32. Und alles eskaliert
In diesem Moment spürte ich, wie eine Person hinter mich trat und drehte mich um, nur um direkt in Milans caramellbraune Augen zu blicken.
"Hey, Valerie. Schön, dass du hier bist."
"Hey, Milan. Wie geht's?", antwortete ich und umarmte den großen braunhaarigen Jungen kurz zur Begrüßung.
Als ich ihn wieder losließ, nahm ich wahr, wie sein Blick über meinen Körper glitt, aber er verkniff sich einen Kommentar. Anscheinend hatte er es sich wirklich zu Herzen genommen, dass ich einen Freund hatte und jegliches Flirten unangebracht wäre. Wahrscheinlich hatte auch etwas Angst vor Jase, der ihn mit zusammengezogen Augenbrauen ganz genau musterte - offensichtlich war er auch kein Fan von Milan.
Ich hatte das Gefühl, dass sich eine unangenehme Anspannung zwischen ihm und meinen anderen Freunden ausbreitete, deshalb sagte ich schnell: "Ich glaube, ich habe euch alle untereinander noch gar nicht richtig vorgestellt. Also, das sind Jase, Lucy und Sam und das ist Milan."
Lucy und Sam nickten reichten Milan kurz die Hand, doch Jase beließ es bei einem einfachen Nicken. Jetzt fing er auch schon so wie Dylan an. Ärgerlich funkelte ich ihn an, doch er ließ es einfach an sich abprallen
"Hast du vielleicht Lust, etwas trinken zu gehen?", fragte Milan in diesem Moment und kratzte sich mit einer Hand im Nacken, wie er es immer tat, wenn eine Situation ihn nervös machte.
Gerade als ich zu einer Antwort ansetzen wollte, kam Jase mir dazwischen. "Eine wunderbare Idee, lasst uns alle zur Bar gehen", sagte er an meiner Stelle.
Milan sah für einen Augenblick etwas überfordert aus, doch überspielte seine Unsicherheit schnell mit einem breiten Grinsen. "Klar, ich kenne die besten Drinks hier."
Mir hingegen war jegliches Lächeln vergangen. Es regte mich extrem auf, wie übergriffig Jase sich plötzlich verhielt. Wenn Dylan ihm den Auftrag gegeben hatte, Milan von mir fernzuhalten, dann dürfte er sich nachher aber etwas anhören!
"Dann bin ich aber gespannt auf deine Empfehlung", meinte ich lächelnd zu Milan und folgte ihm zurück in die Küche. Dabei drehte ich mich unauffällig um, um Jase erneut einen bösen Blick zuwerfen. Wenn er jetzt den ganzen Abend meinen Anstands-Wau-Wau spielen würde, dann wäre die Party für mich jetzt schon gelaufen.
Doch Jases Aufmerksamkeit lag gar nicht mehr auf mir, sondern auf seinem Handy, sodass er meinen Blick wieder gar nicht bemerkte. Ich konnte mir nur mit Mühe ein genervtes Augenverdrehen verkneifen und war echt froh, als wir sie Küche endlich erreichten.
Milan verschwand kurz hinter der Bar und kam wenige Sekunden später mit fünf Shotgläsern wieder. Da ich nach dem Drink eben etwas skeptisch geworden war, roch ich erstmal erstmal an der Flüssigkeit. Ein angenehm süßer, fruchtiger Geruch stieg mir in die Nase.
"Was ist das?", fragte ich.
"Erdbeerschnaps, den musst du unbedingt probieren, der ist genial", kam es von Milan zurück und er wirkte wirklich sehr überzeugt dabei.
Also hob ich mein Glas und die anderen stießen bei mir an, um dann in nächsten Moment ihren Shot hinunter zu kippen. Tatsächlich schmeckte der Alkohol echt gut, Milan hatte nicht gelogen.
"Kannst du mir noch einen bringen?" Ich schenkte Milan ein Lächeln, welches er sofort erwiderte.
"Na klar."
Im nächsten Moment war er wieder hinter der Bar verschwunden und Jase trat neben mich. "Was soll das?", flüsterte er mir leise ins Ohr und klang dabei ziemlich angefressen.
