01 | irland.

JULI 1996

Freiheit zu spüren bedeutete für Logan Ainsley den Duft salziger Meeresluft zu inhalieren und die Kuppen sich im Herbstwind wiegender Wälder zu beobachten. Zuhause zu sein war jedoch etwas, das sie vergessen hatte.

Das begriff sie, als sie in der lauen Sommerbriese vor den weitläufigen Feldern Enniscorthys stand.

An anderen Sommertagen, als die Sonne heiß und erbarmungslos auf die ternen Straßen geschienen hatte, waren die Kornfelder vertrocknet und die Sicht bis zu dem Landsitz aus dunkelrotem Backstein geblendet gewesen.

Heute lag Nebel um das Feld, in das niemand in diesem Jahr Samen gestreut hatte. Und der Himmel ruhte ihnen schwer auf den Schultern.

Reed Macaulay war in dem Bauernhof ihrer Zaubererfamilie aufgewachsen, nachdem ihr Vater sich vor dreißig Jahren im Namen der Landwirtschaft von der Magie abgewandt hatte. Und vielleicht auch, weil er damals seinen Job im irischen Ministerium verlor. Heute besaßen die Macaulys keine ihrer Pferde, Kühe oder Hühner mehr. Bloß noch zahllose Katzen, doch auch von denen fehlte jede Spur, als Logan am Wegesrand vor den in Schlieren versunkenen Feldern stand und auf die kaum auszumachenden Zinnen starrte.

Fred neben ihr vergrub sein Kinn hinter seinem Jackenkragen.

„Wie fühlst du dich?", fragte er und schielte verhalten auf Logan hinab, die seit Unendlichkeiten die Ferne betrachtete. Und all die Möglichkeiten, die sie hielt. „Ich mein, es ist okay, wenn du's heute noch nicht machen willst. Hinten im Dorf ist 'ne Muggelkaserne, der Kuchen im Schaufenster sah verdammt lecker -"

„Halt den Mund, Fred", schnaubte Logan und verkniff sich ein Grinsen. „Ich tus." Sie presste ihren Kiefer zusammen. Fred schmunzelte. „In einem Moment."

Es war fünf Stunden her, dass sie von der Winkelgasse aus aufgebrochen waren. George hatte in der Hintertür des Ladens gestanden und bedeutungsschwer in den unheilvollen Regenhimmel gestiert.

„Sicher, dass es heute sein muss?", hatte er gefragt und ließ offen, was niemand von ihnen sagte: Müsst ihr wirklich los?

Seit Tagen hing ein ewig währender Nebel über dem Land und das Versprechen von Sommer, das ihre Abschiedsfeier auf den Ländereien von Hogwarts gewesen war, hatte kaum existiert. Denn schon am Morgen danach hatte sich die Welt für eine andere Realität entschieden.

„Ich muss es tun", hatte Logan trotzdem gesagt und ihren Rucksack geschnürt. Das Frühstück lag ihr schwer im Magen. Die Ungläubigkeit von etwas, das man nie zu erreichen geglaubt hatte. In den Türmen von Hogwarts war Logan sich sicher gewesen, Irland nie wieder zu sehen.

Aber nun stand sie dort, in Ennescorthy, der Heimat ihrer Sommerferien. Die Sohlen auf kaltem Teer, die Haare vom in der Luft flirrenden Wasser kraus. Fred langsam ungeduldig. Der Apfelbaum hinter Reeds Haus war nicht zusehen.

Trotzdem wagte Logan einen Schritt vor. Einen einzigen.

Sie wusste nicht einmal, ob Reed zuhause war.

Wieder nahm sie einen.

Fred folgte ihr.

Und ehe sie sich versah, ging sie darauf zu. Auch, wenn ihre Beine seltsam fern erschienen: Sie trugen sie und Logan ging, geradewegs zu dem Haus ihrer besten Freundin. Dorthin, wo sie in einer anderen Welt noch jede Sommer- und Weinfeste verbracht hatte, wenn die Sippe der Macauleys über das Land hinweg zusammen gekommen war.

Sie hielt erst an, als sie die Umrisse der Haustür ausmachte. Ein fader Schleier tanzte vor den Nebelstreifen. Derselbe Warnzauber, der den Fuchsbau mittlerweile auch umgab.

