• Eleven •

Tess

Ich tauchte immer wieder unter, versuchte Bella im trüben Wasser zu erkennen. Je weiter ich aufs Meer hinausschwamm, desto schwieriger wurde es. Meine Klamotten und vor allem meine Jacke hatten sich inzwischen mit Wasser vollgesogen und zogen mich immer wieder nach unten. Auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte, wurden meine Arme schwächer und es fiel mir zusätzlich schwer mich über Wasser zu halten. Doch ich konnte nicht aufhören, alles, was ich dachte, war wie ich Bella retten konnte.
Dann als ich immer panischer wurde, weil ich sie nicht finden konnte, sah ich sie. Ganz schemenhaft, sah ich einen Arm im dunklen blau-Grün des Wassers auftauchen.
Ich streckte die Hand aus, doch die Hand war immer noch außer Reichweite. Meine Lungen brannten, ich war zu lange unter Wasser, aber ich konnte nicht auftauchen. Nicht ohne sie, was, wenn ich auftauchte und Bella dann nicht mehr finden würde?
Ich versuchte weiter auf sie zu zutauchen, erneut streckte ich die Hand aus. Doch bevor ich sie greifen konnte, spürte ich einen Druck um meinen Brustkorb und ich wurde zurückgezogen. Weg von der Hand, weg von Bella. Als ich an mir runtersah, konnte ich einen Arm erkennen. Ich versuchte, mich zu wehren. Ich musste Bella helfen. Doch ich wurde unnachgiebig weggezogen, auch wenn ich um mich treten und schlug. Das Wasser fing jedoch alle Versuche ab.
Ich schrie, doch auch das Geräusch wurde vom Meer verschluckte. Dann tauchte ich auf. Meine Lungen füllten sich mit Luft, erst jetzt merkte ich, wie sehr ich das gebraucht hatte. Doch sofort kam mir wieder Bella in den Sinn. Ich bewegte mich immer weiter weg, immer weiter zum Strand.
„Nein, lass mich los. Ich muss zu ihr." Meine Stimme hörte sich verzerrt an, hoch und hysterisch, nicht wie meine eigene.
Wieder versuchte ich den Arm, um mich zu lösen, doch immer noch lockerte sich der Griff kein bisschen.
„Bitte, lass los." Ich wurde immer panischer. Hörte jedoch neben meiner eignen eine andere Stimme, verstand jedoch nicht, was sie sagte.
„Tess, beruhig dich. Jake holt Bella." Mein Gehirn verarbeitet langsam, was ich hörte und während ich mich weiter werte, verstand ich nur nach und wonach gesagt wurde.
Jake ... wo war er? Mein Blick suchte das Wasser ab und endlich sah ich jemand im Wasser. Es war Jake, der jemand mit sich zog. Bella. Kurz spürte ich Erleichterung, doch wurde diese direkt durch eine weitere Panikwelle davon gespült.
„Sie bewegt sich nicht. Sie bewegt sich nicht." Immer wieder sprach ich die vier Worte aus. Ich wollte, dass wer auch immer hinter mir war, mich losließ, ich musste zu ihr. Was ich bei ihr machen würde, soweit dachte ich nicht, nur dass ich zu ihr musste.
Als ich wieder anfing zu strampeln, merkte ich Boden unter meine Füße. Ich war wieder am Strand. Doch noch immer wurde ich nicht losgelassen. Erst als auch Jacob mit Bella am Strand war und sie in den Sand legte.
Sobald sich der Griff gelockert hatte, stürzte ich auf meine Schwester zu. Jake begann eine paar mal auf ihren Brustkorb zu drücken. Mein Blick wurde immer wieder von Tränen verschleiert, als ich Bellas Arm griff.
Ich spürte, wie sich eine Hand auf meiner Schulter legte, doch ich schaffte es nicht meinen Blick von Bella zu lösen.
„Jake?", war das Erste, was sie von sich gab. Die Luft, die ich, ohne dass ich es gemerkt hatte, angehalten, entwich mir und merkte Erleichterung. Meine große Schwester lebte. Ich schluchzte und Bella drehte den Kopf zu mir.
Ich sah in ihre Augen und ihr blasses Gesicht. Ich zitterte, plötzlich war mir unendlich kalt und ich spürte wie schwer meine nassen Klamotten an mir zogen.
