Chapter 54

Doch als ich meine Augen öffnete, zeigte sich vor mir alles andere, als das ich erwartet hätte.

Staunend betrachtete ich den riesigen Wasserfall, der in einem kleinen See mit unfassbar klarem Wasser endete.

Um den See herum standen riesige Bäume, in dessen prächtigen Baumkronen unzählige bunte Vogel saßen, die ein fröhliches Lied zwitscherten.

Die verschieden farbigen Blumen und Bäume wurden in ein goldenes Licht getaucht, während die Sonne genau über mir stand und mich mit warmen, angenehmen Sonnenstrahlen begrüßte.

Tausend verschiedene Eindrücke boten sich mir in diesem einen Augenblick und ich versuchte sie alle in mir aufzunehmen.

Dieser Augenblick war wunderschön.

Ich spürte wie sich der Frieden dieses Ort auf mich übertrug und in mir eine wundervolle Ruhe einkehrte.

Genüsslich schloss ich meine Augen und horchte meiner Umgebung.

Rechts neben mir hörte ich das melodische Singen einer Gruppe von Vögeln, die selbst das laute Rauschen des Wasserfalls übertönten.

Ein sanfter Wind wehte mir ins Gesicht, der die Blätter der Bäume leise aufrascheln ließ.

Doch dann hielt ich Inne.

Dieses eine Geräusch passt nicht in diese Umgebung.

Ein leises, aber regelmäßiges Zischen drang kaum wahrnehmbar zu mir.
Verwirrt öffnete ich meine Augen, um der Quelle des Geräuschs auf den Grund zu gehen. Wie von einer magischen Kraft wurde mein Blick zu einem kleinen Felsen gezogen, der sich mittig in dem kleinen See befand.

Ein spitzer Schrei verließ meine Kehle, als ich den unscheinbaren Körper sah, der von mir weggedreht auf dem Felsen lag.

Wie auf Knopfdruck hörten die Vögel auf zu singen und flogen in einem riesigen Schwarm aus den Baumkronen heraus, während sich eine beinahe schwarze Wolke vor die strahlende Sonne schob und die Landschaft in ein kaltes, unheimliches Licht tauchte.

Das Plätschern des Wasserfalls wurde immer lauter und hörte sich schon bald wie Fausthiebe auf dem Wasser an, während sich die Bäume bedrohlich dem plötzlichen Wind neigten.

Ohne lange darüber nachzudenken sprang ich mit einem flachen Kopfsprung in das eiskalte Wasser und schwamm mit schnellen Zügen zu der bewusstlosen Person.

Schmerzlich zogen sich meine Lungenflügel zusammen, als mich die Eiseskälte umhüllte und mir für einige Sekunden den Atem raubte.

Doch selbst das hätte mich nicht auf den Schmerz vorbereiten können, der in der nächsten Sekunde meine Brust durchzuckte und alles Lebendige in mir in kleine, verlorene Stücke zerschmetterte.

"Aiden", schrie ich panisch und schwamm den letzten Meter auf seinen bewegungslosen Körper zu.

Voller Leere starrten seine blassen Augen in die Himmel und es war nur schwach zu erkennen, wie flach und träge sich seine Brust hob und senkte.

"Aiden! Aiden, ich bin's Skyla. Ich bin hier", wimmerte ich leise und umklammerte seine kalte Hand.

Tränen sammelten sich in meinen Augen an und strömten über meine Wangen, als ich meinen Blick über seine blauen Lippen fahren ließ.

"Bitte bleib bei mir. Aiden bitte", schrie ich ihm verzweifelt ins Gesicht, doch es schien so, als würde er mich gar nicht mehr wahrnehmen können.
"Hilfe. Wir brauchen Hilfe. Bitte!"

Panisch hörte ich meinen eigenen Herzschlag und das Blut in meinen Ohren rauschen und überlegte fieberhaft, was ich tun sollte.

