Kapitel 5
Ein Fest mit Folgen
Meine Lippen waren so rot wie die Spitze an meinem Kleid, die Haare aufwendig dekoriert und mein Dekolleté aufreizend. Leaf trug das Kleid mit blau und Roses Kleid hatte die violette Spitze. Irgendwie hatten die beiden es geschafft, mich in mein Zimmer zurück zuschieben, ohne dass ich von jemandem gesehen wurde. Ich war nicht einmal zwei Minuten in meinem Zimmer, als es an der Tür klopfte. Ich öffnete und sah Oryx in die Augen. Es war nur eine Zehntelsekunde, aber die reichte aus um die Emotionen in seinen Augen zu lesen: Bewunderung, Erstaunen und dann Kälte. „Na, überrascht, dass ich vorbereitet bin?", fragte ich. „Sollte ich? Ich nehme an, dass ich nicht die einzige Person bin, mit der du sprichst", entgegnete er. Das war eine Lüge. Wir gingen den Gang entlang und nach einigen Minuten betraten wir die Halle, in der das Elend mit Oryx begann. Es war voll und einigermaßen laut. „Du musst jetzt nicht wie ein Bodyguard an mir kleben", zischte ich Oryx zu. „So, ich bin jetzt also dein Bodyguard?", knurrte Oryx und verschränkte die Arme vor der Brust, „Nur damit das klar ist: du kannst selbst auf dich aufpassen." Dann verschwand er in der Menge. Sofort tauchte Rose neben mir auf. „Und was hat er zu deinem Kleid gesagt", wollte sie wissen. „Nur, dass er nicht überrascht sein, mich so zu sehen, weil ich ja auch noch mit anderen Leuten spreche", erklärte ich enttäuscht. Rose hatte Oryx im Saal ausfindig gemacht und murmelte hasserfüllt in seine Richtung: „Du elender Mistkerl! Dir werde ich's schon zeigen. Eines Tages wirst du vor Susan kniend betteln, dass sie dich auch nur berührt!" In diesem Moment kam Leaf zu uns. Sie brauchte gar nicht zu fragen, was los war. Sie starrte Oryx einfach nur wütend an. „Okay, ich habe noch eine Idee", wandte sie sich an mich, „Mach eine Show. Mach ihn vor allen Leuten eifersüchtig." Ich lachte spöttisch auf. „Mit einem von denen?" Ich machte eine allumfassende Geste. „Das ist doch bitte nicht dein Ernst. Das sind Fremde." Leaf winkte ab: „Nicht doch. Mit Charlie. Zeig Oryx, dass er falsch liegt. Zeig ihm, dass du Charlie noch immer liebst. Hau von hier ab. Und damit meine ich nicht nur diesen Saal, sondern aus dem Gebäude. Sodass Oryx dir folgen muss. Das heißt natürlich, dass er sehen muss, wie du gehst." „Und wie soll das gehen? Er beachtet mich doch kein Stück", murrte ich. „Wie denn auch, wenn du wie ein Trauerkloß hier herum stehst", entgegnete Rose. Sie wollte mich auf die Tanzfläche schubsen, doch mein neuer Kampfinstinkt machte ihr das nicht möglich. Ich wirbelte herum und stieß sie weg. Leaf konnte Rose gerade noch vor einem Sturz bewahren und mir wurde klar, was ich getan hatte. Sofort begann ich mich zu entschuldigen: „Rose, ist dir was passiert? Es kam einfach so über mich. Tut mir leid." „Ist schon gut", erwiderte Rose, noch immer geschockt, „immerhin war Oryx nicht nachlässig. Oh, sie fangen an zu tanzen. Na, dann wollen wir Oryx mal nicht seine Chance nahmen." Die beiden verschwanden in der Menge. Die beiden waren ideale Mentorin und Schülerin. Sie waren so gut befreundet. Dagegen war mein „Verhältnis" zu Oryx gar nichts. Die Frauen auf der Tanzfläche trugen Kleider, die meinem ähnelten, während die Männer zum Teil historisch kostümiert und zum Teil in modernen Smokings waren. Die Musik setzte ein und alle tanzten. Auch Oryx. Aber er war nicht allein. Das Mädchen war unglaublich schön. Ihre Haare waren braun und kompliziert hochgesteckt. Oryx sah mich an und lächelte. Es war ein provozierendes Lächeln. Was willst du jetzt machen?, schien er zu fragen. Er hatte Erfolg. Die Eifersucht auf dieses Mädchen sickerte mir in jede Pore. Bloß nicht aufregen! Aber es war sicher schon zu spät. Ich spürte förmlich, wie das Rot in meinen Augen die Überhand gewann. So war es bei jedem Vampir, wenn er von Emotionen überwältigt wurde. Oryx' Lächeln vertiefte sich. Ich musste mich wegdrehen.
