Die Schatten der Vergangenheit

Hongjoong hielt das kleine, schlafende Mädchen fest auf seinem Rücken, während er mit Yeosang, Mingi und Wooyoung leise sprach. Die Dunkelheit der Nacht hüllte sie ein, und das einzige Geräusch, das sie begleiteten, war das leise Weinen einiger Kinder und das Knirschen ihrer Schritte auf dem Kiesweg.

„Es ist verrückt, dass wir überhaupt noch hier sind," murmelte Yeosang, der ein zierliches Kind trug, das kaum älter als drei Jahre sein konnte. Seine Stimme war gedämpft, als hätte er Angst, die Stille zu durchbrechen.

„Verrückt, dass wir überlebt haben," antwortete Mingi, während er ein schlummerndes Kleinkind auf seinem Rücken balancierte. Seine Augen wirkten schwer, aber er setzte einen Schritt vor den anderen.

„Und die anderen nicht," fügte Wooyoung leise hinzu, sein Blick traurig auf die Gruppe von Kindern gerichtet, die sie begleiteten.

Hongjoong schwieg. Seine Kehle war wie zugeschnürt, als er an all die Schreie dachte, die er noch immer in seinen Ohren hörte. Er hatte versucht, sie zu verdrängen, aber sie hafteten wie ein Schatten an ihm. Er schluckte trocken und straffte die Schultern, um dem Gewicht des kleinen Körpers auf seinem Rücken Stabilität zu geben.

Es waren die Jüngsten, die am meisten litten. Sie verstanden nicht, was passiert war, warum sie ihre Freunde und Betreuer verloren hatten. Hongjoong fühlte eine schwere Verantwortung auf sich lasten, nicht nur für sich selbst, sondern auch für sie.

„Hongjoong," sagte Yeosang plötzlich und brachte ihn aus seinen Gedanken zurück.

„Hm?" Er hob den Kopf, überrascht von Yeosang's Ton.

„Der König schaut dich an," murmelte Yeosang und nickte in Richtung der dunklen Gestalt, die einige Schritte vorausging.

Hongjoong drehte den Kopf und begegnete tatsächlich dem Blick des Königs. Es war ein intensiver, durchdringender Blick, als ob er versuchte, etwas in Hongjoong zu erkennen, was selbst er nicht verstand. Instinktiv versteinerte Hongjoong's Gesichtsausdruck. Seine Augen, kalt und voller Abwehr, bohrten sich in die des Königs.

Zu seiner Überraschung – oder vielleicht auch Genugtuung – sah er, wie der König schluckte und den Blick abwandte.

„Was?" fragte Wooyoung leise, als er die Spannung zwischen den beiden bemerkte.

„Nichts," sagte Hongjoong knapp und richtete seinen Blick wieder nach vorne. Doch in ihm tobte ein Sturm. Er hatte keinen Grund, einem König zu vertrauen, und noch weniger Grund, ihm zu gehorchen. Vor zwei Jahren war sein Leben in Trümmern zerbrochen, als der König seines alten Heimatlandes seine Mutter verschleppt und getötet hatte. Dieser Mann hatte sich als Retter der Armen ausgegeben, nur um sie auszunutzen und zu zerstören. Seitdem hatte Hongjoong geschworen, nie wieder unter einem König zu leben oder von einem abhängig zu sein.

Und doch führte ihn das Schicksal nun in ein Schloss. Ironischerweise war es das, was ihm jetzt Schutz bot – Schutz, den er für die Kinder annehmen musste, die an seiner Seite waren.

Als sie schließlich das Schloss erreichten, konnte Hongjoong nicht anders, als beeindruckt zu sein. Es war ein imposantes Bauwerk, das in der Dunkelheit aufragte wie ein stiller Wächter. Die hohen Türme und die massiven Mauern strahlten Macht aus, aber auch eine Kälte, die ihn frösteln ließ.

„Das ist... riesig," flüsterte Mingi und starrte mit offenem Mund hinauf.

„Verschwenden wir keine Zeit," murmelte Hongjoong und ging weiter. Er wollte so schnell wie möglich aus der kalten Nacht und die Kinder in Sicherheit wissen.

Drinnen führte man sie in einen großen Saal. Die Luft war warm, der Raum hell erleuchtet von unzähligen Kerzen. Überall standen Feldbetten, jedes sorgfältig mit Decken und Kissen ausgestattet. Die Überlebenden wurden von den Schlossdienern mit erstaunlicher Effizienz in Empfang genommen.

Hongjoong, Yeosang, Mingi und Wooyoung legten die Kinder vorsichtig auf die Betten. Das Mädchen auf Hongjoong's Rücken murmelte etwas im Schlaf, bevor es sich in die Decke kuschelte. Er strich ihr kurz über das Haar und richtete sich dann auf.

„Hier," sagte ein Diener und reichte ihm einen feuchten Lappen.

Hongjoong nahm ihn entgegen und begann, sein rußverschmiertes Gesicht abzuwischen. Die Berührung des kühlen Wassers ließ ihn kurz innehalten – eine Erinnerung daran, dass sie alle noch am Leben waren.

Seine Freunde folgten ihm, wischten sich ebenfalls die Gesichter ab und schwiegen dabei. Es gab nichts zu sagen. Die Erschöpfung sprach für sich.

„Lasst uns nach hinten gehen," schlug Wooyoung vor, und die anderen nickten.

In der hintersten Ecke des Saals, weit weg von den anderen, fanden sie vier freie Betten. Ohne ein weiteres Wort legten sie sich hin. Hongjoong spürte, wie seine Glieder schwer wurden, und in dem Moment, in dem sein Kopf das Kissen berührte, umfing ihn der Schlaf.

Doch tief in seinem Inneren wusste er, dass dieser Ort, so sicher er auch schien, nur ein weiterer Schritt in Richtung eines neuen Kampfes war. Und er würde bereit sein.



Raven

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