Wenn ich jetzt nichts machte, dann würde er sterben.

"Ich werde Hilfe holen Aiden. Ich bin gleich wieder da. Hab keine Angst. Ich komme wieder", redete ich ihm schwer atmend ein, obwohl ich bezweifelte, dass er mich überhaupt hören konnte, bevor ich mich umdrehte, um nach Hilfe zu suchen.

Doch weit kam ich nicht. Denn bevor ich wieder in das eisige Wasser eintauchen konnte, schloss sich eine große Hand um mein Handgelenk und zog mich mit einem kraftlosen Ruck zu sich zurück.

"Aiden", flüsterte ich weinend, während seine trüben Augen mich langsam fixierten.

"Geh nicht", hauchte er schwach, ohne seine Lippen zu bewegen und folgte mit seinem Blick einer Träne, die sich aus meinem Augenwinkel stahl.

"Ich muss. Ohne Hilfe wirst du das nicht schaffen. Ich kann dicht nicht verlieren Aiden. Bitte nicht."

"Skyla", murmelte er leise und fing mit seinem Daumen meine Träne auf. "Ich bin schon längst verloren."

"Nein! Nein, sag soetwas nicht. Ich werde-"

"Shhh", unterbrach er mich sanft und strich beruhigend über meinen Arm. Verzweifelt suchte ich meine Umgebung nach einem Ausweg oder Hilfe ab, doch außer Bäume, Berge und Wiesen war weit und breit nichts zu sehen.

"Sieh es dir an." Aiden's Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Verwirrt folgte ich seinem Blick, bevor mir seine blutende Brust ins Auge stach. Wie zwei Messer durchstachen eine schneeweiße und eine silberne Feder seine Haut.

Mit aufgerissen Augen stellte ich fest, dass die Feder in Aiden's Brust den Feder hinter meinen Schulterblättern zum verwechseln ähnlich sah und auch die weiße Feder mich an Aiden's Flügel erinnerte.

"Ist das meine- Also deine-", stammelte ich verloren und konnte meinen Blick nicht von der Blutlache unter ihm abwenden, die mir vorher gar nicht aufgefallen war.

"Ja. Unsere Liebe hat mich umgebracht. Das hier ist mein Preis, um dich zu schützen", hauchte er mit einem schwachen Lächeln und mein Herz begann noch schneller gegen meine Rippen zu schlagen.

Schaudernd erinnerte ich mich an die Worte, die Aiden mir in seinem Buch hinterlassen hatte.

Liebe bedeutet nicht nur zu lieben. Liebe bedeutet den anderen zu beschützen, egal was es kosten mag. Ich habe diesen Preis in Kauf genommen, weil du alles bist, was mich am Leben hält.

"Nein! Nein Aiden! Bitte nicht! Bitte geh nicht!" Mit jeder Sekunde geriet ich mehr in Panik und die Verzweiflung breitete sich wie ein Gift in meinem Körper aus.

Ich konnte nicht mehr klar denken und meine Glieder waren wie gelähmt.

Ich sah nur noch ihn.
Unsere Federn in seiner Brust.
Die Leere in seinen Augen.

"Das ist nicht echt! Das ist nicht echt!", redete ich mir selber ein und versuchte wieder zu Verstand zu kommen.

"Das ist nicht die Realität!"

Und warum fühlt es so real an?
Wer weiß schon, wie es ihm wirklich gerade geht? Vielleicht hat Mrs. Niviria bereits die Geduld verloren und ihn umgebracht. Wer weiß, wie lange ich hier schon drin stecke und-

"Verzeih mir. Bitte", stoppte Aiden plötzlich meinen Gedankengang und zog meine ganze Aufmerksamkeit wieder auf sich.

