Kapitel 43 ✔️
Luca saß Eis essend neben mir auf der Piazza Navona. Hier gab es die besten Eisdielen Roms, doch ich hatte klugerweise auf ein Eis verzichtet. Für den Abend hatten wir geplant, in einem der hochgelobten römischen Restaurants Essen zu gehen und da gehörte für mich ein Nachtisch auf jeden Fall dazu. Luca dagegen hatte sich völlig verzückt ein Eis mit sechs Kugeln bei der Gelateria del Teatro gegönnt. Sechs verschiedene Schokoladensorten. Aber er hatte es sich verdient. Den gesamten Vormittag hatten wir mit Sightseeing verbracht, genauso wie die anderen beiden Tage seit unserer Ankunft in Rom. Morgen wollten wir weiter nach Sizilien, um ein wenig am Strand zu entspannen und entfernte Verwandte von mir zu besuchen. Meine größte Sorge war, dass meine Schwiegermama dort auftauchen würde, obwohl Luca versucht hatte, es ihr auszureden. Aber so etwas klappte meist bei italienischen Frauen schlecht. Sie wollten grundsätzlich ihren Willen durchsetzen. Wobei ich dafür ein absolutes Paradebeispiel war. Nachdenklich betrachtete ich den Vier-Ströme-Brunnen und die Skulpturen, die dort aufgestellt waren.
„Bin ich froh, dass du nicht so oberflächlich bist wie die hirnlosen Tussen und sabbernd verheiratete Männer anstarrst." Mein Ehemann wies kurz mit seinem Kinn in die Richtung einiger niederländischer oder deutscher Touristinnen. Deren Sprachen hörten sich für mich zu ähnlich an. Egal, aber er hatte recht. Sie sabberten tatsächlich fast, als sie ihn anstarrten. Wenn Blicke töten könnten, wäre ich längst verstorben. Zum Glück funktionierte das genauso wenig, wie das Ausziehen mit Blicken. Denn sonst säße Luca seit einer geraumen Zeit nackt neben mir.
„Tja, bei dem Anblick, den du ihnen lieferst, bist du schon selbst schuld." Schmunzelnd betrachte ich meinen murrenden Italiener. Enges weißes Hemd, schwarze Stoffhose und ausnahmsweise mal Sneakers. Dazu ließ er seit unserem Abflug aus Philadelphia seinen Bart wachsen, was ihm einen zugegebenermaßen gefährlichen Touch gab. „Abgesehen von den Schuhen erfüllst du gerade so einige Klischees, die junge Frauen von Mafiosi haben."
„Bin kein Don, also darf ich Sneakers tragen." Genüsslich leckte er weiter an seinem Eis, sah mich dabei verschmitzt an, als ihm mein Blick auffiel. „Denkst du etwa an letzte Nacht? Das können wir gern wiederholen." Sein Grinsen wurde noch breiter.
„Mistkerl." Ich gab ihm einen Schlag in den Nacken, doch er ließ sich nicht beirren. Seelenruhig leckte er in langen Zügen weiter, wobei sich seine Augen tief in meine bohrten. Woran er dachte, wollte ich gar nicht erst erfahren.
„Vergiss es, wir machen das Sightseeing zu Ende", knurrte ich leise. Mein Unterleib brannte vor Verlangen und zwischen meinen Beinen wurde es feucht. Was war das Leben doch entspannt gewesen, bevor ich eine Vorstellung davon hatte, wie reizvoll Sex war!
„Cazzo! Mir tun aber die Füße weh. Ich kann nicht mehr." Innerhalb einer Millisekunde wechselte er zum Welpenblick, um mich zu erweichen.
„Ach, hat der große böse Mafioso ein Aua? Dann muss er Bettruhe halten. Und zwar alleine."
„Ist ja gut", gab er seufzend nach. „Was steht als nächstes auf dem Programm?"
„Das Kolosseum. Weißt doch, das beste hebe ich mir immer bis zum Schluss auf." Auf den Besuch freute ich mich seit Wochen.
„Na toll, noch mehr alte Steine. Die Ruine könnten sie ruhig mal abreißen und ein Fünf-Sterne-Hotel mit Casino dort errichten", zog er meine Liebe zu geschichtlichen Themen und alten Bauwerken auf.
