Kapitel 24
Sterben ist unumgänglich.
Irgendwann, werden wir alle sterben. Wenn wir Glück haben, geht unser Leben vorüber, wenn wir alt sind und die besten und schlimmsten Erfahrungen gemacht haben, wir den Tod mit offenen Armen begrüßen.
Aber nicht alle von uns können von so einem Glück reden.
Denn manchmal kommt der Tod unerwartet und unerwünscht und so überraschend, dass es sich anfühlt wie ein Schlag ins Gesicht. Wir sind Menschen. Wir sind zum Sterben gemacht.
Und dennoch bin ich naiv genug, um zu glauben, dass meine Liebsten vom Tod verschont bleiben, bis ich selbst sterben werde. Es ist ein dummer Gedanke, denn die Wahrscheinlichkeit, dass alle Menschen in meinem Freundes- und Bekanntenkreis mich überleben werden, ist unheimlich gering, wenn man bedenkt, dass ich ein völlig gesunder Teenager bin. Bis auf meinen Schlafmangel vielleicht.
Ich bin der Ansicht, dass die Tatsache, dass wir dazu in der Lage sind, nicht ständig an den Tod und das Sterben der Leute um uns zu denken, ein Geschenk des Himmels ist. Was wäre das für ein Leben, wenn wir uns fortwährend darum sorgen müssten?
Aber selbst wenn auch nur einer von uns gelegentlich an den Tod gedacht hätte, dann wären wir kein bisschen mehr darauf vorbereitet gewesen. Und letztendlich ist das das Furchterregendste am Sterben. Denn eine Vorwarnung ist meist nicht mit inbegriffen.
•••
Es ist Mittwoch, und ich sitze zu Tode gelangweilt in meinem Calculuskurs, als Megan auf einmal mit ihren langen, dünnen Fingern nach meinem Arm greift. Ich schrecke auf aus meinem verträumten Zustand und werfe ihr einen fragenden Blick zu.
Aber sie sieht mich nicht an, ihr Blick ist starr auf ihren Tisch gerichtet. Sie beginnt zu keuchen und schnappt nach Luft, als würde sie nicht atmen können. Können Werwölfe Asthmaanfälle bekommen?
"Megan?", frage ich besorgt. "Alles in Ordnung?"
Sie antwortet mir nicht. Ich lehne mich leicht zu ihr rüber und schüttele sie vorsichtig an der Schulter.
Keine Reaktion.
"Megan?", frage ich erneut und etwas lauter, irrationaler Weise hoffend, dass sie mich einfach überhört hat. Als ich von ihr immer noch kein Zeichen der Fähigkeit zur Kommunikation mit ihrer Umwelt bekomme, drehe ich mich verwirrt und besorgt zu Jared, der in der Reihe hinter uns sitzt.
Zu meinem Entsetzen scheint er in einem ähnlichen Zustand wie Megan zu verweilen. Er ist leichenblass und zittert. Alle paar Sekunden gibt er eine Art schmerzliches Grunzen von sich und als ich seinen Namen flüstere, ignoriert er mich genauso wie Megan.
Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Was geht hier vor sich?
Panisch wirbele ich herum und sehe zu Sierra. Tränen kullern über ihre Wangen. Ich rüttele leicht an ihrem Arm und glücklicherweise nimmt sie mich war.
Wie ihn Zeitlupe dreht sich ihr ganzer Körper in meine Richtung und ich setze an, sie zu bitten, mir zu erklären, was hier gerade passiert, aber mir stockt der Atem, als ich in ihre Augen blicke.
Sie sind so dunkel, und so leer, überfüllt mit Tränen, die ununterbrochen über ihr Gesicht laufen. Mein Herz hört gefühlt für zehn Sekunden auf zu schlagen, als die Leere in ihren Augen zu mir herüber strömt und sich in meiner Brust fest setzt. Als hätte mir jemand in den Magen geschlagen, ich fühle mich wie gelähmt.
