Kapitel 13
Das erste, was Trent macht, als er mich nach der Schule wieder sieht, ist mich so fest in die Arme zu schließen, dass ich für einen Moment nicht richtig atmen kann. Wir sind vor nicht einmal zwei Minuten durch die große Eingangstür ins Packhouse gegangen, nachdem ich den wohlmöglich langweiligsten Schultag des Jahrhunderts durchstanden hatte, und schon bin ich von seinen riesigen Körperteilen umschlungen, so nah an ihm, dass wir für unsere Umwelt höchstwahrscheinlich schon wie zu einer Person verschmolzen aussehen.
Seine Nase ist tief vergraben in meinen Haaren und ich habe das Gefühl, er kocht vor Wut, jedenfalls sind seine Schultern angespannt und er wirkt nicht gerade ruhig. Ich will mich ein kleines Stück zurück lehnen, um ihn zu fragen, ob alles in Ordnung ist, aber er knurrt nur leise und drückt mich an seine steinharte Brust. Okay, na dann.
"Hey", murmele ich und streiche ihm beruhigend über den Rücken. Sein eiserner Griff um meine Mitte lässt ein wenig nach und ich bilde mir kurz ein, er würde schnurren. Ach nee, warte, dass machen Katzen oder? Und er ist ein Wolf, also wohl eher doch nicht.
"Hi", grunzt er zurück. Wir stehen in Stille mitten im Flur und ich bin mir sicher, dass andere Rudelmitglieder uns komisch anstarren, aber was weiß ich, mein Gesicht ist schließlich an sein T-Shirt gequetscht, ich kann also nicht wirklich sehen, was um uns herum vor sich geht. Ich bin kein PDA-Mensch, Trent.
"Ich hab dich vermisst, Baby", grummelt er erschöpft in mein Ohr. Aha. Wir haben uns vielleicht acht Stunden nicht gesehen, bisschen anhänglich, was? Trotzdem nicke ich und flüstere: "Ich dich auch." Okay, ganz ehrlich, ich hab ihn nicht direkt vermisst, nicht in der wenigen Zeit, vor allem weil wir uns ja normalerweise in diesem Zeitraum sowieso nicht sehen, aber seine Gegenwart wäre mir dann doch deutlich lieber gewesen als in die Schule zu gehen.
Sogar Troy würde ich lieber stundenlang ertragen als mich mit Mr. Henders herumzuschlagen. Troy. Allein bei dem Gedanken an ihn erschaudere ich, aber nicht so wohlig wie bei Trent, mein Körper erfüllt sich eher mit einem Gefühl der Scheu. Der Typ wird mir definitiv noch den letzten Nerv rauben, wenn der mir wieder unter die Augen tritt.
"Wie war dein Tag?", will er wissen und ich zucke mit den Achseln. Ich bin froh, dass er mein Gesicht nicht sehen kann, denn mir schießt die Wärme in die Wangen. Mein Herz pocht schneller, als ich sage: "Okay, langweilig, aber in Ordnung." Ich lasse absichtlich die Troy-Geschichte aus, auch wenn ich mich dabei nicht gut fühle, schließlich lüge ich ihn an. Es ist aber keine richtige Lüge, ich verschweige ihm nur eine winzig kleine Kleinigkeit. Außerdem tue ich ihm doch einen Gefallen. Ich will ja bloß nicht, dass er sich wieder so aufregt und Troy irgendwas antut. Ja genau, red dir das ruhig weiter ein, Care.
"Hm, warum schlägt dein Herz so schnell, Baby?", fragt Trent selbstgefällig. Mist, warum muss der auch so verdammt gut hören können? Ich versuche so abtuend wie möglich mit den Schultern zu zucken und wechsele das Thema. "Und deiner? Was hast du so gemacht?"
Ich atme erleichtert auf, als er seufzt und mir ist sofort klar, dass er aufgegeben hat und mich nicht weiter ausfragen wird. "Packmeeting, schon wieder, sture Älteste des Rudels haben dumme Fragen gestellt und wollten sich mit den Antworten nicht zufrieden geben", erklärt er abgehackt.
