Chapter 52

Mit leisen Schritten schlich ich zwischen den meterhohen Bücherregalen durch und versuchte mithilfe des schwachen Kerzenlichts ein ganz bestimmtes Buch ausfindig zu machen.

Die Bibliothek war menschenleer und ich hatte das Gefühl aus der Dunkelheit heraus von tausenden stummen Augen beobachtet zu werden.

Ich hatte Mühe meine Lunge mit genug Sauerstoff zu füllen und jeder Schritt kostete mich Anstrengung.

"Steddy's Reise, Sterne am Himmel, Sternennacht-", murmelte ich leise vor mich her, während ich die Reihen abging und blieb ehrfürchtig vor einem unscheinbar wirkenden Buch stehen. "Sterne des Morgens."

Das Regal stand ganz am Ende der Bibliothek, angelehnt an eine der riesigen, beigen Wände, die diesen faszinierenden Raum umarmten.

Mein Herz begann heftig gegen meine Brust zu schlagen, als ich meine Hand hob und sie vorsichtig auf das Buch legte.

Mit zitternden Fingern beobachtete ich, wie sich die Buchstaben unter meiner Berührung verschoben und sich in eine neue Reihenfolge zusammensetzten.

"Ahissi di ferdila", las ich die Wörter leise vor und zuckte plötzlich heftig zusammen, als ein Flüstern aus der Dunkelheit um mich herum zu mir drang. Wie ein Echo wiederholte die Stimme meine Wörter.

"Wer ist da?", fragte ich ängstlich, doch ich bekam keine Antwort zurück.

Immer wieder schlichen sich die leisen Wörter zu mir und es kam mir so vor, als würde immer mehr Stimmen auf mich einreden und mit jeder Sekunde lauter werden und näher kommen.

"Hört auf", bat ich die fremden Stimmen und hielt meine Hände angestrengt über meine Ohren, um sie nicht mehr hören zu müssen.

Schmerzerfüllt kniff ich meine Augen zusammen, als mein Hinterkopf anfing im Rhythmus meines Herzens zu pochen und mit jedem Schlag einen unerbittlichen Schmerz durch meinen Kopf jagte.

Plötzlich erlosch das kleine Licht meiner Kerze und ich wurde in vollkommene Dunkelheit gehüllt.

Ich wollte schreien und vor Angst aus der Bibliothek flüchten, doch bevor der Schrei meine Kehle verlassen konnte, entzündete sich die Flamme wieder von alleine und ich stand in einem völlig anderem Raum.

Panisch drehte ich mich um meine eigene Achse und nahm die dicken Steinwände hinter und neben mir war, die mich wie ein Gitter in diesem Käfig einzupferchen schienen.

Vor mir lag eine steinerne Treppe, so tief, dass ich das Ende nicht ganz erkennen konnte.

Mein Herz begann schneller zu pochen, als ich einen Fuß vor den anderen setzte und langsam in die Dunkelheit herunterstieg.

Als ich die letzte Stufe hinter mich gebracht hatte, empfing mich ein kühler Luftzug. Die Luft war dünn und so eisig, dass sich meine Lunge beim einatmen zusammenzog.

Neugierig sah ich mich um.
Meine Umgebung erinnerte mich an einem verlassenen Bahnhof.
Jeweils rechts und links von mir erstreckte sich ein endlos scheinender Tunnel, der in tiefe Schwärze gehüllt war.

Die Gleise hatten schon bessere Zeiten gesehen, genau so wie der restliche Teil dieser Haltestelle.

Eine morsch aussehende Holzbank stand an einer Wand gelehnt, von der sich die einzelnen, gelblichen Kacheln langsam ablösten.

Der Bildschirm des Ticketautomaten flackerte in einem Gewirr aus weißen und grauen Streifen und erfüllte die unheimliche Stille mit einem knackenen Rauschen.

Eine einzelne Glühlampe hing an der Decke und beleuchtete spärlich einen kleinen Kreis über der Bank.

Plötzlich kam ein heftiger Windstoß aus den linken Tunnel und wehte die Zeitungsblätter, die einzelnd auf dem Boden lagen, raschelnd auf.

Plötzlich begann die Lampe im Sekundentakt an und auszugehen.

Erschrocken zuckte ich zusammen und starrte wie gebannt in die undurchdringliche Schwärze.

Ein kaum wahrnehmbares Pfeifen erklang.

Fröstelnd schlung ich meine Hände, um meine nackten Arme.

Was mache ich hier? Ich will hier weg.

Alles in mir stäubte sich danach die Treppen wieder hoch zu rennen und dieses unheimlichen Ort hier ein für alle Mal aus meinem Gedächtnis zu verbannen, aber es reichte nur ein Gedanke aus, um alle diese hoffnungsvollen Gedanken zu Nichte zu machen.

Aiden.

Der Gedanke an ihn gab mir erneuten Mut und Kraft und ich stemmte trotzig meine Beine in die kalten Fliesen.

Meine Gedanken wurden harsch unterbrochen, als ein ohrenbetäubenes Quitschen ertönte.

Stöhnend kniff ich meine Augenbrauen zusammen und presste meine Hände auf meine Ohren, als sich ein heftiger Druck in meinem Hinterkopf aufbaute.

Mein Puls raste in die Höhe, während das Geräusch immer unerträglicher wurde.

Es hörte sich so an, als würde man einen Strange aus Stahl über den Boden schliefen, nur mit einer unfassbaren Geschwindigkeit.

Stahl...

