1. Kapitel
Die Geburtstagsfeier
Es klingelte. Ich trocknete mir die Hände ab und ging zur Tür. Es war keine Überraschung, dass Neo und Leaf dahinterstanden. Sie lächelten mich an, als sie mich begrüßten. Dabei fielen mir besonders ihre Fangzähne auf. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle kurz erwähnen, dass die beiden, so wie mein Mann Oryx und ich auch, Vampire waren. Auch wenn Neo es lange Zeit nicht gewesen war. Vor zehn Jahren hatten die beiden sich dazu entschlossen, auch Neo zu mutieren, da der Altersunterschied zwischen den beiden sonst zu groß geworden wäre. Leaf war jetzt 19, Neo 33, Oryx war 21 und ich 18. Ich war die jüngste. Aber das war auch nur das Alter, in dem unsere Körper aufgehört hatten zu altern. Eigentlich war ich 30. Leaf 31, Neo war 43 Jahre alt ebenso wie Oryx. Oryx war am längsten von uns ein Vampir. Seit 22 Jahren. Leaf und ich waren vor zwölf mutiert worden und Neo vor zehn. Aber als ob das noch nicht genug wäre, waren Leaf, Oryx und ich auch noch Geheimagenten auf Urlaub. Sozusagen. Korrekt war unsere Mission: Einem durchgeknallten Halbvampir zu zeigen, dass Vampire durchaus unter Menschen leben konnten, weshalb wir das genau 20 Jahre tun mussten. In dieser Zeit waren wir also vom Dienst befreit. Und was Neo angeht: Er hatte Oryx vor 22 Jahren das Leben gerettet, weshalb die beiden jetzt befreundet waren. Vor zwölf Jahren hatten auch Leaf und ich Neo kennen gelernt und Leaf und Neo waren zusammen gekommen und hatten geheiratet. So wie Oryx und ich. Ich musste schon sagen, dass sich Susan Black in meinen Ohren deutlich besser anhörte als Susan Brickland. Außerdem hatten die drei anderen, sofern sie sich in der Öffentlichkeit aufhielten, Decknamen angenommen. Susan war als einziger Name so unauffällig, dass ich ihn behalten hatte. Oryx hieß jetzt Will, Leaf war Anna und Neo Steven. Und dann gab es noch Rose. Meine Adoptivtochter. Nicht einmal sie kannte die richtigen Namen der anderen. Oryx und ich hatten ihr vor zwölf Jahren das Leben gerettet, als sie von einem Straßenvampir angegriffen worden war. Damit sie nicht draufging, wenn wir doch mal Blut brauchten, hatte Oryx sie zu einem Halbvampir gemacht, also neutrale Zone. So konnte sie in Ruhe älter werden und wenn sie alt genug war auch ein Vampir werden. Das würde aber hoffentlich noch ein wenig dauern, denn sie wurde heute erst sechzehn. Das hieß als Vampir würde sie immer zur Schule gehen müssen, weil sie nicht erwachsen wurde. Aber ihr Geburtstag war der Anlass, aus dem Leaf und Neo Wize zu Besuch kamen. „Geht doch schon in den Garten", sagte ich und wies mit der Hand in Richtung Terrassentür. Niemand wusste ob Rose wirklich heute, nämlich am 30. Oktober, Geburtstag hatte, da nach ihrer Mutation ihr Gedächtnis gelöscht worden war. Aber schon bald hatten wir uns dazu entschlossen, ihren Mutationstag als Geburtstag festzulegen. Auch war es untypisch Ende Oktober noch im Garten zu sitzen, aber da wir Vampire keine Körpertemperatur hatten, war es selbst im Winter ohne dicke Jacken gut draußen auszuhalten. Im Sommer sah das schon anders aus. Ich schloss die Tür hinter Leaf und Neo und folgte ihnen in den Garten. Sie waren die einzigen Gäste, die wir erwarteten. Wir waren erst vor kurzem wieder nach London gezogen und Rose hatte noch keine neuen Freunde in der Zeit gefunden. Rose saß im roten Rollkragenpullover im Garten und las. Oryx war noch nicht von der „Arbeit" zurück. Keiner von uns beiden ging je arbeiten, obwohl wir es in den ersten der 20 Jahre versucht hatten. Aber ein normaler Job war langweilig und uns fehlte der Nervenkitzel. Deshalb waren wir jetzt Einbrecher. Erst war es seltsam in fremde Häuser einzubrechen, aber man gewöhnt sich erschreckend schnell daran. Bei der Polizei