Chapter 55

Eine gefühlte Ewigkeit tauchte ich der silbernen Feder, die meinen zum täuschen ähnlich sah, hinterher.

Wie ein Pfeil schoss sie durch die das schwarze Wasser und führte mich durch die Dunkelheit.

Langsam nahm ich wahr, wie meine Muskeln müde wurden und meine Flügel nur noch träge dem Wasserwiderstand Stand halten konnten.

Tapfer biss ich meine Zähne zusammen und ließ mich nicht von meiner Müdigkeit ablenken, sondern konzentrierte mich auf die Feder vor meinen Augen.

Ein tiefes Grollen zerschnitt plötzlich die Stille und noch bevor ich das Geräusch wahrnehmen konnte, spürte ich, wie das Wasser um mich herum zu erzittern schien.

Angespannt hielt ich inne und suchte meine Umgebung panisch mit meinen Augen ab. Doch außer Schwärze und Dunkelheit konnte ich nichts erkennen.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie sich die silbrig schimmernde Feder immer weiter von mir entfernte und letztlich vollkommen aus meinem Blickfeld verschwand.

Ich wollte ihr hinterher schwimmen, doch mein Körper schien wie in eine Schockstarre gefallen zu sein.

Nervös hielt ich die Luft an.

Wie aus dem Nichts flammte unter mir plötzlich ein Licht auf und ich konnte erkennen, dass sich der Meeresboden nur einige Meter unter meinen Füßen befand.

Hoffnungsvoll riss ich mich zusammen und kämpfte mich mit einigen Flügelschlägen in Richtung des golden schimmernden Sandes.

Ich dachte schon, ich hätte es bald geschafft, doch genau in dem Moment, in dem meine nackten Füße den weichen Untergrund berührten, erlosch das helle Licht und ich war wieder in entgültige Finsternis gehüllt.

Der Sand unter mir wurde plötzlich kälter und härter, während sich die Wassertemperatur zu senken schien und meine Arme mit einer eisigen Gänsehaut überzogen wurden.

"Halbblut", sagte plötzlich eine tiefe, grollende Stimme, woraufhin ich mich ruckartig in die Richtung drehte, aus der die Stimme zu mir sprach und in stechend grüne Augen blickte.

Ängstlich versuchte ich den Körper des Wesens vor mir aus zu machen. Seine Größe, seine Statur. Doch bis auf seine giftgrünen Augen, die mich aus der Dunkelheit heraus beobachteten, konnte ich nicht erkennen.

"Wer seid Ihr?", fragte ich mit zitternder Stimme und breitete meine Flügel in voller Größe hinter meinem Rücken aus.

"Ich bin Niemand", entgegnte die Stimme und ich spürte, wie das Wasser erneut durch die tiefen Schallwellen in Bewegung geriet.

"Was wollt Ihr dann von mir?" Ängstlich wich ich zurück, als sich die Augen zu Schlitzen verformten und einen Schritt näher an mich heranrückten.

Stumm starrte mich das Wesen an und ich hatte schon die Befürchtung, dass es meinen rasenden Herzschlag hören konnte, bevor es in ein raues Gelächter ausbrach und mich erschrocken zusammen zucken ließ.

Leise hallte das Lachen noch in den Wassermengen nach und zu meinem Verwundern musste ich feststellen, dass es sich keineswegs böse oder hinterhältig anhörte, sondern einfach nur belustigt.

"Was ich von dir will? Du bist doch zu mir gekommen oder nicht?"

"Entschuldigt mich. Ich wollte Euch nicht stören. Ich folgte eine Feder und habe sie hier verloren."

"Ihr stört mich nicht, mein liebes Kind. Ich bin froh eine lebende Kreatur hier unten zu Gesicht zu bekommen. Ich bin schon sehr lange hier", murmelte die Stimme leise und ich schien einen Hauch von Wehmut aus ihr herauszuhören. "Und die Feder habe ich gesehen. Sie flog zu mir und zerfiel vor meinen Augen zu Asche."

"Was seid Ihr?", fragte ich neugierig und versuchte vergebens etwas in der Dunkelheit zu erkennen.

