The Lie
Das Lügen begann bereits als kleines Kind. Ich war verrückt nach Süßigkeiten und immer, wenn meine Mutter fragte, wer sie gegessen hatte, schob ich es auf meine kleine Schwester.
Haben mich Jungs gefragt, ob ich mit ihnen ausgehen würde, sagte ich, dass ich einen festen Freund hatte und wenn sie einen Beweis wollten, zeigte ich ihnen ein Bild meines Großvaters in jungen Jahren.
Meine größte Lüge begann im Herbst 1964. Annabell, meine kleine Schwester, die sich in einen Handwerker verliebte und sich von ihm schwängern ließ, lag in den Wehen und meine Mutter wartete mit mir gespannt auf den Nachwuchs.
Ich hoffte ja, dass es ein Mädchen werden würde, aber meine Mutter wettete dagegen. Sie war überzeugt davon, dass die Morgenübelkeit nur kam, wenn ein Junge auf dem Weg war.
Annabells Verlobter, ich glaube, er hieß Henry, lief im Wartezimmer auf und ab, während Krankenschwestern umherliefen. Tatsächlich hatte Henry ihr einen Heiratsantrag gemacht, obwohl so ein Handwerker skeptisch von unserem Vater beäugt wurde. Mein Vater, Edgar, war ein guter und strenger Mann, der als Immobilienmarkler gutes Geld ins Haus brachte. So litten Annabell und ich nie unter Hungers- oder Geldnot.
Meine Mutter, Loraine, war eine nahezu paranoide Frau, wenn es um Geld ging. Sie legte immer wieder etwas zur Seite, wenn schlechte Tage aufkommen würden und sorgte sich um uns, als wären wir unfähig. Sie wollte nur unser Bestes, hatte Henry mehrere Male beiseite gezogen und durchlöchert mit Fragen, damit Annabell es auch gut hatte.
Zurück zum Herbst 1964. Zwei Stunden nachdem die Wehen bei meiner Schwester eingesetzt hatten, teilte uns ein Arzt mit, dass sie verstorben sei und mit ihr das Kind. Es war nicht unüblich, dass eine Frau während der Geburt verstarb, aber das Kind hätte man immer retten müssen.
Für Henry brach eine Welt zusammen. Er hatte bereits Hochzeitspläne, suchte nach einem kleinen Haus für seine Familie und plante bereits weitere Kinder. Sein Leben hatte er um Annabell herum aufgebaut und ohne sie war er nur noch ein Häufchen Elend.
Mein Vater war erschüttert, wie auch meine Mutter. Nun war nur noch ihre unverheiratete Tochter im Alter von 23 Jahren daheim und lag auf der faulen Haut. Wer sollte mit mir lachen und sich darüber aufregen, wenn Mutter und Vater mich wieder einem jungen Geschäftsmann vorstellten? Wer würde sich bei Streitereien für mich einsetzen?
Es war schrecklich anzusehen, wie unser heiles Leben von Kummer geplagt wurde und Henry kein einziges Wort mehr an uns richtete. Vater schien trüber als sonst, aber ging weiter seiner Arbeit nach. Mutter hingegen traf es schwer und sie wendete sich dem Alkohol zu. Das Rauchen, welches sie vor vielen Jahren aufgegeben hatte, nachdem Annabell geboren wurde, begann sie erneut und rauchte bis zu ihrem Tod mindestens eine Schachtel am Tag.
Sie kam nie wieder über den Tod ihrer jüngsten Tochter hinweg und so blieb ich.
Ich war es satt, dass man mich verheiraten wollte und sparte heimlich Geld, welches ich bei einigen Tätigkeiten wie Wäsche waschen für meine Nachbarin verdiente. Natürlich war ich ein faules Weib, dass es nicht besser wusste und stahl zwei Monate nach Annabells Tod das Geld, welches meine Mutter für schlechte Tage aufhob. In dieser Nacht war ich nicht mehr Kathrina, sondern nur eine geplagte Seele.
Ich hinterließ meiner Mutter einen Zettel, dass ich zu einer Freundin in Kalifornien ziehen würde, da ich es Zuhause nicht mehr aushielt und eigenständig werden wollte, was wohl der ersten Teil meiner größten Lüge sein sollte.
