Kapitel 42 ✔️


„Habe ich das richtig verstanden? Du willst eine interfamiliäre Einsatztruppe errichten, hauptsächlich mit den Frauen der unterschiedlichen Familien, und diese dann auch noch anführen?" Emiliano schaute mich komplett überrumpelt an. Ich war dankbar, dass Onkel Sergio auch noch ein Wörtchen mitzureden hatte, sonst würde mein Cousin mir dieses Geschäft vermiesen.

„Natürlich. Du wirst irgendwann die Familiengeschäfte übernehmen und ich sehe nicht ein, mich Zuhause zu Tode zu langweilen." Spöttisch sah ich ihn an, beobachtete, wie er die Stirn krauszog.

„Diavoletta." Lucius, der mir schräg gegenübersaß, schüttelte amüsiert seinen Kopf. „Nur gut, dass ich keine Frauen in meinem Team habe." Entspannt lehnte er sich zurück.

„Ach, ich leihe mir auch gern John von dir aus. Der mag mich eh lieber als dich." Ich streckte dem Don aus San Francisco die Zunge raus, was ihm ein müdes Grinsen entlockte. Die dunklen Augenringe Zeugen einer durchzechten Nacht.

„Das ist ja auch nicht sonderlich schwer, mein Engel der Nacht", mischte sich Massimo ein, der mich mit seinen sanften Augen positiv überrascht musterte. Im Gegensatz zu meinem Cousin und Lucius sah er ausgeruht aus. „Mir fehlen ja ebenfalls die notwendigen Frauen, also schaue ich mal, wen du stattdessen nehmen kannst. Ich vermute mal, dass Jason sich bereiterklären wird, deiner Gruppe beizutreten. Und so wie ich es verstehe, ist diese Truppe eh nur für Notfälle gedacht."

„Richtig. Daher auch die Einbeziehung der Frauen, da wir so vermeiden, dass zu viele Männer von ihren täglichen Aufgaben abgezogen werden", ergänzte ich nickend. Bisher war ich mit dem Verlauf der Besprechung zufrieden. Ein Ticken von rechts brachte mich dazu, meinen Kopf in die Richtung zu wenden. Marco starrte mich grimmig an, tippte dabei genervt mit dem Zeigefinger auf die Tischplatte.

„Der Gedanke, dass du Giulia in Gefahr bringst, gefällt mir überhaupt nicht. Vor allem, da ich jetzt weiß, dass sie mein Kind unter ihrem Herzen trägt", knurrte er, die Kiefermuskeln verspannt. Wieso überraschte mich sein Verhalten nicht? Ich beschloss, ihm die Sorge direkt zu nehmen.

„Keine Angst, Giulia wird mehr für die Tätigkeiten hinter sicheren Mauern zuständig sein. Finanzen, Immobilien und Personalplanung werden zu ihren Zuständigkeitsbereichen gehören." Bei der Erwähnung von Immobilien schossen alle Blicke zu mir. Keiner der Männer war im Bilde darüber, wie viele Gebäude die Bruderschaft besessen hatte und somit nun mir gehörten. Ich hatte auch nicht vor, es ihnen zu verraten. Nur so viel, arm war ich nicht gerade. Da keiner spezifisch fragte, entschloss ich mich, bei der Teamzusammenstellung weiterzumachen. So blieben die Finanzen mein kleines Geheimnis.

„Außer Giulia und mir, gehören von unserer Seite auf jeden Fall noch Jeanne als Ärztin und Michael als meine rechte Hand zum Team." Somit belegten wir die wichtigsten Positionen, was eine schnelle Kommunikation erleichterte.

„Gina hat meine volle Unterstützung." Michael, der links neben mir saß, legte zum Nachdruck seine Hand auf meine Schulter und nickte in die Runde. Von rechts fand Lucas Hand ihren Weg auf meinen Oberschenkel. Dieses Mal weniger, um seinen sogenannten Besitzanspruch zu verdeutlichen, sondern mehr, um mir aufmunternd den Oberschenkel zu drücken. Auch so war er im Gegensatz zu sonst weitaus entspannter. Die spöttischen Kommentare zu dem Knutschfleck an meinem Hals, ob er sich für einen Werwolf hielt, der sein Weibchen markiert hatte, hatte er schulterzuckend hingenommen. Unsere gemeinsame Nacht schien ein enormer Schub für sein Selbstvertrauen zu sein. Insgeheim freute ich mich für ihn, hatte er doch zuvor im Schatten der anderen Männer gestanden.

„Carmen, Inès und seit kurzem auch Maria freuen sich darauf, endlich selbst unsere Familie vertreten zu dürfen. Aber lasse es mich ja nicht bereuen, dir meine Frau, meine Schwester und meine Cousine anzuvertrauen, pequeña tormenta", knurrte Enrique mehr, als das er sprach. Mit seiner Ehefrau Carmen und seiner Schwester Inès hatte ich die Pläne bereits besprochen. Es freute mich, dass Maria, die vor Kurzem von Spanien nach Las Vegas gezogen war, sich uns ebenfalls anschließen wollte. Sie hatte, so wie ich, unheimlich viel Feuer im Arsch. Mir tat irgendwie jetzt schon der Kerl leid, der sie später heiraten wollte. Was hatte sie letztens noch beim Skypen gesagt?