„Warum?", keuchte ich atemlos. Bella schien noch nicht ganz bei sich, denn sie antwortete nicht. Ich konnte nicht mehr, die letzten paar Minuten, es waren wahrscheinlich nur Minuten gewesen, auch wenn es sich wie eine Unendlichkeit angefühlt hatte, waren zu viel Stress gewesen.
„Warum tust du das Bella?", ich wollte eine Erklärung, wissen, warum sie in Kauf genommen hatte sterben zu können.
„Wie kannst du Mum und Dad das antun? Wie kannst du mir das antun?" Ich merkte immer mehr heiße Tränen über mein kaltes Gesicht laufen.
„Tess, es tut mir leid. Ich ..." sie brach ab und setzte sich mit Jakobs Hilfe auf.
„Lass mich raten, du musstest es tun." eine erneute Tränenwelle kam.
„Es reicht, ich fahre wieder. Ich kann mir das nicht antun. Ich kann nicht zu sehen, wie du dich willentlich in Gefahr bringt und dir alle anderen egal sind." Meine Stimme klang brüchig in meinen Ohren und Bella starrte mich entsetzt an.
Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, rief jemand vom Wald aus.
„Bringt sie nach Hause, ich gehe zu Herry und muss da helfen." Sam.
Ich fühlte mich plötzlich unendlich leer. Mir war immer noch eiskalt und auch meine Tränen flossen noch, doch innerlich war alles schwarz.
Ich konnte nicht verstehen, wie Bella so etwas tun konnte. Wie hätte ich es Charlie sagen sollen? Kurz sah ich vor meinem inneren Auge meine Mum, die zusammenbrach, als sie von Bellas tot erfuhr. Was hätte ich getan? Ich spürte mein Herz, das sich schmerzhaft zusammen zog. Wäre Jake nicht, hätte ich vielleicht keine Schwester mehr.
Wir hatten zwar gestritten, doch sie war mir nie weniger wichtig gewesen.
Jake half Bella auf und sie gingen. Ich wich ihren Blicken aus und blieb sitzen. Weitere Tränenwellen schüttelten mich.
„Tess." Paul trat in mein Blickfeld und kniete sich vor mich. Sein Blick war sanft, ganz anders als sonst. Die paar male die ich ihn gesehen hatte, sah er ernst aus oder hatte ein kleines spöttisches grinsen auf den Lippen gehabt. Jetzt jedoch waren seine Züge weich.
Er musste mich auch festgehalten haben, doch richtig sauer war ich nicht, nicht auf ihn. Im Nachhinein, war es besser gewesen, vor allem da Jake da gewesen war. Wenn beide nicht dagesessen wären, wäre vielleicht nicht nur Bella gestorben. Wieder zog sich mein Herz zusammen. Ich versuchte nicht daran zudenken, was hätte alles passieren können.
Als ich mich wieder auf Pauls Gesicht konzentrierte, fiel mir auf, wie gut er eigentlich aussah. Komisch, dass es mir ausgerechnet jetzt klar wurde. Seine nassen Haare fielen ihm in die Stirn, die in Sorgenfalten lag. Seine Hand lag immer noch auf meiner Schulter, die Stelle fühlte sich als einziges an meinem Körper etwas warm an und seine braunen Augen musterte mich mit Sorge und ... Liebe? Ich täuschte mich sicher. Warum sollte er Zuneigung oder ähnliche Gefühle mir gegenüber haben, wir kannten uns nicht und dennoch hatte er mir vielleicht was Leben gerettet.
„Lass uns gehen. Du musst aus den nassen Sachen raus." Er stand auf und hielt mir die Hand hin.
Doch ich zögerte, bevor ich sie griff.
„Ich will nicht nachhause. Ich will Bella nicht sehen." Den letzten Teil murmelte ich. Paul sah mir in die Augen, nickt jedoch.
„Nur lass uns gehen. Sonst erfriert du mir noch." ein Lächeln huschte über mein Gesicht. Ich konnte nicht leugnen, dass es sich gut anfühlt, dass er sich Sorgen um mich machte.
Ich konnte nicht erklären, wie Paul es schaffte, aber ich fühlte mich nach ein paar Sekunden neben ihm schon etwas ruhiger. Er hatte einen Arm um mich gelegt und auch wenn er sehr warm war, half es leider wenig. Immer wieder pfiff der Wind über den Strand und ließ mich jedes Mal zittern.