„Kulturbanause", fauchte ich ihn an. „Das Kolosseum, auch bekannt als Amphitheatrum Flavium, ist immerhin das größte je gebaute Amphitheater der Welt." Ich kramte sofort meinen Reiseführer aus der Tasche, aus dem ich dann enthusiastisch zitierte.
„Im Jahre Zweiundsiebzig nach Christus wurde der Bau des Kolosseums in Rom durch Kaiser Vespasian begonnen. Schon im Jahr Achtzig wurde es der Überlieferung nach mit einhundert Tage andauernden Spielen eröffnet, unter anderem mit Gladiatorenkämpfen, nachgestellten Seeschlachten und Tierhetzen.
Als Zuschauer gelangte man durch eines der achtzig Tore ins Innere. Davon waren vier Eingänge für privilegierte Gäste, zum Beispiel Senatoren, reserviert, die dadurch in abgesicherte Bereiche des Zuschauerraums gelangten.
Alle anderen Zuschauer kamen durch die restlichen sechsundsiebzig Eingänge und über Marmortreppen zu Ihren Plätzen. Das Kolosseum bot Platz für fünfzigtausend Zuschauer. Viele damalige Prinzipien der Gestaltung einer Arena werden auch heute noch beim Bau von Stadien eingesetzt. So konnte das Gebäude durch die ausgeklügelten Gänge in nur fünf Minuten evakuiert werden." Diabolisch grinste ich meinen Mann an. „Ergo, auch die Stadien deiner geliebten Fußballklubs profitieren von dem alten Wissen der Römer. Abgesehen davon erwarte ich von einem Italiener mehr Respekt für die Geschichte und Kultur seines Landes."
„Warum genau wollte ich unbedingt dich zu meiner Frau?", stöhnte er gequält auf und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn.
„Weil du jemanden brauchst, der dir wie deine Mamma Kontra gibt?", erwiderte ich zuckersüß. Wie durch Zauber piepte Lucas Smartphone. Nachdem er die Nachricht gelesen hatte, zog er einen Flunsch. Ich hatte schon eine Ahnung, wer aus unserer Familie sich gemeldet hatte.
„Apropos Mamma. Sie ist bereits auf Sizilien und fragt, wann wir endlich dort ankommen werden." Er schüttelte resignierend den Kopf. „Wollen wir nicht direkt zurück nach Philly? Oder zu einem deiner Unterschlupfe? Die Villa in Vegas hat mir gut gefallen. Abgesehen davon, wie wir dich dort blutüberströmt vorgefunden haben."
„Mal wieder abzutauchen, hört sich zwar verführerisch an, aber ich denke, das sollten wir uns nicht erlauben. Sonst haben wir demnächst beide einen Ortungschip im Nacken." Ich legte den Kopf schief und betrachtete nachdenklich meinen Mann. „Sag mal, wieso störst du dich in letzter Zeit so an deiner Mutter?"
„Ich soll dich dazu zwingen, dass du dich aus allen Familiengeschäften zurückziehst und nur den Part der Hausfrau und Mutter auf dich nimmst." Luca wagte es nicht einmal, mich dabei anzusehen. „Sie findet es zu gefährlich für eine Frau, sich in Männerangelegenheiten einzumischen."
„Kann mich daran erinnern, dass es dir bis vor Kurzem auch nicht sonderlich gepasst hat", brummte ich nur und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.
„Ich weiß," seufzte er, „und es gefällt mir noch immer nicht. Aber ich habe kapiert, dass ich dich nicht einsperren kann. Nähme ich dir deine Freiheit, wärst du schneller weg, als dass ich dir Handschellen anlegen könnte."
„Soso, jetzt denkst du auch noch an Fesselspiele", zog ich ihn auf, um ihn auf andere Gedanken zu bringen.
„Können wir gerne machen. Kolosseum lassen wir dann also ausfallen und gehen zurück ins Hotel, richtig?" Hoffnungsvoll sah er mich an.
„Nö." Die Hauptattraktion ließ ich garantiert nicht flachfallen. Nicht einmal für einen liebevollen Ehemann, der mich so akzeptierte, wie ich war.