"Oh", antworte ich nur, unsicher, was er sonst von mir hören will. Er brummt nur und wieder sagt für einen Moment keiner von uns etwas.
"Meine Eltern warten im dritten Stock auf uns. Wir sollen in einer halben Stunde mit ihnen zu Abend essen, damit sie dich kennen lernen können", teil er mir mit und mein Herz setzt für einen Schlag aus. Was? Jetzt schon? Ich schlucke schwer und versuche zu nicken, aber mein Körper ist total verkrampft und ich glaube, ich spüre meine Füße und Hände nicht mehr. Mein Herz schlägt dumpf in meinen Ohren und ich habe einen Kloß im Hals, der ungefähr so dick ist wie eine fußballgroße Kartoffel. Mein Blickfeld verschwimmt.
Endlich lehnt Trent sich ein wenig zurück und gibt mir Platz zum Atmen. "Alles okay, Care?", fragt er besorgt, aber ich finde keine Worte, um ihm zu antworten. Ich schüttele nur den Kopf und halte mich an seinen Ellenbogen fest, um nicht umzukippen. Mir ist schwindelig.
"Hey Baby, alles ist gut, okay? Ich kann ja verstehen, dass du nervös bist, aber meine Eltern sind keine Monster, die beißen nicht. Naja, meistens nicht, ich meine, wenn sie in Wolfsform unterwegs sind und du ein unglückliches Kaninchen bist, dann sieht es vielleicht eher schlecht für dich aus, aber du bist mein Mate. Es wird alles gut werden, okay?", redet er leise und gelassen auf mich ein. Ich fühle mich ein wenig wie ein verängstigtes Pferd, das von seinem Reiter beruhigt wird. Dennoch nicke ich, sage allerdings noch immer keinen Ton.
Trent streicht mir den Fingerspitzen eine Haarsträhne hinters Ohr. "Was kann denn schlimmsten Falls passieren?"
Ich sehe mit geweiteten Augen zu ihm auf. "Sie könnten mich nicht mögen und nicht wollen, dass ich die Luna dieses Rudels werde. Vielleicht verbieten sie dir dann sogar, mich zu sehen", antworte ich, mein Herzschlag hat sich zwar wieder etwas verlangsamt, aber man könnte mich noch lange nicht als ruhig bezeichnen.
Trent hat die Nerven, laut auf zu lachen. Ich werfe ihm einen messerscharfen Blick zu. Gemein.
"Was?", zische ich verletzt. "Das sind Dinge, über die man sich ernsthaft Sorgen machen sollte."
Jetzt sieht er mich mitleidig an. "Ach Baby, ich glaube du hast zu viel Fanfiction gelesen. Meine Eltern können mir, egal ob sie Alpha und Luna dieses Rudels sind, oder nicht, gar nichts mehr vorschreiben. Ich bin 19 und du glaubst doch wohl nicht allen Ernstes, dass sie sich gegen das Schicksal stellen würden, oder?", sagt er belustigt und ich merke, wie ich zum zweiten Mal an diesem Nachmittag erleichtert aufatme.
"Du würdest mich also nicht einfach so fallen lassen?", hake ich noch einmal verunsichert nach.
"Niemals", antwortet er ohne auch nur eine Sekunde abzuwarten und ich merke, wie sich mein ganzer Körper entspannt und ich mich langsam wieder wohler und sicherer fühle. Ich sehe ihm in die Augen, ein warmes Gefühl breitet sich über meinem Körper aus. 'Zu hause' , ist das einzige Wort, mit dem man dieses Gefühl beschreiben kann. You feel like home.
Jemand räuspert sich hinter uns und ich zucke zusammen, zu vertieft in die dunklen Abgründe, die mich immer weiter in sich hinein ziehen, auch bekannt als Trents Augen. Ich wirbele herum und finde Megans Blick, Jared steht hinter ihr, seine Arme um ihre Hüften geschlungen. Er sieht müde aus, dunkle Ringe zieren seine Augen und seine Kleidung ist zerknittert. Ich sehe die beiden fragend an.
