1.2 ... noch immer Gwen
.... noch immer Gwen
Karin war gerade damit beschäftigt, die Tomaten zu bewässern und quälte sich mal wieder mit der viel zu schweren Gießkanne ab. Warum man diese Aufgabe nicht den Jungs zuteilte, war ihr ein Rätsel. Schließlich waren es doch die Männer, die als das körperlich starke Geschlecht galten. Es stand außer Frage, dass dieser sogenannte Vorteil einzig und allein dann Anwendung fand, wenn es darum ging, die Frauen zu unterdrücken.
Zwischen zwei Sträuchern hindurch erspähte Karin sie. Mit einem breiten Grinsen im Gesicht stellte sie die schwere Gießkanne beiseite und kam auf sie zu. „Na, schon gespannt? Heute wird sich herausstellen, ob deine Kampagne ein Fehlschlag oder ein Erfolg war." Mit einer lässigen Handbewegung strich das brünette Mädchen sich die vom Schweiß verklebten Haare aus der Stirn. „So eine Dreckshitze."
Sie begrüßte ihre Freundin mit einer knappen Umarmung. „Sei froh, dass du erst in drei Wochen Geburtstag hast", entgegnete sie knapp. „Rues und Pelo haben sich vorhin auf dem Dorfplatz geprügelt. Rate mal, wer schadenfroh daneben stand."
Karin ächzte angeekelt. „Alessa. Warum macht sie so etwas?"
Ein stechender Schmerz fuhr ihr durch den Kopf. „Keine Ahnung." Diese verfluchten Kopfschmerzen! Sich die Schläfen reibend ließ sie sich im Schatten der Pflanzen nieder. „Hat ihr jedenfalls Freude bereitet. Ich war kurz davor, mich auf sie zu stürzen."
„Das glaube ich dir gern." Auch Karin ließ sich jetzt auf den Boden sinken. „Warum bist du eigentlich hier? Solltest du dich nicht ein wenig ausruhen?"
Vehement schüttelte sie ihren Kopf. „Nein. Was soll ich denn im Haus? Tatenlos im Bett herumliegen und warten, bis die Zeit vergeht?" Spöttisch verzog sie ihre Mundwinkel.
„Du vergibst es dir, einen gescheiten Mann zu finden, wenn du alle abschreckst."
Sie konnte es nicht mehr hören. Obwohl Karin ihre beste Freundin war und sie in ihrem Vorhaben unterstützte, musste sie sich dennoch jedes Mal ihren Vortrag darüber anhören, wie schlimm dadurch alles für sie werden würde. Als ob sie plante, ihr ganzes Leben in diesem Dorf zu verbringen. Doch wie entkam man einem Ort, der mitten in der Wüste lag?
Sie saßen eine Weile einvernehmlich schweigend herum, als der Wind plötzlich die Klänge von Flöten herüber wehte. Das Vorspiel hatte begonnen. Verstimmt verzog sie ihre Mundwinkel. „Bis gleich." Geschmeidig sprang sie auf und eilte nach Hause. Dort unterzog sie sich einer Katzenwäsche und warf sich das weite mattweiße Gewand über, das ihre Mutter sich gewünscht hatte. Anschließend ging sie im gemächlichen Tempo zum Platz. Was sie dort sah, überraschte sie. Alle drei Führer – Primus, Sekundus und Tertius – standen in der Mitte. Daneben der blonde Schönling von heute Morgen und ein Unbekannter. Er hatte langes, schwarzes Haar, das er unterhalb seiner Schulterblätter zum Zopf gebunden trug. Den eng anliegenden, dunkelblauen Sachen nach zu urteilen, war er ziemlich trainiert. Größentechnisch unterschied er sich nicht von den Menschen um ihn herum, aber abgesehen vom Sekundus waren auch alle hoch gewachsen. Die Personen schienen in eine rege Diskussion vertieft. Schließlich drehte sich der Prim um und verkündete: „Unsere heutige Veranstaltung wird verschoben. Wir haben die Ehre, das diesjährige Opfer an die Unterwelt zu vermitteln. Nach der Wahl des betroffenen Mädchens wird diese Veranstaltung abgehalten werden."
Große Unruhe äußerte sich in dem unbehaglichen Gemurmel der Herumstehenden. Ihre eigenen Gedanken hingegen überschlugen sich. Unterwelt? Dann war der Kerl da ein Dämon oder Teufel? Man, wie aufregend.
„Sie sollen Gwen nehmen", schlug jemand mit unschuldiger Stimme vor. Sie musste sich nicht erst umsehen, um zu erkennen, dass es Alessa war, die nun auf die Führer zu schlenderte.
Die Aufmerksamkeit des Unbekannten richtete sich auf das Biest, woraufhin diese augenblicklich erstarrte. Insgeheim feierte sie diese Szene. Das hatte sie verdient.
„Gwen sagst du, Alessa?" Der Primus sah suchend umher. „Warum schlägst du sie vor?"
