Kapitel 6 Part 2

„Halbwegs gut geschlafen?", fragte Oryx. Ich öffnete die Augen. Träge setzte ich mich im Bett auf. Im Bett? Sofort war ich hellwach. Dabei registrierte ich auch, dass ich andere Sachen trug als gestern. „Hast du mich umgezogen?", fragte ich argwöhnisch. „Ja, hast du was dagegen?" Ich sprang auf. „Nein, natürlich habe ich nichts dagegen von fremden Männern nackt gesehen zu werden!", schrie ich. „Nur, dass ich kein Fremder bin", erwiderte Oryx. „Es ist mir egal, ob du ein Fremder bist oder nicht. Du hast mich ohne meine Zustimmung nackt gesehen. Das ist pervers. Und wo wir schon beim Thema sind, wie sehe ich denn nackt aus?", fauchte ich. „Jetzt komm mal wieder runter!", blaffte Oryx, „Ich wollte dich nicht auf dem Badezimmerboden liegen lassen, aber auch nicht mit den blutverschmierten Sachen ins Bett legen, also habe ich dich angezogen und gewaschen. Ich war nicht immer so wie jetzt! Falls du dich erinnerst, die anderen hielten mich für nett. Bis du aufgetaucht bist!" „Soll das heißen, dass du mir die Schuld daran gibst, dass du mich so schlecht behandelst?", knurrte ich. „Ja", gab Oryx knapp zurück. Wütend ging ich auf ihn zu, bereit ihm die Faust ins Gesicht zu rammen. Daraus wurde jedoch nichts, da Oryx sie abfing. „Ich kann deine Gedanken lesen, schon vergessen?", flüsterte er bedrohlich. Seine Augen wurden rot. Obwohl ich wusste, dass ich keine Chance gegen ihn hatte, trat ich nach ihm. Natürlich wehrte er auch den Tritt ab. Er versuchte mich wegzuschieben, aber ich wehrte mich. Als er das merkte, hob er mich hoch und warf mich aufs Bett. „Zieh dich um", sagte er noch, bevor er den Raum verließ. An der Tür drehte er sich allerdings noch einmal um. „Du wolltest wissen, wie du nackt aussiehst", flüsterte er noch, „So wie ich es beurteilen würde, ziemlich scharf." Warum wunderte es mich eigentlich, dass Oryx mir für so was die Schuld gab? Aber er hatte auch gesagt, dass er mich nicht blutverschmiert ins Bett legen wollte. Und er fand mich „ziemlich scharf". Das klang ehrlich. Vielleicht hatte ich überreagiert. Ich sah in den Teil der Reisetasche, den Rose gepackt hatte. Es waren zwei schwarze Kleider darin. Sie mussten von Rose sein, denn ich besaß keine Kleider. Ich zog eines davon an. Wie erwartet war es kurz. Sehr kurz. Dafür war der Ausschnitt nicht so tief wie üblich (aber immer noch zu tief). Trotzdem bot es genug Bewegungsfreiheit für einen Kampf. Rose hatte schon Außeneinsätze gehabt. Nachdem ich noch Schuhe angezogen hatte, eilte ich die Treppe hinunter. „Na, heute mal was anderes?", empfing mich Oryx unten, „Ich dachte, wir könnten heute mal ein bisschen anders trainieren. Bis her habe ich dir nur gezeigt gegen Vampire zu kämpfen, aber die Menschen halten uns für ihres Gleichen. Also musst du auch so kämpfen wie sie. Würdest du mit einem Menschen so umgehen wie mit einem Vampir, wäre er innerhalb von Sekunden tot. Ihr Körper hält diese Belastungen überhaupt nicht aus. Du lernst schießen." Mir entging nicht, dass er meine nackten Beine registrierte. Mehr als das. Ein kleines Lächeln erhellte sein Gesicht. Oryx wies mich mit der Hand zur Tür, öffnete sie und schob mich hindurch. Dabei berührte er mich an der Taille. Das löste ein Kribbeln bei mir aus und ließ mich kurz nach Luft schnappen. Ich hörte Oryx lachen. Es war ein anderes Lachen. Es war warm und freundlich, anstatt kalt und voller Hass. Oryx ging zum Auto und öffnete den Kofferraum. Ich blieb neben ihm stehen und sah zu wie er den Boden heraus nahm. Darunter befand sich ein Fach, das mit einem Zahlencode gesichert war. 0108. Ich merkte mir den Code, denn so etwas konnte man immer brauchen. Das Fach glitt auf und hervorkamen zwei Pistolen sowie ein Maschinengewehr. Oryx nahm die Pistolen heraus und drückte mir eine in die Hand. Dann verschloss er alles