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Also lies ich Basti in Ruhe. Komplett. Ich kümmerte mich nicht um ihn, verweigerte jegliche Interaktionen. Wenn wir in der Wohnung aneinander vorbei liefen vermieden wir beide Augenkontakt. Sein Essen stellte ich ihm nur auf den Tisch, verschwand wieder und lies Basti einfach Basti sein. Er wollte es schließlich so. Ich hatte ihn überstrapaziert, also musste ich auch mit den Konsequenzen leben.

Eine Zeit lang ging dieser Zustand so, ohne Kontakt von irgendeiner Art her. Basti schien es zu gefallen, alleine sein zu können, ohne von mir belästigt zu werden. Dennoch fühlte sich das Ganze nicht richtig an. „Es tut mir leid", meinte ich dann irgendwann mal wieder. Basti stellte zum ersten mal seitdem wieder Blickkontakt mit mir her. Ich sah, seine Wut war größtenteils vergangen, nur ein kleiner Rest blieb noch zurück.

„Ich wollte das nicht. Ich wollte dir nur helfen. Willst du denn gar nicht wieder raus?", fragte ich kleinlaut. Basti drehte seinen Kopf zum Fenster, sah die grünen Bäume vor diesem, den blauen Himmel, die Vögel. Dann nickte er. „Du willst wieder raus?" Ungläubig musterte ich jede seiner Bewegungen. Er nickte erneut. Und in meinem Inneren brach Jubel aus. Ich wusste zwar nicht warum, sehnte mich schon fast nach dem Grund, aber eigentlich konnte es mir komplett gleichgültig sein. Solange er wieder mit mir kooperiert.

„Wir könnten ins Einkaufszentrum", kam mir eine Idee. Basti schien nachzudenken. „Das, mit dem Park, hast du echt gut hinbekommen. Aber letztendlich musst du entscheiden, ob du dafür bereit bist" Rege nickte er, seufzte und setzte sich an den Tisch. Die Arme verschrank er auf der Platte und lies seinen Kopf in das entstandene Loch sinken. Anscheinend überforderte ihn das immernoch alles. Aber was sollte ich denn tun, wenn er selber meinte, dass er raus wollte? Er braucht das. Er braucht seinen Alltag wieder, so schnell es geht. Würde ich schon gewusst haben, welche Konsequenzen das mit sich zieht, hätte ich es nie gemacht.

Wir fuhren also mit dem Auto auf den Parkplatz und liefen zum Eingang. Das altbekannte Zentrum. Der Bäcker, bei dem Fabo sich seinen Eierolli gekauft hat, der Fashion-Laden, wo Bastis Hemd ihm viel zu weit war. Basti schaute sich um, erkannte wohl den Ort wieder. Ob das nun eine gute Erinnerung war, wer weiß? Glücklicherweise erwischten wir eine gute Zeit. Die Kinder waren noch in der Schule, die meisten Erwachsenen arbeiteten, und generell war es einfach viel zu früh, um Einkaufen zu gehen. Einzelne alte Leute wuselten herum, genauso wie arme Bettler. Dann fühlte ich mich wieder schlecht. Im Gegensatz zu ihnen besaß ich doch so ein gutes Leben. Hatte viel Geld, eine tolle Familie, war jung und gesund. Und trotzdem gab ich mich nicht zufrieden. Trotzdem war ich nicht glücklich. Denn das einzige, was ich mir wirklich wünschte, konnte ich mir auch mit meinen Millionen nicht kaufen. Meinen Freund zurück.

Wir schlenderten durch die Etage, an den vielfältigen Geschäften vorbei, wie früher. Nur, dass jetzt gar nichts mehr wie früher war. Durch die wenigen Menschen konnte sich Basti einigermaßen zurechtfinden. Sein Atem hörte man wahrscheinlich am anderen Ende der Halle noch, so schwer war er. Aber er schaffte es, sich zu beruhigen, und keine Panikattacke zu bekommen. Zumindest keine äußerliche. Wer weiß, wie das ganze in seinem Inneren aussah. Wahrscheinlich tobte dort gerade ein Sturm. Ohne Aussicht auf jegliche Sonnenstrahlen.

Minutenlang liefen wir umher, bis wir uns auf den steinernen Rand des Springbrunnen setzten. Basti atmete laut aus. „Du machst das super", versicherte ich ihm. Planlos wackelten seine hilflosen Augen in dem Center umher. „Wollen wir gehen?" Zaghaft nickte er, nachdem er intensiv darüber nachdachte. Und, wie im Park, wiederholten wir diesen Akt mehrmals. Diesesmal achtete ich jedoch mehr auf die Signale von Basti. Sollte ich merken, dass es gerade einfach nicht passt, würden wir eben nach hause gehen.

„Was hälst du von Burgeressen als Belohnung?", fragte ich enthusiastisch, nachdem er nun fast ohne Probleme in das Einkaufszentrum gehen konnte. „Geht auf mich" Basti schluckte, aber ich wusste genau, wie sehr er das auswärts Essen vermisste. Auch wenn er eher der gesunde Typ war, ab und zu ein Burger konnte er auch vertragen. Er musterte mich mal wieder, durchbohrte mich mit seinem Blick. Erst wollte ich schon zurück rudern, dachte er wäre doch noch nicht so weit, dann allerdings nickte Basti. Ein Lächeln schlich sich auf meine Lippen. Welch großen Fortschritt er in den letzten Wochen erreichte, unglaublich. Zwischenzeitlich hatte ich meine Hoffnung kurz verloren, dann wurde sie neu aufgeflammt.