"Sie warten", informiert uns Jared, der sein Kinn auf Megans Schulter gelegt hat. "Und du musst noch diese Papiere unterschreiben."
Trent nickt mit einem harten Gesichtsausdruck und sagt dann an mich gewandt: "Muss noch kurz was erledigen, aber du kannst dich nochmal frisch machen oder was auch immer ihr Mädchen in so einer Situation macht. Megan?"
Sie nickt und wenig später finden wir uns in einem kleinen Badezimmer wieder. Sie drückt mir Wimperntusche und Concealer in die Hände und ich trage grob beides auf. Immer wieder sagt sie mir, dass ich nichts zu befürchten habe und das Trents Eltern super toll und nett sind. Ja das werden wir ja noch sehen.
Dann schleift sie mich auch schon wieder auf das Treppenhaus zu und wir laufen gemeinsam ein Stockwerk nach oben, auf eine Tür zu, vor der Trent schon auf mich wartet. Er schenkt mir ein kleines Lächeln, als er uns kommen sieht und nickt Megan zu. Sie verschwindet genauso schnell wieder wie sie uns hierher gebracht hat.
Trent legt seinen Arm um meine Taille und zieht mich eng an sich. Er öffnet die Tür und wir gehen einen langen Korridor entlang, der an den Seiten in regelmäßigen Abständen von Türen, die von 300 bis 450 durchnummeriert sind, gesäumt ist. Ich knibbele aufgeregt an meinen Nagelbetten herum, aber Trent sieht mich liebevoll an und löst meine aufgebrachten Finger voneinander. Beruhigend fährt er mir mit dem Daumen über den Handrücken und gibt meinen Fingerknöcheln mit seinen super weichen Lippen einen sanften Kuss.
"Wo war Jared heute eigentlich?", krächze ich, um verzweifelt zu versuchen, mich abzureagieren.
Trent antwortet gelassen: "Du weißt ja, er ist mein Beta, hat mich bei den Packmeetings unterstützt." Ach so, macht Sinn.
Mein Hand zittert. Mir ist gar nicht aufgefallen, wie nervös ich wirklich bin. "Ganz ruhig, Care. Alles wird gut, ich bin bei dir und lass dich nicht allein", versichert er mir und ich versuche, langsam ein und auszuatmen. "Bereit?", fragt er und ich bin sicherlich alles andere als bereit, dennoch nicke ich und er zieht mich mit sich um eine Ecke und dann durch eine verglaste Tür.
Und da stehen sie.
Ein großgewachsener, mit Muskeln bepackter Mann, der Trent zum Verwechseln ähnlich sieht, wenn man von den grauen Härchen, die hier und da auf seinem Kopf aufblitzen, und den tiefen Lachfältchen um seine Augenwinkel herum absieht, und eine schlanke, langbeinige Frau mit hellblonden, ja fast schon wasserstofffarbenen, hüftlangen Haaren und blauleuchtenden Augen.
Mein Atem stockt. Ich weiß nicht genau, wie ich mir die beiden vorgestellt habe, aber ganz sicher nicht so ... atemberaubend. Sie sehen gut aus, beide, und das obwohl sie mindestens 40 Jahre alt sind, als wären sie aus einer gephotoshoppten Zeitung heraus geschnitten.
Trents Vater lächelt mich warm an, der Ansatz von Grübchen in seinen Wangen deutlich erkennbar. Seine Gesichtszüge sind makellos, keine einzige Unreinheit befindet sich auf seiner Haut, nur an seinem Hals windet sich eine dicke Narbe bis zu seinem linken Ohr herauf. Eine Narbe von einem Kampf? Aus einem Krieg? Ist eigentlich auch egal, er sieht dennoch unglaublich aus.