Das letzte Mal, als Logan hier gewesen war, hatte es solche Schutzwälle noch nicht gegeben. Einen Schritt noch, und wer auch immer zuhause war würde wissen, dass sie näher kam.

Einen Schritt und Logan könnte sie wiedersehen. Das Mädchen mit dem Haselnusshaar und der drahtigen Statur, ihren Krokusduft und diese dünnen Seidenblusen -

Ein Meter noch, und sie nahm ihn.

Und für einen Augenblick passierte nichts.

Logan stand bloß dort, in der Trübheit dieses Sommerabends, der viel eher ein klammer Winter war, und starrte auf die Eichentür. Fast bildete sie sich ein, feste Schritte auf knarrenden Treppen zu hören. Dann klickte das Schloss.

Reeds Bruder Oscar war klein. Klein und knorpelig, auch wenn er fünf Jahre älter war. Und seine Haare waren kahl geschoren, fast so wie die von Augustus einst, als er den Kopf aus der Haustür schreckte. Seine Lederschuhe ächzten.

„Maden?"

Logan würde nie wissen, ob er das wirklich sagte. Ob sein ungläubiger Blick sie durch die Distanz und die feuchte Luft wirklich erkannte. Denn schon im nächsten Augenblick verschwand er im Haus zurück. Und prompt wusste Logan, dass Reed bei ihnen war.

Als sie die Tür aufschob, sah sie aus als wären die vergangenen Monate nicht gewesen. Sie trug ihr Lieblingsflannel, die Gummistiefel bis zu den Knien. Die Schürze bunt befleckt. Die dünne Lücke zwischen ihren Vorderzähnen war trotz allem die selbe. Sie hatte nussbraunes Haar und ein schmales Gesicht, entgleisende Fassungslosigkeit und wagte kaum einen Schritt.

Sie starrte sie nur an. Und das Pergament in Logans kältestarren Fingern knisterte. Mads. Es ist jetzt das dritte Mal, dass ich Theo losschicke. Aber ich sag ihm diesmal, dass er dich unbedingt finden soll.

Reed Macauley war Logan Ainsley sieben Meter entfernt. Und keine von ihnen regte sich.

Logans Fingerkuppen spannten sich bloß um den Brief, der in der Luft stand wie ein Beweis. Eine Fahne der Ergebenheit. Oder einfach wie eine Erinnerung. Ich weiß nicht wo du bist, wo du dich versteckst oder wie viel Angst du hast. Aber Thormen und ich machen uns Sorgen.

Jeder Schritt, den Reed wagte, war voller Unglaube und wummerte bis in Logans Herz. Falls du diesen Brief bekommst, bitte antworte. Ich möchte nur wissen, dass es dir gut geht.

Und dann hielt Reed an. Stand dort und blinzelte gegen das graue Himmelslicht.

„Maden", flüsterte sie, doch es war keine Frage mehr. Sie wusste es.

Und schon im nächsten Augenblick stürzte sie über den Hof auf ihre beste Freundin zu.

Ihre Arme schlossen sich um Logan, genau so, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie duftete nach demselben Shampoo, war vielleicht ein Stück größer, war Nusshaar, war Krokos, war Lieblingsflannel, war da –

„Du lebst. Ich wusste, dass du lebst", flüsterte sie, mitten in ihr Ohr und gegen ihr Shirt und Logans Herz brach entzwei.

Sie war daheim.

„Ich wusste, dass du nicht fort bist, ich wusste, dass du es nicht warst."

Reeds Stimme war kehlig, erstickt und verdrungen von ihrer Kapuze, und Logan kollabierte in ihrem Arm. Alles, was in den vergangenen Monaten geschehen war, wurde Wirklichkeit.

Und Reeds Familie, Oscar und ihr Vater, lehnten in der Tür und sahen zu, wie Maden Bolton nach Hause kam.

„Wo bist du gewesen?", schluchzte Reed, fast erbost, drückte sie von sich weg, zwang sie, gerade zu stehen. Ihre sehnigen Finger schlossen sich um Logans Gesicht. Jede Berührung brannte als erinnere ihr Körper sich, was Zuhause war. Sie sah sie an. Wallende Tränenwand und bebende Wangen.

