Kapitel 8 ✔️

Pünktlich um acht Uhr kam der Klempner. Schön im Blaumann und mit Sanitärwerkzeugkoffer. Perfekt getarnt. Es wunderte mich nur, wer da vor mir stand. Ich hatte ehrlich gesagt Jack oder Melvin erwartet, zwei der älteren Mitarbeiter meines Onkels. Nicht allerdings meinen Onkel persönlich. So viel zum Thema, wir dürften keinen direkten Kontakt haben.

Kopfschütteln ließ ich ihn ins Haus.

„Also, was liegt dir auf der Seele, dass ein Pizzabote nicht ausreicht?", brummte er direkt mit seinem tiefen Bass und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.

„Ich hab da ein Riesenproblem. Der Consigliere von Emiliano Pensatori scheint sich in mich verknallt zu haben."

„Das ist doch großartig!", schwärmte mein Onkel. „Dann kannst du dich noch besser in ihren Kreisen aufhalten und sie aushorchen."

„Das heißt, dass ich am Samstag auf die Geburtstagsfeier von Matteo Calieri gehen muss. Korrekt?" Hoffentlich sagte er nein.

„Aber natürlich gehst du da hin. Warum sollte es denn nicht so sein?" Mein Onkel schaute mich an, als ob ich ihm von einem rosa Einhorn berichtet hatte.

„Es ist mit Übernachtung. Und Luca ist echt aufdringlich. Das gefällt mir überhaupt nicht." Ich wippte ungeduldig auf der Stelle.

„Dann machst du halt ein bisschen mit ihm rum. Stell dich mal nicht so an. Unsere Mission ist wichtiger als deine Gefühle." Er zuckte mit den Schultern.

„Ich hab aber keine Lust meinen ersten Kuss ausgerechnet mit einem Mafioso zu erleben", maulte ich. Da bevorzugte ich Maxwell.

„Und wenn du deine Jungfräulichkeit an ihn verlierst. Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn das alles ist, würde ich jetzt gern ins Büro. Ich werde dort erwartet."

Stumm stand ich da und schaute ihm fassungslos hinterher, als er das Haus verließ und die Tür hinter ihm ins Schloss fiel. Wow, Onkel Sam war unheimlich mitfühlend. Nicht!

Ich stieß laut den zuvor angehaltenen Atem aus, lief ins Wohnzimmer und sackte auf das Sofa. Scheiße. Ich vergrub das Gesicht in den Händen. Heiße Tränen rannen über meine Wangen. Sie brannten tiefe Spuren in die Haut, bis sie letzten Endes auf den Boden tropften. Dass die Party zur Mission gehörte, sah ich ein, aber schlafen würde ich mit Luca garantiert niemals! Egal wie charmant er sich verhielt. Den Fehler, den Emilianos und Giulias Ahnin gemacht hatte, wiederholte ich unter keinen Umständen. Ich verstand ohnehin nicht, wieso sie sich damals dem Consigliere hingegeben hatte. Gegebenenfalls gab es in ihrer Lebensgeschichte von Giulia Pensatori einen Hinweis, den ich übersehen hatte.

Als sie erwachte, lag sie in einem fremden Bett. Wie war sie dorthin gekommen? Ihr Kopf schmerzte unnatürlich, außerdem brannten ihre Handflächen und Knie. Mühsam richtete sie sich ein wenig auf, wobei die Bettdecke von ihrem Oberkörper fiel. Erstaunt stellte sie fest, dass sie völlig bekleidet geschlafen hatte.

„Ich dachte mir, dass es dir unangenehm sein würde, wenn ich dich entkleidet hätte." Die tiefe Stimme kam ihr vertraut vor. Sie linste vorsichtig in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Auf einem Stuhl saß ein Italiener, der sie stirnrunzelnd betrachtete. Sie ließ ihren Blick über ihn gleiten. Er trug ein weißes Hemd, eine schwarze Krawatte und eine schwarze Stoffhose. Dazu schwarze Hosenträger und schwarze Schuhe. Seine Pomadenfrisur hatte sich ein wenig aufgelöst. Der Seitenscheitel war noch in Ordnung, aber an einigen Stellen lösten sich seine halblangen schwarzen Haare, was ihm ein spitzbübisches Aussehen gab. Statt einem dieser widerwärtigen Schnurrbärte hatte er einen gepflegten Dreitagebart. Aber am auffälligsten waren seine leuchtend grünen Augen, die sie in ihren Bann zogen.

Die Erinnerungen an die Geschehnisse der vergangenen Nacht drangen langsam zu ihr durch und sie wandte ihren Blick abrupt ab. Er war einer dieser Verbrecher! Bei dem Gedanken daran, dass ausgerechnet sie der Mafia in die Hände gefallen war, erschauderte sie. Sie war eine brave anständige Frau. Kein Mafia-Liebchen.

Er stand auf und setzte sich auf den Rand ihres Bettes.

„Du brauchst doch keine Angst vor mir zu haben, Bella." Sanft strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie traute sich nicht, ihn anzusehen. Wagte es kaum, zu atmen.

