skorpion ohne stachel

Das eindringliche Klackern der Absätze war wegen des Lärms kaum zu hören. Glänzende Schuhe schwebten über dem polierten dunklen Boden des Flurs, welcher geradewegs zu den Aufzüge führte.
Stimmengewirr umgab ihre Ohren, doch Elin blendete es automatisch aus. In ihrer Hand hielt sie ein Smartphone, auf das sie immer wieder unruhig blickte. Die Hexe war wohl eine der wenigen Magier, die moderne, von den Muggeln entwickelte, Geräte im Alltag benutzte. Marchbanks erwartete einen Rückruf. Vor einigen Minuten hatte sie den Mann angerufen und er hatte ihr gesagt, er würde gleich zurückrufen. Elinora war so ungeduldig, dass die Hand mit dem Handy, zu zittern begann.
Gezwungen versuchte die Frau sich zusammen zu reißen und quetschte sich in einen Aufzug hinein.
Rasch war die Hand nach oben geglitten, um sich festzuhalten, das Gitter geschlossen, und der goldene Kasten davongerast.

Elinora hielt für einen Moment die Luft an. Das Bild der hochnäsigen Dame hatte sich in ihren Kopf eingebrannt. Sie konnte nicht aufhören daran zu denken.
Es war als wenn sie in die Zeit zurückversetzt worden war und die Gesichter der Malfoys sie verfolgten.
Der Moment, als ihre Füße den Krankenflügel von Hogwarts betreten hatten. Wie die Eltern sie gemustert hatten, mit strengen prüfenden Blicken, von oben nach unten.
Jetzt wusste Elin, was diese Augen damals bedeutet hatten.
Damals hatte sie es nicht gewusst.
Sie hatte nicht gewusst, welch großen Einfluss diese Leute auf ihren Sohn hatten. Den Sohn, von dem Elin gedacht hatte, er wäre anders, als das Gemunkel der Leute. Er hätte sich verändert.
Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr.
Der Mann vor ihr drehte empört den Kopf nach hinten, offenbar weil die Hexe ihm direkt in den Hals geseufzt hatte.
Elinora verzog das Gesicht.
Schon waren ihre Gedanken bei dem Namen, der sie jahrelang in Ruhe gelassen hatte. Malfoy.
Die Zaubererwelt veränderte sich.
Zwar langsam, aber sie tat es.
Immer wieder traten Konflikte auf  zwischen denen, die sich nicht ändern wollten und zwischen denen, die den Wachstum an Toleranz förderten. Alte stolze Familien hatten sich zurückgezogen. Zwar war der Einfluss geblieben, das wusste jeder, doch war es nur wegen des Geldes.
Kaum einer fand diese uralten reinblütigen Familien beeindruckend oder edel.
In den Köpfen der Leute hatte sich ein Bild eingebrannt, von den alten Reinblutfamilien. Ein Bild, dass immer wieder das schlangenartige Gesicht von Lord Voldemort hervorrief. Die Erinnerung an eine schreckliche Zeit voller Ungerechtigkeit und Tod.

Die Hexe schüttelte sich.
Sie musste sich wieder fassen.
Das Gerät in ihrer Hand war noch immer stumm.
Eigentlich hatte sie mit ihm Essen gehen wollen, doch wenn er nicht zurückrufen würde, dann würde sie wohl in ihre Wohnung gehen und alleine den Tag verbringen.
Womöglich konnte sich Elin auch dazu durchringen zu dem Haus ihrer Eltern zu apparieren.
Sicher würde es ihrer Mutter eine riesige Freude machen, wenn auf einmal die einzige Tochter in der Tür stehen würde. Und dann auch noch an ihrem eigenen Geburtstag.
Es war schon wieder einige Wochen her, dass sie ihre Familie besucht hatte. Mrs Marchbanks reagierte recht schnell beleidigt, wenn sich die erwachsenen Kinder länger nicht zeigten. Ihre Tochter war Meisterin darin sich nicht blicken zu lassen.
Immer wieder benutzt Elin die Ausrede, dass sie doch Chefin einer erfolgreichen Zeitschrift wäre und die Arbeit ihr die Zeit raubte, obwohl sie sicherlich ein paar Minuten finden würde für einen Besuch ihrer Familie.
Aber ihr war nie danach diese Minuten freizuräumen. Es ging immer um dasselbe: Die Tatsache, dass ihr die Zeit davonlief und sie ihren Eltern irgendwann keine Enkelkinder schenken könnte.
Und immer wieder kam von Edith Marchbanks die Tragödie von vor einigen Jahren, als Elinora ihren Verlobten verlassen hatte, nachdem sie eine Fehlgeburt hinter sich hatte.
Sie nervte es einfach, dass es dauernd nur darum ging Kinder zu bekommen, aber nach ihren eigenen Gefühlen hatte niemand gefragt.
Ihre Brüder waren da auch keine große Hilfe, wenn sie denn mal anwesend waren.
Jaspers Kinder waren schon größer und Clayton voll beschäftigt mit seinem Beruf. Leofwine wich den Eltern genauso aus und Edwin kümmerte sich nur um das eigene kleine Glück seiner Familie.
Erneut musste sie seufzen.
Denn es lief alles ganz und gar nicht wie geplant.
Nun gut, sie hatte nie wirklich einen Plan gehabt, doch trotzdem hatte Elin sich das alles anders vorgestellt.
Wieder schüttelte die Hexe sich.
Wahrscheinlich war es nur die Tatsache, dass sie 37 wurde, was die Gedanken so durcheinander wirbelte.