So ging es noch zwei Tänze lang und Oryx hatte jedes Mal eine andere Partnerin und dieses Grinsen im Gesicht. „Soso, die Eifersucht hat dich also nicht in die Knie gezwungen", hörte ich irgendwann eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. „Du bist derjenige, der eifersüchtig sein sollte. Ich habe einen festen Freund", fauchte ich Oryx an. „Aber ich stehe nicht auf dich, Susan", knurrte er zurück. „Und warum hast du dann versucht, mich eifersüchtig zu machen?", fragte ich. „Einfach nur weil es lustig ist, dich wütend zu sehen", lachte Oryx. Ich atmete tief durch. „Okay", sagte ich, „wie dem auch sei, ich gehe jetzt Charlie besuchen." „Du kannst ihn nicht besuchen. Du würdest ihn umbringen", erwiderte Oryx nur. „Was kümmert es dich, was ich mit meinem Freund mache", fauchte ich und rannte zur Tür. Dabei wurde ich von allen Seiten angestarrt. Im Korridor fing ich richtig an zu rennen, Oryx für meine Ausdauer dankend. Es dauerte nicht lange, den Ausgang zu finden und die Wachen, die dafür zuständig waren, niemanden unangemeldet herein oder hinaus zu lassen, waren so sehr in Feierstimmung, dass sie schnell k.o. geschlagen waren (wieder dankte ich Oryx). Es war seltsam, wieder frische Luft einzuatmen, als ich in den Hinterhof trat, in dem der Eingang zur VSS-Zentrale lag. Vor mir lag London, ohne Glaswände. So ganz genau wusste ich gar nicht, wo ich war, aber eins war mir gleich klar: zu Charlie würde ich wohl laufen müssen. Der eine Grund dafür war, dass ich kein Geld für ein Taxi oder die U-Bahn hatte. Der andere war, dass es vermutlich keine gute war, mit roten Augen und Fangzähnen unter Menschen zu gehen. Dass ich Menschen begegnete, konnte ich aber auch zu Fuß nicht vollständig vermeiden. Wenn ich an ihnen vorbeikam, starrten sie mich in der Regel entgeistert an. Angestrengt versuchte ich, ihnen nicht mein Gesicht zu zeigen. Und als ob das noch nicht genug wäre, kam noch der Geruch ihres Blutes dazu. Niemand hatte mich darauf vorbereitet, aber es musste möglich sein, meinen Instinkt unter Kontrolle zu bringen. Obwohl es mir mehr als schwer fiel, kämpfte ich gegen mein Inneres an und lief in die Richtung von Charlies Wohnung. Die Straße, in der er wohnte, war nebelig. Und dann sah ich ihn. Charlie stand vor seinem Haus und war dabei die Tür aufzuschließen, als ich rief: „Charlie?" Er drehte sich um. „Sue?" Er kam auf mich zu und als er nur noch wenige Meter entfernt war, drang sein Geruch in meine Nase. Dieses Blut. Es war anders. Besser. Oh, nein. Ich durfte nicht die Fassung verlieren. Hektisch schlug ich mir die Hände vor Mund und Nase und drehte mich weg. „Ist dir nicht gut?", fragte Charlie besorgt und machte den Fehler, näher zu kommen. Er sah mir in die Augen und erschrak: „Deine Augen sind rot!" „Tut mir Leid, Charlie", flüsterte ich. Ich entschuldigte mich für das, was ich gleich tun würde und es brach mir das Herz. „Was tut dir Leid? Susan, wenn du mir sagst, was los ist, dann kann ich dir helfen!", flehte er. Ich schüttelte den Kopf und nahm die Hände aus dem Gesicht. Beim Anblick meiner Fangzähne schrie Charlie auf. Jetzt wusste er, was für ein Monster ich war. Ich sprang auf Charlie zu und es tat mir Leid, dass er nicht die Spur einer Chance hatte. Meine Zähne gruben sich tief in seinen Hals, doch ich hatte kaum das erste Blut im Mund, als ich von Charlie losgerissen wurde. Charlie schrie. Warum konnte er schreien? Etwas schweres und haariges drückte mich zu Boden. Im nächsten Moment war es ein Mann mit leuchtend gelben Augen. Ich roch kein Blut unter seiner Haut, aber dort wo seine Hände meine eiskalte Haut berührten, brannte es wie Feuer. Dieser Mann war kein Mensch. Aber was war er dann? Ich versuchte den Mann zu treten, so wie Oryx es mir gezeigt hatte. Ohne