"Ich liebe dich. Oh Gott ich liebe dich so sehr. Ich bin nicht sauer auf dich. Ich hab dir nichts zu verzeihen. Ich hab deine Nachricht gelesen. Ich verstehe jetzt alles. Ich liebe dich. Bitte bleib bei mir. Bitte", schluchzte ich verzweifelt und umklammerte seine kalte Hand mit meiner, in der Hoffnung ihm Wärme spenden und länger bei mir halten zu können.

Ein müdes, zaghaftes Lächeln schlich sich auf seine spröden Lippen.

"Ich werde immer bei dir sein. Hier", flüstert er leise und strich mit seinen Fingern über meine Schläfe. "Und hier", sagte er, während sich seine Hand über mein schreiendes Herz legte.

Ein allerletztes Mal sah er ist tief in die Augen und ließ mich seine ganze Liebe und Hoffnung spüren, bevor seine Hand kraftlos nach unten sank und sein Herz aufhörte zu schlagen.

"Nein. Nein. Nein. Nein", schrie ich verzweifelt und presste mich an seinen leblosen Körper. "Aiden. Bitte nicht. Komm zurück."

Alles war still. Der Wind war verweht. Die Vögel hatten aufgehört zu zwitschern und selbst das Rauschen des Wassers war verstummt.

Man hörte nur mein Wimmern, meine Schreie, mein Schluchzen.

Der Schmerz schien mein Inneres zu zerreißen, als ich mit ansah, wie die schneeweiße Feder in seiner Brust wie eine
Rose verwelkte und von einem sanften Wind zu Staub verweht wurde.

Wie ein tanzendes Laubblatt wurde plötzlich auch die silberne Feder aufgewirbelt und sank Richtung Wasser, bevor sie unter der Oberfläche verschwand.

"Folge ihr", flüsterte eine leise Stimme aus dem Wind in mein Ohr.

Entschlossen riss ich mich zusammen.

Das hier war nur eine meiner Ängste. Nichts hiervon hatte mit der Realität zu tun.
Das alles ist nicht echt!

Ihm ging es bestimmt gut. Es musste ihm einfach gut gehen.

Und was wenn nicht?

"Aiden", hauchte ich leise und legte meine zitternde Hand an sein kühles Gesicht. "Ich weiß nicht, wie es dir gerade geht, aber ich will, dass du weißt, dass ich dich unendlich liebe. Ich weiß nicht, ob du Schmerzen hast, ob du lebst oder sie dich getötet haben. Ich weiß gar nichts. Und das bringt mich um. Ich wünschte ich könnte jetzt bei dir sein, aber ich weiß noch nicht einmal mehr, ob ich hier jemals wieder rauskomme. Ich hatte keine Chance mich von dir zu verabschieden, deswegen möchte ich es hier tun. Ich verzeihe dir. Alles was du getan hast, war nur zu meinem Schutz. Ich habe kein Recht darauf, wütend auf dich zusammen ein und es tut mir so unfassbar schrecklich leid, dass du, Taylor und meine Eltern wegen mir in Gefahr geraten mussten. Ich wünschte ich könnte einfach alles rückgängig machen und Mrs. Niviria die Kehle aufschlitzen, bevor sie-. Bevor sie dir das antun konnte. Ich hab mir immer mehr Abenteuer in meinem Leben gewünscht, aber jetzt weiß ich, dass es nichts besseres gibt, als einen ruhigen Abend mit dir zusammen. Du bist alles, was ich will. Alles, was ich liebe. Und das wird sich niemals ändern. Ich werde dich für immer lieben."

Ein eiskaltes Zittern durchfuhr meinen kompletten Körper, als ich meine Augen schloss und dir Tränen stumm über meine Wangen rollten.

Wie auf einer Kinoleinwand schossen die Bilder von ihm an mir vorbei.

Seine braunen Augen, die vollen Lippen, die   weichen Haare und sein sanftes Lächeln.

Unser erstes Zusammentreffen im Krankenhaus und der erster Kuss im Schulflur.

