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„Komm mit", sagte ich sanft und ging wieder in mein Schlafzimmer. Basti stand unbeholfen neben mir. Ich streckte meinen Arm aus, deutete ihm an sich ins Bett zu legen. „Leg dich hin" Er tat wie gesagt. Doch er deckte sich nicht zu, starrte nur mich an. Verwirrt mustere ich ihn. Er mich. Zögerlich legte ich vorsichtig die Decke über seinen zitternden Körper. Als die Wärme ihn erreichte, liefen neue Tränen seine wunderschönen Wangen hinunter. Wer weiß, wie er die letzten Monate geschlafen hat? Ohne Bettwäsche? Auf dem Boden? Auf dem kalten, kargen Steinboden? Er kuschelte sich an seinen Teddy und zog die Bettdecke noch höher zu seinem Gesicht. Zufrieden lächelte ich ihn an. Er sollte wissen, dass es okay ist. Dass alles okay ist. Ich gesellte mich nun neben ihn, auf meine Seite des Bettes. Doch kaum berührte ich die Matratze, schnellte Bastis Kopf auf die andere Seite, zu mir, und starrte mich verängstigt, mit großen Augen, an. „Ich mach dir nichts", versuchte ich ihn zu beruhigen. Sein Atmen wurde von Sekunde zu Sekunde schneller. Ich bemerkte, dass wohl keine Chance bestand, mit ihm in einem Zimmer zu schlafen. „Okay, ich werde dir nichts tun, ja?" Ich hob meine Hände in die Luft und ging langsam rückwärts aus dem Zimmer. „Schlaf gut, Basti. Wenn etwas sein sollte, komm zu mir ins Wohnzimmer" Mit diesen Worten verschwand ich in den genannten Raum. Auf der Couch ließ ich mich nieder und umhüllte meinen Körper mit den dünnen Wolldecken.
Meine Gedanken schwirrten umher, ließen mir keine Ruhe. Was mach ich mit ihm? Wie verhalte ich mich richtig? Vertraut er mir noch? War er überhaupt geistig anwesend? Was wird aus uns? Was wird aus unserer Karriere? Das Geld kommt nicht von alleine. Schon durch diese drei Monate nicht streamen existierte eine große Lücke in unseren Konten. Doch im jetzigen Zustand könnte weder Basti noch ich wieder arbeiten. Zwar hatte Basti auch seinen kleinen Wohlstand, der notfalls vielleicht für ein paar Jährchen genügt, doch nicht auf dauer. Nicht für die Ewigkeit. Meine Sorgen zogen mich langsam in die Schwerelosigkeit, bis ich von tiefen Schwarz umhüllt wurde.
Durch ein trällerndes Geräusch schreckte ich hoch. Verwirrt blickte ich durch meine Wohnung. Alles dunkel. Es war noch mitten in der Nacht. Ich erkannte das Piepen, der Feueralarm. Hastig schlug ich die Decke beiseite und suchte nach der Ursache. Lange musste ich nicht schauen. Die Küche. Der Herd. Er stand in Flammen. Vor ihm Basti. Emotionslos. Beobachtete nur die Bewegungen des Feuers. „Scheiße“, stieß ich aus, ohne nachzudenken. Ich drängte mich an Basti vorbei und holte den Feuerlöscher. Ein Glück gibt es diese Vorschrift in Deutschland. Panisch erstickte ich die Flammen, bevor ich dann auch den Feuermelder wieder stumm schaltete. Ich stützte mich an der Küchentheke und versuchte erstmal zu Atem zu kommen. Was war gerade passiert? Basti stand immernoch da. Genauso emotionsleer. Sein Blick wandte er nicht vom Herd ab. „Basti, was ist passiert?“ Er stellte Augenkontakt her, doch weiter kam es nicht. Keine Emotionen, keine Entschuldigung, keine Erklärung. Nichts. Ich musste mit mir selbst kämpfen, damit ich ihn nicht anschreie. Das wäre kontraproduktiv. „Du weißt, du kannst mit mir reden, ja? Ich bin immernoch dein Freund. Und werde es auch weiterhin bleiben. Ich will dich wirklich nicht zum Reden zwingen, aber du weißt, ich bin da, oder?“ Keine Reaktion. Verstand er denn überhaupt, was ich sage? Ich hatte keine Ahnung mehr, wie ich das Problem angehen sollte. Es gab keine Reaktion von ihm. Und er fühlte sich immer noch so fremd an. Ich wusste zwar, dass er Basti war, aber er schien mich nicht als einen Freund zu erkennen, sondern nur als eine weitere Person, mit der man sich auseinandersetzen musste, um überleben zu können. Das konnte doch nicht der Basti sein, den ich kannte. Ich wollte Basti wieder zurück. Den alten Basti. Meinen Basti.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es kurz nach zwei war. „Es ist okay, ich werde niemanden etwas sagen. Aber dir sollte klar sein, wenn das jemand raus bekommt, wirst du eingeliefert. Bitte, mach sowas nicht nochmal. Bitte“ Er durchbohrte mich mit seinem gefühlsträgen Blick, schien in meine Seele zu schauen. „Leg dich wieder ins Bett, okay? Ruh dich aus. Wir schaffen das“ Er drehte sich langsam von mir weg, platzierte das Streichholzschächtelchen auf der Küchenablage und betrat wieder mein Schlafzimmer. Ich atmete tief aus. War ich zu streng mit ihm? Sollte ich strenger sein? Was ging durch seinen Kopf? Ich nahm die Streichholzschachtel an mich, damit er nicht nochmal auf die Idee kommt. Der verschmorte Herd roch unangenehm, weswegen ich versuchte die Kruste irgendwie abzukratzen, mit einem Schaber. Klappte so semi gut. Müde warf ich einen letzten Blick in mein Zimmer. Totenstille. Nichtmal Atem war zu hören. Doch ganz schwach erkannte ich die Umrisse der Gestalt auf meinem Bett. Basti saß mit angewinkelten Beinen, die er mit seinen Armen umklammerte, auf der Matratze. „Leg dich schlafen. Gute Nacht“, flüsterte ich noch, bevor ich mich selber wieder auf der Couch zudeckte.
Unentschlossen blieb ich noch etwas am Handy. Hunderte Nachrichten aus unserer Gruppe. 'Wie geht es Basti @kevin?'. Ja, gute Frage. Wie geht es ihm denn? 'Hab nicht aufs Handy geschaut, sorry. Ihm gehts glaube gar nicht gut. Er ist sehr abweisend, auch mir gegenüber' Wenige Augenblicke später schrieb Fabo auch schon: 'Spricht er wieder?' Ein langes Seufzen entwich mir. Ich war den Tränen nahe. 'Nein. Und Essen, wenn dann gerade nur so viel, dass er nicht verhungert. Medikamente verweigert er immer noch'. Basti tat mir so unendlich leid. Ich wollte nicht, dass er sowas durchmachen musste. Niemand sollte das. Nur wegen ein paar Vollidioten. Und meiner Faulheit.
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