Der Aufzug hielt wieder in der vierten Etage an. Heger Trubel herrschte.
Es war Mittagspause für die meisten Angestellten.
Bis auf Marchbanks verließen alle den goldenen Kasten, um davonzuströmem.
Einige Sekunden passierte nichts und Elin hoffte schon sie würde nur einmal in ihrem Leben alleine in dem leeren Aufzug sein können, doch da kam um die Ecke eine Mitarbeiterin hergehetzt.
Marchie erschrak, wie schnell und plötzlich die Frau aufgetaucht war.
Vor sich schob die blonde Hexe einen Jungen her und als Elin genauer hinschaute bemerkte sie, dass es wohl der Junge vom Morgen sein musste.
Nun sah sie auch mal sein Gesicht.
Es war blass und dünn.
Die Lippen trugen kaum Farbe.
Seine Augen hatten eine undeutbaren traurigen Ton.
Als das Kind bemerkte, dass ihn die Hexe anschaute, lächelte er ihr höflich zu.
Elin runzelte verwirrt die Stirn darüber, wie rasch der Junge sich doch die Höflichkeit aufgezwungen hatte und wie rasch das Gesicht wieder in eine Traurigkeit verfallen war. Die schwarze Mütze saß noch immer fest auf dem Kopf.
Kein Stück Haar war zu sehen, als ob er es verstecken wollte.
"Ms Marchbanks," prustete die Blondine. Offensichtlich kannte die Frau sie, doch Elin konnte sich nicht daran erinnern, mal ihre Bekanntschaft gemacht zu haben.
"Sie kennen mich nicht, ich weiß," redete die Hexe keuchend weiter, "aber ich kenne Sie. Zumindest vom Sehen. Sie müssen mir helfen."
Nur mit Mühe hielt die blonde Frau das Gitter offen.
"Dieser Junge ist im falschen Stock herumgeirrt. Machen Sie bitte die Eltern ausfindig. Sowas ist unverantwortlich. Das Zaubereiministerium hat besseres zu tun, als sich um Minderjährige zu kümmern, die im Auftrag ihrer Eltern unterwegs sind!"
Elin wollte den Mund aufmachen, um zu widersprechen, doch Blondie war schon geschickt um die Ecke gebogen und mit einem Mal verschwunden.
Mit offener Luke schaute Marchbanks zu dem schwarz gekleideten Jungen, welcher genauso ratlos wirkte wie sie.
Das Gitter schloss sich wieder.
Hastig griffen beide nach etwas, um sich festzuhalten, da raste der Kasten auch schon wieder los.
Schon wieder war ihr nach Seufzen zumute, doch diesmal wurde es unterdrückt.
"Wo wolltest du denn hin?", unterbrach sie die Stille.
Das weiße junge Gesicht schaute zaghaft zu ihr hinauf.
"Ich muss etwas für meinen Vater abgeben. Wegen den neuen Gesetzen die erlassen wurden."
Erst jetzt bemerkte Elinora den weißen Umschlag in seiner dünnen hellen Hand.
"Und was genau ist das?"
"Eine Liste mit all den magischen Gegenständen in unserem Besitz."
"Schwarzmagische?", zog Marchbanks prüfend die Brauen hoch.
"Ich glaube schon," murmelte das Kind unsicher.
Elin schnaubte. Ihr Gesicht hatte sich verzogen. Sie wollte endlich ans Tageslicht anstatt sich mit einem herrenlosen Kind herumschlagen zu müssen.
"Sag mal, wie alt bist du?"
"13, Ms."
"Und dein Vater schickt dich einfach alleine los, obwohl du dich nicht auskennst?"
Sein Blick wandte sich betreten zu Boden. Die Schultern zuckten schwach.
"Er geht inmoment nicht gerne aus dem Haus," nuschelte der Junge.
"Nun ja, er ist ein erwachsener Mann und kann nicht einfach seinen Sohn unwissend in die große weite Welt schicken," brummte die Hexe unbegeistert.

