prolog.
OKTOBER 1996
Wenn man die Augen zusammen kniff, brach das Mittagslicht durch die bunten Glasplatten der Fensterläden wie ein Kaleidoskop voll verblassender Erinnerungen.
In knallendem Rot flammte der Scherzartikelladen der Weasley-Brüder über die tristen Straßen der Winkelgasse. Ein klein wenig wie ein gleißendes Lagerfeuer der Hoffnung; als hätten die Zwillinge schon immer geahnt, dass die Welt ihr Leuchtsignal eines Tages brauchte.
Jeden Morgen bahnte sich ein stickiges Gedränge durch die schmalen Regalreihen, bis zum Anschlag vollgestopft mit Utensilien, die die meisten Käufer erst zuhause verstanden. Wenn sie knallten, kreischten, krachten, explodierten.
Und auch heute wie an vielen Tagen stand Fred Weasley hinter dem Tresen, die Finger schmerzten vom überschwänglichen Bedienen der Metallkassen, und wie an vielen Tagen konzentrierte er sich über das Getöse der Menge hinweg auf das Bestellformular, das sein Bruder ihm zugeschoben hatte – Everston will bis morgen 'ne Kalkulation.
Dabei hatte Fred, heute wie an vielen Tagen, schon lange aufgehört, die krummen Zahlen und Lettern zu verstehen, die jeden Morgen aufs Neue vor seiner Nase landeten. Und auch heute, wie an vielen Tagen, verschwamm die Tinte zu einem undefinierbaren Knäuel zittriger Striche. Ein bisschen wie die Äste im Wald von Little Hangleton. Oder die krausen Schweife der Schulnimbusse. Oder wie Logans vor Blut verklebtes Haar.
„Gibt's was Neues?"
Hätte Fred diesen eindringlichen Tonfall nicht so gut gekannt wie sein eigenes Hemd wäre er aufgeschreckt.
Stattdessen zuckte er nicht einmal, als er geradewegs in ein drängendes Paar eisgrauer Augen starrte.
„Morgen McLaggen."
Corben McLaggens Miene verfinsterte sich. Aus Gewohnheit, nicht aus Überzeugung.
„Kann ich dich bei einem Kauf beraten?"
Freds trockene Worte perlten an ihm ab wie die Nebelschwaden der Winkelgasse, deren klammen Geruch er eingeschleppt hatte.
Resigniert klaubte Fred die Bestellformulare zusammen; ihre Kanten auf dem polierten Thresenholz klangen seltsam weit entfernt.
„Wir haben neue Tränke. Kannst dich umsehen, wenn du noch ein Geburtstagsgeschenk brauchst."
„Es sind drei Wochen vergangen." Corben sagte das mit derselben Nüchternheit, die Fred trug, doch aus seinem Mund klang es wie eine Anschuldigung; schwellte seinen Gaumen an. „Immer noch keine Antwort. Was ist, wenn sie den Todessern –"
„Ich weiß." Fred presste die Hände so fest um das Pergament, dass die Kanten schnitten. Es schmerzte nicht, es beruhigte nur.
Die Luft um sie drückte. Corben lehnte sich vor. „Wenn's nach mir ginge hätten wir längst was getan."
Fred schnaubte. Resignation. Das war, wie ihr Leben war, und sowieso ging die Sonne seit Tagen nicht auf.
„Es geht aber nicht nach dir", befand er. „Es geht nach ihr."
„Woher willst du wissen, dass das noch so ist?"
„Weil ich ihr vertraue."
„Du hast seit Wochen –"
Die Bestelllisten donnerten auf Holz. „Sie hat gesagt, dass sie wiederkommt."
Neben ihnen schob sich eine alte Dame mit einer handvoll Trickschnätze an die Kasse.
Corben hatte sich über den Tresen gestemmt. Auch ohne Worte blieb die Anschuldigung klar.
„Ich bin ihr Freund, Corbs", entschied Fred, bevor er sich mit einem so breiten Lächeln der Kundin im Filzhut zuwandte, dass seine Lippen schmerzten. „Ich weiß, wie lange sie fehlt."
Die Tasten der Kasse klirrten wie Alarmsignale. Doch Corben regte sich nicht. Visierte bloß die zappelnden Trickschnätze, während Fred sie in geflecktes Verpackungspapier hüllte. Die Dame verabschiedete sich mit Glückwünschen, doch niemand hörte sie. Dafür starrte Corben ihn zu unabdingbar an.
„Du hast versprochen, sie zu beschützen", befand er und nun waren seine Worte beißend. „Du hast gesagt, du lässt sie nicht alleine."
Doch Fred gab ihm nur ein Augenrollen, das den Schmerz auch nicht aus seiner Kehle verbannte. Schlängelte sich hinter der Kasse hervor, schob sich an Corben vorbei –
Und schon krallte der seine Finger in sein Hemd.
