Kapitel 36 ✔️
Oh ja, wenn man so eine Familie hatte, brauchte man wahrhaftig keine Feinde mehr. Meine liebenswerte Cousine Giulia, meine energische Fast-Schwägerin Jeanne und meine zukünftige Schwiegermutter Sofia hatten doch einen an der Waffel. Es war der dritte Tag in Folge, dass sie mich in Geschäfte mit Brautmode schleppten. Alle drei hatten unterschiedliche Ideen, wie MEIN Brautkleid auszusehen hatte. Ellenlange Schleppe, meterweise Tüll oder Kilos an Perlen. Von oben bis unten Stickereien, ein riesiger Reifrock, trägerlos.
Mittlerweile kam ich mir vor wie in einem Horrorfilm. Schreckliche Monster in Gestalt von Kleidern überall und kein Entkommen möglich. Genervt verließ ich das Geschäft, in dem die drei Frauen heftig diskutierten, zückte das Smartphone und rief einen Mafiaboss an.
„Hey Schatz, meine Familie nervt. Gehst du mit mir ein Brautkleid kaufen?" Ich hielt den Atem an und wartete auf seine Antwort.
„Aber sicher doch. Für dich tue ich alles, mein Engel der Nacht. Bin in drei Stunden da. Können wir heute Abend quatschen und morgen shoppen gehen", antwortete er souverän, als ob Shopping ihm das größte Vergnügen bereitete.
„Du bist der Beste." Ich atmete erleichtert aus. Eine Sorge weniger.
„Weiß ich doch. Bis nachher." Zufrieden lächelnd legte ich nach seinen Worten auf. Auf ihn war immer Verlass.
„Gina, wo wolltest du hin?" Giulia packte mich am Arm und versuchte, mich zurück ins Brautmodengeschäft zu zerren, aber ich stemmte die Hacken in den Bürgersteig.
„Hab gerade darüber nachgedacht, dass es in Europa um diese Zeit nett sein müsste", erwiderte ich mit der besten Unschuldsmiene, die ich draufhatte.
„Was willst du denn in Europa?" Meine Cousine schaute mich misstrauisch an.
„Na vor euch abhauen. Oder denkst du, mit euch shoppen zu gehen macht mir Spaß?" Ich warf ihr einen genervten Blick zu, wurde aber direkt von lautem Motorengeräusch abgelenkt. Eine Yamaha R125 in Icon Blue hielt neben uns. Eine schwarz behandschuhte Hand reichte mir einen Helm gereicht. Schnell riss ich mich von Giulia los, setzte den Motorradhelm auf und sprang aufs Motorrad. Michael fuhr los, sowie ich die Arme um ihn schlang. Eine Viertelstunde später trafen wir bei der Villa ein. Wir nahmen beide grinsend unsere Helme ab. Mein bester Freund schüttelte seine lange Mähne, die ihm locker über die Schultern fiel. Im Gegensatz zu meinen Haaren, die verfilzten, so wie ich sie offen trug.
„Danke, dass du mich gerettet hast. Noch ein paar Stunden mit denen und ich wäre durchgedreht." Ich schüttelte energisch den Kopf, wobei mein geflochtener Zopf fröhlich von einer Seite auf die andere flog.
„Matteo meinte, ich sollte dich aus den Klauen der drei Harpyien befreien." Er zuckte nonchalant mit den Schultern, als ob solche Aktionen täglich vorkamen.
„Jede von ihnen will mir was anderes aufschwatzen, aber das passt alles nicht zu meinem Typ", maulte ich, froh darüber, mich bei jemandem ausheulen zu können. Die Frauen verstanden meinen Frust nicht. „Aber Massimo kommt her und hilft mir beim Shoppen."
„Och nö. Muss ich dich schon wieder mit ihm teilen?" Michael schmollte übertrieben. Es war echt knuffig, wie er seine Unterlippe nach vorne schob und mich mit seinem Dackelblick anstarrte. Lachend zog ich ihn in eine Umarmung.
„Komm her. Du bist und bleibst mein bester Freund. Massimo dagegen ist meine beste Freundin. Und sei froh, dass ich ihn mit zum Shopping nehme und nicht dich zwinge."
„Ich will aber mit", brummte mein Großer. Erstaunt sah ich ihn an. Meinte er das ernst? Freiwillig mit zum Einkaufen? Stundenlang in Brautläden ausharren? Für mich? So etwas nannte ich wahre Freundschaft. Grinsend kuschelte ich mich an ihn.
„Schön, dann nehme ich euch beide mit. Brummt Emiliano mir wenigstens keinen weiteren Wachhund auf."
