Kapitel 50 ✔️
PoV Luca
Zwei Wochen waren seit dem Streit mit Michael vergangen. Er war für einige Tage in Ginas Villa abgetaucht und nach seiner Rückkehr war er komplett verschlossen. Wenn er mal etwas sagte, dann höchstens zu den Frauen, die sich zum Glück für die Familie wieder beruhigt hatten. Ich gab gerne zu, dass Emiliano sowohl bei seiner Schwester als bei seiner zukünftigen Frau eine beachtliche Überzeugungsarbeit geleistet hatte. Giulia hatte er angefleht, an ihr ungeborenes Kind zu denken und sie gefragt, ob sie es ernsthaft ohne Marco großziehen wollte. Einige Tage hatte er ihr ins Gewissen geredet, bis sie eingeknickt war.
Wenn Gina doch nur hier wäre, dann könnten wir sie sicher ebenfalls überzeugen, dass es für sie besser war, ein Teil der Familie zu sein. Meine Augen füllten sich mal wieder mit Tränen. Ich war mittlerweile überzeugt davon, dass sie unser Baby abgetrieben hatte. Durch die Entführung und strenge Ausbildung von diesem miesen Schwein Hudson war sie kein Familienmensch. Sicher hatte sie unser Kind als Hindernis gesehen und sich davon befreit. Müde lehnte ich meinen Kopf an den Türpfosten des Besprechungsraums und starrte auf die dunklen Möbel. Heute fand trotz aller widrigen Umstände die Hochzeit von Lucy und Emiliano statt. Nachdem er sie umgestimmt und sie zugestimmt hatte, doch seine Frau zu werden, hatte er alle Hebel in Bewegung gesetzt. Daher fand die Eheschließung heute statt und nicht erst in einem Monat, so wie ursprünglich geplant. Wie immer hielten wir die Feierlichkeiten auf dem Familienanwesen ab, wo unsere Hochzeit ebenfalls gefeiert worden war. Es war das erste Mal seit dem besten Tag in meinem Leben, dass ich wieder hier vor Ort war. Und ich hasste jede Sekunde davon, denn Gina war nicht bei mir.
„Und du bist dir sicher?", hörte ich Emiliano hinter mir fragen.
„Ja, ich bin Giulia bis zu diesem Notar gefolgt. Es sieht danach aus, dass sie den Verkauf zweier Immobilien von Ilimitada in die Wege geleitet hat", knurrte Marco leise. Ich trat zur Seite und ließ sie eintreten, dann schloss ich die Tür hinter uns. Wir setzten uns an den Tisch. Abwartend schaute ich die beiden an.
„Also, wie du eben gehört hast, verkauft Giulia zwei Gebäude. Wir wissen allerdings nicht, wofür das Geld verwendet werden soll", weihte Emiliano mich ein. Ich nickte verstehend. Die Cousine meiner Frau hatte die Verwaltung der Immobilien übernommen. Die Frage war nur, weshalb sie den Verkauf in die Wege geleitet hatte.
„Hatte sie in irgendeiner Form Kontakt zu Gina?", fragte ich Marco hoffnungsvoll. Dieser schüttelte nur resignierend den Kopf.
„Nicht, dass ich wüsste. Ich habe ihr Telefon verwanzt, aber sie hat keinen Anruf erhalten, den ich Gina zuordnen könnte", erwiderte er leise. „Hatte Lucy vielleicht Kontakt zu ihr?"
„Nein, sie hat keine Anrufe, keine Nachrichten und auch keine Emails erhalten. Nicht einmal Briefe", seufzte Emiliano.
„Bleibt also Jeanne", schloss ich daraus. Mein Bruder weigerte sich, seine Frau zu überwachen. Vermutlich der Grund, warum sie sich nicht von ihm getrennt hatte, sondern mit ihm wegziehen wollte. Der Umzug schien nicht vom Tisch zu sein, doch die beiden äußerten sich uns gegenüber nicht. Egal wer sie anflehte, diesen Schritt nicht zu gehen.