"Ich liebe dich", raunte er leise, bevor er sich über mich beugte und unsere Lippen aufeinander trafen.

Ich sah, wie er vor mir in seinem kleinen Buch herumkritzelte und mich von dem verbotenen Balkon aus beobachtete.

Ich spürte seine rauen Finger auf meiner Haut und das warme Kribbeln, das seine Berührung in meinem Körper hinterließ.

"Du bist so wunderschön", hauchte er kaum hörbar, bevor er federleichte Küsse entlang meines Schlüsselbeines auf meiner kribbelnden Haut hinterließ. "So wunderschön."

Ich fühlte den Schutz seiner Arme, wenn er mich umarmte und das atemberaubende Gefühl, wenn er mein Herz schneller schlagen ließ.

"Mein Engel", hörte ich seine sanfte Stimme aus einer weiten Entfernung flüstern und klammerte mich an die Erinnerungen, die mich ihn niemals vergessen lassen werden.

"Mein Engel", wiederholte ich seine Worte und ließ einfach los.

Ich ließ zu, dass sich die Energie unter mein Blut mischte und sich das Kribblen von meinen Fingerspitzen aus, bis in meinem gesamten Körper verbreitete.

Tapfer biss ich meine Zähne zusammen, als sich meine Flügel den Weg hinter meinen Schulterblättern her durchkämpfen und schmerzhaft gegen meine Knochen drückten.

Das Ziehen in meiner Brust wurde mit jeder Sekunde unangenehmer und ich krümmte mich stöhnend vor dem Schmerz.

Vergebens versuchte ich an Aiden zu denken und nur das Positive an mich heranzulassen, um die Verwandlung so schnell wie möglich hinter mich zu bringen. Doch es war egal, ob ich meine Augen öffnete oder schloss, ich sah nur seinen leeren Blick und die kalte, blasse Haut vor mir.

Ein spitzer Schrei verließ meine Kehle, als meine Federn sich wie kleine Messerspitzen in meine Haut bohrten und es sich so anfühlte, als würden sie meinen kompletten Rücken aufschlitzen.

Schluchzend biss ich meine Zähne zusammen und konzentrierte mich auf das schwache Energiebündel in meiner Brust.

Ich stellte mir vor, wie es explodierte, durch meinen Körper schoss und mit seiner Kraft die Flügel in ihre Freiheit schob.

Schwer atmend sog ich so viel Luft wie möglich in meine Lunge und versuchte irgendwie Druck auf die Energie auszuüben, damit sie sich endlich löste.

Doch egal, wie sehr ich mich anstrengte, es passierte nichts und nur der Schmerz wurde immer unerträglicher.

Es fühlte sich so an, als würden sich die einzelnen Feder vor meine Schulterblätter schieben und sich anstauen, aber hatten keine Kraft mehr sich den Weg durch meine Haut zu kämpfen.

"Bitte", zischte ich leise und krümmte mich weiter zusammen. "Bitte mach, dass es aufhört."

Verzweifelt stütze ich mich auf meinen Knien ab  und versuchte meinen flachen Atem zu regulieren.

Entschlossen dachte ich an Aiden, Mum, Dad, Taylor, Jasmin und allen anderen, die wohlmöglich wegen mir in Gefahr geraten waren, bevor ich mich aufrichtete und unter unbeschreiblichen Qualen meinen Körper bis auf den letzten Muskel anspannte.

Mein Schrei zerschnitt die beißende Stille und die Vögel flogen Schwarmweise aus den meterhohen Baumkronen.

Erleichtert lachte ich auf, als ich spürte, wie sich das bekannte Kribblen in mir ausbreitete und sich meine Flügel mit einem leises Rauschen entfalteten.

Für einen kurzen Moment schloss ich meine Augen und genoss das freie und leichte Gefühl in meiner Brust, bevor ich unter die Wasseroberfläche glitt und der silber schimmernden Feder folgte, die schon auf mich gewartet zu haben schien.

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