Kapitel 47 ✔️
„Luca wird Ilimitada führen. Ich will kein Aber von dir hören", herrschte Emiliano mich an. Mühsam unterdrückte ich die Tränen, die wie ein Geysir hervorzusprudeln drohten. Scheiß Schwangerschaft. Nicht nur, dass die Hormonschwankungen sich auf meine Psyche auswirkten. Nein, diese Arschlochfamilie sah es obendrein als gerechtfertigten Grund an, mir Hausarrest zu verpassen und Luca die Leitung meiner Organisation zu übergeben.
„Das kannst du sowas von vergessen!", keifte ich zurück. Ich wäre keine Pensatori, wenn ich mir das bieten ließe. Das Blut kochte in meinen Adern. Es fehlte nicht viel und ich explodierte.
„Gina, versteh doch bitte, dass es zu deinem Besten ist", mischte sich zu allem Überfluss mein Schwiegervater Lorenzo mit ein.
„Zu meinem Besten?" Fassungslos starrte ich ihn an. Es hatten sich ohne Ausnahme alle Männer der Führungsebene gegen mich verschworen. Mit Mühe kontrollierte ich meine Atmung, obwohl sie mittlerweile dem Schnauben eines Pferdes glich.
„Du wärst auf Sizilien fast draufgegangen, wenn Luca dich nicht gerettet hätte", warf Marco gelassen ein. Schön für ihn, dass er immer so entspannt war. Ich starrte den Mann meiner Cousine einen wütenden Blick zu. Dann wandte ich mich wieder mit finsterer Miene der Runde zu. Wenn ich jetzt eine Knarre hätte, würde ich einen nach dem anderen abknallen. Auch meinen Mann. Es war seine Schuld, dass ich in dieser beschissenen Situation steckte.
Nach unserer Hochzeitsreise war alles in bester Ordnung gewesen. Ich hatte mich mit den Planungen für Ilimitada beschäftigt. Luca war seinen üblichen Geschäften in Emilianos Auftrag nachgegangen. Drei Wochen später war ich kaum aus dem Bett rauszukriegen. Vor lauter Müdigkeit wollte ich grundsätzlich drin bleiben. Nach einigen Diskussionen hatte es Luca gereicht und hatte er mich zu unserer Krankenstation getragen. Ja, getragen. Ich war zu faul zum Laufen. Jeanne hatte mir Blut abgenommen und mich in ein Krankenbett verfrachtet. Zuerst hatte sie einen kleinen Infekt in Verdacht, doch der Bluttest hatte etwas anderes gezeigt. Schwanger. Ich Idiotin habe mich sogar darüber gefreut. Schnell hatte ich meine Meinung geändert. Mittlerweile verfluchte ich die Schwangerschaft genauso, wie den Tag an dem ich Luca überhaupt kennengelernt hatte. Verfickter italienischer Macho. Und der Rest der Familie war kein Stück besser. Allen voran meine oberschlaue Schwiegermutter, die meinem Onkel und meinem Cousin in den Ohren gelegen hatte, mich aus den Geschäften zurückzuziehen. Das Leben als Hausfrau und Mutter passte ihrer Ansicht nach besser zu mir. Ich schnaubte empört.
„Lorenzo, erinnere mich bitte daran, den Sprengstoff zu verstecken." Die Worte meines Onkels brachten mich zurück zur Wirklichkeit. Die anwesenden Männer sahen mich schweigend an, während ich das Gefühl hatte, dass mir wie im Zeichentrick vor Wut der Qualm aus den Ohren stieg.
„Das solltest du auch, werter Onkel", zischte ich ihm zu. Ich sprang auf und verließ den Besprechungsraum. Die Tür fiel mit einem lauten Knall hinter mir ins Schloss. Doch irgendein Idiot öffnete sie sofort wieder und kam mir hinterher.
„Wo willst du hin", donnerte Lucas Stimme.
„MEINEN verfickten Schreibtisch in MEINER verfickten Villa räumen, damit du dich mit deinem hinterhältigen Arsch dort breitmachen kannst", fauchte ich ihn an. Wie ein Raubtier machte ich mich zum Sprung bereit. Meine Muskeln spannten sich, warteten nur auf eine falsche Bewegung meines Gegenübers.
„Gina, gattina, ich..." Hilflos ließ er die Arme sinken.
„Spar dir das mit den Kosenamen! Das hätte ich echt nicht von dir erwartet, dass du mir so in den Rücken fällst. Und jetzt, geh mir aus den Augen." Wütend stürmte ich zur Haustür, die Michael für mich offenhielt. Dann lief er vor zu seinem guten alten Mustang und öffnete mir die Beifahrertür. Wortlos setzte ich mich rein. Wenigstens er war auf meiner Seite und ich fürchtete, ihn in meiner Wut zu beleidigen. Zwanzig Minuten später kamen wir bei der Villa an.
„Du schuldest mir noch etwas", brachte ich hervor, ohne meinen besten Freund anzusehen, den einzigen, den ich in dieser Familie aus Verrätern hatte.