Megans Griff um mein Handgelenk verstärkt sich, und sie fängt an mir ernsthaft wehzutun, weshalb ich erneut aufschrecke und versuche, ihre verkrampften Finger von mir zu lösen. Ich könnte schwören, dass ich ein leises Knacken höre, als sie ein letztes Mal fest zudrückt und mich dann endlich loslässt.
Für einen kurzen, stillen Moment reibe ich mein pochendes Handgelenk. Doch dann vernehme ich einen Ton, bei dem sich alle meine Nackenhaare aufstellen.
Sie schreit.
Megans Hände vergraben sich in ihren Haaren und sie schreit. So laut und schrill, wie ich es in meinem Leben noch nicht gehört habe. Als stände sie dem Tod höchst persönlich gegenüber. Mir gefriert das Blut in den Adern.
Niemand rührt sich, nicht einmal unsere Lehrerin, als Megans ohrenbetäubender Schrei durch den Raum schallt.
Ihre Augen sind fest zusammen gekniffen, aber es ist offensichtlich, dass sie weint.
Ich bin wie versteinert und in diesem Augenblick wünsche ich mir nichts mehr, als Megan in irgendeiner Art und Weise helfen zu können. Aber stattdessen sitze ich an den Seitenlinien, wie ein Zuschauer von einem Film.
Es ist seltsam nostalgisch und ich fühle mich wie vor ein paar Monaten, als ich noch neu im Pack war. Ich verabscheue, wie ausgeschlossen ich bin. Alle Werwölfe scheinen zu wissen, dass etwas, vermutlich Schreckliches, passiert ist oder vielleicht sogar gerade mit Megan passiert und ich sitze daneben und schaue zu. Unfähig zu helfen. Nutzlos.
Und dabei soll ich doch bald Luna werden! Müsste ich dann nicht eigentlich die Erste sein, die überhaupt irgendetwas mitbekommt und dann diejenige, die Megan aus ihrer Hysterie befreit und die anderen anleitet, was als Nächstes zu tun ist?
Miss Mayher hat sich mittlerweile vor Megans Platz auf den Boden gekniet und versucht, beruhigend auf siebeinzureden, allerdings ist es ziemlich unüberhörbar, dass sie mental ganz woanders ist.
Ich krame schnell mein Handy hervor und will gerade Trent anrufen, um ihn zu fragen, was zur Hölle passiert ist und was ich jetzt tun soll, als die Tür zum Klassenzimmer ruckartig aufspringt, mit einem lauten Knall gegen die Wand prallt und dabei fast aus den Angeln gerissen wird.
Jeremy und Rick stehen im Türrahmen, und sehen beide genauso mitgenommen aus wie die drei anderen Werwölfe im Raum. Ein strenger Geruch weht vom Gang ins Zimmer. Ich bin mir ziemlich sicher, dass einer der beiden sich gerade übergeben hat. Geht hier eine Art Werwolfkrankheit um, oder was?
Sie sehen uns wortlos an und wieder fühle ich mich wie ein Zuschauer, als eine laut schluchzende Sierra von ihrem Platz zu meiner Rechten aufsteht und mit wackeligen Beinen auf Megan zu geht.
"Es ist okay, Megan, komm schon", flüstert Sierra mit zitternder Stimme.
Mit einem gezielten Ruck entfernt sie Megans Hände aus ihren Haaren und zieht sie auf die Tür zu. Jeremy kümmert sich gleichzeitig um Jared und bewegt ihn ebenfalls zum Ausgang.
"Hey! Sierra! Was machen Sie denn da? Lassen Sie das arme Mädchen los!", ruft Miss Mayher, aber bevor sie zu Ende gesprochen hat, sind sie alle schon längst im Flur verschwunden.