Jetzt war das Fass zum Überlaufen gebracht. Dieser dämlichen Ziege wurde auch noch Gehör geschenkt. Nicht zu fassen! Sie ignorierte den mahnenden Blick ihres Vaters und schritt entschlossen auf die Ansammlung in der Dorfmitte zu. Sie schenkte dem Primus ein bewusst übertriebenes Lächeln. „Alessa muss wohl vergessen haben, dass die glückliche Freiwillige nicht von uns Menschen gewählt wird." Dann wandte sie sich direkt an den Fremden. Der Anblick seiner Augen brachte sie kurzzeitig aus der Fassung. Sie waren gänzlich von einem tiefen Braunton eingenommen. Wahnsinn. „Es tut mir leid, aber ich stehe Ihnen leider nicht zur Verfügung. Es gibt hier einige, die Ihnen liebend gern folgen würden. Sie haben ja zwei Wochen Zeit, sich selbst ein Bild davon zu machen. Einen angenehmen Aufenthalt, mein Herr." Mit einem gekonnt devoten Knicks machte sie kehrt und verließ ohne zurück zu blicken den Platz.
.
„Margit, das war unverantwortlich. Was, wenn sie sich damit jetzt in den Fokus des Dämons gebracht hat?" Die erzürnte Stimme ihres Vaters hallte durch den kleinen Wohnraum. Ihre Mutter saß am kleinen Esstisch vor dem einzigen Fenster des Raumes und sah zu ihrem Vater auf, der von seinem Stuhl aufgesprungen war und nun mit hochrotem Kopf auf ihre Mutter hinab sah. Es war unverkennbar, dass sie sich über die Ereignisse des vergangenen Tages stritten. Oder besser gesagt: über ein ganz bestimmtes Ereignis.
„Ich bin anwesend", meldete sie sich von der Wohnzimmertür. „Und ich denke nicht, dass er Interesse an mir hat. Sollte sich in den nächsten Tagen etwas anderes zeigen, muss ich ihn wohl vom Gegenteil überzeugen."
Der Tertius fuhr sich müde durch die Haare. Von seinem Wutausbruch keine Minute zuvor war nichts mehr zu sehen. Lediglich seine sich wieder normalisierende Wangenfarbe kündete noch davon. „Kind, du machst dir das Leben nur schwer, wenn du dich nicht langsam fügst. Wir wollen doch nur dein Bestes."
Finster starrte sie ihren Vater an. „Das sagt jemand, der mich gezeugt hat und Mutter dann sitzen ließ."
„Gwen!" Entrüstet schlug ihr Vater mit der Hand auf den Tisch. Noch nie zuvor hatte er so alt ausgesehen, wie in diesem Moment. „Der Dämon hat sich gestern ausführlich nach dir erkundigt. Der einzige Weg, dich aus der Schusslinie zu nehmen, ist dich zu verheiraten. Denkst du, wir wollen sehen, wie du für den Rest deines Lebens in der Hölle schmoren musst?"
Zornig stampfte Gwen mit dem Fuß auf den Boden. „Das wird nicht passieren, verdammt! Eher verrecke ich sowieso an diesen bescheuerten Kopfschmerzen!" Sie machte auf dem Absatz kehrt und rannte geradewegs zum See. Zu dieser Zeit würde sie dort ihre Ruhe haben. Niemand ging morgens baden. Zumindest nicht, nachdem jetzt bekannt war, dass ein böser Dämon die Gegend unsicher machte.
Der See war ein recht überschaubares Wasserbecken inmitten von Bäumen und umgeben von schönem, frischem Gras. Es war noch früh. Wie immer, wenn ihr Vater zu Besuch kam. Niemand im Dorf wusste, dass sie die uneheliche Tochter des Terts war. Auch wenn es gewisse Ähnlichkeiten gab, traute sich niemals jemand diesbezüglich irgendeine Vermutung zu äußern. Und das war auch gut so. Sie verabscheute Gerede und das wäre das Thema des Jahrhunderts. Der ehrenwerte Tertius hatte seine arme Frau vor Jahren mit der Bäckerin betrogen. Welch ein Skandal.
Mit fest zusammengepressten Lippen hob sie einen kleinen Stein vom Boden auf und ließ ihn lässig über das Wasser hüpfen. Was für ein Theater. Und das wegen nichts. In solchen Zeiten wünschte sie sich ihre Tante zurück. Marlee war ihr wie eine Schwester gewesen, bis sie sich dazu entschieden hatte, die Welt auf eigene Faust zu erkunden. Dass sie sich in einen Durchreisenden verliebt hatte, machte es für sie leichter zu verschwinden. Seitdem hatte sie nichts mehr von ihr gehört. Ihr Herz schmerzte ein wenig, als sie sich an die quirlige Blondine erinnerte. Im Laufe der Zeit hatte sie sich damit abgefunden, sie nie wieder zu sehen. In derartigen Situationen wünschte sie sich, ihre Mutter könnte ein wenig wie ihre Schwester sein. Leider waren sie das komplette Gegenteil voneinander. Marlee war immer gelassen, wohingegen ihre Mutter immerzu auf glühenden Kohlen zu sitzen schien. Mit Marlee an ihrer Seite wäre es einfacher, ihren Eltern Kontra zu geben. Aber so? Niemand setzte sich für sie ein und sie wusste, dass sie nicht viel gegen einen Entschluss ihres Vaters ausrichten konnte. Wobei... wenn es mit ihren Kopfschmerzen so weiter ging, konnte es ihr egal sein, welchen Plan ihr Vater mit ihr hatte. Sie hatte nicht das Gefühl, dass sie das noch lange durchhalten würde.