„Wie heißt du eigentlich?" Der Italiener wartete vergeblich auf eine Antwort. Giulia weigerte sich, mit ihm zu sprechen. Sie hoffte darauf, dass er das Interesse verlor und sie dann freiließ.

„Du möchtest also nicht mit mir reden. Das respektiere ich." Er stand auf und setzte sich zurück auf seinen Stuhl. „Vielleicht vertraust du mir eines Tages. So lange werde ich dich Bella nennen." Mit einem Lächeln, das seine Augen in einem noch intensiveren Grün strahlen ließ, sah er sie an. „Mein Name ist übrigens Vincente Pensatori."

Vincente Pensatori. Der Consigliere des damaligen Dons von Philadelphia. Bis eine gnadenlose Fehde mit ehemaligen Verbündeten ausgebrochen war, der Familie Tempestuoso. Mein Onkel hatte mir einiges darüber erzählt. Aber da ich noch sauer auf ihn war, hatte ich keine Lust, mich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Doch welche Möglichkeiten, mich abzulenken, hatte ich momentan?

Joggen fiel flach, da der Knöchel nicht in Ordnung war. Fürs Boxen fehlte mir das Zubehör. Lesen war zu langweilig. Fernsehen war zu blöde. Ich brauchte Bewegung, sonst drehte ich bald völlig durch.

Ich holte zwei schwere Wasserflaschen als Hantelersatz aus der Küche, dann fing ich mit meinem improvisierten Training an. Um mich zu pushen, machte ich ein Zirkeltraining mit minimalen Pausen. Crunches, Liegestütze auf Knien, Seitheben, Sit-ups, Frontheben, Adduktoren liegend, einarmiges vorgebeugtes Rudern, Abduktoren liegend, Bizepscurls und Trizepsstrecken über Kopf. Davon fünf Zirkel mit jeweils zwanzig Wiederholungen. Kniebeugen und Ausfallschritte fielen aus, um den Fuß zu schonen. Eine Stunde später war das Training beendet und ich strotzte nur so vor Energie.

Scheiß auf Nerdie-Dasein. Ich nahm mir vor, nach dem Duschen online ein Fitness-Studio in der Gegend herauszusuchen, das bevorzugt von normalen Hausfrauen besucht wurde und nicht von hormongesteuerten Badboys oder der Mafia. Ab kommenden Montag endlich wieder vernünftig trainieren. Sechsmal die Woche, mit nur einem kompletten Ruhetag. Dann wäre mein Leben fast wieder in Ordnung. Ich lachte gequält auf. Nicht einmal eine Woche hatte ich diese Goodgirl-Nummer durchgezogen bekommen. Das hatte ich mir harmloser vorgestellt.

Ich seufzte und verschwand unter der Dusche. Das Wasser prasselte auf meinen Körper ein wie ein warmer Regen und ich grinste, als ich darüber nachdachte, dass Luca dieses Mal meilenweit entfernt von mir weilte.

Ich zog mir bequeme Klamotten an. Ein weiteres Mal aus dem Haus rauszugehen, hatte ich eh nicht vor. Pizza brauchte ich mir nicht bringen lassen, da etwas Lasagne vom Vortag übrig war. Wofür ich Luca echt knutschen könnte. Betonung auf könnte, denn ich würde garantiert nicht freiwillig mit ihm herumlecken. Das würde niemals passieren.

Pfeifend lief ich die Treppe runter ins Wohnzimmer.

„Na mein Engel, lächelst du meinetwegen? Hattest du mich schon vermisst?"

Mein Unterkiefer klappte runter. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Jetzt war der Stalker schon wieder hier. Wie eingefroren blieb ich stehen und starrte vorwurfsvoll zu ihm rüber. Betreten senkte er erst den Kopf, dann sah er mich zerknirscht an.

„Ich hatte ehrlich gedacht, dass du dich über meine Anwesenheit freuen würdest." Ja klar, ein Mafioso im Haus war das absolute Highlight des Tages. Nicht!

„Bist du schon wieder eingebrochen? Denn ich kann mich nicht daran erinnern, dir einen Schlüssel gegeben zu haben", zickte ich ihn an. Das Blut brodelte in meinen Adern wie kochende Lava.

„Das Schloss ist einfach zu knacken. Ich kann dir ein besseres einbauen. Aber dann will ich einen Schlüssel." Er hatte sich wieder gefangen und grinste mich mit seinen strahlendweißen Zähnen an. Ich könnte schwören, dass die goldfarbenen Sprenkel in seinen braunen Augen dabei funkelten wie die Sterne am Nachthimmel.

Ich seufzte. Ja, mal wieder. Was sollte ich sonst machen? Fluchen? Zugegeben, das wäre eher mein Ding, aber nicht als braves Mädchen. Verdammte Scheiße!

Luca lief auf mich zu und zog mich zaghaft in eine Umarmung. So von sich selbst überzeugt wie sonst kam er nicht auf mich rüber.

„Sei mir bitte nicht böse", flüsterte er mir ins Ohr. „Ich habe dich einfach zu gern in meiner Nähe."