Aber Trents Mutter legt noch einen drauf. Sie sieht genauso fehlerlos aus, ihre Haut blass und rein. Ich bin zu 99,9% sicher, dass sie ungeschminkt ist. Ihre Wimpern sind aber trotzdem lang, voll und so schwarz, wie sie keine Wimperntusche dieser Welt färben könnte. Ihre Lippen sind zartrosafarben. Ihre Augen bohren sich in meine Seele, jedenfalls fühlt es sich so an. Ihre Miene wirkt eher kalt und wachsam, was mir nicht gerade meine Nervosität und Unsicherheit nimmt.
Sie sind beide eher leger gekleidet, der Alpha trägt ein grün weiß kariertes Hemd, während die Beine der Luna in eine enge schwarze Jeans gesteckt sind und eine weiße lockere Bluse auf ihren Schultern hängt.
"Du musst dann wohl Caroline sein", sagt Trents Vater. Seine Stimme ist tief und klangvoll, sie erfüllt den ganzen Raum und ich fühle sie bis auf meine Knochen. Ich nicke wortlos, mein Mund ein kleines bisschen geöffnet. Trent drückt meine Hüfte, um mich zu beschwichtigen. "Care ist auch okay", presse ich mit kratziger Stimme hervor.
Er lächelt. "In Ordnung, Care. Ich bin Preston und das ist meine Luna Melissa. Es ist uns eine Ehre, dich endlich kennen lernen zu dürfen", stellt er sich vor und zeigt dabei auf seinen Mate.
Ich versuche, auch ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. Es sieht zwar eher aus wie eine gequälte Grimasse, aber besser als die beiden fasziniert anzugaffen. "Die Ehre ist ganz meinerseits", antworte ich fast schon unterbewusst, gleichzeitig schüttele ich ihre Hände. Melissas Hand ist eiskalt, aber ich habe keine Zeit, mehr darüber nachzudenken, denn Preston beginnt schon wieder zu sprechen.
Er deutet mit seiner rechten Hand, die andere ist verschränkt mit Melissas, auf einen schön geschmückten und gedeckten Tisch. "Wenn ihr doch bitte Platz nehmen würdet." Ich nicke und Trent führt mich zu meinem Stuhl. Wir setzen uns und ich betrachte die Tischdekoration genauer. Das Geschirr sieht fast schon antik aus und alles blitzt, als wäre es brandneu. Ein großer silberner Kerzenleuchter steht in der Mitte des Tisches, zwischen den einzelnen Tellern sind dunkelrote Rosenblätter verstreut. Wie clichéhaft, aber niedlich.
Trents Eltern haben inzwischen auch gegenüber von uns Platz genommen. Melissa mustert mich skeptisch. Ich greife verunsichert unter dem Tisch nach Trents Hand, mein Herz schlägt mir wieder bis zum Hals. Er verschränkt unsere Finger und allein schon bei dieser kleinen Geste spüre ich, wie sich meine Atemwege ein klein bisschen weiter öffnen und die Luft leichter in meine Lungen strömt.
"Also Caroline", setzt Melissa, die lebendige Barbie, an. "Erzähl uns doch mal etwas über dich." Ihre Stimme klingt hoch, aber nicht still, mehr wie Glocken, die die Frühlingszeit ankündigen.
Ich versuche den Kloß in meiner Kehle herunterzuschlucken. Ohne Erfolg. Was soll ich der denn jetzt sagen? Oh Gott. "Also ähm...", stottere ich. "Ich bin 17, gehe auf die Norton-", ihr schallendes Gelächter unterbricht mich.
"Nein, doch nicht so etwas, Dummerchen", sagt sie und funkelt mich schadenfroh an. "Ich stelle dir vielleicht lieber Fragen, hm?"
Ich nicke, blass wie die Wand, und so ungewiss, dass ich nicht einmal sicher bin, ob sie es gesehen hat.
"Bist du noch Jungfrau?", fragt sie mich schamlos und gerade heraus, als hätte sie mich nach meiner Lieblingsfarbe gefragt.