„Bist du dir sicher?" Ich wollte nicht, dass er sich unter Druck gesetzt fühlt. Einige Sekunden überlegte er noch, schwieg mich mal wieder an. Dann kam ein erneutes Nicken. „Okay, aber du kannst es dir jederzeit noch anders überlegen. Gib mir einfach irgendwie bescheid" Ich war verwirrt. Warum wollte er jetzt plötzlich freiwillig in die Öffentlichkeit? Selbst vor der Entführung ging er ungern nach draußen, und von danach brauchen wir gar nicht erst zu reden. Er sträubte sich förmlich dagegen. Jetzt auf einmal war alles in Ordnung? Ein ungutes Gefühl verbreitete sich in meinem Magen. Hat er irgendwas vor? Ist das vielleicht ein Fehler?

Erleichtert warf ich einem weiteren Blick in die Augen von Basti, denn das Ganze schien wirklich in Ordnung zu gehen. Allerdings konnte ich meine Bedenken nicht unterdrücken, da es mir sehr merkwürdig vorkam. Daher war es jetzt umso wichtiger, dass ich Basti genauestens beobachte. Ich wollte ganz genau wissen, was in seinem Inneren vor geht. Wir traten in das Restaurant ‚Peter Pane' und setzten uns an einen etwas abgelegenen Tisch. Der Ort war beliebt, viele aßen hier gerne zu abend. Umso glücklicher wurde ich, als kaum noch andere Menschen bei uns waren. Sonst wäre es vielleicht wirklich zu viel geworden.

„Das gleiche wie immer?", fragte ich Basti, welcher emotionslos auf der Speisekarte blätterte. Zaghaft nickte er, las aber trotzdem weiter. Der Kellner kam und nahm unsere Bestellungen auf. Bestimmt schämte sich Basti, fühlte sich wie ein kleines Kind, weil ich für ihn bestellen musste. Ich lächelte ihm leicht zu. Er sollte sich bewusst sein, dass alles okay ist. „Wie fühlst du dich?" Naiv von mir, eine Antwort zu erwarten, aber tief in meinem Inneren glühte noch ein Fünkchen Hoffnung. Niemals würde ich meinen Freund aufgeben. Stattdessen saß er nur leicht zusammengekauert auf der breiten Bank, er wirke so winzig. So zerbrechlich.

Der Kellner brachte uns das Essen. Wie sehr ich diesen Duft vermisst hatte. Der Geruch von frischen Burger. Basti hingegen beäugte seinen Teller, als würde er zum allerersten mal in seinem Leben dieses Gericht sehen. Dabei war es ja das gleiche, wie sonst auch. Wie schon die letzten zehn Jahre. „Basti, du kannst essen" Verunsichert wackelten seine eisblauen Augen zu meinen. Hilfesuchend. „Es wird dir schmecken und gut tun. Vertrau mir" Er schluckte. Widmete dann seine Aufmerksamkeit wieder dem Geschirr.

Zögerlich umfasste er das Brötchen mit seinen knöchrigen Händen. Der erste Biss verlief langsam, danach immer schneller. Eine einzelne, stumme Träne floss aus seinem Auge. Mir wurde bewusst, wie sehr er das vermisst hatte. Diese Zeit, dieser Laden. Nur wir beide, wie früher. Er schlang förmlich, trotzdem immer darauf bedacht, sich nicht vollzukleckern. Bei mir scheiterte dieser Versuch bereits. Basti hatte es wohl wirklich vermisst. Ich war ehrlich erleichtert. Es war so schön, meinen Freund wieder zu seinen gewohnten Gewohnheiten zurückkehren zu sehen.

Fast schon war alles perfekt. Doch dann schlug das Schicksal mir erneut ins Gesicht. Aus dem nichts hörte man nur einen Mann, der sich lauthals an der Theke beschwerte. Er schrie als gäbe es kein morgen mehr. Sofort stieg Panik in mir hoch, denn ich wusste, was jetzt passiert. Basti schmiss seinen Burger auf den Teller, seine Hände krallten sich um seine Ohren. Den Bissen in seinem Mund kaute er beim besten Willen nicht weiter. Stattdessen kniff er seine Augen zusammen und duckte sich, als würde er sich vor etwas schützen. Das Personal versuchte den aufgebrachten Kunden zu beruhigen, doch er schrie immer weiter.

„Es wird alles wieder gut", versuchte ich Basti zu beruhigen, jedoch drang kein Wort, durch den Schutzwall seiner Hände, in seine Ohren. „Er will dir nichts tun. Er kann dir nichts anhaben" Das Sicherheitspersonal trat in Uniform hervor. „Er wird dich nicht verletzen" Sie brachten den -immernoch schreienden- Mann mit etwas Gewalt nach draußen. Bastis feuchte Augen ließen nicht von der Tür ab. Was eine dumme Idee hier herzukommen. Warum war ich so dämlich? Ich hätte länger warten müssen. Dabei wollte es Basti doch so unbedingt. Und genau das machte mir Sorgen.

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