„Stell dir mal vor, du müsstest Mario mitnehmen." Michael grinste nun wieder breit. Er wusste, wie sehr ich es hasste Mario mitzunehmen, so wie der nerven konnte. Da würde ich noch eher Marco tolerieren. Matteo wäre mir von der Truppe allerdings am liebsten. Man kannte ich viele Männer, deren Namen mit M anfingen.
„Was grinst ihr beide so? Endlich ein Kleid gefunden?" Mein Cousin tauchte neben uns auf und schaute mich so hoffnungsvoll an, dass es mir in den Fingern juckte, die Hoffnung möglichst schmerzhaft zu zerstören.
„Ich habe über Wörter nachgedacht, die mit einem M anfangen: Miststück, Meuterei, Mord, Missetat." Voller Elan brachte ich das Zitat. Allerdings sahen die beiden Männer vor mir mich nur stirnrunzelnd an. War ja klar, dass die von Literatur keine Ahnung hatten. Frustriert stieß ich die Luft aus.
„Mein liebes kleines Miststück, du wirst weder meutern, noch einen Mord oder eine andere Missetat in nächster Zeit begehen. Oder ich werde dir persönlich einen Überwachungschip einpflanzen." Mein Cousin zog seine Augenbrauen zu einer Gewitterwolke zusammen. Emiliano verstand heute wieder keinen Spaß.
„Olle Spaßbremse", murrte ich.
„Also, was ist nun mit deinem Hochzeitskleid?", hakte er nach. Wieso war der so nervig? Das war ja regelrecht anstrengend.
„Nix gefunden und mit den Frauen gehe ich nicht noch einmal auf die Suche. Überhaupt, offiziell hat Luca mich nie gefragt. Wieso soll ich ihn eigentlich heiraten?" Seelenruhig zog ich eine Augenbraue hoch. Mein nonchalanter Gesichtsausdruck verwirrte meinen Cousin, während Michael Mühe hatte, ein Grinsen zu unterdrücken. Seine Mundwinkel zuckten verräterisch. Er liebte meine Spielchen fast genauso sehr wie ich. Emiliano starrte mich an, versuchte, in meinem Gesicht zu lesen, und schnappte anschließend nach Luft, weil ich keine Miene verzog.
„Du willst doch nicht etwa die Hochzeit abblasen?" Jetzt wurde er zu allem Überfluss blass und mein Großer neben mir prustete vor Lachen los. Ich dagegen streichelte dem entsetzten Italiener sanft die Wange.
„Keine Panik. Meine beste Freundin kommt gleich her und geht morgen zusammen mit mir und Michael shoppen."
„Beste Freundin? Wer ist sie?" Emilianos Kiefermuskeln spannten sich an und sein Blick wurde bohrend. „Du nimmst noch wenigstens einen weiteren Bodyguard mit."
„Aber bitte dann einen der schwul ist." Zuckersüß lächelte ich Emiliano an. Ich liebte es, ihn auf die Palme zu jagen.
„Äh was?" Sein Mund blieb offen. Fast hatte ich Angst, dass ihm eine Fliege reinflog.
„Hast mich schon verstanden." Mein Blick fiel auf Michael, der vor Lachen kaum noch Luft bekam. Ich sollte wohl ihn und Emiliano mal erlösen.
„Ich habe Massimo angerufen. Er fliegt hierher." Ich grinste triumphierend. „Schade, dass wir keinen schwulen Bodyguard haben. Wird Zeit, dass Massimo auch endlich glücklich ist. Fällt mir ein," ich stupste Emiliano an, „du könntest dich auch mal nach einer Frau umschauen." Statt einer Antwort bekam ich von ihm nur ein entrüstetes Schnauben und er stiefelte davon. Stirnrunzelnd sah ich ihm hinterher. Wieso entdeckte ich jetzt erst, womit ich ihn ohne Mühe vertrieb?
„Weiß er eigentlich von deinem Plan?" Michael hatte sich mittlerweile beruhigt und schaute mich voller Neugier an.
„Nö, sonst wäre es ja auch keine Überraschung." Ich freute mich unbändig auf die kleine fiese Aktion, die ich für meinen Hochzeitstag vorgesehen hatte. Außer meinem besten Freund wusste niemand, was ich geplant hatte.
„Bin jetzt schon gespannt auf seine Reaktion. Was machen wir eigentlich bis Massimo auftaucht?" Michael balancierte den Motorradhelm auf einer Hand und sah mich unschlüssig an. Noch eine Runde zu fahren war zwar verlockend, doch ich hatte schon etwas vor.
„Keine Ahnung was du machst, aber ich wollte Luca dazu verleiten für mich zu kochen und dann wollte ich Suburra weitergucken. Allerdings auf Italienisch. Muss an meinen Sprachkenntnissen weiterarbeiten." Michael verdrehte nur die Augen und brachte sein Motorrad weg. Er weigerte sich, Italienisch zu lernen, und würde wohl in der Zwischenzeit etwas anderes machen.