Für einen Moment glaube ich, an der Luft in meinem Hals zu ersticken, Was?!, und meine Geschichtsfarbe ändert sich von kreidebleich zu purpurrot in Sekunden. So schnell, ich frage mich, ob das überhaupt noch gesund sein kann. Was bitte stimmt nicht mit dieser Frau?
"Mom!", hisst Trent und sieht sie geschockt und ungläubig zugleich an. "Sag mal geht's dir noch gut?"
Sie beachtet ihn gar nicht, sondern sieht nur abwartend auf mich herab. Prestons Augen sind ebenfalls geweitet und er dreht seinen Mate zu sich. Ernst sieht er ihr in die Augen. "Darüber haben wir doch geredet. Das sind Dinge, die Trent allein mit ihr klären muss. Wir hatten uns doch darauf geeinigt, dass wir das nicht ansprechen würden", ermahnt er sie mit gedämpfter Stimme.
Sie verdreht die Augen. "Du wolltest das nicht ansprechen, ich schon. Außerdem kenne ich meinen Sohn gut genug, der hätte da nie mit ihr drüber gesprochen." Sie wendet ihre allessehenden Augen wieder auf mich und ignoriert den wütenden Blick ihres Mates.
"Also? Bist du noch Jungfrau, ja oder nein?", drängt sie mich, ihre Stimme energischer.
Ich zucke zusammen, mein Mund ist so trocken, ich bezweifle, dass ich überhaupt ein Wort herausbekommen würde. Also nicke ich nur mit hochrotem Kopf und blicke dann peinlich berührt auf Trents und meine verschränkten Hände. Er drückt meine Finger, ich sehe zu ihm auf. Mit den Lippen formt er 'Sorry'. Ich zucke nur mit den Achseln und zwinge mein Gesicht, wieder eine normale Farbe anzunehmen.
Melissa atmet auf. "Puh, wenigstens etwas. Also liege ich richtig in der Annahme, dass außerhalb deiner Familie, dich noch niemand nackt gesehen hat?" Mein Kopf ähnelt wieder einer Tomate. Wozu will die das denn wissen? Trent macht keine Anstalten, sie wieder in ihre Schranken zu weisen, er hält sich seine freie Hand vor die Augen und schüttelt verärgert den Kopf.
"Ähm... nein", wispere ich heiser und Melissa sieht zufrieden aus.
Sie klatscht vergnügt in die Hände. "Fantastisch", quiekt sie. Okay, das ist jetzt ja mal so gar nicht creepy. Man bemerke den Sarkasmus.
"Melissa", sagt Preston mit scharfem Unterton. "Treib es nicht zu weit."
Sie macht mit ihrer Hand eine abtuende Geste und bittet mich: "Steh doch bitte einmal auf und komm hier rüber, Caroline."
Mein Blick schnellt zu Trent und meine Hand krallt sich krampfhaft an seiner fest. Meine Augen müssen so sehr geweitet sein, dass ich wahrscheinlich wie ein glupschäugiger Frosch aussehe. Trent nagt an seiner Unterlippe, bedeutet mir dann aber doch den Aufforderungen seiner Mutter zu folgen. Verräter. Mieser übler Verräter.
Ich stehe widerstrebend auf, mein Herz schlägt so schnell, dass, wenn es ein Mensch wäre, es ohne Probleme einen Marathon in unter zwei Stunden laufen könnte. Mein Stuhl quietscht über den Boden und die Atmosphäre im Raum ist so angespannt, dass sich jeder meiner Schritte wie eine Kanonenkugel anhört.
Ich gehe um den Tisch herum und bleibe vor dem Platz der Luna stehen. Sie steht ebenfalls auf. Eindringlich betrachtet sie mich von oben bis unten, ihre Stirn gerunzelt. Sie geht in einem Halbkreis um mich herum, ihr Blick konzentriert auf meinen Bauch und meine Taille gerichtet.
"Hm", murmelt sie geistesabwesend vor sich hin. "Gebärfreudige Hüften hast du da."