„Du fürchtest mich nicht", erklang es plötzlich mit angenehm dunkler Stimme hinter ihr.
Erschrocken fuhr sie herum. Die tiefe Stimme, das erkannte sie nun, gehörte zu dem Dämon. Oder war er ein Teufel? Im Grunde genommen war es ja auch egal. Schulterzuckend ließ sie sich am Ufer ins Gras sinken und die Füße im Wasser baumeln. „Warum sollte ich? Sie haben mir nichts getan." Neugierig drehte sie sich erneut zu ihm um und mustert sie ihn. Trotz der Hitze trug er noch immer seine lange Hose und das langärmelige Hemd von gestern. „Und was führt Sie zu dieser frühen Stunde her? Sie können die Kleingeisterei der anderen doch nicht so schnell schon satt haben."
Sein Lachen glich einem fernen Donnergrollen. Oder Erdbeben. Je nachdem, wie man es sehen mochte. Sie mochte dieses Geräusch irgendwie. Es war so anders als alles, was sie bisher gehört hatte. In gewissem Abstand ließ er sich ebenfalls am Ufer nieder. „Dort, wo ich lebe ist es nachmittags so heiß, dass man sich nicht mehr nach draußen begibt."
„Wie ist es dort?" Die Frage war ihr entwischt, bevor sie sich daran erinnern konnte, dass er nicht auf der Erde lebte.
Ihm schien das jedoch nichts auszumachen. „Ihr lebt hier am Rande einer kleinen Wüste. Die bei mir Zuhause ist riesig. Nachmittags flimmert alles vor Hitze. Selbst diejenigen mit einer Affinität zu Feuer meiden es, zu dieser Zeit draußen umher zu wandeln."
Seine Worte erweckten ihre Aufmerksamkeit. Affinität zu Feuer. Höllenfeuer. „Gibt es dort viele Elementarnutzer?" Im ihrem Dorf gab es nur zwei. Und mit denen hatte sie nichts zu tun. Phila war eine Wassernutzerin und Doreen besaß eine Affinität zur Luft. Mehr wusste sie darüber nicht zu sagen.
Die Andeutung eines schwachen Lächelns umspielte seine Mundwinkel. „Mehr als unter den Menschen."
„Stimmt es, was die anderen sagen? Schlagt ihr euch andauernd die Köpfe ein? Braucht ihr deshalb alle zehn Jahre ein neues Mädchen?" Irritiert klappte sie ihren Mund zu. Wo kamen bloß all die Fragen auf einmal her?
Der Dämon schien ihr ihre Neugier zu verzeihen. „Ganz im Gegenteil, wir sind äußerst zivilisiert. Wir mögen schlechtes Betragen nicht sonderlich."
Na, dann hatte sie ja einen guten Eindruck hinterlassen, dachte sie ironisch. „Ich habe mir schon gedacht, dass das meiste kirchliche Propaganda sein muss. Kein unzivilisierter Haufen könnte andere Völker unterwerfen."
„Unterwerfen?" Eine seiner pechschwarzen Augenbrauen wanderte nach oben. „Fühlst du dich unterdrückt?"
Ein bitteres Lachen entrann ihrer Kehle. Wenn er nur wüsste. „Ja. Aber das hat weder etwas mit der Ober- noch mit der Unterwelt zu tun. Das schaffen die Menschen hier schon ganz alleine. Dafür braucht es keine überlegene Spezies." Und damit war sie wieder bei ihren Sorgen. „Wie sind Sie hergekommen?"
Jetzt blinzelte der Dämon überrascht. „Du wechselst die Themen ja schnell." Trotz des leichten Tadels schien er es ihr nicht übel zu nehmen. „Wir haben unsere Möglichkeiten. Würdest du mir sagen, weshalb du mich fragst?"
Unwohl biss sie sich auf die Zunge. „Das kann ich nicht."
__________________________
So, jetzt wag ich mal zu fragen, wie es euch bislang gefallen hat. Wie gefällt euch Gwen? Meint ihr, der Unbekannte respektiert ihr Nein? Ein Sternchen und/oder ein paar Wörtchen, wie es euch gefallen hat, wären echt top.
Was meint ihr? Warum kann sie ihm nicht sagen, warum sie das wissen will? Und was hat es bloß mit ihren Kopfschmerzen auf sich? Habt ihr da eine Idee?
Liebe Grüße, Ama ;3
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top