Krankenhaus
Als ich die graue Fassade sehe, wird mir sofort ganz flau im Magen. Tief ziehe ich die Luft ein, bevor ich dann hocherhobenen Hauptes mich dem Eingang nähere. Auf dem Weg kommen mir immer wieder Patienten mit oder ohne ihren Angehörigen entgegen. Die meisten davon, um eine zu Rauchen oder sich einfach nur die Beine zu vertreten, sofern sie es können.
Ich könnte jetzt auch gut eine Zigarette vertragen.
Mit einem leisen Surren öffnete sich die Schiebetür und der Geruch von Desinfektionsmittel und Krankheit schlug mir entgegen. Großzügig betätigte ich den Spender und rieb die Flüssigkeit in meine Hände ein. Die Frau am Schalter winkte mir schon zu, breit lächelnd. Ich riss mich zusammen und warf ihr ein leichtes Lächeln zurück und hob leicht die Hand. Momentan war ich nur Lisa. Und zu der passte das selbstbewusste, kecke Verhalten nicht.
,,Zimmer 212, wie immer."
,,Danke", murmelte ich und stieg die breite Treppe hoch in den ersten Stock. Das Krankenhaus hatte die ersten 100 Zimmer im Erdgeschoss, die zweiten im ersten Stock und immer so weiter bis zum 5. Stock. Allerdings war der Fahrstuhl hier nur für Patienten und Besucher, die einen triftigen Grund hatten ihn zu benutzen, weshalb ich den Weg zu Fuß zurücklegen musste. Ab der Hälfte des Flurs fiel mein Blick auf das Schaufenster des Geschenkeshops, wo mir vor allem der kleine Teddy mit dem roten Herz in den Pfoten ins Auge stach. Gewissensbisse fingen an mich zu plagen, als ich auf das Preisschild schaute: Er war einfach zu teuer.
Schnell kniff ich die Augen zusammen und lief weiter. Mit jedem weiteren Schritt trafen die unterschiedlichsten Gefühle in mir aufeinander: Schuld, Trauer, Freude, Wut. Ein einzig großer Knoten, der mit jeder Stufe verworrener wurde. Ein langer Gang erstreckte sich vor mir. So oft war ich diesen Gang hinunter geschritten. So oft, dass ich mir die Nummernschilder der einzelnen Zimmer nicht mehr anschauen musste, um das Richtige zu finden. Auf zwei von vier Ledersesseln in einer kleinen Nische mit einem Zeitungsständer saßen ein alter Mann und ein kleines Mädchen. Automatisch schluckte ich.
Wir alle haben es nicht einfach.
Plötzlich ertönte das mir albekannte Piepen und die zwei Schwestern, gefolgt von einem Arzt, rannten an mir vorbei in das Zimmer rechst von mir. Da die Wände hier aus Glas waren, damit man die Patienten auch gut im Blick hatte, konnte ich ihnen zuschauen, wie sie versuchten einen Jungen in meinem Alter wiederzubeleben, während die Mutter, welche verständlicherweise grade einen Nervenzusammenbruch erlitt, aus dem Zimmer geschoben wurde, damit sie nicht unnötig störte.
Zum Glück bin ich nicht an ihrer Stelle...jedenfalls noch nicht..
Nach weiteren zwei Zimmern sah ich dann das Zimmer 212. Mit kaltschweißigen Händen betrat ich es und schloss die Tür für die Illusion von Privatsphäre. An sich war das Zimmer genau wie man es sonst erwartet: Weiss, nichtssagen. Mit leicht zitternen Knien ließ ich mich auf dem Stuhl neben dem Krankenbett nieder. Ich konnte nicht verhindern, dass meine Augen feucht wurden, als ich in ihr Gesicht schaute. Vorsichtig, so als würde sie bei zu starkem Druck zerbrechen, nahm ich ihre Hand. Sie war eiskalt. Automatisch wanderte mein Blick auf den Monitor mir gegenüber, welcher regelmäßig piepte. Ja, sie lebte noch. Nun wanderte mein Blick zu ihrem Gesicht, welches fast komplett unter der Atemmaske verborgen war. Sie war noch so klein, so zierlich. Es brach mir jedes Mal aufs neue das Herz sie so zu sehen. Sanft strich ich ihr eine ihrer goldblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht.
,,Hi.''
Mittlerweile überraschte es mich nicht mehr, wie rau meine Stimme in ihrer Gegenwart klang.
,,Wie geht es dir denn heute?''
Keine Antwort. Natürlich nicht. Langsam holte ich das abgewrackte Buch aus meiner Tasche hervor, welches sie so lange schon besaß. In goldener Schrift war in den alten Stoffeinband der Titel geprägt worden: Peter Pan. Sofort kommen Erinnerungen hoch. Ich lasse ihnen den Raum, den sie brauchen.
,,Ich hab dein Buch wieder mitgebracht. Soll ich dir daraus vorlesen?''
Auf keine Antwort wartend schlug ich das Buch auf. Die Seiten waren vergilbt und hatten zahlreiche Knicke von den Eselsohren der Vergangenheit und abgefranzte Ränder vom vielen Umblättern. Trotz des schlechten Zustandes hatte dieses Buch Sammlerwert, das war mir bewusst. Dennoch würde ich es trotz all der Geldprobleme niemals verkaufen. Nicht solange bis ich ihre Erlaubnis hätte. Nach einen kurzen Seitenblick zu ihr, auch wenn er nichts an der Situation änderte, räusperte ich mich und machte es mir so weit auf dem Stuhl bequem wie möglich. Dann begann ich in meiner besten Erzählerstimme meiner kleinen Schwester vorzulesen, in der Hoffnung, dass sie mich hörte:
,,Kapitel eins: Peter bricht durch. Alle Kinder werden erwachsen, bis auf eines."
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Wer kennt alles Peter Pan?^^
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