Chapter 37

Wie verabschiedet man sich, wenn man fortgeht und weiß, dass man es nicht zurück schaffen wird?

Wie bringt man jemanden bei, dass man sterben und bald nicht mehr da sein wird, ohne einen Grund dafür nennen zu können?

Wie war es, den eigenen Todestag zu kennen?

Ich wusste es nicht.

Ich dachte nicht darüber nach.
Ich konnte nicht.

Mein Kopf war wie leergefegt. Die Angst hat sich wie ein Schleier über meine Gedanken und Gefühle gelegt und ruhte wie eine dunkel Wolke über mir.

Gerade, in diesem Augenblick wusste ich nur eins.

Dieser Tag würde mein letzter sein.

Ich war nicht mehr wütend oder verzweifelt, nein. Ich hatte mein Schicksal akzeptiert. Vielmehr war ich dankbar für alles, was ich erleben, lernen und erfahren durfte. Hier, auf der Erde.

Und trotzdem hatte ich Angst.

Angst davor, mein Leben nicht auf das letzte bisschen ausgekostet zu haben.
Angst davor, alles ein letztes Mal zu tun.
Angst davor, was mich erwarten würde.

Aber die größte Angst wartete leise in mir. Tief in meinem Herzen.

Die Angst vor dem Abschied.

Und das Schlimmste an dem ganzen war, dass ich wusste, in der Sekunde in der ich meine Augen aufschlug, dass ich in den nächsten Stunden jeder einzelnen dieser Ängste gegenübertreten musste.

Ich starrte auf die weiße Wand über mir.
Meine Decke hatte ich während des Albtraumes der letzten Nacht irgendwo auf den Boden gestrampelt.
Durch das halb geöffnete Fenster wehte die frische, kühle Morgenluft in mein Zimmer und schmiegte sich um meine angezogenen Beine.

Leise summte ich eine allzubekannte Melodie vor mir her, während eine einzelne Träne aus meinem Augenwinkel rollte.

Es war das Lied, welches mir meine Eltern immer vorgesungen haben, als ich noch ein Kind war. Sie nannten es das Sonnenlied, weil ich immer wie die Sonne gestrahlt hätte, nachdem wir es zusammen gesungen hatten.

Aber diesmal half es nicht. Ich strahlte nicht. Ich lächelte nicht einmal. Ich spürte bloß diese Leere.

So gerne würde ich meine Eltern noch einmal sehen, sie nur noch ein einziges Mal in meine Arme schließen, um ihnen zu sagen, wie sehr ich sie liebte. Ich wollte ihnen für alles danken, was sie mir geschenkt hatten. Ein Leben, eine Familie, ein Zuhause.

"Ich liebe euch Mum und Dad.", flüsterte ich leise, bevor ich meinen Tränen freien Lauf ließ und sie sich ihren Weg über meine kalten Wangen bahnten.
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Zuerst war es bloß ein sanftes Klopfen.
Dann begannen der Regen wie Fäuste gegen das Glas zu hämmern, als würden sie mein Fenster zum zerbrechen bringen wollen.

Ich beobachtete die einzelnen Tropfen, wie sie voller Wucht gegen das kalte Glas geschleudert wurden und dann müde und kraftlos, wie kleine Tränen, nach unten trieben.

Niemand würde die eine mehr von der anderen unterscheiden. Sie waren alle gleich und sie alle teilten ein gemeinsames Schicksal. Vergessenheit und Hilflosigkeit.

Wie aus dem Nichts blitzte ein Bild vor meinem Inneren Auge auf.

Ich befand mich mitten im Ozean. Mit seiner ganzen Macht und Pracht strahlte er die Wassermengen in einem wunderschönen Blau aus. Von oben schien die Sonne mit einem warmen Schein auf mich herab. Unter mir leuchteten Korallen in allen erdenklichen Farben und wurden von bunten, wunderschönen Fischen umgeben.

Ein Lächeln umspielte meine Lippen.

Doch dann wurde meine Aufmerksamkeit von etwas ganz anderem angezogen. Etwas Abseits der Korallen strahlte etwas helles, weißes zu mir. Erst dachte ich, dass es ein Fischschwarm oder auch eine Pflanze sei, aber als ich genauer hinsah, erkannte ich, dass es unzählige Federn waren.

Federn?

Plötzlich erlosch das warme Licht und meine Umgebung wurde in ein fast düsteres Schwarz getaucht. Eine Gänsehaut überzog meinen zitternden Körper.
Unter mir wurden die bunten Korallen durch leblose, kalte Steinbrocken ersetzt.

Und dann sah ich sie.

Engel. Auf dem Meeresgrund verstreut soweit das Auge reichte. Sie alle hatten ihre Augen geschlossen und lagen Reihe an Reihe nebeneinander, während ihre ausgebreiteten Flügel sie wie Gewichte an den Meeresboden ketteten.

Ein Schrei entwich meine Kehle und ich wollte nach oben schwimmen. Weg von hier, weg von diesem grausamen Ort.

Doch ich konnte mich keinen Zentimeter bewegen. Etwas hatte sich um meinen Fuß gekrallt und zog mich mit einem Ruck erbarmungslos in die Richtung der toten Engel.

