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Der nächste Tag verlief kein Stückchen besser. Basti aß nicht, weigerte sich seine Medikamente zu nehmen. Verkroch sich in sich selbst und kam nicht wieder hervor. Ich konnte ihn zu nichts zwingen. Ich musste mit ansehen, wie er immer mehr an sich selber zerbricht. Wie ein altes Porzellangeschirr. Wenn es einmal zerspringt, wehrt es ewig. Du kannst die Scherben zwar zusammen setzten, sie wie ein Puzzle kombinieren, doch es wird nie wieder so sein wie davor. Das Geschirr ist und bleibt zerbrochen. Nutzlos. Nachts schläft Basti nicht. Er wandert durch meine Wohnung, erkundet jeden Raum, als würde er ihn zum ersten Mal sehen. Er bleibt mitten in der Nacht im Wohnzimmer stehen und starrt mich an. Kein Wort. Keine Geste. Keine Emotionen. Kein Basti. Jede Nacht aufs Neue.

Doch dann endete die Endlosschleife. Ich wachte auf, fünf Uhr. Wurde nicht von einem Basti geweckt. Verwirrt schaute ich mich im Raum um. Hab ich es diesesmal einfach nicht mitbekommen? Ein Schrei. Ich hörte einen Schrei. Mehrere. Bastis Schreie. Besorgt sprintete ich in mein Schlafzimmer, wo mein Freund mit geschlossenen Augen lag. Er schlief tatsächlich. Nach so vielen schmerzvollen Nächten schlief er. Jedoch hatte er offensichtlich einen Albtraum. Ich ging neben dem Bett in die Hocke und überlegte, was ich tun soll. Der Vorfall mit dem Neurologen zeigte mir, dass Berührungen wohl keine gute Idee waren. Allerdings fiel mir auch nichts anderes ein. „Basti" Weiteres Wimmern. „Hey, Basti" Weiteres Wimmern. „Basti! Es ist nicht echt. Hörst du mich?" Keine Reaktion. Jetzt schüttelte ich doch an seinen Schultern. Wie geahnt, es wurde noch schlimmer. Sein Körper verkrampfte sich ruckartig und sein Wimmern verstärkte sich. Aber es ging nicht anders. Ich konnte nicht anders. Also rüttelte ich immer mehr und mehr, schrie seinen Namen, bis er tatsächlich hochschreckte.

Mit rasendem Atem saß er aufrecht und blickte ins Nirgendwo. „Es ist alles gut. Niemand will dir etwas antun" Er schien zu realisieren, dass er in Sicherheit war, doch seine Atmung bekam er nicht unter Kontrolle. „Atme mit mir", befahl ich sanft. Ich verstärkte meine Atmung extra laut und langsam, damit er mir folgen kann. Zu meinem eigenen Erstaunen tat er sogar, was ich gesagt habe. Ab und zu zitterte er noch beim Einatmen, doch nach ein paar Minuten blieb es ruhig. „Ist alles wieder okay?“ Er stöhnte leise. Sein Blick verharrte immernoch an der gegenüberliegenden Wand. Ich starrte in seine Augen und versuchte meinen Freund wiederzufinden.

„Warte kurz“ Ich stand auf und ging in meine Küche. Dort holte ich aus dem Medikamentenschrank eine Dose mit Schlaftabletten. Die letzten Tage drückte ich mich davor, sie ihm zu geben, doch jetzt nicht mehr. Ich wollte ihm sein Leid ersparen. Ich wollte, dass er zumindest eine einzige  Nacht durchschlafen kann, ohne irgendetwas zu träumen. Kurz rieb ich mit den Handflächen über mein Gesicht. Ich durfte jetzt nicht die Fassung verlieren. Mein bester Freund brauchte mich mehr als je zuvor. Ich durfte nicht versagen. Ich wollte weinen, war so kurz davor. Und doch habe ich es mir nicht erlaubt.

Tief ein- und ausatmen und wieder zurück ins Bettzimmer gehen. Mit der Dose in der Hand blieb ich neben Basti stehen. Gerade als ich diese öffnen wollte, um eine einzelne Kapsel auf meine Hand zu schütten, kam mir Basti zuvor. Er reagierte ruckartig und schlug mir die Verpackung mit voller Wucht aus der Hand, sodass sie hinter mir mit einem lauten Knall am Boden aufkam. Verwirrt schaute ich immer wieder zwischen der Dose und meinem Freund hin und her. Er krallte sich in die Matratze und warf mir einen fast schon bösen Blick zu. „Basti, was ist los? Das sind nicht diese Art von Drogen“ Er atmete schwer. „Hey, ich würde dir niemals Leid zufügen wollen, das weißt du, ja?“ Doch er sagte nichts. Er sah aus wie ein kleines, hilfloses Kind. Ein Kind, das nicht verstehen konnte, was gerade passiert. Ein Kind, was sich die ganze Zeit einfach nur nach Liebe und Sicherheit sehnte. „Das sind nur Schlaftabletten. Damit du Ruhe bekommst. Willst du denn nicht endlich mal richtig schlafen? Einfach abschalten. Das würde dir gut tun, findest du nicht?“ Seine Augen wackelten zwischen meinen hin und her.

Einige Momente sahen wir uns einfach an. Ich verlor mich in seinen blau-grünen Augen, bevor mir die aktuelle Situation wieder bewusst wurde. „Wirklich nicht?“, fragte ich bettelnd. Wie erwartet blieb er resigniert. Ich nickte stumm und atmete tief durch. „Okay“ Leise hob ich die Dose vom Boden auf und ging aus der Hocke hoch. „Versuch bitte wirklich dich zu konzentrieren, ein bisschen zu schlafen. Du schaffst das, ja?“ Mit diesen Worten ging ich zur Tür raus, ins Wohnzimmer. Was sollte nur aus uns werden? Er kam mir immer weiter entfernt vor. Ich schaute in meine Küche, meine Wohnung, dachte an die Jahre zusammen und fragte mich: Werde ich ihn irgendwie wieder zurückbekommen? Wir waren befreundet seit wir 19 waren und ich liebte ihn über alles. Ich kannte ihn wie keinen anderen. Die Art, wie er sich bewegte, der Gesichtsausdruck, die Gestik. Ich wusste was in ihm ablief bevor er es selbst gemerkt hat. Ich wusste, wovon er träumen wird, wenn er am Abend das Licht ausmachte. Und nun war er einfach weg. Der Mensch, den ich liebte. Als hätte ihn jemand ausgewechselt. Der Mensch, der in meinen Gedanken immer auf meiner Seite war, auch wenn ich etwas falsch gemacht habe. Der Mensch, der immer für mich da sein sollte, auch wenn ich keine Kraft zu etwas hatte, weil ich so fertig war, weil ich einfach eine Pause brauchte. Der Mensch, bei dessen Nähe immer alles in Ordnung schien. Der Mensch, mit dem ich immer so glücklich war. Er war weg.

funfact: man träumt jede nacht aber kann sich einfach nicht daran erinnern peepohappy frauen erinnern sich im durchschnitt öfter an träume als männer

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