Und auch, wenn es nicht Maden war, die Reed entgegen starrte, hatte Logan sich von niemandem je so gesehen gefühlt.

„In Hogwarts", entgegnete sie und umklammerte ihr Handgelenk.

„In Hogwarts?" Zum ersten Mal sah Reed zu Fred: „Wer ist das?" Dabei ließ sie gar nicht zu, dass irgendwer antwortete – „Hast du sie hergebracht?"

Fred nickte.

Reed stürzte in seinen Arm. Gesicht an seiner Brust. „Dankeschön."

Und ohne zu fragen umarmte Fred sie zurück.

Sie buchsierten sie in ihr Landhaus als wäre bloß ein weiterer Feriensommer angebrochen und Logan wär für ihre üblichen zwei Wochen zu Besuch. Reeds Vater war noch immer so drahtig und kernig, wie sie ihn in Erinnerung behalten hatte und rührte denselben Punsch wie vor zwei Jahren. War nur etwas wackeliger, etwas zittriger vielleicht.

Oscar hievte Essen aus dem Keller und wohlige Dämpfe trockneten schon Minuten später die von Regenluft verhangenen Mäntel, die Logan und Fred über dem Treppengeländer ließen.

Und während all dieser Zeit hielt Reed Logans Hand. Schielte immer wieder flüchtig zu ihr hinüber als müsse sie sich vergewissern, dass es sie wirklich gab. Dass unter dem verblassenden Blondhaar und der helleren Haut wirklich der Mensch steckte, der ein Jahr lang verloren gewesen war.

Bei Kartoffelstampf und Krautrüben erzählte Logan alles. Der warme Punsch trieb ihr Röte in die Wangen, während Fred bloß da saß und schwieg; nickte, wann immer sie ihn erwähnte. Reed und Oscar und ihr Vater lauschten. Hörten wer Logan war und nahmen sie über der gewachsten Tischdecke an den Händen, sobald sie von ihrer Familie sprachen.

„Ich wusste, dass du es nicht gewesen bist", sagte Reed zum zahlreichsten Mal, als das Essen vom Tisch verschwunden und der Punsch dampfendem Kamillentee gewichen war. Draußen hatte Regen eingesetzt und Reed sah erschöpft aus. Als hätten die Folgen des vergangenen Jahres sie erst jetzt erreicht.

„Spätestens als Theo ohne diesen Brief wiederkam –" Das Pergament knisterte jetzt in ihren Händen – „Ich wusste, dass du lebst."

Die Tinte in den Fasern war mittlerweile verschlissen, doch die Worte blieben klar. In dem drückenden Licht des Esszimmers würde Logan Reed nie begreiflich machen können, wie oft sie ihre Zeilen gelesen hatte und wie das Mondlicht vom Ravenclawturm aus darauf gefallen war.

„Ich hab antworten wollen", war deshalb alles, was Logan sagte. Dachte an Theo in Norwich, Remus Lupins gedrungene Stimme und den Holzkäfig am Sims. Und das endgültige: Du musst in den Grimmauldplatz zurück. „Aber ich hab es nicht gedurft. Es war zu riskant."

Reeds Wangen schimmerten apfelrot. Es fehlte Wagemut und Entschlossenheit, das letzte Jahr hatte auch sie so viel älter gemacht. Stattdessen war sie voll gespannter Lippen und Finalität.

„Ich hab gewusst, dass du nicht einfach so gehen würdest, Mads. Ehrlich. Und vielleicht hätt ich nochmal geschrieben, aber ich dachte – ich dachte, sie hätten dich verfolgt und in der Schule –"

„Erspar mir die Gerüchte."

Reed zog eine Grimasse. „Thormen hat Stanley Connor zusammengeschlagen, weil der –" Sie wischte den Gedanken mit einer fahrigen Handbewegung fort. „Er wird ausrasten, wenn er dich sieht."

Oscar erhob sich feixend vom Tisch, um neues Wasser aufzusetzen: „Kommt der nicht sowieso heute vorbei? Thormen?"

„Was?" Logan fuhr herum. „Thormen? Hier?"