Mein Blick glitt zu den Gleisen, die leicht zu wackeln schienen und bevor ich meinen Gedankengang zuende bringen konnte, schoss ein Objekt aus der Schwärze des Tunnels heraus.

Erschrocken schrie ich auf und kniff meine Augen zusammen, während ich einen Satz nach hinten machte und stolpernd zu Boden fiel.

Schwer atmend wartete ich darauf, dass etwas passierte, aber eine gruselige Stille schien den ganzen Lärm in sich verschlungen zu haben.

Blinzelnd öffnete ich meine Augen und lugte zwischen meinen Armen hindurch, die ich schützend vor mein Gesicht gestreckt hatte.

Auf einmal wurde mir heiß und kalt, als ich den kleinen, unscheinbaren Wagon sah, der direkt vor mir auf den Gleisen zu warten schien.

Kein Fahrer, keine Fenster.

Die Türen waren geöffnet und zeigten, dass Innere des kleinen Abteils, welches mit einem neutralen, weißen Licht ausgefüllt war.

Ungläubig kniff ich meine Augen zusammen und öffnete sie wieder, während mir mein Herz bis zum Hals schlug.

Das muss ein dummer Scherz sein.
Ich hallizuniere! Das wird es sein.

Mein kompletter Körper fuhr erschrocken zusammen, als eine monotone Stimme erklang.

"Bitte einsteigen", knackte es aus einem dumpfen Lautsprecher.

Ich traute mich nicht einmal mehr einzuatmen und starrte wie gebannt in den leeren Wagon.

"Bitte einsteigen.", wiederholte die Stimme und die Panik stieg in mir auf.

Ich schloss meine Augen und horchte für einen kurzen Augenblick in mich hinein.

Reiß dich zusammen Skyla.
Tu es für ihn, für Aiden.
Je länger du brauchst, desto länger muss er diese Qual ertragen.

Ich ließ die kalte Luft noch ein letztes Mal in meine Lunge strömen, bevor ich meine Augen öffnete und mich wieder aufrichtete.

Meine innere Stimme hatte Recht.
Ich musste mich zusammenreißen.

Ich drehte mich noch einmal zu den Stufen herum, die zum Internat zurückführten, bevor ich sie vollständig hinter mir ließ und mich mit zitternden Knien dem Wagon näherte.

Mein Herz begann unkontrolliert zu schlagen, als ich den festen Boden hinter mir ließ und das kleine Abteil betrat.

Mit einem leisen Zischen schlossen sich die Türen hinter mir.

Jetzt war ich gefangen.

Der Lautsprecher begann zu rauschen, bevor die neutrale Stimme wieder zu sprechen begann.

"Hallo, Wesen des Himmels oder der Erde.
Sie haben sich soeben dazu entschieden die Suche nach der goldenen Feder zu beginnen. Sie werden durch zwei Ihrer größten Ängste geführt werden. Wenn Sie es nicht mehr aushalten, müssen Sie nur laut und deutlich schreien: Dare et perdere.
Man wird Sie aus Ihrem Albtraum herausholen. Haben Sie noch Fragen?"

In meine Kopf begann es zu rattern.

Ja, ich hatte Fragen. Um die 1000, aber welche sollte ich zuerst fragen?

"W-Wohin kommt man, wenn man aufgibt?", schrie ich dem schwarzen Lautsprecher in der Ecke entgegen.

"Darauf kann ich ihnen keine Antwort geben. Die Zeit wird knapp. Halten Sie sich nun bitte fest."

Ein immer lauter werdendes Brummen entstand plötzlich unter mir und der Boden begann zu vibrieren. Panisch machte ich einen Satz nach vorne und umfasste gerade noch rechtzeitig eine der silbernen Stangen, bevor der Wagon wie ein Pfeil nach vorne geschossen wurde und ich wegen der hohen Geschwindigkeit gegen die Wand gepresst wurde.

Ich spürte, wie mein Magen sich umzudrehen schien und die Übelkeit meine Kehle hochkroch.

Schwer atmend schloss ich meine Augen und versuchte Ruhe zu bewahren.

Von Sekunde zu Sekunde wurde das Rumoren leiser und der Wagen schien langsamer zu werden, bis er schließlich vollends zum stehen kam.

Vorsichtig öffnete ich meine Augen wieder.

"Ich bitte Sie nun auszusteigen. Viel Glück."

Die Türen würden geöffnet und gaben mir die Sicht auf einen beinahe identisch aussehende Bahnhofstation frei, die sich lediglich von einer Tür unterschied, die nun an der Stelle war, wo sich vorher die Treffe befunden hatte.

Mit langsamen Schritten ging ich auf die dunkle Holztür zu. Sie hatte eine schöne schwarze Farbe, die mit den Jahren ausgeblichen und abgebröckelt zu sein schien.

Der runde Griff trug das Symbol eines Totenkopfes und war aus kaltem Eisen.

Vorsichtig umschloss ich den Totenkopf und drehte ihn ein Stück nach links, bis das Schloss mit einem Knacken nachgab und die Tür mit einem unheimlichen Quitschen aufging. Hinter ihr zeigte sich nichts als bedrohliche Schwärze.

Ein letztens Mal schloss ich meine Augen und horchte tief in mich hinein.

Du schaffst es.
Für deine Eltern.
Für alle Engel.
Für Aiden.

"Für ihn", flüsterte ich leise in mich hinein, bevor ich einen Schritt nach vorne machte und die Tür mit einem lauten Knall hinter mir zu fiel.

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