„Ich weiß, Zičá. Beruhige du dich erst einmal, während ich alles in die Wege leite." Er schob mich vor sich her durch die Tür. Ich lief zum Schlafzimmer, das ich mir liebevoll eingerichtet hatte, in der Hoffnung, hier mit Luca zu leben. Nachdem ich mich aufgefrischt hatte, verschwand ich im Büro, setzte mich an den Schreibtisch und starrte auf die Arbeitsfläche. Es reichte mir. Niemand, aber auch wirklich niemand sperrte mich wie einen Vogel im goldenen Käfig ein! Ich musste aus der Stadt verschwinden. Verdammt, ich müsste vermutlich sogar das Land verlassen. Eines meiner Häuser als Versteck zu nutzen, ergab keinen Sinn. Leider hatte ich Giulia eine Liste mit sämtlichen Immobilien anvertraut, damit sie die Verwaltung übernahm. Selbst wenn sie nicht verraten wollte, würde mein Cousin sie schnell knacken. Einem Kreuzverhör hielt sie niemals stand, dafür war sie zu sanftmütig. Ich kaute nachdenklich auf der Unterlippe herum. Mein Blick wanderte zu dem massiven Holzschrank, in dem ein Safe eingebaut war. Grübelnd stand ich auf und lief langsam auf ihn zu. Flink tippte ich die Kombination ein, die außer mir keiner kannte. Es war weder mein Geburtstag noch der einer Person, die mir am Herzen lag. Nicht der Todestag meiner Eltern, genauso wenig der von Hudson. Es war kein Tag, an dem ich irgendjemanden aus meinem jetzigen Umfeld kennengelernt hatte. Ebenfalls nicht der Tag, an dem ich aus dem Koma erwacht war, oder der, an dem ich geheiratet hatte.
Nein, es war das Datum, an dem ich zum ersten Mal jemanden getötet hatte. Hudson hatte mir einen verletzten und gefesselten Drogendealer angeschleppt, den ich erschießen sollte. Da mein sogenannter Onkel mir dabei aufgezählt hatte, wie viel Leid der Verbrecher vor mir über anständige Familien gebracht hatte, habe ich ihm eiskalt eine Kugel in den Schädel gejagt. Von der Volljährigkeit war ich da noch meilenweit entfernt. Hudson hatte die Leiche später in einer Gegend verbuddelt, wo sich nie einer hin verirrte. Kein Wunder. Wer wanderte gern durch die Wüste? Ich auf jeden Fall nicht. Egal. Da Hudson dank meiner Wenigkeit verfrüht verstorben war, kannte nur ich dieses Datum. Und ich würde einen Teufel tun, es irgendjemandem zu erzählen.
Grinsend zog ich einen gefälschten Pass, die dazugehörigen Kreditkarten, ein unbenutztes Prepaid Smartphone und eine nicht registrierte Knarre heraus. Diese Sachen nahm ich mit zum Schreibtisch und breitete sie vor mir aus. Nachdenklich starrte ich vor mich hin. Mit Waffe außer Landes zu fliegen, lag nicht im Bereich des Möglichen. Außerdem würden ab morgen der Flughafen und alle Zufahrtsstraßen nach und raus aus Philadelphia überwacht werden, sollte ich heute Abend nicht in die Pensatori-Villa zurückkehren.
Ein Schatten fiel auf die Tischplatte und damit auf die Sachen vor mir. Ich schaute auf und sah in die besorgten Augen meines besten Freundes. Es war ihm an seinem Gesicht abzulesen, dass er den Plan erriet.
„Wir werden einander wohl für einige Zeit nicht sehen", sprach er leise. Ich nickte nur, denn ein dicker fetter Kloß breitete sich in meiner Kehle aus und weigerte sich, den Weg freizuräumen.
„Das habe ich mir gedacht. Deswegen habe ich für dich Leroy kontaktiert." Michael reichte mir einen Zettel mit einer Telefonnummer. „Da ich nicht lügen will, solltest du heute Nacht verschwinden, wenn ich schlafe. Ich darf nicht erfahren, wo du dich mit Leroys Hilfe verstecken wirst. Egal ob es Pine Ridge, Standing Rock oder irgendwo außerhalb der Reservate ist, du darfst mich unter keinen Umständen kontaktieren. Wenn du weg bist, werde ich morgen früh deine Familie davon in Kenntnis setzen und ihnen anbieten, dich zu suchen. Das heißt, ich werde alle Städte abklappern, in denen du Immobilien hast. Damit hast du genügend Zeit, um in Ruhe über alles nachzudenken. Das gleiche gilt für die Schwachköpfe in der Pensatori-Villa." Er schüttelte betrübt den Kopf. „Ich hatte gehofft, dass wir uns nie wieder trennen müssten. Doch nun sehe ich zu deinem Schutz keinen anderen Ausweg", sagte der Mann, der sonst eher wenige Worte machte, sondern lieber Taten für sich sprechen ließ.
„Ich weiß", seufzte ich leise. „Aber was, wenn sie dir nicht vertrauen? Immerhin bist du derjenige, der mich am besten kennt. Sie werden davon ausgehen, dass du mir geholfen hast."