„Es kommt mir nur komisch vor, dass sowohl Giulia als auch Lucy eingelenkt haben und dann dieser Verkauf. Entweder steckt Gina dahinter, oder die nächsten Frauen wollen verschwinden." Marco kaute nachdenklich auf seiner Unterlippe. In der letzten Zeit hatte er sich einige nervöse Ticks angewöhnt. Dagegen war ich harmlos. Abgesehen von den häufigen Weinkrämpfen, wenn ich nachts allein war. Doch nach außen hin schien ich besonnener zu sein. Mein Vater hatte mich schon beglückwünscht, dass ich trotz der schwierigen Lage so einen kühlen Kopf behielt. Wenn der nur wüsste.
„Wir werden sie genau im Auge behalten", knurrte Emiliano, dann musterte er mich eindringlich. Im Gegensatz zu mir trugen er und Marco schon ihre Kleidung für die Hochzeit, die in einer Stunde stattfand.
„Ja Boss, ich geh mich gleich umziehen." Kapitulierend hob ich die Arme in die Höhe. „Mir ist nur nicht nach Feiern zumute. Das letzte Mal, als ich hier war...", meine Stimme brach. Ich ließ die Arme hilflos sinken. Meine Freunde nickten verstehend.
Eine Stunde später saß ich in der großen Halle, die wir für die Feier hergerichtet hatten. Draußen regnete es in Strömen, passend zu meiner Stimmung. Traurig hatte ich kurz zuvor einen unserer Bodyguards und seine schwangere Freundin beobachtet. Sie müsste im gleichen Monat sein, wie Gina jetzt wäre. Zärtlich hatte er seinen Arm um sie gelegt und ich hatte mich neidisch abgewandt. Mir fiel ein, dass ich ihn nie zuvor mit ihr gesehen hatte. Erneut drehte ich mich kurz zu ihnen um. Sie saßen in der letzten Reihe, die schwarzhaarige Frau am Gang. Sie trug einen großen Hut, den sie tief über die Stirn gezogen hatte. Schade, ich hätte gern ihr Gesicht geschaut. Frustriert drehte ich mich wieder nach vorne. Dass das Gelaber vom Pfaffen immer so lange dauerte. Keiner von uns besuchte normalerweise einen Gottesdienst, aber Hochzeiten wurden altmodisch vor dem Diener einer Märchenfigur geschlossen, die angeblich hoch oben auf einer Wolke saß. Entzückend.
„Wenn jemand der Anwesenden etwas gegen diese Verbindung einzuwenden hat, möge er jetzt sprechen oder auf ewig schweigen." Na endlich kam der Priester zum Punkt. Bald durfte ich hier raus. Gegebenenfalls verzog ich mich dann in die Bibliothek, um Die Schatzinsel in aller Ruhe zu lesen. Eine Aktion, die meiner Frau würdig wäre. So war ich ihr wenigstens gedanklich nahe.
Ein Schuss hallte durch den Raum. Er kam von der letzten Reihe. Wir drehten uns alle zu der Schwangeren um, die mitten auf dem Gang stand, eine Pistole in der Hand haltend. Ein zweiter Schuss erklang, gefolgt von drei weiteren. Diese kamen alle aus der ersten und zweiten Reihe, sowie von vorne vom Altar. Verblüfft sah ich, dass Giulia, Jeanne und Michael aufgestanden waren und bewaffnet zu der Braut schlenderten, die ebenso eine Waffe abgefeuert hatte. Was zum Teufel war hier los? War dies der Moment, an dem sie ebenfalls verschwanden? So wie Gina? Wie sollten wir sich aufhalten? Der Rest von uns war unbewaffnet, weil niemand so etwas erwartet hatte.