"Das gleiche könnte ich dich fragen", zischte ich zurück. "Lass Milan doch einfach in Ruhe, er hat dir nichts getan."
"Nein hat er nicht, aber ich bin mit ziemlich sicher, dass er heute noch gerne etwas mit dir tun würde. Checkst du es nicht, dass er dich so ansieht, als würde er dich am liebsten auffressen? Und dann flirtest du auch noch mit ihm." Jase stieß ein frustrierten Seufzer aus und raufte sich mit einer Hand die Haare. Dabei glitten seine Augen zu Milan, der immer noch an der Bar am hantieren war und wieder zu mir zurück.
Fassungslos erwiderte ich seinen Blick und musste hart schlucken. Seine Vorwürfe trafen mich echt - es war nicht schön, so etwas von einem seiner besten Freunde zu hören. Dabei waren das absolut lächerliche Anschuldigungen, Milan wollte nichts von mir und ich wollte nichts von ihm - das hatten wir geklärt.
"Tue ich gar nicht", erwiderte ich und verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.
"Tust du doch."
Ich wollte gerade noch etwas weiteres erwidern, als Milan mit zwei Shots wiederkam. "Ich wusste jetzt nicht genau, ob ihr anderen auch noch einen wolltet", sagte er unsicher. Jase schien ihn echt ganz schön einzuschüchtern.
"Alles gut", meinte Lucy zum Glück. Sie schien zu merken, dass die Stimmung ziemlich angespannt war und versuchte nun die Lage etwas zu entschärfen. "Jase, ich glaube, ich habe Emma da hinten gesehen."
Ich lächelte sie dankbar an, wenigstens sie stand noch auf meiner Seite. Schließlich wusste sie, dass ich niemals etwas unüberlegtes mit einem anderen Jungen machen würde.
Doch Jase schien sich in diesem Moment gar nicht so sehr für Emma zu interessieren. "Ich gehe gleich zu ihr", winkte er ab und mir entfuhr ein kaum hörbares Seufzen.
Doch ich ging nicht weiter auf ihn ein, sondern stieß mit Milan an und kippte meinen Shot herunter. "Wer hat Lust zu tanzen?", fragte ich dann, denn ich würde mir ganz sicher nicht von Jase den Abend verderben lassen.
Sam und Lucy nickten sofort und so schloss sich auch Jase uns widerwillig an, als wir gemeinsam zur Tanzfläche liefen. Es dröhnte immer noch laute Technomusik aus den Boxen und ich begann mich wie von selbst im Takt zu bewegen. Die anderen taten es mir nach und so wurde die Stimmung von Minute zu Minute ausgelassener, vor allem als Jase sich endlich zurückzog, um Emma zu begrüßen.
Irgendwann gingen aber auch Lucy und Sam an den Rand, um kurz zu verschnaufen, sodass nur noch Milan und ich zusammen am Tanzen waren. Wir bewegten uns locker zu den Beats und Milan legte ein unglaublich Luftgitarren-Solo hin, weshalb ich fast Tränen lachte. Ich war echt froh, dass seine gute Laune nicht durch Jase verdorben war.
"Ich finde es echt cool, dass du heute gekommen bist, auch wenn Dylan nicht mitwollte", rief Milan gegen die Musik und beugte sich dabei etwas zu mir vor, sodass ich ihn besser verstehen konnte.
Ich zuckte mit den Schultern. "Dylan ist nicht so der Fan von Partys, da kann man nichts machen."
"Ist bei euch eigentlich alles wieder in Ordnung? Du hast zwar nicht viel darüber erzählt, aber ich habe natürlich trotzdem mitgekriegt, dass die letzten Wochen echt hart für dich waren", erkundigte sich Milan dann beiläufig.
"Ja ist es, aber lass uns jetzt lieber tanzen, reden kann man hier so schlecht", entgegnete ich mit kratziger Stimme. Morgen würde mein Hals bestimmt heiser sein, vom Schreien gegen die Musik.
"Okay", antwortete Milan lachend und vollführte anschließend ein beeindruckendes Schlagzeugspiel inklusive Hand-bang.