Und erst als Fred an sich hinab sah, verstand er das auch. Dass es die Kälte in Corbens Griff war, die mit dem Eis in seiner Brust konkurrierte. Als hätte er den gesamten Herbsteinbruch gebracht und in dem warmen Deckenlicht des Ladens war er plötzlich bloß noch schälern. Dabei war das, was die den dunklen Falten seiner Augen schluckte, lediglich Verzweiflung. Das wusste Fred. Er wusste es, weil er dasselbe in sich spürte. Weil es sich auch heute durch sein Bewusstsein wand; drückendes Schuldbewusstsein wie ein Parasit.
Und, weil sie beide vielleicht auf ewig dazu verdammt waren, jemanden zu lieben, der womöglich gar nicht zu ihnen gehörte.
„Ich habe heute morgen eine Eule geschickt", presste Fred hervor und inhalierte Corbens heißen Atem, grub um seine Finger und löste seinen Griff. Er roch nach Essig. „Wenn sie mir bis morgen Abend nicht antwortet, breche ich auf."
Um Tonnengewicht erleichtert sackte Corben auf seine Fußballen zurück. Hinterließ knitterndes Hemdgeäst. Bemühte sich aber trotzdem an Contenance, straffte den Rücken. Der Wintermantel spannte sich unter der Entschiedenheit, die er war: „Ich begleite dich."
Es war kein Angebot, sondern eine Unabdingbarkeit. Das verstand Fred.
Denn in einer Welt, in der sie beide für dieselbe, ausweglose Liebe verdammt waren, blieb ihnen nichts anderes übrig als jeden Weg aus der Machtlosigkeit gemeinsam zu gehen.
„Ich lass es dich wissen", versprach er ihm deshalb und schob sich endlich in den Gang voller Verschwindehüte und brodelnden Trankfässern davon.
Und auch, wenn Corbens Blick ihm folgte, konnte er ihm nicht mehr geben; Logan hatte ihm selbst nicht mehr zurückgelassen.
Lieber Fred. Ich bleibe noch. Ich habe keine Wahl, bitte gib mir Zeit.
Sie hatten schon vor Wochen begonnen, Vermisstenlisten durch Radiolautsprecher zu hallen. Noch war ihr Name nicht dabei.
„Glaubst du, dass sie überhaupt wiederkommen will?"
Corbens Stimme war in eine Unwirklichkeit abgedriftet, aus der Fred lange geflohen war. Wenn er den Ladenbestand sortierte, brauchte er sich wenigstens nicht auf Wortknäule zu konzentrieren; seine Gedanken waren frei.
Es blieb nicht einmal Platz, sich zu fragen, ob er sie wirklich alleine in Irland hätte zurücklassen sollen.
„Hm?", machte er als ihm auffiel, dass Corben etwas gesagt hatte.
Der stand nun am Ende des Ganges und starrte ihn an. Der bunte Farbschimmer, den der ergraute Mittagshimmel nur noch matt hinein warf, erreichte sie hier hinten nicht.
„Naja", sagte Corben, die Hände in den Taschen vergraben und mit einer Undurchsichtigkeit, die verriet, dass auch er in Erinnerungen an einen anderen Ort geflüchtet war. Sie liebten sie beide viel zu sehr. „Hast du nicht auch schon gedacht, dass sie –"
„In Irland zuhause ist?", antwortete Fred und die Worte verätzten seine Zunge. „Doch, das habe ich." Wenn er die Schrumpftrankampulle in seinen Händen drehte, warf wenigstens sie einen blassen Schein auf den Dielenboden. Und sah dabei wie Hoffnung aus. „Jeden einzelnen Tag."
________________________________
Unser Startschuss. Ein kleiner Zeitsprung nach dem Epilog von "The Outcome".
Was wohl aus dem Plan geworden ist, laut dem Fred Logan nach Irland begleiten wollte? Finden wir im ersten Kapitel heraus.
Aber bevor wir das herausfinden, musste ich diesen Moment zwischen Corben und Fred einfach zeigen. Ich hatte ihn seit Monaten im Kopf, bevor er auf Papier gelandet ist, und ich liebe die Dualität der beiden. Und ich mag, dass sie durch ihre Liebe von Feinden zu Freunden, oder zumindest zu Kollegen in gemeinsamer Sache werden (könnten).
Was glaubt ihr, wo treibt Logan sich rum und warum meldet sie sich nicht?
Fühlt sie sich in Irland wirklich wohler?
But most importantly: Seid ihr bereit, Reed zu sehen?
We'll figure out what happened soon. Updates gibt's erstmal immer Samstags, gelegentlich auch mal in der Woche.
Liebe an euch alle, Ally
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top