Ohne mich. Ohne mich auch nur ein einziges Mal anzusehen. Oder mich aufzufordern, ihnen zu folgen. Oder mir mitzuteilen, was los ist. Wie ein Fisch klappt meine Kinnlade auf und zu, denn ich weiß allen Ernstes nicht, wie ich darauf und überhaupt auf die vergangenen zehn Minuten reagieren soll. Soll ich aufstehen und ihnen hinterhergehen? Oder haben sie mich bewusst zurück gelassen? Ist es vielleicht gefährlich für Menschen, wo auch immer sie gerade hingehen?
Miss Mayhers erstaunter Blick wandert nun zu mir und sie fragt mich: "Ja was war das denn? Und wo sind die denn hingegangen?"
Ich zucke mit den Achseln und wispere: "K-keine Ahnung." Meine Stimme bricht und ich selbst würde jetzt gerne anfangen zu schluchzen, weil das Gefühlschaos in meiner Brust sich nicht mehr beruhigen lässt. Ich bin verdammt irritiert, besorgt, verletzt, aber am meisten bin ich emotional vollkommen überwältigt.
Meine Mitschüler fangen an zu kichern und zu flüstern, während Miss Mayher sich lautstark über das respektlose Benehmen meines Packs beklagt. Ich packe schockiert meine Sachen in meine Tasche und mache mich auch auf den Weg zum Parkplatz, obwohl die Stunde noch nicht vorbei ist. Ich werde dafür wahrscheinlich Nachsitzen kassieren, aber das ist mir herzlich egal. Auch als Miss Mayher beginnt, mich anzubrüllen, dass ich mich doch gefälligst wieder auf meinen Platz begeben solle. Ich ignoriere sie einfach und marschiere entschlossen durch den Gang.
(Ich hatte übrigens Recht. Da ist wirklich Erbrochenes im Flur.)
Denn so lasse ich als zukünftige Luna nicht mit mir herum springen. Wenn irgendetwas passiert ist, dann sollte eingeweiht werden. Ist Megan auf einmal unter die psychisch kranken gegangen? Was ist wenn etwas mit Trent nicht stimmt? Und sie das alle gerade über den Packlink mitbekommen haben?
Der Gedanke allein heizt meine Beine an, sich schneller zu bewegen. Mein Herz rast in meiner Brust, als ich das Schulgebäude verlasse und auf Megans üblichen Parkplatz zu stürme.
Ihr Auto steht da und auch Jeremys Wagen ist unberührt auf seinem Standardplatz. Ich runzele die Stirn. Seltsam. Ich weiß auch ganz ehrlich nicht, was ich mir erhofft habe, als ich auf den Parkplatz gerannt bin, weil ich ja eigentlich damit gerechnet habe, dass meine Freunde sich schon längst auf den Weg zu ihren Alphas gemacht hätten, aber ihre Autos stehen hier. Und meine Freunde sind weg.
Ohne Anhaltspunkt laufe ich wieder zurück zur Schule und irre für mindestens eine halbe Stunde durch die Korridore und schaue in jede Toilette, immer vorsichtig, damit mich keiner der patrouillierenden Lehrer erwischt und ich das Nachsitzen dann doch eher früher bekomme als später. Aber nirgendwo lässt sich mein Pack auffinden und als ich nun schon zum dritten Mal am Haupteingang vorbei laufe, gebe ich es endlich auf. Enttäuscht setze ich mich vor der Schule auf die Bordsteinkante und zücke mein Handy.
Ich rufe Trent an, mehrmals, aber er geht nicht dran, versuche das gleiche bei Sierra und Jeremy, ohne Erfolg, und als ich auch von all meinen anderen Freunden erbarmungslos ignoriert werde, gebe ich auch das auf und warte einfach bis die letzte Stunde offiziell zu Ende ist. Ich komme mir ein bisschen erbärmlich vor, sie alle so verzweifelt anzurufen, aber das Gefühl der Sorge in meiner Brust wird von einem vergeblichen Anruf zu der nächsten ungelesen SMS immer größer.
Ich steige in meinen Schulbus ein, als Massen von Mitschülern aus dem Gebäude strömen. Ich drücke mir meine Kopfhörer in die Ohren und lasse meinen Kopf gegen die Fensterscheibe sinken.