"Ich habe es auch gemacht, weil er mir versprochen hat mich morgen direkt zur Schule zu bringen. Dann muss ich nicht ewig mit dem Zug dort hinfahren."
"Ach, gibt es diese Möglichkeit mittlerweile?"
Der Junge nickte sofort.
"Es geht viel schneller. Ich habe es noch nie gemacht, aber die Eltern können durch das Flohnetzwerk die Schüler persönlich dort hinbringen."
"Schade, dass es das zu meiner Zeit noch nicht gegeben hat. Ich habe die Fahrt immer verabscheut," dachte Elin an ihre Schulzeit zurück.
Für sie war es jedes Jahr ätzend gewesen ein Abteil zu suchen, in dem Matilda und sie unterkommen konnten. Viele hatten sie immer komisch angeschaut, wenn man nur die Slytherin Umhänge herausgeholt hatte. Und dann fand man endlich ein annehmbares Abteil mit Leuten, die nicht ganz so unfreundlich waren, da entstand ein stundenlanges Schweigen zwischen ihrer damaligen besten Freund und ihr, weil die anderen Schüler natürlich jedes Wort mitbekamen.
"Wieso mochten Sie die Fahrt nicht?", erkundigte der Junge sich.
Seine helle freundliche Stimme drang sofort zu der Frau hindurch.
"Ich bin wohl kein Freund von zu vielen Menschen," antwortete Elin ihm.
"Ich mag Menschen," erzählte das Kind von sich aus, "aber manchmal finden die Menschen mich komisch und dann mögen sie mich nicht."

Elinora musterte ihn noch einmal.
Er sah schon skurril aus.
Komplett in schwarz gekleidet und dann das helle Gesicht.
Alleine auf dem ersten Blick erkannte man, dass er wohl einer der zurückgezogenen Kinder war, die nicht sonderlich beliebt waren.
Ein wenig fühlte die Hexe sich mit ihm verbunden.
"Ich bringe dich in den zweiten Stock.
Da ist die Kontrollstellte für magische Gegenstände," sagte Elin nach einer Weile. Der Junge nickte nur.
Im dritten Stock waren zwei ältere Herren mit langen weißen Bärten und wehenden Roben eingestiegen, die irgendein Gespräch über alkoholische Mischgetränke aus der Muggelwelt führten.
Schließlich rumpelte der Lift wieder und das goldene Gitter öffnete sich vor ihnen.
Marchie machte einen großen Schritt, um aus dem Aufzug zu treten und in Richtung der Gänge der zweiten Etage zu laufen. Das Kind folgte ihr eifirig.
Wie ein kleiner Hund tappelte der 13-Jährige hinterher.
"Das nächste Mal solltest du mit deinen Eltern herkommen.
Sag ihnen das, verstanden?"
Prüfend wurde er von Elin gemustert.
Kurz musste das Kind eingeschüchtert schlucken, doch dann merkten man wie das bleiche Gesicht urplötzlich traurig wurde. Wieder nickte der Junge nur.