„Warum ich?", murmelte ich leise. „Du könntest doch weitaus hübschere Mädchen als mich kriegen." Wieso versetzte mir meine Aussage nur einen Stich in die Brust?

Er löste die Umarmung, dann trat er einen Schritt zurück. Sanft hob er mein Kinn, damit ich ihn ansah.

„Du bist wunderschön, so wie du bist. Glaubst du wirklich, dass so eine blondierte Tussi mit einer Zementschicht an Makeup und mit Silikonbrüsten hübscher ist als du?"

Ich lachte leise. Das Bild einer der Schulbarbies schlich sich vor mein inneres Auge. „Nicht alle hübschen Mädchen sind fake", erwiderte ich schmunzelnd.

„Stimmt, die Hübschen sind so natürlich wie du." Er zog mich zurück an seine harte Brust. Mann, war der Kerl durchtrainiert. Und er roch unwiderstehlich. Meine Arme waren schneller als mein Verstand. Ich schlang sie um ihn und genoss die Wärme, die sein Körper ausstrahlte.

„So gefällt mir das schon besser." Von der Selbstgefälligkeit, die aus jedem seiner Worte tropfte, ließ ich mich nicht stören. Dafür genoss ich seine Nähe in diesem Moment zu sehr. Ich schloss die Augen und lehnte die Stirn an seinen Hals, so dass ich das Pochen seines Pulses spürte. Sein Herzschlag verdoppelte den Takt. Luca beugte seinen Kopf vor und küsste mich auf die Haare.

„Ich nehme an, dass du jetzt nichts mehr gegen meine Anwesenheit hast. Magst du vielleicht wieder mit mir zurück zur Villa fahren?"

„Na meinetwegen. Hast gewonnen", murmelte ich, benebelt von seinem Geruch. „Aber bilde dir ja nichts darauf ein."

Er ließ mich zufrieden los. „Hopp, pack deine Sachen. Dann brauchen wir morgen nicht noch mal herzukommen."

„Äh, ich soll wieder bei euch schlafen?" So war das aber nicht geplant.

„Ja klar, ist doch viel lustiger bei uns, als wenn du hier allein rumsitzt."

„Aber den Rest Lasagne darf ich erst noch essen, oder?" Mein Magen knurrte mich an wie ein räudiger Köter.

„Aber sicher doch, Garfield. Nicht, dass du mich beißt."

Kurze Zeit später saß ich in Lucas schwarzem Lamborghini Aventador S. Ein Auto, das eine Spitzengeschwindigkeit von dreihundertfünfzig Kilometern pro Stunde erreichte. Geiles Gefährt, aber wie alle anderen schnellen Wagen zu schade für den Stadtverkehr. Von null auf hundert in zwei Komma neun Sekunden. Dennoch langsamer als Luca am vergangenen Dienstag, wenn einer der Jungs es gewagt hatte, mich festzuhalten.

Wie kam ich jetzt schon wieder von Autos auf diesen dämlichen italienischen Macho, der uns zufrieden grinsend zur Villa fuhr? Verflixte Hormone! Es wurde Zeit für einen Plan B.

„Wir sind wieder Zuhause", riss Luca mich aus den Gedanken.

Es gab kein Wir. Und die Villa war nicht mein Zuhause. Würde sie nie sein. Aber vorläufig diskutierte ich nicht mit ihm. Gegebenenfalls flirtete ich auf Matteos Party mit einem anderen Kerl, damit Luca mich abservierte. Stirnrunzelnd folgte ich ihm ins Haus.

„Schön, dass du wieder da bist." Marco zog mich in eine Umarmung, bevor er mich an Mario weiterreichte. Von dort landete ich in Matteos Armen und zu guter Letzt bei Emiliano.

„Habt ihr keine anderen Hobbies?", murrte ich. Wieso passten die uns überhaupt in der Eingangshalle ab? Hatten die nichts zu erledigen? Einen Drogendeal vorzubereiten zum Beispiel?

„Nicht frech werden, Signorina. Du weißt, was sonst passiert." Oh ja Emiliano, an deine Drohung brauchtest du mich nicht zu erinnern. Ohne ein Wort zu sagen, flitzte ich die Treppe hoch in Giulias Zimmer.

„Na, hat Luca dich gefesselt und geknebelt, damit er dich zurückholen konnte?" Sie lächelte mich an. Eine tiefe Zufriedenheit lag in ihrem Blick. „Die Jungs waren unerträglich, vor allem Luca. Freut mich, dass du wieder da bist."

„Ich habe keine Ahnung, wie du es mit den Knallerbsen aushältst, aber meinen Respekt dafür hast du." Wir sahen einander an und prusteten los. Ganz ehrlich, ich hatte sie vermisst. Es wärmte mein Herz, mal eine Freundin zu haben.

Mit ihr würde ich das Wochenende schon überstehen. Doch wieso sagte sie, dass alle Jungs mich vermisst hatten? Ich gehörte nicht hierher, war kein Teil ihrer Familie.

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