Irgendwie muss ich zum Packhouse kommen. Aber meine Eltern sind beide noch arbeiten, also kann ich definitiv kein Auto von ihnen fahren. Und ich habe weder Megans noch Jeremys Autoschlüssel, sonst würde ich mir einfach deren Auto ausleihen.
Erst als wir am Eingang zu dem Pfad im Wald, der zum Packhouse führt, vorbeifahren, wird mir klar, dass ich wohl oder über zu Fuß gehen muss. Ich steige also zwei Haltestellen früher aus und mache ich auf den Weg, wohl wissend, dass ich wahrscheinlich mindestens ein bis zwei Stunden unterwegs sein werde. Aber mir schließlich keine andere Wahl. Es könnte wer weiß was passiert sein.
Ich marschiere ein wenig betrübt los, erlange allerdings neue Motivation, als ich meine Lieblingsplaylist abspiele. Der Pfad ist an einigen Stellen matschig, weil es erst vor kurzem geregnet hat und meine Sneakers kann ich bestimmt nach dieser Aktion erstmal in die Tonne kloppen, aber das ist mir gerade so egal wie noch nie.
Ich versuche zwischendurch noch ein paar Mal, meinen Mate zu erreichen, aber werde direkt zur Mailbox geleitet. Na super. Ich stelle den Energiesparmodus in meinem Handy ein, denn wenn mir jetzt auch noch meine Musik ausgeht, dann wäre das wirklich der schlimmste Tag in meinem Leben. Seit gestern.
Ich versuche mir nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, was in meinem Pack vorgefallen ist und treibe mich selbst an, ein bisschen schneller durch den Schlamm zu stapfen.
Plötzlich bewegt sich etwas dunkles in meinem Augenwinkel.
Blitzschnell drehe ich mich um. Mein Herz rast. Mit zusammengekniffenen Augen versuche ich etwas im dichten Unterholz des Waldes zu erkennen, aber was auch immer gerade an mir vorbei gehuscht ist, ist längst nicht mehr zu sehen. Vielleicht war es auch nur Einbildung. Oder ein Vogel. Bestimmt nichts gefährliches, nicht so nah an der Residenz von Hunderten von räuberischen Werwölfen.
Trotzdem fange ich leicht an zu joggen, je schneller ich das Packhouse erreiche, desto besser.
Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich es endlich geschafft und erreiche mein Ziel. Mir ist kalt und ich bin müde, aber zur gleichen Zeit bin ich unheimlich angespannt. Sofort fällt mir auf, dass mehrere Autos unordentlich vor dem Haus geparkt worden sind, so als hätten die Besitzer es eilig gehabt, möglichst schnell ins Haus zu gelangen. Außerdem ist es ungewöhnlich still, fast als ob niemand anwesend wäre.
Ich schlucke schwer und öffne die Haustür. Einige mir unbekannte Gesichter wenden sich mir zu, als ich zögerlich herein trete. Alle sehen niedergeschlagen aus, mit teils getrockneten und teils frischen Tränen im Gesicht. Ich wage es nicht, die verdrießliche Stille zu unterbrechen und ziehe schnell meine verschlammten Schuhe aus, damit nachher nicht noch jemand den ganzen Dreck aus dem Teppich putzen muss.
Je weiter ich mich dem Gemeinschaftsraum im Erdgeschoss nähere, desto mehr Werwölfe stehen weinend im Gang, einige in fester Umarmung mit anderen, und andere schluchzend auf dem Boden sitzend. Ich versuche so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erregen, während sich ein dicker Klos in meinem Hals fest setzt.
Was ist, wenn etwas mit Trent passiert ist? Ist er verletzt? Wurde er entführt? Oder ist er einfach verschwunden?
Mein Herz rast und ich nehme alles nur noch verschwommen wahr. Trent. Das ist mein einziger Gedanke. Ich schiebe mich an mehr und mehr trauernden Menschen vorbei.