„Ich werde nicht lügen, denn das würden sie sofort erkennen. Wohl aber kann ich schweigen. Und wenn ausgerechnet ich anbiete, dich zu suchen, werden sie darauf hereinfallen."
„Bist du dir da sicher?" Überzeugt hatten seine Worte mich nicht.
„Wer hat dich in Chicago aufgespürt?"
„Du", flüsterte ich. Kurz flimmerte das Bild vor meinen Augen, wie er angeschossen neben mir im Wagen saß, der Pulli durchtränkt von seinem Blut. Ein eiskalter Schauer lief über meinen Rücken.
„Wer hat dich schwerverletzt in Vegas gefunden?"
„Du." Ich warf mich in seine ausgebreiteten Arme, kuschelte mich an und roch seinen vertrauten Geruch. Warum musste ich ihn zurücklassen? Das Leben war nicht fair. Ich seufzte abermals. Ein Gähnen entwich mir.
„Geh deine Sachen packen und schlaf eine Runde, damit du nachher abhauen kannst. Ich sage in der Villa Bescheid, dass wir hier schlafen." Er grinste mich verschmitzt an, seine dunklen Augen blitzten verschwörerisch auf. „Der ganze Stress hat doch sicher dazu geführt, dass du jetzt hundemüde bist."
„Ja, da hast du wohl recht." Ich erwiderte sein Grinsen und gab ihm einen Kuss auf die Wange, bevor ich mich zu meinem Zimmer aufmachte. Doch packen brauchte ich nicht. Eine Notfalltasche wartete immer vorbereitet. Ganz so, wie ich es von Hudson gelernt hatte. In einer Sache hatte der Mistkerl recht. Frauen gegenüber war die Mafia ungerecht. Egal wie erfolgreich eine Frau war, wenn sie schwanger wurde, reduzierte man sie auf diesen Aspekt. Obwohl er mich aus niederen Beweggründen ausgebildet hatte, war ich froh über alle kampfrelevanten Kenntnisse, die ich dank ihm gelernt hatte.
Ich putzte die Zähne und warf mich aufs Bett. Dann vernahm ich Michaels Stimme vom Flur her. Die Türklinke senkte sich und der Lakota trat ein, Smartphone am Ohr und einem genervten Gesichtsausdruck.
„Tut mir leid Luca, aber Gina liegt bereits auf ihrem Bett. Das war heute alles ein wenig viel für sie. Nein, ich werde sie nicht ins Auto schmeißen und zu euch fahren." Er machte eine kurze Pause, hielt das Smartphone dabei etwas vom Ohr weg. Ich hörte klar und deutlich, wie mein Göttergatte am anderen Ende der Leitung herummotzte. „Nein Luca, du brauchst gar nicht erst hier aufzutauchen. Gina möchte dich jetzt nicht sehen." Ich nickte zustimmend. Der Verräter konnte mir vorläufig gestohlen bleiben.
„Verdammt Luca, sie ist ein großes Mädchen. Sie kann verdammt gut auf sich selbst aufpassen." Michael tigerte ohne Unterlass im Raum auf und ab, versuchte verzweifelt, den nervtötenden Italiener davon zu überzeugen, dass wir hier allein bleiben konnten.
„Natürlich passe ich auf sie auf. Ich will nur ihr Bestes. Ja, bis morgen." Seufzend packte er sein Telefon weg. „Dein Mann scheint Angst zu haben, dass du dich aus dem Staub machst."
„Tja, er kennt mich halt auch. Musstest du ihm noch irgendwas versprechen?"
„Ja, dass ich dich nicht aus den Augen lasse."
„Wie dumm nur, dass man nicht mit offenen Augen schlafen kann." Ich kicherte in mich hinein. Die Aussicht auf ein wenig Abenteuer und wenn es nur die Flucht vor meiner Familie war, erheiterte mich mehr, als sie sollte. Statt weiterhin wütend zu sein, freute ich mich darauf, alle an der Nase herumzuführen.
„Rutsch mal zur Seite. Ich will wenigstens noch etwas mit dir kuscheln." Michael schob mich vom Rand des Bettes weg und legte sich an meine Seite. Sanft zog er mich an seine durchtrainierte Brust. Es war Ewigkeiten her, seit wir so miteinander gekuschelt hatten. Tief sog ich seinen herrlichen Geruch ein. Scheiße, ich wollte ihn mitnehmen.
„Michael?" Mein Magen krampfte, mit Mühe unterdrückte ich das Zittern in der Stimme.
„Ja Kleines?" Seine Lippen berührten mich sanft an der Schläfe.
„Was wenn ich mich dazu entscheide, nie wieder zu meiner Familie zurückzukehren?" Beunruhigt wartete ich auf seine Antwort. Sein Brustkorb hob und senkte sich einmal stark.
„Dann werde ich zu dir kommen und werde ich dich für immer beschützen. So wie ich es damals deinen Eltern versprochen habe." Sanft kraulte er meinen Nacken, bis ich nach einer Weile beruhigt einschlief.
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