Erfolg. Blitzschnell hatte der Mann seine Hand nach hinten ausgestreckt und mein Bein abgefangen. „So ein hübsches Gesicht und dahinter so eine Bestie", sagte er, „Aber offensichtlich bist du noch nicht lange dieses Monster. Sonst wärst du vorsichtiger." Ein zweiter Mann kam hinzu. Ich kannte ihn. Ihm hatte ich damals das Messer in den Arm geworfen. Sein Blick verhieß nichts als Rache. „Dich kenne ich doch", sagte er, „Jetzt bist du also das Monster, für das ich dich damals hielt." „Wo ist der Junge?", fragte der Mann, der mich zu Boden drückte. „Erst mal sicher, hoffe ich. Beim letzten Mal waren die beiden auch zusammen, aber beide waren Menschen", erklärte der andere. „War sie das mit deinem Arm?", fragte der über mir. Der andere nickte. Dann beugte er sich zu mir hinunter und drückte mir die Lippen an den Hals. Ich konnte es nicht verhindern. Es brannte. Wie Feuer. Ich schrie. Und dann hörte ich eine neue Stimme. „Weg von ihr!" Im nächsten Moment wurde der Mann über mir weggerissen. Auch der andere verschwand. Mühsam drehte ich den Kopf zur Seite und sah zwei Wölfe und einen schwarz gekleideten Mann. Es folgte ein Kampf, bei dem ich irgendwann weggedämmert war. „Susan? Sue? Wach auf!" Ich öffnete die Augen. Ich lag immer noch auf der Straße. Dann fiel mein Blick auf Oryx, der mit zerzausten Haaren neben mir kniete. „Wir müssen hier weg, schnell!", keuchte er. Ich hatte ihn noch nie ängstlich gesehen. Schwungvoll zog er mich auf die Beine und fing sofort an zu rennen. Oryx konnte schneller laufen als ich und ich trug dieses unpraktische Kleid, weshalb ich mehr schlecht als recht hinter ihm her stolperte. Zwei Straßen weiter blieb Oryx stehen und zog mich unter einen Torbogen. Dann folgte eine Ohrfeige. „Au!", keuchte ich, „Wofür war das denn?" „Warum bist du abgehauen?", fragte Oryx. Ich wich einen Schritt zurück. „Weil ich Charlie gesucht habe. Hab ich dir doch gesagt!", fauchte ich und meine Augen wurden rot. Oryx' aber ebenfalls. „Ich hoffe, du machst das nie wieder. Du hast dir gerade deinen –ach so lieben- Freund zum Feind gemacht und wärst fast tot. Und ich auch. Zwei Werwölfe sind verdammt schwer zu besiegen", blaffte er. Mir wurde kalt ums Herz. „Werwölfe?", hakte ich nach. „Ja, die beiden waren Werwölfe. Sie halten alle Vampire für Monster und sind mit den Halbvampiren verbündet. Die Halbvampire sind unsere größten Feinde. Sie sind fast nicht von Menschen zu unterscheiden und wenn sie angreifen, ist es fast schon zu spät. Wahrscheinlich ist Charlie einer von ihnen. Dein Biss war nicht lang genug um ihn zu einem von uns zu machen. Komm jetzt. Wir müssen gehen."
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„Da seid ihr ja!", empfing uns Cory. „Was ist denn passiert?" „Susan hat es geschafft ihren –jetzt- Ex-Freund zu einem Halbvampir zu machen und von zwei Werwölfen angegriffen zu werden", erklärte Oryx. Cory lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. „Dann ist es also so weit", seufzte er, „Oryx, du weißt, was das heißt." Oryx nickte. „Intensivtraining." „Ja", sagte Cory, „Aber nicht hier. Fahrt zu dieser Adresse. Bleibt so lange wie möglich dort. Brecht sofort auf." Er schob Oryx einen Zettel zu. Dieser starrte den Zettel verdutzt an. „Sicher dass das die richtige Adresse ist?" „Ja." Ich verstand gar nichts mehr. Irgendwas war seltsam an dem Ort, zu dem wir fahren würden. „Pack ein paar Sachen zusammen. Ich hole dich ab", sagte Oryx.
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Hey, Leuties!
An die verhältnismäßig wenigen Leser, danke, dass ihr am Ball bleibt. Auch dieses Kapitel ist zwei geteilt. Warum reagiert Oryx nur so? Na, will jemand raten?
Demnächst erfahrt ihr es ;-)
~BookEntertainment
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