Ich habe das Gefühl, mit jedem Atemzug weniger Sauerstoff aufzunehmen. Ängstlich will ich die nächste Tür aufstoßen, aber ein breiter Mann mit kinnlangen grauen Haaren stellt sich in meinen Weg.
"Tut mir Leid, Luna, aber die Whitemore Familie hat darum gebeten in Ruhe zu trauern", sagt er staubtrocken und nicht im geringsten hört er sich entschuldigend an.
Trent. Ist er etwa...?
Ich fühle mein Herz zerbrechen und ich wäre beinahe nach hinten umgekippt, hätte der Mann mich nicht am Oberarm nach vorne gezogen und mir meine Balance zurück gegeben.
"Trent!", krächze ich. "W-wo ist Trent?"
Als er mir nicht antwortet, kralle ich meine Hände in sein T-Shirt und schreie ihm ins Gesicht: "Wo zur Hölle ist Trent?"
Mit einem überheblichen Blick nimmt er beide meine Handgelenke in einer seine Hände und zieht sie aus seinem Oberteil. Das Material gibt ein zerreißartiges Geräusch von sich. Der Mann drückt fester zu, auf die gleiche Stelle, an der Megan mir heute morgen fast den Arm zerquetscht hat, und ich lasse mit einem verschmerzten Zischen los. Dann nickt er auf die Tür hinter sich zu und im selben Augenblick wird sie von innen geöffnet.
Jared tritt hervor und führt mich an meinem unversehrten Handgelenk zum Missvergnügen des Mannes in den Raum hinein.
Und den Anblick, der sich mir bietet, werde ich in meinem Leben nicht vergessen.
Trents Vater Preston liegt reglos auf einem Tisch in der Mitte des Zimmers. Überall um ihn herum ist Blut, das vom Tisch auf den Boden tropft. Eine klaffende Wunde in seiner Brust lässt biss auf seine Rippen und seine Lunge blicken. Mir wird schlecht. Seine Augen sind geschlossen und seine leblose rechte Hand wird gehalten von einem anderen Paar von blutverschmierten Händen. Melissa sitzt an seiner Seite, rote Flecken an all ihren Kleidungsstücken, und sie scheint etwas vor sich hin zu murmeln, als sie die tote Hand ihres Mates mit sanften Lippen küsst.
An ihrer rechten und linken Schulter stehen ein Mann und eine Frau, die ebenfalls eine Art Gebet zu sprechen scheinen. Das müssen wohl die Betas der Whitemores sein.
Cheryl sitzt verweint an der Wand, ihre Haare einem Vogelnest gleichend, während Megan ihr beruhigend über die Schläfe streichelt und sie sich an ihrer Schulter anlehnt. Sie hat leichten Schluckauf, aber jedes Mal, wenn sie hickst, wird der Raum von einem Erdbeben erfasst, so leise ist es.
Mein Blick schweift panisch umher bis sie endlich auf meinem Mate landen und mir trotz des verstörenden Anblicks ein Stein vom Herzen fällt. Er lebt.
Ohne Oberteil steht an einem Fenster und betrachtet grimmig den Waldrand in der Dämmerung. Er ist verletzt und ebenfalls bedeckt mit Blut. Eine tiefe Krallenwunde prangert an seinem Rücken, aber ich kann praktisch hören, wie sie von selbst heilt, wenn auch langsam. Eine blutige Wunde direkt über seinem Auge dreht mir den Magen um, aber Trent zeigt keine Anzeichen von Schmerzen. Oder Sorge um seine Wunden.
Er steht einfach nur da und guckt aus dem Fenster. Er reagiert nicht einmal auf meine Anwesenheit.
Ich blicke wieder zu Preston und ein paar Tränen kullern über meine Wangen. Ich kannte ihn nicht besonders gut, um ganz ehrlich zu sein, aber er war ein guter Mann. Außerdem haben alle Werwölfe hier heute ihren Alpha verloren. Und diesen tiefen Schmerz kann sogar ich spüren.
