als sie ihn in den Raum brachten. Die Stimme klang mechanisch und kalt durch die Verzerrung. Yeosang fühlte sich wie ein Insekt, das in ein Netz geraten war.
Am anderen Ende des Raumes saß eine Gestalt, die eindeutig das Sagen hatte. Die Haltung des Anführers strahlte Autorität aus, selbst durch die Maske hindurch.
„Danke, Eryon und Caelion. Ich werde mich um den Jungen kümmern. Geht euch ausruhen."
Yeosang wurde losgelassen, und er fiel auf die Knie. Sein Atem ging schnell, und sein Blick wanderte suchend durch den Raum, doch die Masken der anderen blieben undurchdringlich. Der Anführer trat vor, flankiert von drei weiteren Personen. Wortlos packten sie ihn und führten ihn hinaus in einen anderen Raum.
Die Atmosphäre änderte sich schlagartig, als einer der Männer die Tür hinter ihnen schloss. Der Raum war kleiner, aber nicht weniger bedrückend. Yeosang blieb stehen, sein Atem flach und seine Gedanken ein wirres Chaos aus Angst und Verwirrung.
Dann begannen die anderen, ihre Masken abzunehmen. Die erste, die fiel, gehörte Seonghwa. Sein markantes Gesicht war kühl, doch in seinen Augen lag etwas, das Yeosang nicht deuten konnte. Yunho folgte, dann San und schließlich Jongho.
Yeosang schluckte schwer. Seine Knie fühlten sich schwach an, und seine Gedanken rasten. Er war in etwas hineingeraten, das er nicht verstand, und die vier Männer vor ihm waren nicht einfach nur seine Bekannten oder Freunde. Sie waren etwas anderes – etwas, das ihn zugleich faszinierte und einschüchterte.
„Yeosang," begann Seonghwa mit ruhiger, aber ernster Stimme, „du hast etwas gesehen, das nicht für dich bestimmt war."
„I-ich wollte nur die Toilette finden," stammelte Yeosang, doch seine Worte klangen schwach und unglaubwürdig, selbst für ihn.
San trat einen Schritt näher, seine Augen durchdringend. „Du hast uns verfolgt. Das war kein Zufall."
Yeosang schwieg, seine Gedanken versuchten fieberhaft, eine plausible Erklärung zu finden. Doch er wusste, dass es keine gab, die diese vier Männer zufriedenstellen würde.
Seonghwa seufzte und sah zu den anderen. „Wir können nicht riskieren, dass das, was er gesehen hat, bekannt wird. Aber er ist einer von uns, und ich glaube nicht, dass er uns absichtlich schaden wollte."
Yunho nickte langsam. „Wir sollten ihm erklären, worauf er sich hier eingelassen hat. Wenn er loyal ist, könnte er nützlich sein."
Seonghwa sah Yeosang direkt in die Augen. „Hör gut zu, Yeosang. Ab diesem Moment gibt es kein Zurück mehr. Du wirst Teil von etwas Größerem sein, oder du wirst vergessen, dass dieser Abend jemals passiert ist. Die Entscheidung liegt bei dir."
Yeosang spürte die Schwere der Worte. Sein Leben würde sich von Grund auf ändern, egal, welche Wahl er traf. Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass es keinen Weg gab, einfach wegzugehen. Seine Neugier hatte ihn an diesen Punkt gebracht, und sie würde ihn weiterführen, wohin auch immer dieser Weg ihn führen mochte.
Raven
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