Ich verschlucke mich an meiner eigenen Spucke und fange an, unkontrolliert zu husten. Die Frau hat aber mal so gar kein Schamgefühl.
"Gut, du kannst dich wieder setzen", sagt sie und ich husche schnell zurück zu Trent, der seine Mutter mit zu Schlitzen verengten Augen beobachtet. Sobald mein Hinterteil das Stuhlpolster berührt hat, liegt seiner Hand besitzergreifend auf meinem Oberschenkel. Atmen, Care, egal wie unangenehm und unerwünscht in deine Privatsphäre eingedrungen sich das hier anfühlt, einfach atmen.
Alle am Tisch schweigen, ich fühle mich mit jeder Sekunde unbehaglicher in meiner Haut. Zum Glück kommt dann ein hagerer grauköpfiger Mann durch eine hellrotangestrichene Doppeltür am anderen Ende des Raumes und bringt auf einem Tablett vier kleine Teller mit grünem Ceasar Salad herein. Wortlos gießt er uns allen Rotwein ein und verneigt sich dann kurz und unterwürfig vor Alpha und Luna des Rudels. Dann tritt er auf der Stelle den Rückzug an.
Sofort beginne ich, den Salat in mich hinein zu schaufeln, er schmeckt übrigens köstlich, damit ich etwas zu tun habe und nicht noch anfange, dummes Zeug zu labern.
Irgendwann unterbricht Melissa das Schweigen: "Und das letzte Mal deine Periode hattest du wann?" Ohne mit der Wimper zu zucken trinkt sie einen Schluck Rotwein, ihr bohrender Blick lässt keine Sekunde von mir ab. Als hätte sie gerade nicht schon wieder eine völlig unangebrachte Frage gestellt.
Mein Atem stockt. Muss ich der darauf jetzt auch noch antworten? Anscheinend hat Gott meine Gebete erhört, denn Preston schnaubt verächtlich, während Trents Augen mich besänftigend mustern.
"Melissa! Jetzt ist aber mal gut, hörst du? Du bringst das arme Kind noch in unnötige Verlegenheit. Das geht uns alles gar nichts an!", ruft Trents Vater verärgert und sieht sie ernst an.
Sie verdreht die Augen und murmelt irgendetwas Unverständliches im Flüsterton.
Preston lächelt mich gezwungen an. "Entschuldige bitte meine Luna. Du musst ihr selbstverständlich nicht antworten. Sie ist heute wohl nicht ganz sie selbst." Bei seinem letzten Satz starrt er ihr wutentbrannt in die Augen.
"O-Okay", stimme ich zu und stopfe mir eine riesige Gabel Grünzeug in den Mund. Mit jeder Minute wird dieses Treffen seltsamer. Es ist wieder still, man könnte eine Stecknadel auf den Boden fallen hören. Vielleicht ist das ja mal gar nicht so schlecht, dann kann ich wenigstens die Mahlzeit genießen.
Wenige Minuten später bekommen wir den Hauptgang, irgend ein Braten mit Kartoffeln und Brokkoli, serviert und ich übertreibe definitiv nicht, wenn ich sage, dass das vermutlich leckerste Essen meines ganzen Lebens ist.
Jap, hier lässt es sich leben, gutes Essen, weiche Betten, was will man mehr?
"Also, Care, hast du Geschwister?", fragt Preston mich dann irgendwann und ich bin unheimlich erleichtert, dass die komischen Fragen von Melissa endlich ein Ende haben.
"Ja, eine Schwester und zwei Brüder", antworte ich und lächele leicht, wenn ich an May, Toby und Timothy denke, auch wenn ich bei Toby einen kleinen Stich in meiner Brust verspüre.
So geht das dann ungefähr die nächste halbe Stunde weiter; Preston fragt mich über meine Familie aus, meine Hobbys und wieso wir hergezogen sind, auch wenn ich bei dieser Frage lügen musste. Ich kenne diese Leute kaum, die müssen noch nicht direkt alles über meine Probleme wissen. Glücklicherweise sind seine Fragen meist oberflächlich und ich werde nicht wieder zu dunklen Gedanken über meine Eltern gereizt.