wieder. „Komm", sagte Oryx und ging voraus in den Wald. Ich folgte ihm. Nach ungefähr 200 Metern blieben wir stehen. „Ein Ziel... Wir brauchen ein Ziel", murmelte Oryx, „Ach, was soll's." Mit einer einzigen Bewegung zog er sein Shirt aus und hängte es etwas entfernt an einen Baum. Ich gab mir große Mühe, seine bleiche muskulöse Brust nicht anzustarren, aber es war schwer. Aus irgendeinem Grund faszinierten mich die Narben. „Gut, fangen wir mit dem Entsichern an", erklärte Oryx und zeigte es mir. „Jetzt stell dich breitbeinig hin und nimm die Waffe in beide Hände. Sonst kann es sein, dass der Druck dich nach hinten wirft", fuhr er fort. Dann streckte er den Arm nach hinten und schoss. Danach drehte er sich um, um zu sehen, dass sich jetzt ein Loch in seinem T-Shirt befand. Wie konnte er blind das Shirt in, weiß ich nicht, wie vielen Metern Entfernung, treffen? Er wandte sich wieder mir zur. „Mund zu." Mir war gar nicht aufgefallen, dass er offen stand. Ich schloss ihn. „Jetzt du." Zögernd hob ich die Waffe auf Augenhöhe, darauf bedacht mich nicht lächerlich zu machen. Ich legte einen Finger auf den Abzug und atmete aus. Dann schoss ich. Der Rückstoß hätte stärker sein müssen. Wie erwartet hatte ich das Shirt nicht getroffen. Stattdessen aber den Baum darüber. „Für den Anfang gar nicht schlecht", kommentierte Oryx.

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Seit wir in dem Haus im Wald waren –also erst wenigeTage- hatte sich Oryx verändert. Er war eigentlich überhaupt nicht mehr grob(außer beim Training) und lächelte öfter. Ich weiß nicht ob es an ihm lag, aberobwohl ich erst vorgestern schießen gelernt hatte, traf ich bereits heute jedesMal das Ziel. Es wurde bereits dunkel. Es war seltsam aus demSchlafzimmerfenster die Natur zu betrachten. Ich hatte mir nie die Mühe gemachtes zu tun. Aber jetzt hatte ich die Zeit nachzudenken, wo mich Oryx einmalnicht ablenkte. Nur um das klarzustellen: Oryx musste nur im selben Raum seinum das zu tun. Was machten Rose und Leaf wohl gerade? Trainierten sie? Saßensie mit den anderen in der Kantine? Wie ging es Charlie? War er wirklich einHalbvampir? Hasste er mich nun? Ich jedenfalls tat das, für das was ich ihmangetan hatte. Es war auch seltsam, dass er mir nicht mehr wie mein fester Freundvorkam und je mehr ich darüber nachdachte, desto eher hatte ich das Gefühl,dass er es nie gewesen war. Ein paar Vögel flogen vorbei. Ich nahm eineBewegung aus dem Augenwinkel wahr. Es war Oryx, der in den See ging. ImDämmerlicht sah seine Haut fast menschlich aus. Bevor ich wusste, was ich tat,war ich schon die Treppe hinunter gelaufen und aus dem Haus getreten. Ichstreifte meine Kleidung ab und ging ins Wasser. Oryx stand einfach nur da undsah in den aufgehenden Vollmond. Als ich nur noch 50 Zentimeter hinter ihmstand, hob ich meine Hände über seine Schultern und zog ihn so schnell wiemöglich nach hinten. Ich konnte gerade noch zur Seite springen, ehe er nebenmir ins Wasser platschte. Prustend tauchte Oryx auf, nur um mich ins Wasser zuwerfen. Noch während ich unter Wasser war, zog Oryx mich wiederhoch. Aber ichhatte so viel Schwung, dass ich gegen ihn prallte. Nervös wollte ich wieder aufAbstand gehen, aber er ließ es nicht zu. Seine Hände ruhten auf meiner Tailleund pressten mich an ihn. Seine Augen wurden rot. Ich stöhnte auf, als er michküsste. Meine Hände strichen fahrig über seine Wangen. Ich presste mich so engwie möglich an ihn und seine Hände wanderten an mir hinauf und strichen sanftüber meine Brüste, was mir eine Gänsehaut bescherte. Ich flüsterte seinenNamen, wollte immer mehr von ihm, doch dann schob er mich wieder weg. Nichtweit, nur so, dass er mich ansehen konnte. „Ich kann das nicht mehr", keuchteer. Ich war verwirrt. „Was kannst du nicht mehr?" „Mit dir trainieren, dichverletzen, nur um dich dann