Aussprache
Da war sie wieder, die Wut, und ich klammerte mich an ihr wie ein Ertrinkender an einer Boje. Ich stand auf, wischte mir nebenbei die Träne weg und strich Vicki über ihre Hand zum Abschied, dann packte ich Jeff am Handgelenk und schliff ihn raus, die Treppe runter und zum Gelände des Krankenhauses, wo nur ab und zu ein paar Patienten in ihren Krankenhaussachen herumgeisterten. Ein kleiner Teil in mir wunderte sich, dass Jeff das mit sich machen ließ, doch ich stellte ihn sofort auf stumm, sobald er sich zu Wort meldete. Mir darüber sicher, dass meine Augen vor Wut funkelten drehte ich mich zum Mörder um und ließ los. Nicht von seiner Hand, nein, die hielt ich wie ein Schraubstock fest. Von dem Schrei, der nur darauf gewartet hatte ausgestoßen zu werden:
„WAS FÄLLT DIR EIGENTLICH EIN!! DU hast KEIN RECHT dazu!!"
Dass Jeff mich nur nüchtern anschaute brachte mich erst recht auf Hochtouren:
„Dass du dich in meinen Job einmischt ist eine Sache, ABER JETZT BIST DU ZUWEIT GEGANGEN!! DAS ist MEIN Privatleben und da hast du NICHTS verloren, geschweige denn DEINEN SENF DAZUZUGEBEN!!!! Ich lasse mich nicht zum Spaß von irgendwelchen wildfremde Kerlen tagein tagaus ficken, das macht keiner von uns!!! Und wegen solcher Leute wie dir wird uns nicht nur dieser Teil unseres Lebens, sondern alles schwergemacht!!! Als würde uns unser Beruf nicht genug erniedrigen!!! Ich habe mich schon abgefunden, alle Würde verloren zu haben und mich von anderen verurteilen zu lassen, aber DAS DA DRINNEN KANN MIR KEINER NEHMEN!!!! Kein Arzt, kein Jugendamt, wenn es sich um den Dreck der wir sind mal kümmern würden, und erst recht nicht du!!! Gott, ich könnte dich grade windelweich schlagen, weißt du das!! Du kotzt mich einfach sowas von an!!!"
Ich musste jetzt erstmal verschnaufen. Meine Kehle fühlte sich rau an und ich fürchtete ich würde Hausverbot bekommen, weil ich so einen Lärm veranstaltet hatte. Meine Sicht war wieder verschwommen und diesmal fiel es mir aus irgendeinem Grund schwer zu sagen, weshalb ich Tränen vergoss.
„Besser?"
Jetzt erst merkte ich, dass tatsächlich all meine Wut verpufft war und stattdessen wieder Erschöpfung eingetreten war. Und dann lag ich plötzlich in Jeffs Armen; beruhigend strich er mir über den Rücken. Nur langsam fiel mir auf, dass ich am ganzen Körper zitterte, sich das Zittern mit jedem seiner Striche über meinen Rücken beruhigte. Jeff schwankte ganz leicht, so als wolle er mich wiegen und ich schwankte mit ihm mit.
„Es tut mir leid, okay? Ich bin zu weit gegangen."
Stille, in der ein sanftes, zerbrechliches Verständnis für den jeweils anderen entstand. Oder war es nur ich und er hatte mich schon längst durchschaut?Auch egal.
Plötzlich bekam ich Schluckauf; Jeff drückte mich noch einmal, bevor er mich losließ:
„Lass uns dir was zu trinken besorgen."
Und somit zog er mich weg vom Krankenhaus in ein nahegelegende Bäckerei:
„Warte hier."
Mit diesen Worten drückte er mich in einen Sessel in der hintesten Ecke des Raumes und ging zur Theke. Mit einem Mal sah ich Jeff in einem anderen Licht: Nicht mehr der Vollidiot, der sich in alles einmischte und mir tierisch auf die Nerven ging. Das war zwar ein Teil von ihm, aber doch schien er auch eine andere Seite zu haben. Eine ruhige, verständnisvolle...und vielleicht auch verletzte? Ich spürte, wie ich langsam Kopfschmerzen bekam.
Jeff kam wieder, in seinen Händen jeweils ein Becher; meinen stellte er vor mich hin. Durch den schwarzen Plastikdeckel konnte ich nicht sehen, was es für ein Getränk war, aber für mich war das gerade ziemlich unwichtig.
Der Massenmörder setzte sich gegenüber von mir und nahm einen Schluck von seinem Getränk. Als er sprach, kam mir sofort ein herb-bitterer Geruch entgegen: Kaffee:
„Ist es okay, wenn ich dir ein paar Fragen stelle?"
Ich nickte nur und nimmte an meinem Becher. Süß, cremig...heiße Schokolade. Ohne mich zügeln zu können nahm ich gleich mehrere Züge. Die Wärme tat nichtnur meiner Seele, sondern auch meinem Hals gut.
Dieser Bastard musste dran gedacht haben.
„Dieses Mädchen....das ist deine Schwester?"
Wieder nickte ich:
„Vicki. Abkürzung von Victoria."
„Wie lange liegt sie schon dort?"
„Seit 2 Jahren."
Jetzt nickte er:
„So lange arbeitest du also schon."
„Ja."
Kurzes Schweigen, während ich in meinem Becher kleine Dellen mit meinen Fingernägeln grub.
„Wenn dir das unangenehm ist, sag etwas und ich höre sofort auf."
Ich schaute auf, direkt in seine Augen:
„Wie kommt es, dass du so verständnisvoll bist?"
Er hielt meinem Blick stand:
„Auch ich habe Geschwister. Einen kleinen Bruder."
Schweigend tranken wir unsere Becher leer. Als ich nach meinem Geldbeutel griff, hielt Jeff mich auf:
„Lass stecken."
Und dieses Mal kriegte ich es nicht in den falschen Hals.
Wir verließen die Bäckerei und gingen die Straße entlang.
„Heute machst du erstmal Pause, aber die nutzen wir, um ein neues Geschäftsmodell aufzustellen",
er lächelte mich an:
„Wir verdienen mehr Geld den je und sparen das für den Tag, wenn Victoria wieder aufwacht."
Ein Lächeln huschte nun auch über meine Lippen:
„...du darfst sie auch Vicki nennen, denke ich."
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top