Mein Blick schweifte über die Anwesenden. Emiliano stand stocksteif bei seiner Fast-Ehefrau, den Ehering, den er ihr vor wenigen Sekunden anstecken wollte, zwischen den Fingern. Marco saß wie erstarrt und mit weit aufgerissenen Augen auf seinem Platz und starrte fassungslos auf seine Frau. Ein Raunen durch die Menge. Wie ein Tsunami schwoll es an, bis es dem Tosen eines Sturms ähnelte. Die Schwangere, die den ersten Schuss abgegeben hatte, lief gemächlich den Gang entlang zum Altar. Dort angekommen, zog sie sich ruckartig den Hut und die schwarze Perücke vom Kopf. Ich schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Gina. Vater, der eine Reihe hinter mir saß, legte seine Hand auf die Schulter und hinderte mich mit leichtem Druck am Aufstehen. Daher starrte ich meine Frau nur an, die der Braut lächelnd einen Steampunk-Haarschmuck an den hochgesteckten Haaren befestigte. Dann drehte sie sich zu uns um. Ihre Augen blitzten gefährlich, eine unausgesprochene Warnung an jeden, der sie aufhalten wollte. Alle Blicke ruhten auf ihr. Sergio Pensatori kämpfte offenkundig mit sich selbst, um seiner Nichte nicht sofort eine Standpauke zu halten. Er war bei den Schüssen aufgesprungen, stand fast regungslos nur wenige Schritte von Gina entfernt, ballte und entkrampfte unentwegt seine Hände. Ich dagegen war unendlich froh, sie zu sehen. Und ich war glücklich, dass sie entgegen meiner Befürchtung unser Kind behalten hatte. Das gab mir Hoffnung, sie zurückgewinnen zu können. Selbst wenn ich dafür die Familie verlassen musste. Doch ohne meine Frau wollte ich nicht mehr leben.
„Sie können übrigens weitermachen", meinte sie spöttisch zum Priester, der ebenfalls unsere Ehe geschlossen hatte. Gelassen blieb sie mit den anderen bei Lucy stehen. Als Emiliano seine frischgebackene Ehefrau küsste, huschte ein Lächeln über Ginas Gesicht. Jeder erhob sich, um die Halle zu verlassen, doch der Pfaffe hielt meine Frau auf.
„Du warst als Baby schon für eine Überraschung gut."
Mein Vater lachte leise hinter mir. Er schien zu wissen, worauf der Gottesmann anspielte. Womöglich verriet er es mir später, doch erst sehnte ich mich danach, mit Gina zu sprechen. Zögernd lief ich auf sie zu, nicht wissend, wie sie reagieren würde. Cazzo! Wie sollte ich mich ihr gegenüber verhalten? War sie bereit, mir zu verzeihen? Was sollte ich ihr sagen, um sie von meiner bedingungslosen Liebe zu überzeugen? Ich hatte vor Monaten einen Fehler begangen, den ich zutiefst bereute.
Einen Moment standen wir einander gegenüber, dann zog ich sie ruckartig an mich und sie schlang direkt ihre Arme um meinen Körper. Ihren Kopf lehnte sie an meine Halsbeuge, während ich eine Hand auf ihren unteren Rücken, die andere auf ihren Bauch legte. Sanft streichelte ich über die Wölbung.
„Endlich bist du wieder bei mir", flüsterte ich ihr zu. Niemals würde ich sie nochmals gehen lassen. Da würde ich ihr schon eher ins Bein schießen, damit sie nicht in der Lage war, abzuhauen.
„Wenn du brav bist, bleibe ich sogar." Ihre sanften Worte zwangen mich fast in die Knie. Ich würde alles dafür tun, dass sie für immer bei mir blieb.
„Du wirst bleiben, ob du willst oder nicht", knurrte ihr Onkel. Statt den anderen zu folgen, hatte er auf uns gewartet. Mit finsterer Miene betrachtete er meine Frau, so dass ich mich schützend vor sie stellte, eine Hand ihr Handgelenk umklammernd. Einen Augenblick starrte ich ihn wortlos an, dann wurden seine Züge weich.
