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Die Nacht verlief für mich sehr unruhig. Ich konnte nicht aufhören an das Gericht zu denken. Wie sie diesem Idioten nichts zugesprochen haben. Wie sie Basti indirekt ausgeliefert haben. Nicht zuletzt auch noch, wie ich an einer Panikattacke Schuld hatte. Bei meinem besten Freund. Zumindest waren wir das. Sind wir das denn immer noch? Sieht er mich noch? Erkennt er mich? Vielleicht war ich in seinen Augen einfach ein weiterer Entführer, der nur böses für ihn wollte. Deshalb versteckte er sich so vor mir.

Meine Aufgabe für den nächsten Tag bestand darin mit Basti in die Stadt zu gehen. Der Arzt meinte, es wäre wichtig sich wieder an die Öffentlichkeit zu gewöhnen. Und umso länger wir damit warten, desto schwieriger wird es. Weil er sich dann an das 'Bunkerleben' gewöhnen würde. Basti stand im Türrahmen mit zerzausten Haaren und tiefen Augenringen. „Na, nicht gut geschlafen?", fragte ich das Offensichtliche. Er starrte nur weiter auf den Boden. „Frühstück bitte was, und danach gehen wir in die Stadt, okay?" Mit diesen Worten bekam ich seine Aufmerksamkeit. „Keine Sorge, wir lassen es langsam angehen. Hier, mach dir einen Toast" Ich schob die Toastscheibe auf dem Tisch zu ihm, welche er resigniert ansah. Mittlerweile aß er zwar wieder, aber nur wenn es ganz gut läuft ein mal pro Tag. Wirklich nur mit Glück. Ich hielt mich zurück ihn an die Ärzte zu verpetzen. Das wäre Grund genug für die Klinik. Und das wollte er nicht. Also versuchte ich mein bestes damit klar zukommen.

Ich sah ihn an, sein Gesicht war noch immer so leblos und wirkte müde. Ich schaute dann weg, vielleicht sollte ich nicht so lang darauf starren. Ich sah Basti an. So wie er vor mir saß und einen Toast aß. In mir keimten Zweifel. Was, wenn die Ärzte doch Recht haben und eine Klinik die einzig richtige Wahl für ihn ist? Ich dachte an die letzte Wochen. Neben dem abweisenden Verhalten seinerseits, gab es doch Phasen, bei deinen er einen Schritt näher auf mich zu kam. Als er am Vortag meine Finger berührte, als er sich erlaubt hat zu weinen beim Anblick seines Teddys. Wenn er selten auf meine Frage reagierte...Es war so verwirrend. Er ergab keinen Sinn in meinem Kopf. Wie kann jemand so abweisend sein und sich trotzdem derart nach Geborgenheit sehnen?

Nach dem Essen rührte sich Basti nicht. Er starrte mir in meine Seele. Müsste ich ihn denn erst rum kommandieren bevor er irgendwas tat? „Wir laufen nicht weit, erstmal nur die Straße hier entlang. Was ist dir lieber, mit Kopfhörer oder ohne?" Er blickte durch mich hindurch, auf eine ganz gruselige Art und Weise. Ich spürte mein Herz im Hals, wenn ich auch nur an die jetzige Situation dachte. Ich wollte zurück.

Da Basti mir keine Antwort gab, dachte ich selber nach. Mit Kopfhörer bekommt er die Geräusche nicht mit, was durchaus beruhigend auf ihn wirkt. Allerdings braucht er vielleicht eben diese, damit er seine Umgebung wahrnimmt. Vielleicht brauchte er die Geräusche, um sich sicher zu sein, dass niemand ihnen folgt. Was wäre nun besser? „Mit Kopfhörer, ohne Musik?", fragte ich vorsichtig. Er nickte langsam. Mein Herz schlug einen Schlag extra, vor Freude. Freude, dass er mich tatsächlich wahrnahm und mir antwortete.

So gingen wir also raus auf die Straße. Ich mit einem mulmigen Bauchgefühl und Basti mit seinen Kopfhörern. Ich schloss die Haustür hinter uns ab. Bastis Augen wackelten fast schon panisch durch die Straße. Wie lange er nun schon nicht mehr draußen war, für mich unvorstellbar. Alles war für mich unvorstellbar. Wie Basti sich gerade fühlte. Dass das alles wirklich real ist und nicht irgendein weiterer dummer Albtraum meinerseits.