"Was ist passiert?", frage ich leise, aber ich erwarte nicht wirklich eine Antwort. Ich bekomme sie auch nicht. Es ist offensichtlich, dass Trent und Preston angegriffen worden sind, und Preston es nicht überlebt hat.
Trent macht ein seltsam grunzendes Geräusch und er fängt leise an zu schluchzen. Instinktiv gehe ich auf ihn zu und lege ihm behutsam die Hand auf den Rücken, über seiner Wunde, aber er dreht sich in die andere Richtung und läuft aus dem Zimmer hinaus nach draußen und in den Wald.
Ich versuche mir nicht anmerken zu lassen, wie sehr mir seine Zurückweisung wehtut, denn jeder trauert auf seine eigene Art und Weise. Es geht gegen alles, was ich über Trent weiß und wie er sich sonst verhält. Aber wenn ich nur einer einzigen Person helfen könnte, nein, wenn ich bloß Trent helfen könnte, wäre mein Herz vielleicht nicht so schwer. Vielleicht würde ich mich nicht so fühlen, als wäre ich vollkommen überflüssig. Zerbrechlich und hilflos. Während mein Mate qualvoll leidet und ich daneben stehe und nichts dagegen tun kann.
Ich lasse mich neben Cheryl nieder und greife nach einer ihrer Hände, um wenigstens ihr moralische Unterstützung geben zu können. Kaum habe ich mich hingesetzt, da hat sie sich schon halb auf mich geworfen und mein Nacken wird benetzt von ihren Tränen. Ich drücke sie so fest an mich wie ich kann und ziehe mit der anderen Hand Megan in unsere Umarmung mit hinein. Sie schlingt beide Arme um mich und Cheryl und so sitzen und weinen wir dann da, auf dem Boden, neben dem toten Körper ihres Alphas, bis es draußen stockfinster ist.
Als der Mond aufgeht, begeben sich alle trauernden Werwölfe nach draußen und verwandeln sich in ihre Wolfform. Bis auf mich selbst und ein paar andere menschliche Mates ist das Packhouse leergefegt. Die Wölfe heulen stundenlang den Mond an, die Trauer deutlich herauszuhören.
Es bringt mich zum Weinen, ihnen dabei zuzuhören, wie sie sich von ihrem Alpha verabschieden. Die Verbundenheit zwischen Alpha und Rudel geht tief und ich weiß, dass sie alle einen Teil von sich verloren haben.
Ich sitze auf den Stufen der Veranda und schaue ihnen bis mitten in die Nacht hinein zu. Es ist herzzerreißend, wie sehr sie trauen und sich gegenseitig trösten, als viele von ihnen irgendwann erschöpft in einem riesigen Haufen aus Wölfen einschlafen. Andere kehren zurück ins Packhouse.
Seltsamerweise stupsen sie mich alle mit ihren Schnauzen an, kurz bevor sie wieder ihre menschliche Form annehmen, und manche schmiegen sich sogar richtig an mich und erwarten, dass ich ihnen den Hals kraule.Ich bin total verwirrt bis Jeremy, bekleidet mit einer knappen Hose, aus dem Haus heraus kommt.
"Hey", sagt er heiser und ich wirbele herum und ziehe ihn in eine feste Umarmung.
"Hey", flüstere ich zurück. Für einen Moment stehen wir schweigend nebeneinander und schauen in die Nacht. Er leidet mindestens genauso sehr wie alle anderen, und ich möchte ihn trösten, ich weiß bloß nicht wie. Aus meiner Familie ist fast noch nie jemand gestorben, zum Glück, aber selbst wenn, dann könnte ich immer noch nicht nachvollziehen, wie sich das Pack jetzt gerade fühlen muss.
"Das wird bald zur Gewohnheit werden", sagt er und lächelt mich leicht an.