Prompt stand sein Kaffeeatem und das grelle Londoner Lion Shirts im Raum; in den Sommerferien war er nie hier gewesen. Auch, wenn er ihr bester Freund gewesen war, hatte Thormen seine Zeit außerhalb der Schule immer mit seinen Brüdern in Quidditchcamps und Zeltlagern verbracht und sowieso war Dublin immer viel zu weit von hier entfernt –

„Er kommt öfter, seit 'ner Weile." Reeds Vater befand das möglichst nüchtern, doch sein Blick blieb vielsagend. „Seit sie die Schule abgeschlossen haben jeden Abend."

Logan starrte zu Reed, die ihre Lippen übereinander rollte, bis sie weiß wurden. Trotzdem glühte ihre Stirn.

„Reed?"

„Jaah?"

„Möchtest du mir was sagen?"

Reed zuckte die Achseln. „Ne."

Logan grinste. Stieß ihr sachte in den Arm. „Du und Thormen?"

Selbst diesen Gedanken auszusprechen war surreal. Bis zur fünften Klasse hatte er ihr an den Haaren gezogen.

Doch Reed deutete bloß trocken zu Fred: „Und du bist mir keine Erklärung schuldig, oder was?"

Der sank allerdings bloß genüsslich in seinen Stuhl zurück und feixte: „Gemütlich habt ihrs hier."

Als Thormen Doyle Maden Bolton an diesem Abend wieder sah, rannte er so schnell über den Pflastersteinhof auf sie zu, dass er sie zu Boden riss. Auch, wenn Maden Bolton noch so sehr nach Logan Ainsley aussah und er sich genau wie Reed an diesen neuen Namen nie gewöhnte.

Aber trotzdem lag Logan bei Dämmerungseinbruch in den Armen ihres alten besten Freundes, auf den Flurdielen von Reed Macauleys Anwesen und lachte. Herzhaft und befreiend und weinte Glück und Schmerz und alle Angst davon. Roch den Dubliner Stadtduft aus seiner Weste und die Politur aus seinen langen Haaren und dem kratzigen Bart, bis all die Tage zwischen ihnen vergessen waren.

„Ich glaub es nicht", jauchzte er und wischte sich so oft und so energisch die Augen, dass sie vor Röte glühten. „Ich dachte du wärst tot. Reed, wir dachten, sie wär tot."

„Nie wirklich, natürlich", sagte Reed dann jedes Mal, die vor Erschöpfung bei Dunkelheitseinbruch die Haare über die Sofalehne ausgebreitet hatte und immer wieder Kopfschüttelnd an die Decke starrte.

Thormen griff Reeds Hand bloß fester und fester. „Nie wirklich, natürlich."

An diesem Abend saßen sie so lange beisammen, bis die Nacht die unbepflanzten Felder und den Dämmerungsnebel verschluckte. Logan und Fred auf den ausgeleierten Herrensesseln, gegenüber von aufmerksam lauschenden und niemals in Stille verfallenden Thormen und Reed, die sie vieles fragten, doch am Ende nicht alles.

Die wirklich schweren Themen und die wirklich vollkommene Geschichte sparten sie sich für einen anderen Abend.

Heute reichte bloß, dass Logan hergekommen war. Dass ihr Vater eine Nachricht an Dumbledore hatte überbringen wollen und dabei verfolgt worden war. Dass ein Geheimnis über den Dunklen Lord ihrer aller Leben gekostet hatte. Dass Logan in Hogwarts gewesen war, dass sie die Nachricht ihres Vaters entschlüsselt hatte, und dass der Sohn eines ehemaligen Todessers und Fred Weasley ihr dabei halfen.

„Und ihr seid jetzt was?", fragte Thormen irgendwann in altbekannter Unverblümtheit und deutete dabei mit seinen Knorpelfingern zwischen Logan und Fred hin und her.

Der war das erste Mal seit einer Weile aus seiner Starre erwacht und sah sie jetzt in herzhafter Amüsanz an: Das überlass ich dir.

Dabei kam Reed zuvor: „Ist er gut zu dir?"

Und es lag so viel Ernst in ihrer Stimme, dass sogar Fred seinen Schalk nicht hielt, als Logan nickte. „Ja."

„Will ich hoffen." Reed grinste. „Noch einen Toby Callahan verkrafte ich nicht."

Thormen stieß die Hände zum Himmel. „Bei Merlins Zaubersack, Toby Callahan."