An der Theke der Rezeption saß eine stark geschminkte Frau mittleren Alters. Ihre gefärbten Haare waren kunstvoll gelockt und der Ausschnitt ihres Tops ziemlich tief für eine Rezeptionistin. Die Finger flogen mit lauten Geräuschen über die Tastaturen des Computers, dessen Bildschirm hell leuchtete.
Elin und der Junge stellten sich an die Theke und schauten die Frau erwartungsvoll an.
Der Blick wandte sich erst nach einigen Sekunden zu den beiden, doch es erschien augenblicklich ein freundliches Lächeln und die grünen Augen begannen zu glänzen.
"Elin," lächelte die andere Hexe zufrieden, "wie geht es dir?"
Marchbanks schaute kurz hinab zu dem stummen 13-Jährigen, der brav neben ihr stand.
"Ganz gut. Und dir? Hat Gregory die Stelle bei der Polizei bekommen?"
"Ohja," sie strahlte noch mehr auf, "er wurde versetzt und kann jetzt öfters bei den Zwillingen sein."
"Das freut mich, Matilda."
Kurz lächelten beide Frauen sich nachdenklich an.
Doch dann fasste die Braunhaarige sich wieder und bemerkte den Jungen neben Elin.
"Was ist denn dein Anliegen?"
"Dieser junge Mann hier ist im Auftrag seiner Eltern hier und will eine Liste abgeben für die Kontrolle der magischen Gegenstände, die ihr doch durchführt."
Das Kind streckte die Hand mit dem Umschlag über die Theke, damit die Hexe die Liste entgegennehmen konnte.
"Ohje diese lästigen Kontrollen. Seit Ministerin Granger diese Gesetze erlassen hat wächst uns die Arbeit noch viel mehr über den Kopf," schnaufte sie, als sie den Brief vor sich legte.
Elin musste kurz über die Ehrlichkeit von ihr schmunzeln.
Es herrschte wieder einige Momente Stille, da Jones etwas an dem Computer eingab und den Umschlag öffnete. Kurz überflogen die grünen Augen das Geschriebene.
Schließlich schaute die Rezeptionistin wieder hoch und musterte den Jungen für einige Sekunden.
"Nun nimm doch mal deine Mütze ab, Kind. Das ist unhöflich in geschlossenen Gebäuden," brummte Jones ihn direkt an.
Perplex sahen der 13-Jährige und Elinora sich an, doch er zog sich schließlich ohne Widersprache die dunkle Kopfbedeckung herunter.

Es entstand eine überraschte Stille zwischen den dreien.
Der Junge wurde argwöhnisch von den beiden Hexen angeschaut, welche ihren starren Blick auf seine Haare gelenkt hatten.
Beide wirkten so, als ob sie eine übernatürliche Erscheinung gehabt hätte.
Nervös trat er von einem Fuß auf den anderen, weil die Frauen ihn so eindringlich anschauten.
Matilda blinzelte leicht überfordert, um sich wieder zu fassen, Elin schüttelte sich kurz.
"Sag, Junge," durchdrang Jones' Stimme das Schweigen, "wie war dein Name noch gleich?"
Erst jetzt fiel Marchbanks auf, dass sie sich tatsächlich nicht ein einziges Mal danach erkundigt hatte, wie sein vollständig Name überhaupt war.
"Scorpius Malfoy," sagte der Junge mit seiner hellen freundlichen Stimme.
Aus Matilda Kehle ertönte ein bestätigendes 'Hmm', als ob sie es bereits geahnt hätte.
"Wir sind mit deinem Vater zur Schule gegangen," erklärte Elin dem jungen Malfoy. Sie zwang sich ein Lächeln auf, doch konnten ihre braunen Augen nicht von den weißblonden Haaren ablassen.
"Ja, das sind einige. Die meisten erkennen mich an meinen Haaren und fragen sofort ob ich sein Sohn bin. Keiner fragt mich nach meiner Mutter."
Der letzte Satz klang etwas bitter.
Und es war unerwartet diesen Ton von ihm zu hören, da er die ganze Zeit so zuvorkommend gewesen war.
"Wer ist denn deine Mutter?", erwiderte Matilda sofort.
Elin wusste, dass Tratsch sie immer noch brennend interessierte.
"Astoria Greengrass," murmelte Scorpius vor sich hin.
Marchbanks bemerkte augenblicklich, dass der Junge urplötzlich wieder traurig geworden war.
"Tatsächlich," grinste Jones amüsiert vor sich hin, "hat er also seine Reinblüterin geheiratet."
Elin schnaufte. Ihre braunen Augen wanderten zwischen Matilda und dem Jungen hin und her.
"Wäre das dann alles?", fragte sie schließlich etwas ungeduldiger nach.
"Ja," antwortete die andere Hexe hinter der Theke, "ihr bekommt eine Eule zugeschickt, die euch mitteilt wann jemand vom Ministerium kommt, um den Bestand an magischen Gegenständen zu überprüfen."
"Danke," murmelte Scorpius.
Seine Stimme war etwas schwächer geworden.
Auch Elin nickte Matilda zu.
Dann wandte sie sich zu dem jungen Malfoy, welcher teilnahmelos neben ihr stand, und zwang sich wieder ein Lächeln auf.
"Also gut, Scorpius. Ich bringe dich zum Flohnetzwerk, damit du dann nach Hause kommst."


:)

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