"Jedenfalls sind wir überglücklich, dass Trent endlich seinen Mate gefunden hat", erzählt mir Preston, während wir unser Mousse au chocolat löffeln, und ich fange an, breit zu grinsen. Sogar Melissa lächelt mich an und nickt. Im Laufe des Abend ist sie immer mehr zu mir aufgetaut, auch wenn nicht gerade sagen würde, dass sie mich jetzt freundlich behandelt. Nur eben nicht mehr ganz so misstrauisch wie am Anfang.
"Ja, vor allem, weil Preston und ich immer älter werden. Lange können wir dieses Rudel nicht mehr führen", ergänzt Melissa und ihre Stimme klingt schon fast nett, kein Hauch von einem abweisenden Unterton.
Ich ziehe die Augenbraue zusammen. "Wie meint ihr das?"
"Ich werde schwächer. Man sieht es mir vielleicht nicht sofort an, aber meine Muskelkraft schwindet dahin. Momentan ist das Umfeld unseres Reviers zwar ruhig, aber je näher der Winter kommt, desto mehr Rogues halten sich an unseren Grenzen auf und versuchen, in unserem Rudel unterzukommen. In ein paar Jahren werde ich nicht mehr die Kraft haben, unser Rudel gegen sie zu verteidigen", erklärt mir Trents Vater. Aber was bitte ist ein Rogue?
Ich äußere verwirrt meine gedankliche Frage und Trent antwortet: "Ein Rogue ist ein meist aggressiver Einzelgänger-Werwolf. Sie haben aus den verschiedensten Gründen kein Rudel mehr, teilweise, weil sie es einem Krieg gegen ein feindliches Rudel verloren haben und sie die einzigen Überlebenden waren oder weil sie sie, in den schlimmsten Fällen, selbst abgeschlachtet haben. Selten verlässt ein Werwolf sein Rudel freiwillig, was nicht impliziert, dass es nicht vorkommt, allein sind wir schließlich wesentlich schwächer und neigen schneller dazu, den Verstand zu verlieren. Es gibt allerdings auch Fälle, in denen die Rogues von ihrem Rudel verstoßen wurden, warum auch immer, sei es nun aus Verrat oder Betrug oder sonst irgendeiner Missetat."
"Aha. Aber was macht sie dann so gefährlich, wenn sie doch sowieso allein unterwegs sind?", hake ich nach. Kann ja nicht schaden, schon mal Informationen für meine zukünftige Lebensaufgabe zu sammeln.
Trent beißt sich auf die Unterlippe, was übrigens extrem sexy aussieht und streicht mir meine Haare hinters Ohr. "So viele Fragen, Baby", neckt er mich, aber erklärt es mir trotzdem ohne große Umschweife. "Sie sind unberechenbar. Können lügen wie gedruckt und sind normalerweise irre. Sie versuchen häufig alles, um andere Rudel in Chaos zu versetzen und sind gefühlstaub. Das Wort Einzelgänger beinhaltet ja schon, dass sie keinen Mate haben und gerade das lässt sie oft durchdrehen."
Ich folgere: "Also sind sie eigentlich zu bemitleiden?"
Trent sieht aus, als würde meine Antwort abwägen und nickt dann. "Das und sie sind gefährlich."
Ich schüttele den Kopf und erwidere: "Also ich finde man sollte diesen armen Seelen helfen und sie nicht noch weiter von anderen Wölfen und Rudeln entfernen."
Trent runzelt die Stirn. "Verstehe ich das richtig? Du bist der Meinung, man sollte diese manipulierenden Wesen, die Mörder sein könnten, in ein Rudel aufnehmen?", vergewissert er sich.
Ich nicke zögerlich und Trent beginnt, laut loszulachen.