„Toby Callahan."

„Oh bitte nicht noch einen Toby Callahan."

Fred beugte sich zu Logan vor: „Wer bei Umbridges Zauberschüssel ist Toby Callahan?"

Doch bevor Logan die Situation entschärfte, warf Reed ein: „Toby Callahan" – ihre Handbewegungen waren größer als Platz im Raum blieb – „war Mads Flamme in der zweiten Klasse."

„'Habt ihr Tommys Augen gesehen? Ich glaub er hat mir zugezwinkert'". Thormens Stimme war viel zu hoch. „'Tommy Callahan ist jetzt auch im Quidditchteam, wollen wir das Training ansehen? Tommy Callahan hat mir sein Tintenfass geliehen, Tommy Callahan –'"

Reeds Würgegeräusch war echter.

Und so verging der Rest des Abends, bis hinein in die tiefste Nacht. Fred hörte Geschichten, die Logan ihm lieber verschwiegen hätte – Nachdem Toby mit Denise zusammen war, hat Mads ihm Farbbomben in die Sporttasche gemischt; Nach ihrem ersten Feuerwhisky hat sie sich zwei Tage übergeben; Sie hatte diese Kurzhaarphase, sah aus wie ein Schnarchkackler –, bis er sich den größten Schlenker herausnahm und lauthals verkündete, dass er Logan vor einem Klatscher-KO gerettet und dabei vollkommen für sich gewonnen hatte, wobei Reed und Thormen bei seiner lebhaften Schilderung von Lees Kommentaren grölten.

Dass Logan ihm jedoch schon lange davor verfallen war, als er ihr auf der staubigen Treppe des Grimmauldplatzes das Buch aus den Händen genommen und ihr ein zweites Leben gegeben hatte, würde sie an diesem Abend für sich behalten.

In dieser Nacht ging Thormen nicht. Stattdessen half er Reed, das Gästezimmer herzurichten und küsste ihre Stirn für eine gute Nacht.

Die nächsten Tage verbrachten Fred und Logan dort. Obwohl der August kam und die Sonne nie wirklich aufging, obwohl Nebelschwaden die Felder umschlangen als bliebe für immer Herbst. An den Morgenden fütterten sie die letzten Hühner, die die Macauleys noch besaßen, an den Mittagessen beobachteten sie gemeinsam mit Reed die zitternden Hände ihres Vaters, die es vor zwei Jahren noch nicht gegeben hatte.

„Ich hoffe, es ist nur wegen Ma", raunte Reed irgendwann, als sie den Abwasch machten, „dass er sie vermisst. Nicht, dass er wirklich was hat."

Und Logan versuchte auch an diese Hoffnung zu glauben.

Dabei war Edmond Macauleys Frau schon seit acht Jahren tot. Und das Zittern seiner Hände bereits Teil seines ganzen Körpers geworden.

„Hier", weckte er Logan eines Morgens aus ihren Gedanken, als sie Fred und Reed auf der Veranda beobachtete, wie sie Teebeutel schleuderten.

Dann klatschte eine besonders schwere Zeitungsausgabe auf den Küchentresen. Reeds Vater schnaufte, aber stand aufrecht; lächelte und deutete auf den Artikel hinab.

Die Ausgabe des Quiditchmagazins Irish Newsbreaker war an den Ecken verbogen.

Es brauchte einen Moment bis Logan begriff, worauf sie hinabsah.

„Haben's direkt nach dem Tod deines Bruders in Ashtown errichtet. Kerzen brennen bis heute."

Logan hob die Zeitung an. Denkmal für verstorbenen Dragon-Hüter; Augustus Bolton Memorial außerhalb des Phoenix-Stadions.

„War schon drei mal dort." Reeds Vater trug eine Unergründlichkeit in der Stimme, die für immer reichte. „Wenn du willst, geh'n wir die Tage hin. Hab's lang nicht mehr gesehen. Und's ist wichtig, dass du's siehst."

In Irland zu sein war zeitweise wie ihr Herz zu heilen und dabei die Kluften darin tiefer zu reißen.

Jeden Abend, wenn Logan zu Bett ging, hatte sie das Gefühl, dass sie ihr neues Leben ein bisschen mehr verstand, in dem sie mehr und mehr von ihrem alten gehen ließ. Auch wenn sie das vergangene Jahr noch lange nicht begriffen hatte.