Ich runzele die Stirn. "Huh?" Er meint doch nicht das Sterben von Alphas, oder? Oder das Trauern des Rudels?
Er legt einen Arm um meine Schultern und erklärt: "Dass das Pack bei dir, ihrer Luna, Trost suchen wird."
Ich were ihm einen fragenden Blick zu. "Aber Melissa ist doch noch ihre Luna? Nur weil Preston..." Ich will den Satz nicht beenden.
Jeremy lässt seinen Blick schweifen und schluckt seinen Klos der Trauer herunter. Dann antwortet er: "Trent ist automatisch als neuer Alpha nachgerückt. Und das macht dich zur offiziellen Luna. Hätte Trent dich noch nicht gefunden, dann wäre es tatsächlich noch Melissa, aber da dass nicht der Fall ist, bist du jetzt wohl öffentlich anerkannt im Dienst."
Er versucht mich frech anzugrinsen, aber der Schmerz in seinen Augen ist noch zu deutlich zu erkennen.
"Okay", sage ich, denn es ist jetzt definitiv nicht der richtige Moment, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was das letztendlich für meine nahe Zukunft bedeuten wird. Ich umarme Jeremy nochmals, bis er sich dazu entschließt, schlafen zu gehen.
Es fängt schon wieder an zu dämmern, als ich mich endlich zu Trents Zimmer schleiche. Ganz langsam und vorsichtig öffne ich seine Tür. Schemenhaft nehme ich ihn auf seiner Seite auf dem Bett liegend wahr und so leise wie ich kann, schlüpfe ich aus meinem Pullover, meinem BH und meiner Jeans. Auf Zehenspitzen gehe ich auf sein Bett zu und lasse mich darauf nieder.
Ganz zärtlich höre ich ihn schluchzen. Wie als würde mir jemand einen Eisstachel ins Herz rammen und kontinuierlich daran drehen fühlt es sich an, ihn so seelisch verletzt zu sehen. Ohne einen Laut von mir zu geben, lasse ich mich hinter ihm ins Bett gleiten und winde meine Arme um seinen Oberkörper.
Sein Weinen wird ein wenig lauter, als sich seine Finger mit meinen verschränken. Ich schlinge mich so fest ich kann um seinen Körper und gebe ihm zärtliche Küsse auf seinen Nacken. Mit meinem Daumen streiche ich ihm über seine Hand und über seine Brust.
Es tut so weh, ein so starkes Leid meines Mates zu spüren, und wenn ich könnte, würde ich jeden Gramm seines Schmerzes auf mich nehmen. Solange das nicht klappt, werde ich bei ihm liegen und ihn halten. Bis er sich wieder sicher fühlt. Bis die Zeit ihn geheilt hat.
Die Sonne ist längst aufgegangen, als er endlich keine Tränen mehr zu weinen hat und in meinen Armen einschläft. Ich bin auch kurz davor, Schlaf zu finden, als ich ein leises Murmeln vernehme.
"Es ist meine Schuld."
I'll hold you when things go wrong
I'll be with you from dusk till dawn...
---
[A/N] ENDLICH EIN NEUES UPDATE! YAY!
Ich kann mich nicht genug dafür entschuldigen, dass ich so schlimm im updaten bin. Also zum tausendsten Mal: Es tut mir Leid, ich hoffe ihr könnt mir das verzeihen.
Hat euch der Plottwist geschockt?
Wenn ihr eine Idee habt, wie diese Geschichte weitergehen könnte, dann schreibt mir doch bitte über Private Messages, denn die Weiterführung und das Ende, das ich mir ursprünglich ausgedacht habe, gefällt mir mittlerweile nicht mehr... 😅 ❤️
Und möchte mir vielleicht jemand ein neues Cover machen? Wäre super lieb! 👏
Bitte vergesst nicht
zu VOTEN
und
KOMMENTIEREN
und mir
zu FOLGEN
❤️❤️❤️
Das nächste Update ist schon auf dem Weg!
xx
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