Ich stieg auf dem Beifahrersitz ein und Paul fuhr. Es war mir reichlich egal wo wir hinfuhren, Hauptsache nicht dort hin wo Bella war und irgendwo wo es warm war.
Wir fuhren ins Reservat, irgendwo, wo ich noch nicht war.
Paul hielten vor einem zweistöckigen holzverkleideten Haus. Es sah ähnlich aus, wie das von Sam und Emily.
Er öffnete meine Autotür und gemeinsam gingen wir zum Haus. Es musste von Paul sein, denn er öffnete es mit einem Schlüssel. Ich zögerte, bevor ich eintrat.
„Was ist?" Paul hatte gemerkt, dass ich ihm nicht folgte.
„Ich will nicht alles dreckig machen", murmelte ich und sah auf meine nassen, mit Sand und Dreck verzierten Klamotten.
Doch Paul lachte nur und zog mich an der Hand ins Haus.
„Schau nur nicht zu genau. Ich wohne alleine mit meinem Dad hier." Ich wunderte mich, was er andeuten wollte, doch merkte recht schnell, dass er die Unordnung meinen musste.
Ein paar alte Zeitungen stapelten sich auf dem Tisch und auch sonst lag alles kreuz und quer. Wäre ich im Internat nicht so getrimmt worden Ordnung zu halten, sähe es in meinem Zimmer sicherlich auch so aus, daher störte es mich nicht wirklich.
„Ich kann dir nur Klamotten von mir anbieten.", er kratze sich am Hinterkopf und wieder fiel mir auf wie gut er dabei aussah.
Ob er wusste, wie er wirkte?
„Kein Problem, Hauptsache trocken", murmelte ich, auch wenn ich mich unwohl fühlte, das von ihm anzunehmen.
Er zeigte mir das Bad und brachte mir einen Hoodie und eine Jogginghose. Beide würde mir viel zu groß sein, doch wahrscheinlich war es schon das kleinste, was er hatte.
Ich schälte mich aus meinen nassen Klamotten und stieg immer noch zitternd unter die Dusche. Es fühlte sich gut an, den Sand und Schlamm loszuwerfen und gleichzeitig etwas warmzuwerden. Doch ich wollte nicht zu viel Wasser verbrauchen und somit Paul und seinem Vater auf der Tasche liegen.
Erst als ich den Hoodie anzog, merkte ich, dass ich jetzt keine Unterwäsche mehr hatte. Sofort wurde ich rot. Noch nie hatte ein Junge mich nackt gesehen. Wie albern ich war, Paul würde mich nicht ohne Klamotten sehen. Ich hatte immer noch etwas an, nur eben nichts darunter.
Außerdem hatte Paul sicher eine Freundin und so wahrscheinlich kein Interesse an mir.
Ich verließ das Bad und stand etwas unschlüssig im Flur. Doch rechts von mir öffnete sich sofort eine Tür und Paul lehnte im Rahmen.
„Ich muss los, es tut mir leid, aber ein Mitglied vom Stamm hatte einen Herzinfarkt, Sam brauch da hilf und ..." ich unterbrach ihn.
„Du musst mir nichts erklären, du hast schon mehr getan als du müsstest. Ich komme schon klar, ich kann auch fahren, wenn es dir lieber ist." Er schüttelte schnell den Kopf.
„Nein, bleib ruhig hier. Ich versuche so schnell wie es geht wieder zu kommen." Er trat zur Seite und ließ mich in sein Zimmer. Es war relativ ordentlich, wahrscheinlich hatte er die Zeit, die ich beim Duschen war, genutzt, um etwas aufzuräumen.
Ich hoffte inständig, dass es ihm nicht unangenehm war, dass ich hier war.
„Wärm dich etwas auf. Ich hab Tee gemacht." Er deutet auf eine Kanne und auf eine Tasse.
„Bis später.", sein Blick sagte, dass es lieber nicht gegangen wäre.
Paul verließ das Haus und ich begann mich in drei Decken zu kuscheln, die er mir auf sein Bett gelegt hatte. Ich fühlte mich komisch, in seinem Bett zu liegen, ohne ihn zu kennen und ohne dass er da war. Aber mir war zu kalt, um mich anders zu entscheiden.
Auch wenn ich mir am Tee die Zunge verbannt hatte, wurde mir etwas wärmer. Doch trotz der Decken und des Tees, dauerte es eine Zeit bis alles an mir wieder warm wurde.

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