Wir tanzten noch für eine ganze Weile, bis wir richtig ins Schwitzen kamen. Doch dann wurde plötzlich die Technomusik unterbrochen und ein ruhiger Song aufgelegt. "Für unsere Pärchen", rief Alex in sein Mirko.
Milan und ich sahen uns für einen Moment etwas überfordert an und keiner schien so richtig zu wissen, was er jetzt tun sollte, doch dann griff Milan einfach nach meiner Hand und brachte mich in die Haltung zum Standardtanzen. Ich legte meine andere Hand an seinen Arm, während seine andere an meine Seite legte. Doch dann zögerte ich für einen kurzen Moment.
War es okay, wenn ich jetzt mit Milan so tanzte? Oder würde das doch falsche Signale senden? Aber Standardtanzen war ja lange nicht eng umschlungen mit Arsch an Schwanz tanzen, das würde schon kein Problem sein.
Also ließ ich Milan nicht los, sondern ließ mich im Takt der Musik von ihm durch einige Figuren führen. Er war nicht schlecht, dass musste man ihm lassen, aber Dylan war um Längen besser. Trotzdem hatten wir Spaß und ich lächelte glücklich, als das Lied endete.
Bei den wilden Drehungen hatte sich eine Strähne meines Haars in meinem Gesicht an der Haut etwas festgeklebt und als ich sie gerade wegstreichen wollte, kam Milan mir zuvor. Sanft nahm er die Haarsträhne und legte sie hinter mein Ohr, während ich unter dieser unerwarteten Berührung völlig erstarrte.
"Milan, ich-…", wollte ich gerade ansetzen, als meine Worte auch schon durch Milans Lippen auf meinem Mund erstickt wurden.
Für einen kurzen Moment war ich vor Schock unfähig, mich zu regen. Mit weitaufgerissenen Augen ließ ich es über mich ergehen, wie Milan seine Lippen auf meine drückte.
Doch dann sah ich ihn, sah seine Gestalt am Rand der Tanzfläche. Dylan. Er war hier.
Ganz am Rand stand er da und konnte alles ganz genau sehen, ohne zu wissen, wie es dazu gekommen war. Trotz der Entfernung konnte ich den unglaublichen Schmerz in seinen Augen erkennen und sein fassungsloser, am Boden zerstörter Blick brannte sich förmlich in mein Herz hinein.
Voller Wut stieß ich Milan von mir, sodass er sogar ein paar Schritte zurück taumelte. "Was zur Hölle?!", fuhr ich ihn an und funkelte ihn wütend an. "Spinnst du jetzt komplett?"
"Ich… äh, ich.. Es tut mir leid, ich wollte das nicht. Es ist einfach über mich gekommen, ich hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle", stammelte Milan so aufgelöst, dass ich ihm seine Entschuldigung fast abgenommen hätte. Aber nur fast, denn die Wut und Enttäuschung, die ich verspürte waren dafür viel zu groß. Durch seinen Kontrollverlust hatte er alles kaputt gemacht! Wie sollte ich von jetzt an noch mit ihm befreundet bleiben können? Und wie würde ich Dylan das alles erklären?
"Fick dich, Milan!", stieß ich aus und blickte mich dann panisch nach Dylan um, doch er stand nicht mehr an dem Platz von eben.
Bei dem Anblick rutschte mir mein Herz in die Hose, ich musste meinen Freund unbedingt finden und alles aufklären, bevor er etwas Dummes anstellte. So schnell ich konnte, bahnte ich mir einen Weg durch die tanzenden Menschen und stürzte aus der Tür nach draußen.
Dort erblickte ich Dylan, der mit tief ins Gesicht gezogener Kaputze den Fußweg entlanglief. Ich schrie seinen Namen, doch er hörte mich nicht. Allgemein schien es, als würde er nichts und niemanden wahrnehmen, denn er drängelte sich so rücksichtslos durch eine Gruppe neuer Partybesucher, als wären sie gar nicht da. Er war gerade vollkommen durch den Wind, das wusste ich sofort und deshalb musste ich ihn unbedingt einholen, bevor er sein Auto erreichte, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite geparkt war.