„Komm her, Bambina. Ich bin froh, dass du wohlbehalten zurückgekehrt bist." Ich ließ Gina los und grinste, als Sergio Pensatori seine Nichte in den Arm nahm, fest drückte und sanft ihren Bauch streichelte.
„Finger weg", grummelte sie. „Das ist mein Bauch."
Der alte Pensatori schüttelte nur lächelnd seinen Kopf. Dann schob er Gina langsam aus der Halle und ich folgte ihnen. Draußen warteten schon einige Familienmitglieder, die darauf brannten, meine Frau zu begrüßen. Doch drei alte Bekannte machten ihnen einen Strich durch die Rechnung.
„Diavoletta, wo hast du nur so lange gesteckt?", dröhnte die tiefe Stimme von Lucius Genovese herüber, so dass die Leute ihm und den anderen beiden Männern Platz machten.
„Lass doch mal meinen Engel der Nacht in Ruhe", mischte sich Massimo Lucchese ein, der freudestrahlend auf Gina zulief.
„Die Aktion hätte von Julia Tempestuoso sein können, deiner Ahnin", lachte Enrique Tempestuoso.
Nacheinander umarmten sie Gina, die jeden unbekümmert begrüßte. Ja, ihre Aktion hatte Stimmung in die Bude gebracht. Die älteren Familienmitglieder schüttelten schmunzelnd den Kopf. Selbst meine Mutter schien die Sache amüsant zu finden, statt mit einem von uns zu schimpfen. Mia Mamma. Ich würde ihr später erklären, dass ich keine Einschränkungen in Ginas Leben akzeptierte. Womöglich klärte ich das besser direkt. Doch bevor ich zu ihr gehen konnte, stand der frischgebackene Ehemann bei uns.
„Cousinchen?" Gina drehte sich zu Emiliano um und schaute ihn misstrauisch an. Eine Augenbraue hochgezogen, die Arme verschränkt. An ihrer Stelle würde ich genauso handeln.
„Ja, ich habe Mist gebaut", seufzte er. „Natürlich wirst du Ilimitada anführen. Kannst du mir verzeihen? Ich wollte dich doch nur beschützen." Zitternd hielt er ihr seine Hand hin, damit sie einschlug. Zu unserer Überraschung zog sie ihn in eine Umarmung, drückte ihn fest und schob ihn dann resolut von sich.
„Baust du nochmal so eine Scheiße, dann ziehe ich zu Massimo." Sie zeigte auf den Don aus Chicago, der breit grinste.
„Gute Idee. Dann helfe ich bei der Kindererziehung." Er klatschte vergnügt in die Hände.
„Näher an die Sorge für ein Kind würdest du auch nicht kommen", spottete Lucius.
„Sorge du erst einmal dafür, dass Emma nicht abhaut. So glücklich sieht sie gerade nicht aus." Auf Massimos Worte hin schaute ich mir Genoveses Freundin an. Ich bekam den Eindruck von ihr, dass sie schnellstens wegwollte. Ihre Abneigung war sichtbarer als damals auf Sizilien. Gina folgte meinem Blick und nickte kurz. Dann lief sie zu ihr hinüber, um sie zu begrüßen.
So ging es den Rest des Tages weiter. Alle drängten sich an meine Frau, um mit ihr zu reden, und ich war froh, als wir endlich abends im Bett lagen. Sanft und gleichzeitig forsch zog ich sie an mich heran und küsste sie verlangend. Unsere Lippen bewegten sich synchron. Ihre Lippen waren so weich, so sanft, so süßlich. Nie wieder wollte ich mich von ihr lösen. Doch nach einigen Minuten schnappten wir beide nach Luft.
„Ach übrigens. Merke dir eins für die Zukunft. Im Bett darfst du gern dominant sein, aber ansonsten bin ich der Boss." Verführerisch sah sie mich unter ihren langen Wimpern an, leckte einmal über ihre vom Kuss geschwollenen sinnlichen Lippen. Ich seufzte. Diese Frau brachte mich um den Verstand.
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