Fred war einfach da und sah ihr dabei zu. Küsste sie, wenn sie es brauchte, machte Witze, wenn sie zu lange nicht lachte und flog mit Reed und Thormen auf den alten Sauberwischs um den Eichenbaum, als Logan die Füße zu schwer dafür waren.

Sie tauschte Briefe mit Margot, die Augustus Freundin gewesen war. Sahen taten sie sich nie, aber das 'Es geht mir gut und ich denk an dich' war alles, was von dem Mädchen reichte, das irgendwann in ihre Familie eingeheiratet wäre, hätte die Welt es so gewollt.

An den Mittagen spielte sie mit Oscar Schach, wobei keiner von ihnen mehr als drei Züge ertrug. Logan sah ihm die Erschöpfung des Daheimseins an, und er ihr ihre, auch wenn er nie gestand, dass er die Sorgen um seinen Vater leid war und seine Verlobte ihn in Wales brauchte.

Und so stach nur in den Momenten der Stille heraus, wie schrecklich gleich die Welt in Irland trotz all der Zeit geblieben war; von den Bildern an den Wänden bis zum silbernen Besteck, trotz der vielen Menschen, die dorthin nie wieder kamen.

Wenn die Sonne hinter den weitläufigen Feldern versank, fielen Reed und Logan im Wohnzimmer ein. Fred hatte den Schachbrettplatz gegenüber Oscar eingenommen und an jedem Abend erzählte Logan mehr.

Erst nur über den Orden als ihren Unterschlupf, ohne zu viel zu verraten. Dann über Sirius, dann über Dumbledore. Über Robert und über Fred, wenn der mal nicht lauschte. Wie sie aufbrach, wie sie scheiterte, wie sie gingen. Wer Rheinar Kalgan war, was ihr Weg bedeutete.

Bloß zwei Dinge ließ sie aus.

Den Horkrux und Corben McLaggen, weil sie den Schmerz in seinem Blick und den Nachgeschmack daran ihn noch immer nicht schluckte.

„Logan", sagte Fred eines Morgens. Das erste Mal seit ihrer Ankunft brachen Sonnenstrahlen durch die Nebelschwaden und erreichten beinah das Haus. Fred stand am Fenster und Logan sah von der Bettkannte des Gästezimmers zu ihm.

Seitdem sie hier waren, sprachen sie wenig. Es reichte, dass Fred da war, allerdings war sein letzter Witz zwei Tage her.

„Es sind zwei Wochen rum", sagte er und als er sich zu ihr drehte war gekommen, was sich angebahnt hatte seitdem die Tage sich wiederhohlten. „Ich muss heim. George -"

„Ich weiß."

Fred schloss die Knöpfe seines Hemdes. Seit einigen Morgenden bekam er stetig Briefe; das Wachssiegel schmieriger.

„Du wirst mich nicht begleiten", flüsterte er, „hab ich recht?"

Logan sah an ihm vorbei auf die Nebelfelder hinaus.

„Du bist so glücklich hier", setzte er nach „Ich weiß, dass du das alles brauchst. Aber ich kann nicht länger in London fehlen."

„Das hier ist mein Zuhause." Logans Finger sanken in das Bettlaken, krallten sich fest, als müsse sie sich an so viel klammern. „Ich brauch mehr Zeit. "

„Wenn ich dich zu deinem Haus begleiten soll, Logan – Wir sind seit vierzehn Tagen hier. Die Gräber deiner Familie sind nicht zu weit weg. Ich war dort."

„Fred." Sie sprach seinen Namen mit Entschlossenheit, auch wenn ihre Lider flirrten. „Ich weiß nicht, ob ich das kann."

Sie wussten beide, wie unfair das war, weil sie diese Worte seit Wochen sagte und sich nichts an ihnen änderte. Weil nichts sich ändern konnte; sie war nie bereit.

„Ich kann nicht länger bleiben", hauchte Fred, nachdem sie das eine Weile lang begriffen hatten.

„Ich weiß. Und ich werd's auch nicht verlangen."