Panisch versuchte ich mich loszustrampeln, aber es war zwecklos.
Kaltes Wasser strömte in meine Lunge.
Es fühlte sich so an, als würde mein gesamter Körper unter Feuer stehen.

Meine Sicht wurde von Sekunde zu Sekunde unschärfer und meine Lunge zog sich mehr und mehr zusammen.

Und dann, für einen einzigen Augenblick, blickte ich in kalte, giftgrüne Augen, bevor ich zurück in die Realität gerissen wurde.

Schwer atmend schreckte ich auf.
Jeder einzelne Muskel meines Körpers war angespannt, während meine Finger sich tief in das weiße Laken krallten.

Mühsam versuchte ich die Bilder aus meinem Kopf zu verbannen, aber jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, tauchte wieder dieses Bild auf. Das Bild von Hunderten von toten Engeln. Und dann diese grünen, unheimlichen Augen.

Mein Körper begann zu zittern.

Diese Augen waren nicht menschlich.

Und irgendwoher hatte ich das unwohle Gefühl schon bald herauszufinden, zu wem oder viel mehr zu was diese Augen gehörten.

Ein Türklopfen ließ mich zusammenzucken.

"Die Tür ist offen.", sagte ich mit noch immer brüchiger Stimme und versuchte meine Atmung so gut es ging zu kontrollieren.

Keine Sekunde später wurde die Tür geöffnet und Jasmin steckte ihren Kopf um die Ecke.

"Hey Kleine, na alles fit?", rief sie übermütig und ließ sich auf mein Bettende fallen. "Alles okay bei dir? Du siehst ziemlich fertig aus."

"Nur ein Albtraum.", sagte ich und versuchte es so beiläufig wie möglich klingen zu lassen.

Ein Albtraum wäre mir mehr als Recht jetzt. Ich wünschte, dass alles wäre nur ein Traum. Aber so war es nicht. Das hier war die Realität. Und zu meinem Unglück war selbst die Realität ein Albtraum.

"Oh achso, verstehe. Achja, ich bin eigentlich eben nur vorbei gekommen, weil Aiden mich gebeten hat dir zu sagen, dass er am Außentor auf dich wartet. Er hat mir nicht gesagt warum, aber es scheint etwas wichtiges zu sein. Er sah ziemlich ernst aus."

"Danke, dass du mir bescheid gesagt hast.", entgegnte ich und versuchte ein halbes Lächeln zu Stande zu bringen.

"Naja bei dem scheiß Handyverbot muss es ja irgendein Brieftäubchen geben.", lachte sie leise und zwinkerte mir zu.

"Ja, wenn ich nicht nicht hätte.", murmelte ich leise und zog sie in eine feste Umarmung.

Erst war sie etwas überrascht, aber dann legte sie auch ihre Arme um mich und drückte mich fest an ihren kleinen Körper.

"Ich hab dich so lieb Jasmin. Du kannst dir gar nicht vorstellen wie froh ich bin dich hier getroffen zu haben.", flüsterte ich leise, während mir eine Träne über die Wange rollte.

"Oh Liebes, ich hab dich auch ganz doll lieb. Und ich erst. Ohne dich wäre dieses Internat vier Mal so schlimm.", murmelte sie ruhig und strich mit ihrer Hand vorsichtig über meinen Rücken. "Wenn es irgendetwas wegen Aiden ist, dann kannst du jederzeit zu mir kommen und wir können quatschen oder etwas anderes machen, falls du Ablenkung brauchst. Meine Türen sind immer für dich offen Skyla."

"Danke Jasmin. Für alles. Du bist die beste Freundin, der ich je in meinem ganzen Leben begegnet bin. Ich möchte, dass du das niemals vergisst. Versprich es mir."

"Ich verspreche es dir. Und jetzt los. Zack, zack dein Verehrter wartet auf dich.", scheuchte sie mich liebevoll auf.

Schnell wischte ich meine Träne weg, damit sie sie nicht sehen konnte und noch mehr Fragen stellen würde und schnappte mir meinen Schlüssel und meine Jacke.

Ich hatte den Türgriff schon in der Hand, als sie mich noch ein letztes Mal aufhielt.

"Skyla?", fragte sie leise und sah mich aus großen Augen an.

"Ja?", antwortete ich vorsichtig und spürte, wie die Tränen erneut in mir aufkeimten.

"Beste Freunde für immer?"

"Für immer Jasmin. Und noch so viel länger.", flüsterte ich ehrlich und sah in ihre treuen Augen.

Ich ließ meinen Blick ein letztes Mal über ihre unzähligen Sommersprossen, die unbändigbaren Haare, ihre süße Stupsnase und das glückliche Lächeln, welches sie stets auf ihren Lippen trug, gleiten, bevor ich durch die Tür trat und sie hinter mir ins Schloss fallen ließ.

Ich hatte Abschied genommen.
Jetzt musste ich sie hinter mir lassen.

Doch die Erinnerungen an sie und unsere Zeit würde ich zu jederzeit bei mir tragen.

Hier ist das zweite Chapter für diese Woche🌸
Kinda sad tho

Vielleicht freuen sich einige von euch zu hören, dass ich drei weitere Bücher in Planung habe💮

Ich hoffe euch geht es allen gut.

Love, A

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