Nur ein toter Mann ist ein guter Mann.

Dabei hatte sie diabolisch gegrinst. Danach hatte sie mir freudestrahlend erklärt, dass sie im Nahkampf und im Umgang mit Waffen trainiert war. Dieses war einigen Querelen der unterschiedlichen europäischen Mafiafamilien geschuldet, wodurch die Spanier sich gezwungen gesehen hatten, auch die Mädchen zu trainieren. Die alte Tradition, Frauen aus dem Geschäft rauszuhalten, brach immer mehr zusammen. Tja, bei uns war das definitiv meine Schuld. Da fiel mir etwas ein, das Lucius gesagt hatte.

„Lucius, du hast vorhin gelogen." Mit zusammengekniffenen Augenbrauen starrte ich ihn an.

„Wieso? Was genau meinst du?" Verwirrt suchten seine Augen meine.

„Na du hast behauptet, dass du keine Frau im Team hast, die uns unterstützen kann", knurrte ich.

„Habe ich doch auch nicht." Er kapierte noch immer nicht, worauf ich hinauswollte. Theatralisch seufzte ich.

„Und was ist bitteschön mit Emma? Sie sieht mir doch sehr weiblich aus." Ich formte mit den Händen einen Frauenkörper in der Luft. Einige der Männer schmunzelten.

Sämtliche Farbe entwich seinem Gesicht, als ich seine Freundin erwähnte. Den Mund leicht geöffnet schien er zu überlegen, was er darauf am besten erwiderte. Dann kehrte die Farbe mit Schwung zurück, färbte sein Antlitz in einem ungesunden dunklen Rotton. Die Adern an seinem Hals und seiner Stirn traten hervor, als er mich wütend ansah.

„Emma wird nicht beitreten. Das erlaube ich ihr nicht", knurrte der Fettsack wie ein räudiger Straßenköter. Für einen Wolf war es nicht imponierend genug. Sein Blick bohrte sich in meinen, doch ich hielt locker stand.

„Du willst also nicht, dass sie sich selbst verteidigen kann", stellte ich nüchtern fest. Mir war von Anfang an klar gewesen, dass er eine traditionelle Auffassung in Bezug auf die Rollen von Männern und Frauen in einer Mafiafamilie hatte. Da hatte ich ihn nicht genug beeindruckt, um ihm zu beweisen, wozu das weibliche Geschlecht fähig war.

„Natürlich nicht. Ich werde sie immer schützen. Wenn jemand sie im Umgang mit Waffen vertraut macht, dann wird sie sich freiwillig in Gefahr begeben. Das lasse ich nicht zu."

Ich schnalzte ungehalten mit der Zunge. Seine Haltung gefiel mir überhaupt nicht. In unserer Welt war es meiner Meinung nach unumgänglich, auch als Frau in der Lage zu sein, Angreifer abzuwehren. Wir waren untrainiert eine leichte Beute. Selbst ich hatte mich überrumpeln lassen. Dabei war ich besser trainiert als die meisten Männer. Hoffentlich biss ihn das Schicksal nicht mal richtig in seinen fetten Arsch.

„Ich kann deine Bedenken nachvollziehen, doch bitte ich dich, noch einmal darüber nachzudenken", mischte sich zu meiner Überraschung Luca ein. Derjenige, der mich vor gar nicht so langer Zeit bevorzugt eingesperrt hätte, damit mir nichts passierte.

Lucius knurrte ihn nur finster an und ich beendete die Besprechung. Das hatte so keinen Sinn, mit ihm weiter zu diskutieren. Typisch Italiener. Es musste immer erst etwas passieren, damit sie ihre Fehler einsahen. Nachdenklich schüttelte ich den Kopf, als die Männer den Raum verließen. Sowohl Luca als Michael blieben bei mir, als mein Onkel sich an mich wandte.

„Hervorragende Arbeit. Du hast deine Pläne gut erörtert. Und was Genovese betrifft, der wird irgendwann einlenken." Sanft sah er mich an, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Dabei schlich sich verstohlen eine Träne aus seinem Auge. „Dein Vater wäre so stolz auf dich."

„Ach Zietto, du weißt doch, dass ich es nicht mache, um Lob einzuheimsen. Mir geht es um das Wohl unserer Familie und ein festes Bündnis mit unseren Freunden. Nur gemeinsam sind wir stark." Obwohl ich mich über die Aussage meines Onkels insgeheim freute wie ein kleines Kind, das zum ersten Mal eine Kurve auf dem Fahrrad gemeistert hatte, ohne hinzufallen. Wie hätte eine normale Kindheit und Jugend in einer Mafiafamilie für mich ausgesehen? Wäre ich dann so angepasst wie Giulia oder hätte ich trotzdem diesen unendlichen Freiheitsdrang?

