Ich trinke Wein und weiß Dinge

Zusammengekauert hockte ich auf dem Boden der Umkleide und konnte immer noch nicht fassen, dass er mich einfach hier sitzen gelassen hatte.

Reiß dich zusammen.

Ich blickte mich im Spiegel an, der gegenüber hing und rappelte mich langsam wieder auf. Es wurde mir zu doof, ständig in Selbstmitleid zu versinken, also entschloss ich mich dazu, die schlechten Gefühle einfach herunterzuschlucken. Immer noch auf mein Spiegelbild starrend wischte ich mir entschlossen die restlichen Tränen weg und zog mir dann einen meiner neuen Pullover an. Selinas Bluse ließ ich einfach in der Ecke liegen und nahm nur meine Tüten in die Hand, um mit einem mulmigen Gefühl den Laden zu verlassen.

Verwirrt versuchte ich mich draußen zu orientieren, aber wie sollte man sich zurechtfinden, an einem fremden Ort, erst recht wenn es schon langsam dunkel wurde und nur noch wenige Menschen unterwegs waren. Während ich die Straße entlangschlenderte und mich nach dem Rudelhaus umschaute, begannen auch schon die Laternen anzuspringen und gaben mir damit ein wenig Sicherheit zurück.

Unerwartet entdeckte ich plötzlich unter einer der Laternen eine Telefonzelle und rannte hektisch auf sie zu. Es brauchte einen kurzen Augenblick, bis mir bewusst wurde, dass ich nicht einen Cent besaß. Peinlich berührt fragte ich dann einen älteren kleinen Herren nach Kleingeld, der als Einziger noch unterwegs war und stark nach Alkohol roch. Belustigt gab er mir welches und lief dann lachend weiter. Ich schaute ihm noch kurz hinterher und dachte nur, dass er vermutlich betrunken sein musste.

Schnell rannte ich zurück zur Telefonzelle und griff aufgeregt nach dem Hörer, um mich dann vor lauter Zittern ein paar Male zu vertippen. Schlussendlich schaffte ich es und wippte aufgeregt hoch und runter, während ich darauf wartete, dass mein Vater endlich abheben würde.

"Hallo?"

"Dad!"

"Alicia! Gott sei dank meldest du dich. Nach dem letzten Telefonat wusste ich nicht, ob ich dich je wieder hören würde. Geht es dir gut?"

"Ja, alles ist gut! Ich mache mir aber Sorgen um dich!"

"Um mich? Wieso denn um mich?"

"Naja, du bist jetzt alleine und ich wusste nicht, wie du das alles verkraften würdest."

"Meine Kleine. Natürlich bricht es mir mein Herz, dass du nicht mehr bei mir bist, aber so ist das nunmal, wenn man seinen Seelenverwandten findet. Solange er gut mir dir umgeht, geht es mir auch gut. Weißt du, deine Mum und ich hatten keine Mateverbindung und trotzdem war unsere Liebe größer als alles andere. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie groß seine Gefühle für dich sind."

Mir stockte kurz der Atem, denn ich erkannte, dass er Recht hatte. Killian war ein richtiger Werwolf und kein Mischling wie ich. Meine Anziehungskraft auf ihn musste meine vollkommen in den Schatten stellen und ich Egoistin, dachte dabei immer nur an mich.

"Bist du noch dran, Alicia?"

"Ja, ich habe nur über deine Worte nachgedacht."

"Kleines, du bist die schlauste Person, die ich kenne. Auch wenn du schüchtern bist, liegt wahre Größe in dir. Sag ihm, was du möchtest und was nicht. Du wirst ihn um den Finger wickeln, das weiß ich. In deinen Händen wird aus dem Alpha ein kleiner Schoßhund."

Sein herzhaftes Lachen brachte auch mir ein Schmunzeln aufs Gesicht.

"Du hast ja Recht. Ich muss mich der Verbindung stellen und mit ihm reden. Ich rufe dich bald wieder an. Ich liebe dich, Dad."

"Ich dich auch. Ich warte auf deinen Anruf."

Erleichtert über das Telefonat hing ich den Hörer ein und dachte noch kurz über das Gesagte nach. Killian war zwar grob, aber ich war mir sicher, dass ich mit ihm über meine Wünsche und Vorstellungen reden konnte. Ich kannte Alphas, die hätten die Markierung einfach durchgezogen, doch er wandte sich ab und verschwand, also steckte doch etwas in ihm, das Rücksicht auf mich nahm.