"Ein Wächter."

"So einer, wie die Wächter aus dem Himmel? Kommt Ihr auch von dort?"

"Nein mein Liebes. Ich bin weder Engel, noch bin ich Mensch. Ich lebe schon lange von dem Wasser und der Dunkelheit."

"Wie darf ich Euch nennen?"

"Ich besitze soetwas wie einen Namen nicht. Ich bin Niemand", antwortete die Stimme, gefolgt von einem leisen Lachen.

"Ihr seid ein Wächter und kein Niemand. Ich nenne Euch Rhagal", entschied ich entschlossen und bildete mir ein, ein winziges Aufleuchten in den giftgrünen Augen wahrzunehmen.

"Rhagal?", fragte das Wesen amüsiert.

"Ja. Der Name passt zu dir. Also Rhagal, könntest du mir den Gefallen tun und wieder das Licht anmachen."

"Das Licht? Es ging nicht von mir aus, sondern von dir", erklärte er mir mit ruhiger Stimme, woraufhin sich meine Augenbrauen verwirrt zusammenzogen.

"Von mir? Das kann nicht sein. Ich hab weder eine Lampe noch irgendetwas anderes bei mir."

"Es waren deine Flügel. Sie geleiteten dir den Weg durch die Dunkelheit, goldener Engel."

"Goldener Engel? Ich bin kein goldener Engel. Ich bin bloß ein Halbblut", stellte ich verwirrt klar, doch Rhagal schüttelte nur stumm seinen Kopf.

"Du bist ein goldener Engel. Glaubt mir. Ich habe es gesehen."

"Wie soll ich ein goldener Engel sein? Mein Freund hat mir einmal davon erzählt, aber das passt einfach nicht zu mir. Goldene Engel sind makellos, perfekt, einfach alles, was ich nicht bin. Ich habe schon so oft in meinem Leben gelogen und andere Dinge getan. Du musst dich irren. Ich kann kein goldener Engel sein."

"Ich irre mich nicht mein Kind. Ich lebe schon viele Jahrtausende und ich erkenne einen goldenen Engel, wenn ich ihn zu Gesicht bekomme. Vielleicht hast du gelogen, doch hast du es getan, weil es zu etwas Besserem geführt hat. Nie hast du aus Hass, Neid oder Eigennutz gehandelt, sondern stets im Sinne des Guten. Ob bewusst oder unbewusst, du hast die Erde mit deiner Liebe und Selbstlosigkeit mit etwas Gutem beschenkt. Dein Herz ist rein, genau wie dein Geist. Ich suchte eine Ewigkeit nach einem goldenen Engel, weil ich an das Gute in einem Menschen, als auch in einem Engel glaube. Unter der Obhut eines guten Herzens lässt sich Frieden schließen. Ich stehe hinter dir, goldener Engel. Es ist mir eine Ehre."

Verwirrung prasselte wie ein stürmischer Hagelsturm auf mich ein und mein Inneres schrie nach mehr Antworten, mehr Gewissheit.

Doch ich spürte immernoch das Ziehen in meiner Brust und den Schmerz, den mir die messerscharfen Spitzen meines gebrochenen Herzens innerlich bereiteten.

Ich musste mich noch immer beeilen.
Aiden war noch bei ihr.
Er war noch in Gefahr.

"Rhagal ich kann das alles gerade nicht verstehen, aber ich verspreche dir, dass ich darüber nachdenken werde, sobald sich mir eine Möglichkeit ergibt. Aber jetzt gibt es Wichtigeres, als mich. Mein Freund ist in Gefahr. Ich werde die goldene Feder finden müssen, sonst wird er sterben. Und- und das kann ich nicht zulassen", erklärte ich ihm hastig und spürte das langsame, träge Pochen in meiner Brust aufschluchzen. "Kannst du mir bitte helfen die goldene Feder zu finden?"

"Du brauchst sie nicht zu finden", entgegnte Rhagal ruhig und sah auf einen Punkt hinter meiner Schulter. "Sie ist bereits hier und wartet auf dich."

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