Kapitel 20:
In diesem Moment stoße ich mit dem Kopf durch die Wasseroberfläche. Wie verwirrend. Ich bin mir so sicher gewesen, dass ich auf den Grund sinke. Die Strömung lässt nicht nach. Wieder werfen sie mich gegen die Felsen, sie treffen mich hart am Rücken, immer aufs Neue, pressen mir das Wasser aus der Lunge. Ich spie erstaunliche Mengen aus, reinste Sturzbäche kommen mir aus Mund und Nase. Das Salz brennt in meinen Lungen und ich habe so viel Wasser im Hals, dass ich nicht atmen kann. Aus irgendeinem Grund werde ich nicht mehr von den Wellen mitgerissen, obwohl das Wasser um mich herum immer noch tost. Rings um mich her sehe ich nichts, als Wasser, das mir ins Gesicht schlägt.
„Du musst atmen!", schreit jemand, außer sich vor Angst, und ich spüre einen schmerzhaften Stich, als ich die Stimme erkenne.
Ich kann unmöglich gehorchen. Der Wasserfall, der aus meinem Mund kommt, hört nie so lange auf, dass ich Luft holen kann. Meine ganze Brust ist von dem schwarzen, eisige, brennenden Wasser erfüllt. Wieder rammt mich der Felsen in den Rücken, genau zwischen die Schulterblätter, und ich würgte einen weiteren Wasserschwall aus der Lunge.
„Atmen, Skye! Los!", fleht Bucky.
Jetzt habe ich auf einmal schwarze Punkte vor Augen, die immer größer werden und kein Licht vorbei lassen. Wieder trifft mich der Felsen. Er ist nicht so kalt, wie das Wasser, er fühlt sich heiß auf meiner Haut an. Ich merke, dass es Buckys Hand ist; er versucht mir das Wasser aus der Lunge zu schlagen. Mir schwirrt der Kopf, die schwarzen Punkte überlagern sich. Sterbe ich denn schon wieder? Aber diesmal bin es gar nicht so angenehm wie letztes Mal. Hier ist es nur dunkel, es gibt nichts Schönes zu sehen. Das Geräusch der sich brechenden Wellen wird zu einem ruhigen, gleichmäßigen Rauschen, das sich so anhört, als käme es aus...
„Skye?", sagt Bucky.
Er klingt immer noch nervös, aber nicht mehr so verzweifelt wie vorhin. „Skye, hörst du mich?"
In meinem Kopf saust und dreht sich alles schwindelerregend, als wäre ich immer noch im Wasser. Ich merke, dass ich mich nicht mehr bewege. Die Strömung zieht nicht länger an mir – das Rauschen und Schwanken ist nur in meinem Kopf. Die Fläche unter mir ist so flach und unbewegt. Sie fühlt sich körnig an meinen nackten Armen an. Buckys Stimme ist ganz nah.
„Skye?", seine Stimme wird sanfter und er glaubt, ich sei tot. Eine Hand – so warm – streicht mir nasse Haare von den Wangen.
Das leise Rauschen in meinem Ohren sind nicht die Wellen – es ist die Luft, die wieder durch meine Lungen strömt. Bei jedem Atemzug brennt es – mein Hals ist so rau, als hätte ich ihn mit Stahlwolle gescheuert. Aber ich atme. Und ich friere. Unzählige scharfe, eisige Perlen streichen mir über Gesicht, Arme und machen die Kälte noch schlimmer. Ich versuche die Augen zu öffnen. Es dauert einen Moment, aber dann sehe ich die dunkel-lila Wolken, aus denen der kalte Regen auf mich prasselt.
„Bucky?", krächze ich.
Buckys Gesicht schiebt sich vor den Himmel.
„Oh!", stößt er hervor, und er sieht erleichtert aus. Seine Augen sind krank vor Sorge. „Oh, Skye! Wie geht es dir? Hörst du mich? Hast du Schmerzen?"
„N-nur im Ha-Hals.", stammele ich.
Meine Lippen beben vor Kälte.
„Na, dann bringen wir dich mal hier weg.", sagt Bucky.