gelandet waren wir deshalb allerdings bisher auch noch nicht. Vielleicht hatte es auch etwas damit zu tun, dass wir nur Bargeld stahlen und es schwer nachzuweisen war, ob Bargeld gestohlen worden war oder nicht. „Hi, Neo. Hi, Leaf", begrüßte Rose unsere Gäste und legte ihr Buch beiseite. „Wo ist Dad?", fragte sie mich. Ich sah auf die Uhr. „Er müsste gleich kommen", antwortete ich. „Alles Gute zum Geburtstag!", sagte Leaf, „Wir haben dir was mitgebracht." Sie drückte Rose das Paket in die Hand, das sie mitgebracht hatte. „Danke", bedankte sich Rose. Dann legte sie es beiseite, so wie sie es immer mit ihren Geschenken tat. Sie hatte sie schon von klein an lieber aufgemacht, wenn sie allein war. Ich ging ins Haus. Gleich darauf wurde die Haustür geöffnet. „Sue?" Oryx war da. Als ich bei ihm ankam, hängte er seine Jacke auf. Auch wenn ich schon zwölf Jahre mit ihm zusammen war, musste ich sein blendendes Aussehen noch immer bewundern. Ich wünschte nur, seine Augen wären wieder rot und nicht grau. Der jahrelange Blutverzicht machte uns beiden zu schaffen. Oryx legte mir die Hände an die Taille und küsste mich. „Sind Neo und Leaf schon da?", fragte er leise. „Ja." „Schade eigentlich. Wenn man bedenkt, was wir sonst noch hätten machen können." Er grinste mich an. Ich boxte ihn gespielt ärgerlich gegen die Brust. „Hör schon auf", beschwerte ich mich. „Du willst es doch auch", erwiderte Oryx verführerisch. Da hatte er Recht. Ich lächelte. „Rose wartet auf dich", wechselte ich das Thema. Wir gingen in den Garten. „Dad!" Rose rannte auf Oryx zu und fiel ihm um den Hals. „Hey, Schatz! Alles Gute. Jetzt bist du auch schon sechzehn. Der Hammer", begrüßte er sie. Dann lies er seine Tochter los und ging hinüber zu Neo und Leaf um sie zu begrüßen. „So, da wären wir also alle wieder in London. Nach zwölf Jahren. Bald wird es passieren", sagte Oryx und schob die Hände in die Hosentaschen. Alle außer Rose wussten was gemeint war. Cory, sozusagen unser Chef, hatte vor zwölf Jahren die Prophezeiung gemacht, dass wir ihn dieses Jahr wiedersehen würden, aber auch, dass nicht alles so war wie es sein sollte. „Was wird passieren?", fragte Rose. „Wir werden wahrscheinlich einen alten Bekannten wiedertreffen", erwiderte ich, da es sowieso keinen Sinn machte, sie anzulügen. „Aha", machte sie.
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Gegen zwei Uhr morgens gingen unsere Gäste wieder. Rose erklärte, dass sie schon müde sei und ins Bett gehen wolle und so saßen Oryx und ich allein auf dem Sofa. „Irgendwie vermisse ich die Zeit, in der wir uns kennengelernt haben. Als du mich noch umbringen wolltest und ich versucht habe, dich zu hassen. Da ist wenigstens noch was losgewesen", seufzte er. „Ja, du hast Recht. Aber vielleicht wird es ja wieder spannend, wenn wir Cory wiedertreffen", gab ich zu. „Ja...vielleicht." Ich kletterte auf seinen Schoß und küsste ihn. Seine Hände ruhten auf meiner Taille und ich vergrub meine in seinen Haaren, aber es war auffällig, dass dem Ganzen der nötige Esprit fehlte. Wir hatten uns in den letzten Jahren so oft geküsst, dass es nicht mehr aufregend war. Wenn wir wenigstens in Lebensgefahr wären oder so was. Aber nein. „Es ist nicht mehr so wie früher", flüsterte Oryx. „Ja, leider", erwiderte ich und stand auf, „Vielleicht sollten wir ins Bett gehen." Oryx nickte nur. Wir gingen nach oben. „Ich bleibe morgen zu Hause", sagte ich. „Wieso?" „Ich weiß es nicht. Ich kann morgen in keine Häuser. Es würde nicht funktionieren." Ich hatte keine Ahnung, woher dieses plötzliche Gefühl kam. Ich wusste nur, dass ich auf dieses Gefühl hören sollte. „Na, gut", gab Oryx nach. „Danke", murmelte ich, zog mich um und legte mich ins Bett.
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