"Junge Frau!", rief plötzlich jemand hinter mir und irritiert drehte ich mich in die Richtung eines kleinen Parks, an dem mehrere Bänke angrenzten. Der angetrunkene Herr zeigte erst auf mich und dann auf den freien Platz neben sich. Ein mulmiges Gefühl hatte ich schon dabei, mich zu ihm zu setzen, aber er hatte mir dieses wichtige Gespräch ermöglicht und ich wollte nicht unhöflich sein.

Langsam, ohne den Blick von seinem zu lösen, ließ ich mich neben ihm nieder und wartete darauf, was er zu sagen hatte.
"Und, alles geregelt?", fragte er und zog dabei neugierig eine Augenbraue hoch.
"Ja! Vielen Dank nochmal für Ihre Hilfe dabei", lächelte ich ihm schüchtern entgegen und bekam ein flüchtiges Lächeln zurück, bis er sich dann abwandte und geradeaus in den dunkeln Park starrte.

"Ich bin hier aufgewachsen und kenne jedes einzelne Gesicht. Doch dich habe ich noch nie gesehen. Entweder bist du nur zu Besuch, oder aber die Mate von jemandem."
Wartend auf meine Antwort blickte er wieder zu mir herüber, doch jetzt wich ich seinem Blick aus und schaute hoch zum Mond, der von vielen Sternen umgeben war.

"Mate von jemandem."
"Und glücklich darüber?"
"Das weiß ich noch nicht genau."

Sein Blick schweifte wieder ins Leere, während ich ihn heimlich musterte. Er war klein, sogar ein bisschen kleiner als ich. Falten übersäten seine dunkle Haut und auch kleine, feine Narben konnte ich in seinem Gesicht erkennen. Die dunkelblonden Haare fielen ihm verwuschelt bis in den Nacken und die Kleidung, die er trug, sah so alt aus, als hätte er sie sein ganzes Leben lang getragen. Das braun-weiß karierte Hemd hatte er ordentlich in die Hose gesteckt und seinen Gehstock hielt er fest zwischen den Händen, über den ich mich aber wunderte, denn er sah noch zu fit aus für ihn.

"Eine Verletzung am Bein. Ich kann auch ohne laufen, aber es kostet mich mehr Anstrengung", teilte er mir mit und sofort starrte ich peinlich berührt in die andere Richtung. Es war mir unangenehm, dass er mich beim Mustern erwischt hatte.

"Entschuldigung. Es geht mich überhaupt nichts an", murmelte ich leise.
"Es ist keine spannende Geschichte. Das übliche eben. Eine Frau und zwei Männer." Er lächelte zwar, doch atmete so tief durch, als würde ihn das alles immer noch bedrücken.

"Und für Sie ist die Geschichte gut ausgegangen?"
"Ach Kindchen, ich habe diese Frau geliebt, mit jeder Zelle meines Körpers. Selbst als ihr Mate auftauchte, kämpfte ich um sie und unsere Liebe. Es hatte aber keinen Zweck. Unsere Zeit war zu Ende, doch die Liebe zwischen und erlosch nie. Sie ist schon vor Jahren von uns gegangen. Es brach mir das Herz."

Mir wurde schmerzhaft bewusst, wieso er so nach Alkohol roch und auch, woher er so viele Sorgenfalten hatte. Mit einem bitteren Beigeschmack schluckte ich seine Geschichte runter. Genau wie mein Vater hatte dieser Mann die Liebe seines Lebens verloren. Voller Bedauern legte ich meine Hand auf seinen Schoß, auf die er sofort seine legte und meine leicht drückte. Schlagartig konnte ich es nicht mehr zurückhalten und fing an zu weinen, obwohl ich krampfhaft versuchte, mich zusammenzureißen. Ihn überraschte mein Gefühlsausbruch, mich aber nicht. Ich war schon immer so, dass ich viel weinte, egal ob bei Filmen, Büchern oder auch über reale Katastrophen. Vielen ging das auf die Nerven, aber so war ich nunmal.

"Nanana. Wer wird denn da weinen. Dein junges Gesicht sollte strahlen vor Glück und nicht weinen vor Verbitterung. Es ist alles schon lange her." Er tätschelte liebevoll meine Hand und reichte mir mit der anderen ein Taschentuch. Dankend nahm ich es an und wischte mir meine Tränen weg. Als ich ihm dann wieder in die Augen schaute, veränderte sich sein Blick plötzlich.

"Lass dir nichts gefallen! Du bist eine starke Frau. Versprich mir das", flüsterte er und sah mir bestimmend in die Augen, doch ehe ich verstand, was er mir sagen wollte, wurde ich ruckartig ein Stück von ihm weg gerissen.

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