"Okay, Baby, super Idee, sobald sich der nächste Rogue zu nah an unsere Grenzen wagt, nehmen wir ihn einfach mal so mir nichts dir nichts ins Rudel auf. Ist ja nicht so, als könnte er ein ganzes Rudel ausgeschaltet oder seine alten Rudelmitglieder verraten haben. Am besten lassen wir ihn zu erst mit den Kindern des Rudels spielen. Was soll schon groß passieren?", macht er sich über mich lustig, der Sarkasmus trieft quasi schon von seinen Worten.
Ich gebe ihm einen spielerischen Klaps auf den Hinterkopf. "So meinte ich das doch gar nicht, du Depp. Aber vielleicht sind sie einfach missverstanden und brauchen jemanden, der sich um sie kümmert."
Jetzt lächelt er mich so breit an, dass ich für einen Moment besorgt bin, seine Wangen könnten gleich in zwei Hälften reißen. Bisschen bipolar oder so? Mit vor Freude schimmernden Augen blickt er auf mich herab und flüstert leise und sinnlich: "Und deswegen bist du mein Mate und meine Luna. Ich bin der starke Alpha, der zu viel aus dem Bauchgefühl raus handelt, anstatt die Dinge wirklich zu überdenken und du bist meine, zarte verständnisvolle Seite, ohne die ich verloren wäre."
Ich kann mir nicht helfen und werde wieder ein wenig rot. Schüchtern lächele ich zurück und dabei fällt mir gar nicht auf, dass Preston und Melissa uns verschmitzt grinsend beobachten. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sie mich mir einen herzlichen Blick zuwirft.
Ich wende mich zu ihr und erwidere ihren Blick, irgendetwas sagt mir, dass sie mich akzeptiert hat. Doch dann wird ihre Miene wieder steinhart, ihr Blick kühl. Eine Welle der Panik überrollt mich. Habe ich doch wieder etwas falsch gemacht?
"Sag mal, Care, wie oft wechselst du eigentlich die Unterwäsche?", fragt sie total ernst.
Ich kann nicht anders als sie mit offenem Mund anzustarren. Ich dachte, es wäre vorbei mit den peinlichen Fragen? Ich krame in meinem Kopf nach einer Antwort und sehe dabei aus wie ein Pferd, hoffe innerlich, dass Trent oder Preston mit ihr schimpfen, aber keiner von ihnen gibt auch nur einen Mucks von sich.
Dann bricht die Luna auf einmal in schallendes Gelächter aus.
"Das war ein Scherz, Liebes. Du hättest dein Gesicht sehen sollen", kichert sie und streicht sich eine Lachträne von der Wange. Ich atme erleichtert auf und kann mein Grinsen bei ihrem nächsten Satz nicht verbergen.
"Ich bin mir sicher, dass du eine gute Luna wirst."
Melissa und Preston entschuldigen sich etwas später, 'Die Plicht ruft' und ich kann es nicht fassen. Eine Mutter, durchgeknallter als meine eigene. Das ist echt mal eine Leistung.
Apropos Mutter. Meine ist bestimmt gerade am Ausrasten, weil ich mich seit gestern Abend nicht mehr gemeldet habe.
Mist.
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[A/N] 2. Update diese Woche! Woohoo! 🎊
Danke für über 20k Reads! 😍
Auch wenn die meisten von euch im letzten Kapitel gesagt haben, dass ihnen das jetztige Cover gefällt, finde ich es doch ein bisschen overused. Deswegen habe ich mal ein paar andere gestaltet (Ja, ich bin mir darüber bewusst, dass die nicht besonders gut aussehen, ich bin halt nicht so wirklich begabt in sowas). Vielleicht will mir ja jemand von euch ein Cover machen, aber sollte das nicht der Fall sein, dann müsst ihr leider mit einem vom Anfang des Kapitels vorlieb nehmen. 💘☺️❤️
Bitte abstimmen! (So sind sie vorne angeordnet)💙
1,2,3,
4,5,6
7 für das alte Cover!
Und bitte bitte bitte VOTET und KOMMENTIERT, wenn euch das Kapitel gefallen hat. ❤️❤️
xx
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