„Sadistin", knurrte er, aber folgte mir brav auf dem zwei Kilometer langen Weg zum Amphitheater. Nachdem wir dort einige Stunden verbracht hatten, liefen wir händchenhaltend zum Tempio di Iside, einem der besten Fischrestaurants in Rom. Entspannt saßen wir im Gewölbe-Keller, der durch seinen Mix aus alten Gemäuern und modernen Lampen seinen eigentümlichen Charme versprühte. Man hatte uns einen kleinen Tisch in einer Nische gegeben, von dem aus wir die anderen Gäste beobachten konnten, selbst aber vor Blicken nahezu vollständig geschützt waren. Der Kellner hatte meinen Mann kurz mit weit aufgerissenen Augen betrachtet, bevor er uns diesen Tisch zugewiesen hatte. Ich verkniff mir ein Grinsen. Die Mafia war in Italien trotz der Bemühungen des italienischen Staates weit verbreitet und her hatte uns daher direkt als Mafiosi erkannt. Oder eher nur Luca, denn ich sah in meinem roten Kleid, das mir bis zu den Knien reichte, zwar heiß, aber ansonsten ungefährlich aus. Störte mich ausnahmsweise herzlich wenig. Mein Geschenk von Michael, die Beretta Pico, schleppte ich trotzdem in der Handtasche mit mir herum. Dahingegen war Luca heute mal unbewaffnet. Schon allein falls die Polizei uns anhalten würde, damit sie keine Waffen bei ihm fand. Ärger in einem fremden Land, fernab von der schützenden Familie, konnten wir beide nicht gebrauchen.
Trotzdem war es praktisch, denn der Service im Restaurant, über den man als Privatperson nichts zu klagen hatte, war ausgesprochen zuvorkommend. Das Essen wurde zügig für uns zubereitet und serviert und unsere Gläser blieben nie lange leer.
Als Vorspeise gönnten wir uns jeweils ein Garnelen-Carpaccio. Der erste Gang waren Spaghetti mit Meerestrüffeln, die zu den teuersten Meeresdelikatessen gehörten. Sie waren sogar noch teurer als Austern. Und schmeckten mir auch besser. Als zweiten Gang entschieden wir uns für Weißfischfilets mit gehackten Mandeln, Semmelbröseln und Weißwein. Abgerundet wurde das Essen mit ausgezeichneten Cannoli, einer Süßspeise, die es ursprünglich nur zu Karneval auf Sizilien gab. Eine typische sizilianische Nachspeise, die uns auf die nächsten Tage einstimmen sollte.
Ich hatte gerade die Hälfte meines Desserts verputzt, als mir einige verdächtig gutgekleidete Männer auffielen. Klar, Italiener waren fast alle einwandfrei gekleidet und es war kein Wunder, dass viele weltberühmte Designer aus Italien stammten. Doch diese Männer hatte eine mir nur zu bekannte Aura.
„Wir kriegen Gesellschaft", hauchte ich Luca zu, der kurz hochblickte, dabei die neuen Gäste bemerkte und sich wieder seinem Essen zuwandte. Ganz so, als ob alles in bester Ordnung wäre. Doch unter dem Tisch verpasste er mir einen sanften Tritt. Der Hinweis, dass wir auf der Hut sein mussten. Ich verzichtete darauf, mit den Augen zu rollen und ignorierte routiniert die Blicke der Mafiosi, die mich voller Neugierde betrachteten. Nach längerem Warten kam einer von ihnen an unseren Tisch. Meine Hand glitt zu der Handtasche mit der Waffe.
„Sind sie geschäftlich hier in Rom?" Seine dunkelbraunen Augen scannten jeden Millimeter des Gesichts meines Mannes. Sie warteten geradezu auf eine Reaktion seinerseits. Der Italiener vor uns war Ende zwanzig, schätzungsweise so groß wie ich, und so durchtrainiert wie Luca. Ein Don schien er nicht zu sein. Auf mich wirkte er eher wie ein Mitglied der höheren Führungsebene. Gut möglich, dass er in seiner Familie für die Anwerbung neuer Mitarbeiter zuständig war und nur den Status abklären wollte. Ärger suchte er nicht, dafür war seine Körperhaltung zu entspannt.
