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Eines Tages stand ich wieder vor seinem Bett. Alles beim Alten. Nichts hat sich verändert. Nichts Neues. „Ich habe gestern abend angefangen die Netflix Serie zu schauen, die du so magst. Vielleicht können wir sie ja zusammen weiter schauen, was meinst du?" Natürlich wieder keine Antwort. „Irgendwann" Er lag nur da und atmete. Ich erzählte ihm gerade von meinem Tag, als die Ärztin das Zimmer betrat. „Oh, guten Tag. Sie sind genau zum richtigen Zeitpunkt hier", begrüßte sie mich mit einem breiten Lächeln. Verwirrt blickte ich sie an, während sie Bastis Werte in ihre Liste eintrug. „Seine Werte haben sich wieder einigermaßen normalisiert. Wir können ihn jetzt aus dem Koma holen" Plötzlich wurde ich ganz hellhörig. Meine Müdigkeit verschwand und mein Adrenalin-Pegel stieg ins unermessliche. Würde ich jetzt tatsächlich mit ihm reden können? Wird er wieder der Alte? Die Frau stellte irgendwas beim Beatmungsgerät um, bevor sie dann die Maske von Bastis Mund und Nase abnahm. „Er wird jetzt noch schlafen, so eins, zwei Stündchen. Danach ist er dann wach. Sie können gerne so lange warten und auf den Knopf drücken, wenn es soweit ist" Sie zeigte auf den roten Not-Knopf. Dann verschwand sie auch schon wieder. Mit nassen Augen beobachtete ich meinen Freund. Wieder sah ich, dass sein Oberkörper sich gleichmäßig hebte und senkte. Doch diesesmal keine Beatmungsmaske. Diesesmal atmete er selber. Und das machte mich zum glücklichsten Menschen auf der Welt.

Also wartete ich. Eine gefühlte Ewigkeit. Plötzlich bewegte sich etwas. Seine Augen. Es fiel mir so schwer mein Glück zu kontrollieren. Mein Freund war noch da. Nicht weggeholt worden, sondern ganz hier. Plötzlich war er wieder da! Eine unbeschreibliche Freude ging durch mich. Als wäre ich in den Himmel geschossen. Als hätte ich gerade die ganz große Liebe gefunden. Der Mann, den ich verloren hatte, den ich schon in meinem Kopf zu Grabe getragen hatte, war nicht verloren. Er war da. Bei mir. Ich drückte, wie versprochen, den Knopf, als seine Augen immer mehr flatterten. „Basti?", fragte ich zitternd. „Basti, kannst du mich hören?" Entgegen meiner Erwartungen blickte er nicht zu mir, sondern starrte geradewegs an die Wand. Aus seinem Gesicht waren keinerlei Emotionen rauszulesen. Keine Trauer, weil er schlecht behandelt wurde. Keine Angst, weil alles unbekannt war. Keine Freude, weil er gerettet wurde. Nichts. Absolut nichts. „Kannst du mi-" Meine Stimme brach ab. „Kannst du mir ein Zeichen geben, wenn du mich verstehst? Irgendeins?" Erwartungsvoll musterte ich seinen ganzen Körper. Wartete auf eine Bewegung, selbst ein Zucken hätte gereicht. Wieder nichts. Voller Tränen stellte ich mich vor die Wand, die er immernoch anstarrte. Ich bewegte mich hin und her, versuchte seinen Blick auf mich zu richten, doch seine Augen fokussierten nur die Wand hinter mir. „Basti...Ich bin's, Kevin. Erkennst du mich nicht mehr?" Ich gab noch nicht auf. Noch nicht. Ich wollte es mir nicht eingestehen.

In dem Moment kam die Ärztin ins Zimmer. Ihr Lächeln verschwand, als sie mich mit verheulten Augen sah. Jedoch bemerkte sie direkt danach auch die Ursache. „Herr Schneider, können Sie mich hören?" Das gleiche wie bei mir, keine Antwort. Sie wedelte mit ihrer Hand vor seinem Gesicht, doch immernoch nichts. Nichts schien zu helfen. Er war wie eingefroren. „Beruhigen Sie sich. Wir finden die Ursache und auch eine Lösung, okay? Geben Sie ihm etwas Zeit. Ich werde jetzt erstmal einen Neurologen holen, der ein Messgerät für Hirnwellen installieren kann. So können wir dann sehen, wie wir ihm helfen können", sprach sie auf mich ein. Das hörte sich alles gar nicht gut an. Ich wollte doch einfach nur meinen Freund wieder. So wie früher.

Kurze Zeit später betrat sie erneut den Raum, diesesmal mit einem etwas älteren Mann. „Hallo", begrüßte er mich und lächelte mir halbherzig zu. Aus seiner Tasche holte er einzelne Sensoren. Sowas kannte ich aus Filmen. Sie werden am Kopf angebracht und messen die Hirnwellen. In diesen Filmen funktionierte es immer. Bitte auch jetzt. Bitte. Gerade, als der Neurologe den ersten Sensor platzieren wollte, schreckte Basti unter seiner Berührung hoch. Ich war geschockt. Wusste nicht, ob ich weinen oder mich freuen sollte. Basti drängte sich auf die andere Seite seines Bettes, damit so viel Abstand wie möglich zwischen ihm und den Ärzten war. Der Monitor piepte was das Zeug hält. Sein Puls schoss in die Höhe. Er atmete viel zu kurz und viel zu schnell. Seine Augen wackelten panisch zwischen den beiden hin und her. „Beruhigen Sie sich. Es ist alles gut", versuchte es der Arzt, doch Basti schnappte immernoch nach Luft. Jetzt waren auch endlich Emotionen zu sehen. Angst. Fast schon Todesangst. Etwas in mir zerbrach. Wie gerne ich ihn jetzt in den Arm nehmen würde. Er atmete immer schneller. Haben die hier keine Beruhigungsspritzen? „Sie sind hier im Krankenhaus. Niemand will Ihnen etwas tun", versuchte es nun auch die Ärztin. Doch als sein Puls immer weiter stieg, kam dann doch eine Beruhigungsspritze. Basti zog seinen Arm weg. Machte alles, damit sie nicht an ihn rankommen. Der Arzt stellte sich auf die andere Seite und hielt in fest, als wäre er ein wildes Tier. Er kniff seine Augen zusammen, als würde er erwarten gleich verprügelt zu werden. Doktor Ulubey initiierte die Spritze. Nach ein paar Momenten wurde Basti wieder ganz ruhig. Seine Augen flatterten noch ein paar mal, bevor er dann endgültig wieder einschlief.

Perplex stand ich da. Wusste nicht wohin mit mir. So eine Reaktion hatte ich definitiv nicht erwartet. „Die Spritze wirkt nur ein paar Minuten. Gehen Sie nach hause, es ist das Beste für euch beide. Kommen Sie morgen wieder, dann können wir Ihnen auch genauere Auskunft geben“, lächelte mir die Ärztin zu. Was denkt sie, wie ruhig ich bleibe, wenn ich gerade meinem besten Freund dabei zugesehen habe, wie er eine Panikattacke nur durch eine ganz kleine Berührung bekam. Wir werden nie wieder kuscheln können. Nie wieder Händchen halten. Nie wieder zusammen tanzen. Und ich soll einfach nach Hause gehen und so tun, als wäre das hier alles nicht passiert? Ich nickte nur und zwang mir ein kleines Lächeln an.

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