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Sechs Monate. Sechs Monate ist es her, als ich Basti abgesetzt hatte. Viel hat sich seitdem verändert. Ich traf mich öfters mit Veni und Fabo. Insgesamt fühlte ich mich aber trotzdem allein. Einsam. Ohne Basti war ich niemand. Und die Gedanken um ihn ließen mir keine Ruhe. Sie ließen mich nachts nicht schlafen. Wie es ihm wohl ergeht? Ob sich schon etwas gebessert hatte? Ich konnte keine Routine einführen, nicht meinem Alltag nachgehen, da mir diese Unwissenheit einfach nicht aus dem Kopf ging. Umso erleichterter war ich, als ich endlich den Anruf bekam. Den Anruf, auf den ich bereits so lange gewartet habe. Ich dürfte Basti abholen. Nach einem halben Jahr. Nach einem halben Jahr sehe ich ihn endlich wieder.
Mein Herz hüpfte Seil, meine Mundwinkel blieben kontinuierlich oben, als ich ins Auto einstieg. Ich konnte es einfach immernoch nicht fassen. Er würde wieder bei mir sein. Wie früher. Gleichzeitig bekam ich allerdings auch Bedenken. Was, wenn es ihm noch immer nicht gut ging? Wenn ihm gar nicht geholfen werden konnte? Und ich ihn deswegen abholen sollte, weil es hoffnungslos war? Vielleicht war das ja einfach sein Dauerzustand. Diese emotionslose, leere, abwesende Hülle. Ich wollte gar nicht daran denken. Er tat mir so leid. Basti war noch so jung, so unschuldig.
Ich parkte mein Auto auf dem großen Parkplatz vor der Klinik und atmete erstmal tief durch. Egal was mich jetzt erwartet, ich müsste bereit dafür sein. Unsicher und zitternd stand ich in der Eingangshalle, als eine Frau vorbei kam. „Guten Tag, Sie sind Herr Teller?" Ich nickte, hatte das Gefühl vor Aufregung kein Wort rauszubekommen. „Sie können gleich mitkommen zur Ärztin. Sie würde gerne vorher noch mit Ihnen reden" Mein Herz rutschte mir in die Hose. Hat Basti was angestellt? Warum wollte sie mit mir reden? Gab es Probleme? Komplikationen? Hat er jemanden verletzt?
Langsam trottete ich der schwarzhaarigen Frau hinterher, bis zu einem kleinen Zimmer. Ich klopfte zaghaft und trat ein. „Ah, guten Tag" Vor mir saß eine etwas ältere Dame mit grauen lockigen Haaren und einer roten Brille. „Setzen Sie sich" Sie lächelte, also ein gutes Zeichen. Oder? Ich nahm auf den braunen Lederstuhl, gegenüber von ihr, platz. „Nun, ich würde Ihnen ersteinmal gerne erzählen, was alles so passiert ist in den letzten Monaten, bevor Sie ihn dann wiedersehen" Das hörte sich eher nicht so super an. Mein Herz pumpte gegen meinen Brustkorb, sprang fast heraus. Meine Hände wurden schwitzig und ich hatte das Gefühl mich jeden Moment übergeben zu müssen.
„Keine Sorge, wir haben gute Fortschritte gemacht" Ich stieß hörbar Luft aus. Ein ganz großer Stein fiel mir vom Herzen und ich konnte wieder atmen. „Er redet sogar wieder" Ich traute meinen Ohren nicht. Basti redet? „Nicht oft und nicht viel. Meistens keine vollständigen Sätze. Aber er redet" Ich konnte nicht aufhören zu Grinsen. Meine Augen wurden feucht, vor Freude. Er hat es tatsächlich geschafft. „Er hat auch angefangen mehr zu essen. Zwar immernoch zu wenig, ist aber ein Fortschritt. Ach, und Berührungen sind leider noch ein Problem. Es ist ihm wirklich sehr unangenehm" Ich nickte wieder, als Zeichen, dass ich zuhörte. Konnte ja nicht alles perfekt sein. Blöd von mir, dass ich das je glaubte.
„Anfangs war Ihr Freund wirklich ein schwerer Fall. Wir konnten ihn nicht erreichen. Es gab sowas, wie eine unsichtbare Mauer zwischen uns. Er verweigerte jegliche Hilfe, egal ob medizinisch oder therapeutisch. Zu seinen Mitbewohnern zeigte er oft aggressives Verhalten" Und wieder war da dieses beklemmende Gefühl in mir. Ich wollte es gar nicht wahr haben. „Leider hat er auch bis jetzt noch nicht erzählt, was überhaupt passiert ist. In den ersten paar Wochen hat er insgesamt ungefähr 10 mal versucht abzuhauen" Ich sprang von meinem Stuhl auf. „Was?!" „Beruhigen Sie sich" „Warum haben Sie mich nicht angerufen?!" „Bitte setzen Sie sich" „Warum haben Sie mir nicht bescheid gesagt?!" Ich schrie sie an, etwas zu laut. „Setzen Sie sich", rief sie nun zurück.