Er schiebt die Arme unter meinen Körper und hebt mich ohne Anstrengung hoch – wie eine leere Schachtel. Seine Brust ist nackt. Er hat bestimmt, bevor er mich aus dem Meer gefischt hat, sein Oberteil ausgezogen. Noch nie habe ich soviel Haut von ihm gesehen. Er beugt sich vor, um mich vor dem Regen zu schützen. Mein Kopf lehnt schlaff an seinem Arm. Ich starre teilnahmslos zurück auf das wütende Wasser, das den Sand hinter Bucky peitscht. In meinem Kopf dreht sich immer noch alles. Als Bucky mich fortträgt, wirbelt das Wasser den Sand hinter uns auf, als wäre es wütend darüber, dass ich entkommen bin. Als ich so ins Leere starre, meine ich plötzlich einen Farbspritzer zu sehen – einen Moment lang tanzt eine kleine Flamme auf dem schwarzen Wasser. Das war verrückt, und ich frage mich, ob ich überhaupt richtig bei Bewusstsein bin. Mir schwirrt immer noch der Kopf vor der Erinnerung an das schwarze, strudelnde Wasser, in de ich so orientierungslos gewesen war, dass ich nicht mehr wusste, wo oben und wo unten war. Vollkommen orientierungslos... aber irgendwie hat Bucky...
„Wie hast du mich gefunden?", krächze ich.
„Ich habe dich gesucht.", sagt er.
Er rennt jetzt fast durch den Regen, den Strand hinauf zum Wald.
„Ich hörte dich schreien." Er schaudert. „Warum bist du gesprungen, Skye? Hast du nicht gemerkt, dass ein Orkan kam?"
Jetzt, da die Anspannung nachlässt, wird er wütend.
„Tut mir Leid.", murmele ich. „Das war dämlich."
„Ja, das war echt dämlich.", sagt er, und als er nickt, fliegen Regentropfen aus seinem Haar.
„Kannst du die dämlichen Sachen nicht lieber machen, wenn ich dabei bin? Wenn ich ständig damit rechnen muss, dass du hinter meinem Rücken von irgendwelchen Klippen springst, kann ich mich nicht konzentrieren."
„Okay.", sage ich. „Kein Problem."
Ich habe eine Stimme wie ein Kettenraucher. Ich versuche mich zu räuspern – und zucke vor Schmerz zusammen, denn es fühlt sich so an, als würde man mir mit einem Messer in die Kehle stechen. Jetzt ist es an mir zu schaudern, obwohl ich nicht mehr so fror, weil er mich mit seinem glühend heißen Körper wärmt. Ich frage mich, wie er immer noch so warm bleibt, auch wenn er in dem eiskalten Wasser geschwommen ist, um mich zu retten.
Bucky rennt immer noch, als er das Haus erblickt. Ich versuche seine Miene zu entschlüsseln und blinzele in den trommelnden Regen. Sein Blick ist starr vor Sorge und Schmerz. Plötzlich habe ich so ein schlechtes Gewissen, dass mir ganz elend wird. Ich bereue diesen hirnlosen Sprung von der Klippe zutiefst.
„W-was kann ich tun?", frage ich, um irgendwie doch noch von Nützen zu sein.
In diesem Moment hört es auf zu regnen. Wir gehen durch die Tür und ich höre den Sturm, welcher gegen das Dach tost.
„Du kannst nichts tun und bleibst schön hier.", brummt er, als er mich auf das Sofa legt. „Das meine ich wörtlich – genau hier. Ich hole dir trockene Klamotten."
Während Bucky die Treppen hoch läuft und in seinem Zimmer herumkramt, warte ich bis meine Augen sich an die Dunkelheit im Raum gewöhnt haben. Kurz darauf kommt Bucky zurück. Er wirft mir einen Stapel grauer Baumwoll-Sachen zu.
„Sie sind dir garantiert viel zu groß, aber was Besseres hab ich nicht. Ich, äh, ich geh dann mal, damit du dich umziehen kannst."
Sofort zucke ich zusammen, damit ich Aufmerksamkeit errege und er sich umdreht.
„Bitte geh nicht. Ich bin noch zu schlapp, um mich umzuziehen. Bleib einfach hier bei mir.", flehe ich ihn an.
Bucky reagiert so, als hoffe er, dass ich so etwas in der Art sagen würde. Sofort setzt er sich auf das Sofa rechts neben mir und starrt mich an. Ich frage mich, wann er wohl zuletzt richtig geschlafen hat. Er sieht genauso erschöpft aus, wie ich mich fühle. Er breitet sich auf dem Sofa aus, legt seinen Kopf auf die Handstütze des Sofas und gähnt. Er sieht wie ein kleines, zerbrechliches Kind aus und er tut mir dafür Leid. Die Augen fallen ihm zu. Ich lasse meine auch zufallen. Armer Bucky. Meine Lunge tut schrecklich weh, trotzdem kann ich mich kaum wach halten. Ich frage mich kurz, ob es wohl ein Fehler ist zu schlafen oder gilt das nicht für Ertrinken, sondern für Gehirnerschütterung? Bucky fängt leise zu schnarchen an, und das Geräusch wirkt beruhigend wie ein Schlaflied. Fast wie Musik in meinen Ohren. Schnell döse ich weg.
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