So schnell ich konnte, rannte ich los über die glatte Treppe nach unten auf den Fußweg, immer weiter in Dylans Richtung. Dabei schrie ich aus Leibeskräften seinen Namen, doch ich konnte einfach nicht zu ihm vordringen. Oder er wollte nicht, dass ich zu ihm vordrang und ignorierte mich absichtlich, schoss es mir in den Kopf. So verletzt wie er eben ausgesehen hatte, könnte ich mir das tatsächlich vorstellen.
Es trennten mich nur noch fünfzig Meter von Dylan, als er den Bürgersteig verließ, um die Straße zu überqueren und zu seinem Auto zu gelangen. Ich sammelte ein letztes Mal all meine Kräfte, um mein Tempo noch einmal anzuziehen, als ich plötzlich sah, wie ein weißer Lieferwagen mit viel zu hoher Geschwindigkeit die Straße entlangraste.
Ich schrie.
Ich schrie so laut wie ich konnte.
Doch es war zu spät.
Dylan trat genau in dem Moment auf die Straße, als der Lieferwagen ihn passieren wollte. Und dann ging alles ganz schnell.
Ein ohrenbetäubender Knall.
Ein schmerzerfüllter Schrei.
Ein lautes Knacken.
Ohne auch nur den Hauch einer Chance gehabt zu haben, bremsen zu können, bretterte der Lieferwagen über Dylan hinweg, der bei dem Zusammenprall zu Boden gegangen war. Erst viele Meter später kam er zum Stehen.
Ich wollte schreien, doch es verließ kein Geräusch meine Kehle. Es war, als wäre ich plötzlich stumm, als würden meine Stimmbänder versagen.
Unfähig sich loszureißen, hafteten meine Augen auf dem Körper meines Freundes, der in einer gruselig verdrehten Position auf der Straße lag. Rotes Blut tränkte den grauen Asphalt.
Dann rannte ich los. Los zu Dylan, der dort regungslos im Dreck lag. Meine Beine trugen mich, ohne dass ich mich dazu in der Lage fühlen würde, sie bewusst zu steuern, ich war wie in einer Trance. Das einzige, was ich wahrnahm, war mein Freund, der dort auf der Straße lag, alles andere blendete ich vollkommen aus.
Ich wollte mich zu ihm hocken und doch sein Anblick von Nahen war so erschreckend, dass ich mich beinahe übergeben musste. Dylans ganzer Körper war blutüberströmt und man konnte an einigen Stellen genau sehen, welche Knochen gebrochen waren.
Ein lautes Schluchzen erschüttelte meinen Körper als ich in die glasigen Augen meines Freundes blickte.
"Bitte Dylan, du darfst nicht tot sein."
Hey Leute,
ich habe für einen kurzen Moment überlegt, ob ich die Autor's Note weglasse, um die Atmosphäre nicht zu zerstören, aber dann habe ich gedacht, dass ein bisschen Ablenkung vielleicht ganz gut ist. Außerdem habe ich ein paar Sachen zu sagen.
Ich weiß, dass viele von euch wahrscheinlich geschockt sind und mich für dieses Cliffhanger hassen, ich hoffe, ihr könnt mir verzeihen😅💗 Es war echt hart, diese Szene zu schreiben (ich habe zum ersten Mal so richtig geheult lol) und die nächsten Kapitel werden nach härter für mich...
Aber jetzt kommen wir zum schöneren Teil!
Für die, die es noch nicht mitgekriegt haben: The American Mistake wird am 01.07.20 im Wreaders Verlag veröffentlicht und wird ab dann überall im Handel erhältlich sein!🎉
Und ich wollte nochmal ein bisschen Werbung für meinen Adventskalender machen: Meine Kurzgeschichte Blumen im Beton wird jeden Adventssonntag aktualisiert, vielleicht habt ihr ja Lust vorbei zu schauen (oder habt es bereits😏), Flora und Kerim würden sich freuen.
Ansonsten wünsche ich euch eine schöne Woche und bis zum nächsten Mal!💗👋
Eure Amy
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