zu küssen und von dem Verlangen nach dir, nachdeinem Körper übermannt zu werden. Ich habe mir geschworen mich nicht mehr zuverlieben, aber es ist zu spät. Ich liebe dich, Susan. Vom ersten Augenblick anhabe ich dich geliebt. So wie Quira. Sie ist gestorben. Vor meinen Augen.Während meiner Ausbildung und ich konnte nichts mehr für sie tun. Die Liebe tutso weh. Ich wollte das nie mehr durchmachen müssen, aber es ist zu spät. Ichhabe Cory angefleht, dass jemand anderer dich mutiert, damit wir keineVerbindung zueinander haben. Es hat nicht funktioniert. Nichts hatfunktioniert. Dann habe ich mir einen Plan B überlegt. Ich musste lernen dichzu hassen. Du ahnst nicht, wie sehr es wehgetan hat, dich so zu behandeln, wieich es getan habe. Ich dachte, wenn ich dich dazu bringen könnte mich zuhassen, würde ich es auch tun. Aber Tatsache ist, wenn du mich anschreist,versuchst mir wehzutun und dann als du versucht hast mich umzubringen... dasmacht mich an. Es ist pervers, ich weiß, aber ich wollte mehr davon. Ich liebedich und ich flehe dich an: tu mir nicht das an, was Quira getan hat. Susan,liebst du mich?" Oryx Stimme klang heiser und belegt. Es musste ihn unglaublichviel Überwindung kosten, mir das zu sagen. Aber da waren auch Zweifel. Was wennes ein Trick war? Wenn er wollte, dass ich seinem Charme erlag? Sollte ich ihmsagen, was er schon längst wusste? Ich musste das Risiko eingehen. „Ja",flüsterte ich. Oryx lachte leise vor Erleichterung. „Danke", flüsterte er mirins Ohr. „Und du", hauchte ich, „Zeig mir, dass du mich liebst. In jederSekunde deines Lebens." „Ich verspreche es, Sue. Ich werde dich beschützen.Niemals werde ich zulassen, dass dir das selbe passiert wie Quira." Als er dassagte, sprach er tief aus der Seele. Seine Lippen glitten über meine Wange,suchten meinen Mund. Meine Hände strichen über seinen Bauch. Als er zurückzuckte, erschrak ich. „Tut mir Leid. Hör nicht auf", flüsterte er, so dass ich eineGänsehaut bekam. Oryx' Lippen glitten an meinem Hals entlang bis zu meinerMutationsnarbe. Es war sein Zeichen dafür, dass ich ihm vertrauen konnte.Dieses Mal würde er seine Zähne nicht in mich hinein graben. Er hob mich aufseine Hüften und ich strich mit meinen Fingernägeln über seinen Rücken. Ichkonnte ihm nicht nah genug sein. Plötzlich verkrampfte Oryx. „Sue", sagte ereindringlich, „Wir müssen hier weg. Sofort!" „Was ist los?", fragte ich. Oryxwar in heller Panik. Etwas wirklich Schlimmes musste passiert sein. Er ließmich ins Wasser fallen. Ich hatte mich kaum aufgerappelt, als er schon im Hauswar. Ich stürzte ihm nach. „Zieh dich an! Schnell!", rief Oryx mir zu. Ichrannte ins Schlafzimmer und tat, was er gesagt hatte. Innerhalb wenigerSekunden war ich wieder unten. „Was ist los?", fragte ich wieder. „Wölfe,Halbvampire. Sie werden gleich hier sein. Wir müssen verschwinden. Oh, Mist,wir sind zu langsam!", erklärte er hastig und rannte zu einem Tastenfeld an derWand. „Ich würde das lassen", knurrte eine Stimme und mein Hals begann zubrennen. Oryx drehte sich um. Er brauchte mir nicht zu sagen, was hier los war.Es war zu spät. Das Brennen rührte von den Händen eines Werwolfes her. Oryxhatte Recht, wir waren zu langsam. „Entwaffnen." Zwei andere Wölfe gingen zuOryx und nahmen ihm sämtliche Messer sowie seine Pistole ab. „Agenten",schnaubte einer von ihnen. Ein Fauchen drang aus meiner Kehle. „Sie auch?",fragte einer der Wölfe. „Nein. Sie hat keine Waffen, Simon", erwiderte der, dermich festhielt. „Wenn ihr ruhig mitkommt, wird es einigermaßen schmerzfrei. Ichbin Timothy", fuhr er fort. Oryx schien das offensichtlich nicht befolgen zuwollen, denn er rammte Simon die Faust ins Gesicht. Ich wollte etwas Ähnlichesversuchen, doch da bekam ich einen Schlag auf den Hinterkopf und brach zusammen.

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