Also stand sie auf, trat an ihn heran. Nach Zündholz roch er nicht mehr und auch nicht mehr nach Karamell. Stattdessen nach fremden Waschmittel und einem anderen Haus. Er gehörte nicht hier her.

„Gib mir zwei Wochen", verlangte Logan und fuhr die Knopfleiste seines Hemdes nach. Fred inhalierte den Duft ihrer Haare als wäre zumindest der gleich geblieben. „Ich brauch das hier."

„Ich weiß", sagte er. „Schon gut."

„Ich schreibe dir", versprach sie ihm.

„Das hoff ich doch."

„Schreibst du mir?"

Er lachte. „Jeden Tag."

Also küsste er ihre Stirn. Unten pfiff der Kessel zum Morgentee.

„Fred?", hielt Logan ihn auf, bevor er die Schwelle passierte. Er fuhr zu ihr herum. „Ich liebe dich."

Und er musterte sie in fremden Licht. „Ich liebe dich auch."

Fred ging an diesem Abend, bevor die Dämmerung über Irland fiel. Er verließ den Landsitz der Macauleys und Logan blieb zurück. Am Horizont glitzerten die Vorboten der Nacht.

Logan und Reed standen auf der Hofeinfahrt und sahen ihm nach, wie er ihnen theatralisch salutierte, bevor seine Gestalt im Nichts verpuffte.

„Er ist gut zu dir", flüsterte Reed, bevor sie den Kopf an ihrer Schulter lehnte. Alles, was von Fred blieb, war die Einbildung seiner Silhouette. „Ich hoffe, du lässt ihn niemals gehen."

Zwei Tage später schrieb Logan Fred den ersten Brief. Und er erzählte ihr im Gegenzug von all dem Chaos, das ohne ihn im Lager ausgebrochen war.

Doch am Ende versiegten die Dinge, die sie zu erzählen hatte. Nur die Angst vor der Wirklichkeit und die Wärme der Macauleys blieb. Und auch, wenn die Wochen ohne Fred, George oder irgendeine Bindung an England vergingen, wollte Logan nicht fort. Weder fort, um ihr altes Heimathaus zu sehen, noch die Gräber ihrer Familie und erst recht nicht fort, um aufzugeben und in der Winkelgasse zu stehen – als ein Mensch, der sie schon lange nicht mehr war.

Einfach bleiben, weil sie hier nicht begreifen musste. Weil die Welt still blieb. Und in Irland noch keine Vermisstennamen durch die Radiosprecher hallten.

Bis Reed sie eines Mittags in der Küche beobachtete. Das Pergamentpapier vor ihr trug nur eine Zeile, die Tinte im Fass tropfte.

Der September war lange gekommen. Und Fred war seit vier Wochen weg.

„Es wird Zeit, dass du es siehst", flüsterte Reed und Logan sah auf. „Versprich mir, dass wir es morgen sehen."

Logan hielt die Feder fest. Schwieg.

Also kam Reed auf sie zu. „Willst du nicht zu ihm zurück?"

Der Nebel auf den Feldern war geblieben.

„Wenn ich es sehe", flüsterte Logan, „dann sind sie wirklich fort."

Reed legte ihr eine Hand auf den Arm. Schielte auf das Pergament und atmete tief. „Mads. Das sind sie schon längst."

Logan schickte diesen Brief vier Tage später ab und es war bei einer Zeile geblieben. Eine Woche, bis es Fred erreichte.

Lieber Fred. Ich bleibe noch. Ich habe keine Wahl, bitte gib mir Zeit.

Und so trug der Oktober den September fort.


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Das ist es also. Das hat es gebraucht, damit wir dahinkommen, wo wir jetzt sind: Fred in London, Logan in Irland und Corben machtlos. 

Wie gefallen euch Thormen und Reed bisher? Habt ihr irgendwelche Erwartungen an sie gehabt, die vielleicht besonders erfüllt oder nicht erreicht wurden? 

Was macht ihr bei diesem Herbstwetter am liebsten? 

Nächste Woche geht's weiter und dann treten wir endlich die richtige Handlung los. Fred und Logan need to meet again. Was glaubt ihr, wird sie sich für Irland oder für ihn entscheiden? Steht ihnen da überhaupt etwas im Weg? 

Ich freu mich und hoffe, ihr genießt die Sonne bis dahin. 

All the love, Ally 

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