Als ich in New Jersey ankam, war es bereits Morgen und ich drückte dem Taxifahrer um die hundert Dollar in die Hand, weil er mich dorthin gefahren hatte. Er erzählte mir, dass er von New Jersey kam und nannte mir einige gute Hotels in der Nähe, die nicht allzu teuer waren. Seine Schwester lebe dort, sagte er mir und sie wäre um eine weitere Frau im Haus sehr froh.
Er fragte mich nach meinem Namen und ich stellte mich als Annabell Hegen vor. Seine Schwester, mit der er wohl telefoniert hatte, nahm mich in ihr Haus auf und gab mir Arbeit in einem Waschsalon. Nach der ersten Woche zuckte ich nicht mal mehr zusammen, wenn sie mich rief und nach nur sechs Jahren dort kannten mich alle unter dem Namen Annabell.
Ich hatte den Pass meiner Schwester immer in meinem kleinen Portmonee und obwohl ich eher unserer Großmutter ähnelte und sie nach unserem Vater kam, stellte keiner in Frage, dass ich nicht die echte Annabell Hagen war. Für die Menschen Zuhause war ich vielleicht Kathrina Hagen, die weggelaufen war und sich in Kalifornien mit einer Freundin amüsierte, aber in New Jersey war ich Annabell und würde es wohl immer bleiben.
Ich hatte zwar viele Beziehungen mit Männern, wurde aber nie so richtig sesshaft. Ich traute mich nicht, jemandem zu sagen, wer ich wirklich war und so begann meine größte Lüge.
Ich verpasste dank des ersten Teils der Lüge den Tod meiner Eltern und fand erst 20 Jahre später, als ich sie erneut besuchen wollte, heraus, dass Vater vor 11 und Mutter vor 6 Jahren verstarb.
Der zweite Teil meiner größten Lüge war wohl, dass ich sie all die Jahre aufrecht gehalten hatte. Ich wäre beinahe eine verheiratete Frau gewesen, hätte ich den Antrag nicht abgelehnt. Er hieß Elliot und war ein guter Mann, der mich verwöhnte und liebte. Ständig musste ich um meine aufgebaute Identität fürchten, wenn ich bei ihm war.
Elliot hatte Geld, wenn ich mich nicht täusche. Er war im Autohandel tätig und arbeitete hart, sprach von Kindern und nannte mich die Liebe seines Lebens. Es brach mir das Herz ihm zu verschweigen, wer ich war. Er fragte mich nach meinen Eltern, ob ich Geschwister hätte und wie ich bei Mrs Hatherley, der Schwester des Taxifahrers, zu Arbeit gekommen war. Mein Gebilde aus Lügen fuhr fort, bis er eines Tages vor mir kniete und ich ihn sprachlos anstarrte.
Gute zehn Minuten kniete er da vor mir und ich kriegte meinen Mund nicht auf. Ich konnte mich nicht bewegen vor Schock und wusste nicht, was ich tun sollte. Mein Herz raste und nur mit größter Mühe konnte ich meinen Kopf schütteln.
,,Verzeih mir, Elliot", habe ich ihm mit Tränen in den Augen gesagt und bin aus dem Haus geflohen. Er war vermutlich erstarrt und konnte es selbst kaum glauben. Er war sich so sicher, dass ich ihn heiraten würde. Immer wieder hatte er es doch scherzhaft erwähnt und immer wieder hatte ich ihm versichert, ich würde ihn heiraten.
Ich blieb für immer Annabell Hegen in New Jersey. Meine Arbeit bei Mrs Hatherley führte ich fort und mein Leben als unverheiratete Frau ging weiter. Ich wurde alt und man wusste um meinen Ruf Bescheid. Natürlich fragten viele Männer ohne Frauen nach meiner Hand, aber ich konnte nur verneinen.
Was mit Elliot geschah, ist unklar. Ich hörte, dass er es hier nicht mehr aushielt und verschwand. Nicht nur sein Herz hatte ich gebrochen, sondern auch mein eigenes. Ich war Annabell Hagen, eine Frau ohne Vergangenheit, ein Mysterium für Mrs Hatherley und eine gute Arbeiterin im Waschsalon.
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