Ich wartete noch einen Moment, um Basti Zeit zu geben. Zeit spielte eine wichtige Rolle. Denn er brauchte Zeit, damit er sich an die gegebenen Umstände gewöhnen kann. Schon seit Ewigkeiten gab es diese Baustelle in unserer Straße. Beim Geräusch des Presslufthammers verkrampfte sich Bastis Körper und er zog seine Schultern hoch. Auch davor war er kein Fan davon. Laute Geräusche setzten ihm immer recht zu, jetzt wohl noch mehr. Seine Augen wanderten immer wieder die Straße auf und ab, als würde er etwas suchen. Nur was?

Ich fing langsam an zu laufen, und Basti folgte mir tatsächlich. Wir liefen einige Meter still nebeneinander. Bis eine junge Dame Basti anrempelte. „Oh, entschuldigen Sie", meinte sie und verschwand. Ich machte mich schon bereit zu helfen, doch Basti setzte zum Laufen an. Er wurde berührt und es machte ihm nichts aus. Wie im Gericht. Was war denn beim Neurologen und bei mir anders als bei dem Mann auf dem Flur und jetzt der Frau auf dem Bürgersteig?

Wir liefen weiter und plötzlich überkam mich ein Gefühl. ,Etwas schlimmes wird passieren, etwas schlimmes wird passieren, etwas schlimmes wird passieren...' Ich drehte mich um, blickte durch die Straße, aber erkannte nichts. Mein Herz schlug immer schneller und mir wurde zunehmend unwohler. Basti neben mir schien dies wohl zu bemerken, denn er wurde immer unruhiger, bis auch sein Atem unkontrollierbar wurde. Seine Augen wurden glasig und seine Schritte immer langsamer. Ich wusste die Zeichen zu deuten. „Hey, es ist okay. Wir gehen wieder nach Hause, ja? Es ist alles gut"

Basti schaute die Straße immer noch verzweifelt an, seine Atmung wurde immer schneller, wie der Herzschlag eines Tieres. Ich runzelte die Stirn.  „Basti....Basti, bitte...guck mich an...". Und tatsächlich schaute Basti mich langsam und mühsam an. Seine Augen fixierten mich. Doch obwohl er mich anstarrte, schien er mich nicht wahrzunehmen, stattdessen blickte er durch mich durch, als könnte er mich nicht fokussieren. „Alles okay?" Die Frage war überflüssig. Er war nicht da, Basti war an irgendeinen anderen Ort in seinem Kopf. Was in diesem Moment auch überhaupt nicht auffiel war der Lärm um uns herum. Die Baustelle, die Passanten. Alles schien wegzuversinken mit jeder Sekunde die verging. „Wir gehen jetzt wieder nach Hause, okay?" Ich schaute ihn kurz ganz bestimmt an. Basti schien sich wieder langsam zu sammeln, er nickte rege und die Atmung stabilisierte sich. Ich atmete erleichtert aus.

Bei mir in der Wohnung flüchtete Basti fast schon ins Badezimmer und fing an Hände zu waschen. Dabei blieb es jedoch nicht. Panisch schrubbte er sich mit der Bürste. Seine dünnen Arme entlang, sein knochiges Schlüsselbein und nicht zu letzt auch noch die ebenso knochigen Hände. Sein T-Shirt fand den Weg zum Boden, bevor er dann auch seinen mageren Oberkörper abbürstete. Etwas verwundert stand ich vor der geöffneten Türe. Durchaus war ich mir bewusst, dass Hygiene ein sehr wichtiger Aspekt für ihn sei, aber soetwas erlebte ich noch nie mit. Als wäre er in Dreck gefallen und abermal mit Bakterien übersäht.

Er war wirklich komplett im Tunnel, sein Körper in Panik. Ich verstand es zu gut. Basti war so fertig, als hätte er alle Angst auf sich genommen, die er jemals in seinem Leben haben würde: die Angst vor mir, die Angst vor dem Gericht, die Angst vor seiner Psyche, die Angst vor meinem Verrat. Was Basti nicht wusste war, dass die Panik auch über mich kam und ich auch keine Ruhe hatte. Mittlerweile wurde selbst meiner Psyche das alles zu viel. Aber ich konnte nicht. Ich konnte meinen besten Freund doch nicht aufgeben. Niemals.

Um ihn nicht noch mehr zu beunruhigen, beschloss ich sein Verhalten zu ignorieren. Wir hätten später noch genug Zeit darüber zu sprechen. Die Frage ist nur ob meine Geduld ausreichen würde. Denn eigentlich war das das Letzte, was ich vorhatte. Ich ließ es also bleiben und wartete ab bis Basti fertig war, und es sah danach so aus, als würde es wohl noch eine ganze Weile dauern. Er schien in einer anderen Welt zu sein, in der ich nur ein Fremdkörper war.

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