„Sagt ausgerechnet unser Einzelkämpfer." Michael sah mich spöttisch aufblitzenden Augen an. Luca dagegen legte liebevoll seinen Arm um meine Schultern.

„Genau deswegen hat sie ja verstanden, wie wichtig es ist, auf Alleingänge zu verzichten und auch mal andere um Hilfe zu fragen", erklärte er zufrieden. War er sich da sicher? Ich unterdrückte ein Kichern.

„Oder sie will sich einfach überall einmischen", mutmaßte mein Onkel, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Wie liebenswürdig. Ich schnaubte innerlich.

„Ihr wisst schon, dass ich auch noch da bin, oder?" Stirnrunzelnd schaute ich von einem zum anderen. Alle drei brachen in tosendes Gelächter aus. Ich zuckte nur mit den Achseln.

„Macht nur, ich fahre jetzt nach Philly und gehe Koffer packen. Vielleicht seile ich mich auch auf Sizilien ab und kaufe mir eine alte Burg an der Küste. Schön ruhig und fernab der Familie." Ich befreite mich aus dem Griff meines Mannes und drehte mich zur Tür.

„Aber nur mit dazugehörigem Weingut. Dann bin ich mit von der Partie." Er hakte sich sofort bei mir unter. Das brachte mich auf eine grandiose Idee.

„Wenn du eh schon mitkommst, kannst du mich fahren und danach packen. Kann ich wenigstens eine Runde schlafen." Zufrieden grinste ich. Er nickte zustimmend und ich klopfte mir gedanklich auf die Schulter.

„Ach, bist du noch so erschöpft von unserer gemeinsamen Nacht?" Schelmisch zwinkerte er den anderen Anwesenden zu. Onkel Sergio und Michael brachen nach Lucas Worten wieder in wieherndes Gelächter aus, während mein Gesicht die Farbe einer Tomate annahm. Dieser kleine Mistkerl.

„Nö, deine pure Anwesenheit ermüdet mich", knurrte ich. Was im Bett passierte, ging niemanden von der Familie etwas an.

„Na komm tigrotta, lass uns nach Philly fahren, damit wir morgen früh in die Freiheit starten können." Seine Hand an meinem Rücken drückte mich langsam Richtung Tür, doch mein Onkel hielt uns auf.

„Wo verbringt ihr eigentlich die ersten Tage?", fragte er fordernd, ließ seinen Blick zwischen und hin und her schweifen.

„Wird nicht verraten. Wir wollen einige Tage Ruhe haben, ohne dass uns jemand stört." So wie meine Schwiegermutter zum Beispiel. Die saß aller Voraussicht nach bereits auf gepacktem Koffer und wartete nur darauf, uns zu folgen. Mit Grauen stellte ich mir vor, wie sehr sie mich wieder bemuttern würde.

„Ihr meldet euch aber, wenn ihr sicher angekommen seid. Und eure GPS-Uhren nehmt ihr gefälligst mit, für den Fall, dass etwas passiert", redete er uns beiden ins Gewissen. Man konnte fast glauben, dass wir zwei Teenager kurz vor ihrer ersten Reise ohne Mami und Papi waren, nicht zwei trainierte Mafiosi.

„Sì zietto, capito." Ich gab meinem Onkel einen Kuss auf die Wange, dann stürmten Luca und ich aufs Zimmer, schnappten die Reisetaschen, die fertig gepackt auf uns warteten und flitzten wieder nach unten. Michael lehnte abfahrbereit an seinem Wagen, da wir selbst auf der Hinfahrt bei Anderen mitgefahren waren. Wir machten es uns auf der Rückbank des SUVs gemütlich und ließen uns zurück nach Philadelphia kutschieren. Wie zuvor befürchtet, fand mein Hintern das lange Sitzen blöd und warf ich mich nach unserer Ankunft in der Villa direkt auf Lucas Bett. Faul beobachtete ich, wie er die Kleidung sorgfältig in den Koffer einpackte. Irgendwer hatte mein vorheriges Zimmer bereits geräumt und die Sachen in Lucas Schrank gelegt. Zuweilen war es doch ganz praktisch, zu einer Mafiafamilie zu gehören. Außerdem liebte ich dieses starke Gefühl der Verbundenheit. Etwas, dass ich den größten Teil meines bisherigen Lebens nicht gekannt hatte. Mir wurde warm ums Herz, als ich daran zurückdachte, wie erfreut uns alle gratuliert hatten. Verstohlen wischte ich eine Träne weg, die sich in mein Auge geschlichen hatte. Ich liebte diese Familie und sie liebte mich. Dennoch hatte ich keine Lust auf Sentimentalitäten.

Mein Mann war unterdessen fertig mit Packen und ließ sich zu mir aufs Bett fallen. Sanft zog er mich in seine Arme und wir dösten, bis unsere knurrenden Mägen uns weckten. Wie ausgehungerte Wölfe stürmten wir die Küche der Villa und plünderten den Kühlschrank.

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