„Meine Ehefrau und ich sind aus rein privaten Gründen hier. Wir reisen morgen bereits weiter", erklärte mein Mann besonnen. Genau wie ich wusste er, wie er sich gegenüber fremden Mafiosi zu verhalten hatte. Vor allem, wenn wir nicht auf unserem eigenen Gebiet waren. Ich lehnte mich vorläufig zurück. Es entging den Männern nicht, dass ich trotz ihrer Anwesenheit viel zu entspannt war. Einer schrieb eine Nachricht auf seinem Smartphone, bevor er mich weiter genau beobachtete. Ich hatte mittlerweile ebenfalls alle Gesichter mit den von mir bisher in meinem Gehirn abgespeicherten Personen verglichen, doch ich hatte keinen von ihnen jemals zuvor gesehen. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie mich kannten. Langsam wurde mir das Ganze unheimlich. Romero, so hieß der Mafioso, der sich mit Luca unterhielt, versuchte weiter herauszubekommen, ob wir nicht doch aus einem anderen Grund hier waren.
„Nun erzählt schon zu welcher Familie ihr gehört." Mittlerweile waren die beiden Männer dazu übergegangen, einander zu duzen. Mir wurde es langsam zu bunt. Erwarteten die Herren der Schöpfung etwa, dass ich nur hübsch anzusehen war und den Mund hielt? Nicht mit mir! Breit grinsend schaltete ich mich ein.
„Mein Onkel ist Sergio Pensatori, der Don von Philadelphia." Unverblümt betrachtete ich den verdutzten Italiener. Soweit ich informiert war, besaßen wir keine Feinde in Rom, somit legte ich die Karten auf den Tisch. Handelte mir dafür erneut einen Tritt ein.
„Sizilianer also", Romero lächelte freundlich nach kurzem Zögern. „Wir kommen ursprünglich auch von der Insel."
„Romero." Ein Mann Mitte fünfzig schritt zielstrebig auf unseren Tisch zu, wobei er seinen Blick auf mich heftete. Langsam, aber sicher wurde das echt nervig. Hatte ich irgendwas im Gesicht? Vielleicht etwas Creme von den Cannoli?
„Hast du dieses junge Paar schon eingeladen?" Seine tiefe sonore Stimme klang warmherzig, doch ich wunderte mich über diese freundliche Geste. Was hatte sie zu bedeuten? Spätestens jetzt sollten bei mir sämtliche Alarme losgehen, aber aus irgendeinem düsteren Grund war meine Neugierde geweckt.
„Nein, Vater", entgegnete Romero kleinlaut. Dafür, dass er fast dreißig war, wirkte er jetzt eher wie ein kleiner Schuljunge, der den Unterricht geschwänzt hatte und dabei erwischt worden war. Der ältere Italiener schüttelte nur seinen Kopf. Dann wandte er sich uns zu.
„Erlauben Sie mir, Sie in unsere Villa einzuladen." Seine Augen sahen uns freundlich, ja fast bittend an. Meiner Intuition folgend antwortete ich, bevor Luca dazu kam.
„Natürlich nehmen wir die Einladung an", erwiderte ich lächelnd. Wieder bekam ich einen Tritt unter dem Tisch. Dieses Mal trat ich hart zurück. Luca verzog kurz das Gesicht, wechselte schnell zu einer entspannten Miene, die von seiner Angespanntheit ablenken sollte. Er sorgte sich um unsere Sicherheit, doch mein Bauchgefühl versicherte mir, dass die Mafiosi uns nichts Böses wollten. Dennoch nahm ich mir vor, auf der Hut zu sein.
„Romero, zahl bitte für unsere Gäste." Mit einer Handbewegung gab der Italiener dem Kellner zu verstehen, dass die Männer unser Essen bezahlten. Dieser beeilte sich mit der Rechnung und verschwand nach dem Bezahlen wie ein Blitz.
Wir dagegen verließen unter der Begleitung der fremden Mafiafamilie das Restaurant. Bisher hatten sie nicht erwähnt, zu welcher Familie sie gehörten, aber ich ging davon aus, dass wir es noch schnell genug erfuhren. Mit drei Wagen fuhren wir zu dem Anwesen, das etwas außerhalb Roms lag. Es war im Stil einer römischen Garnison gebaut, nur halt größer und umfangreicher. Schweigend folgten wir unseren Gastgebern ins Haupthaus, wo ich fassungslos in der Eingangshalle vor einem großen Gemälde stehenblieb.
Ich hatte vieles erwartet. Aber das, was ich dort an der Wand sah, setzte allem die Krone auf. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top