Beschämt ließ ich mich auf dem Platz nieder. „Wir konnten ihn jedesmal rechtzeitig davon abhalten. Hätte er es tatsächlich geschafft, hätten wir Sie natürlich sofort angerufen" Ungläubig musterte ich sie. „Also, zusammengefasst: Bastian geht es besser, nicht gut. Aber wir haben beschlossen, er ist bereit wieder nach Hause zu gehen. Oder eben wieder zu Ihnen, können Sie ja dann privat klären" Sie lächelte mir zu und stand auf. „Okay, folgen Sie mir"
Schwer atmend ging ich mit ihr durch die Flure. Mein Herz am rasen, mein Körper angespannt, voller Angst. An einer Ecke blieb sie plötzlich stehen. „Er ist hier gleich um die Ecke. Ich wollte euch beide erstmal alleine lassen" Nach einem Lächeln verschwand sie wieder. Ich setzte meinen Weg fort. Und vor einer der vielen Türen stand er. Basti. Sein Koffer stand neben ihm. Basti sah eindeutig besser aus, gesünder. Gleichzeitig auch, als hätte man ihm alle Kräfte geraubt.
Wir standen uns einige Sekunden lang stumm gegenüber. Seine Haare waren gepflegt, seine Haut nicht mehr ganz so blass, und die Wangenknochen sah man nicht mehr ganz so stark. Mit aufgerissenen Augen schaute er mich an. Irgendwas wollte ich sagen, bekam aber nichts raus, wusste nicht was. Er kam immer näher auf mich zu. Erst dachte ich, er würde mich schlagen. Doch dann geschah etwas, was ich mir in meinen besten Träumen nicht ausgemalt hätte. „Bitte erwider nicht", hauchte er und umarmte mich plötzlich.
Stocksteif stand ich da, überfordert. Nach einem Jahr hörte ich seine Stimme wieder. Ein Jahr. Seine süße, liebevolle Stimme. Die Stimme, der ich stundenlang zuhören will. Die mich nachts in den Schlaf begleitet. Ich hörte sie wieder. Ich spürte seine Arme an meinem Rücken, wie er sich förmlich festkrallte. Seinen Kopf vergrub er in meiner Schulter. Ich konnte nicht anders als anfangen zu weinen. Das altbekannte Gribbeln durchfuhr meinen Körper. Wie ich seine Berührungen vermisst hatte. Wie ich ihn vermisst hatte. Mein Herz beruhigte sich nicht, es war alles so viel. Meine Kehle war trocken und brannte, mein Körper zitterte vor Aufregung.
Er hielt mich fest, als würde ich gleich verschwinden. Ich hörte, Basti weinte ebenfalls. Als er sich löste sah ich in sein tränenüberströmtes Gesicht, er in meins. „Es tut mir leid", flüsterte er. Ich versuchte meine Fassung zu bewahren. „Basti, es ist okay" „Nein, es tut mir leid. Es tut mir leid..." Er hörte gar nicht auf sich zu entschuldigen. Immer mehr Tränen bahnten sich ihren Weg über sein wunderschönes Gesicht, während er diese vier Worte wiederholte. „Bitte, mach dir keinen Kopf, ja? Ich bin einfach froh dich wiederzusehen" Meine Stimme war kraftlos, nur ein Hauchen. Schief lächelte ich ihn an und nahm seinen Koffer.
Auf dem Weg zum Auto hatte er endlich aufgehört sich zu entschuldigen. Ich verstaute sein Gepäck im Kofferraum und Basti setzte sich auf den Beifahrersitz. Von der Rückbank holte ich noch schnell etwas, bevor ich mich hinters Steuer begab. „Hier, für dich" Ich gab ihm einen bunten Blumenstrauß. Zögernd nahm er ihn in seine Hand und musterte mich verunsichert. Seine Augen waren wieder weit aufgerissen und glasig. Und dann lächelte er. Er lächelte mich an. Nicht viel, aber er lächelte. Und am liebsten hätte ich Freudensprünge gemacht. Das Glücksgefühl durchströmte meinen ganzen Körper. Sein zauberhaftes Lächeln. Wie lange ist es her? In mir breitete sich ein ganz bestimmtes Gefühl aus. Erfolg. Sieg. Wir hatten es geschafft. Basti hatte es geschafft.
Mir war durchaus bewusst, er litt immernoch unter dem Stockholm-Syndrom. Es ist nicht alles in Ordnung, und ich frage mich, ob es das jemals wieder sein wird. Aber Fakt ist: es ist okay. Basti geht es besser, und das zählt. Irgendwann werden wir vielleicht darüber sprechen. Wenn die Wunden nicht mehr frisch sind und Basti darüber sprechen kann. Irgendwann bekomme ich vielleicht meine Antworten, aber es dauert, und das ist okay. Es wird noch ein langer Weg bis zur Normalität, zusammen schaffen wir das. Damit wir zumindest so tun können, als ob es nie passiert ist.
eigentlich sollte die story so 6 kapitel beinhalten aber glaube hab mich etwas verschätzt 🫡
niemand hat mir geglaubt als ich meinte es gibt ein happy end :(
wäre euch sehr verbunden wenn ihr kritik abgebt <3 egal ob positiv oder negativ
hab tatsächlich angefangen mit einer neuen story, kommt aber warscheinlich frühestens nächstes jahr, oder gar nicht peeposhy
versuche mich jetzt mal mehr auf oneshots zu konzentrieren (schau ma ma was wird)
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