Doch soweit kam es gar nicht. Luca kochte mir zwar mein Essen, Fusilli al Pollo, aber ich kam nicht mehr zum Fernsehen. Ich hatte mich gerade aufs Sofa gesetzt, als sich ein paar Italiener in der Eingangshalle lautstark begrüßten. Wie, tja, wie Italiener halt. Kurz darauf plumpste ein Nicht-Italiener neben mir aufs Sofa und zog mich in eine Umarmung.
„Mach das nie wieder", brummte es dunkel an meinem Ohr.
„Was denn?" Ich grinste so unschuldig, wie es mir nur möglich war, und atmete den bekannten Geruch ein.
„Na, uns so eine Angst einjagen. Soll dich von den anderen Jungs aus Chicago grüßen." Jason ließ mich los und musterte gelassen mein Gesicht. „Wir haben übrigens doch mal deinen Job übernommen. Dadurch sind die nächtlichen Übergriffe auf Frauen in der Öffentlichkeit um fünfundsiebzig Prozent zurückgegangen."
„Ach, wie war das noch mit eurem guten Ruf?" Ich pikte ihn in seine Seite und grinste frech.
„Das ist alles deine Schuld", erklang eine andere bekannte Stimme hinter mir. Ich legte den Kopf in den Nacken, um nachzuschauen, wer sich über mich beugte. Im nächsten Moment küssten samtige Lippen sanft meine Stirn. Ich nutzte den Augenblick und griff in die schwarzen Locken, um sie zu verwuscheln. Sie waren genauso herrlich weich wie die von Luca. Mit einem Seufzen setzte der Italiener sich neben mich.
„Was für ein Kleid suchst du eigentlich und was darf es auf gar keinen Fall haben?" Massimo holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus seinem Jackett und sah mich erwartungsvoll an. Wieso waren die Frauen nicht so? Ich packte die Gelegenheit beim Schopf.
„Es sollte möglichst schlicht sein. Keins aus dem meine Titten halb herausfallen. Ausschnitt bis zu meinem Arsch muss ebenfalls nicht sein. Weiterhin habe ich keine Lust, dass mir ständig jemand drauftrampelt oder ich damit den Fußboden wische. Tüll ist Müll. Und was ich von der Perlenzucht halte, kannst du dir sicher denken." So, das musste mal gesagt werden. Zufrieden verschränkte ich die Arme.
„Uff. Du hast ganz schön hohe Ansprüche." Der Italiener vor mir zog zweifelnd die Augenbrauen hoch. „Dir ist schon klar, dass du damit das komplette Gegenteil einer typischen Braut bist, oder?"
„Dir ist schon klar, dass ich das komplette Gegenteil einer typischen Frau bin, oder?", konterte ich. Jason fing an zu lachen. Massimo zögerte einen Moment, dann stimmte er mit ein.
„Hey Massimo. Konntest ja doch kommen. Dann können wir morgen alles besprechen." Marco ließ sich auf einem anderen Sofa nieder.
„Deinetwegen bin ich nicht hier. Dir muss Jason als meine Vertretung reichen." Der Don aus Chicago legte seinen Arm um meine Schultern.
„Wie jetzt?" Mein Sottocapo schaute uns verwirrt an. Dann richtete er seine Augen auf mich und seufzte. „Du bist also der Grund, warum Massimo nicht beim Meeting dabei sein kann. Oder will."
Ich hob fragend eine Augenbraue. Welches Meeting? Langsam aber sicher nervte es mich, dass sie mich nicht informierten. Wieso hielten sie mich aus Familienangelegenheiten heraus? Denen würde ich schon die Flötentöne beibringen. Immerhin waren meine Qualifikationen weitaus besser als die von Emiliano. An seinem Stuhl würde ich nicht sägen, wohl aber an dem von Marco. Die Donna der Familie würde ich nicht werden können, das stand nicht einmal zur Debatte. Doch die Rolle des Sottocapo konnte ich ohne Probleme übernehmen. Andererseits konnte ich auch Lucas Platz einnehmen, wenn unser erstes Kind da war. Besser kochen konnte er eh und ich vermutete, dass ihm die Kindererziehung ebenfalls mehr lag als mir. Aber das befand sich irgendwo in der Zukunft. Ich zog Jasons Pistole aus seinem Hosenbund und richtete sie auf den Mann meiner Cousine.
„Also, welches Meeting? Was heckt ihr jetzt schon wieder aus?" Abwartend starrte ich ihn an. Stirnrunzelnd schaute er auf die Waffe, dessen Lauf auf seine Brust zeigte.
„Geht um die Sicherheitsvorkehrungen bei deiner Hochzeit. Massimo und auch Genovese haben uns versprochen, dass ihre Teams ebenfalls für Sicherheit sorgen werden." Marco seufzte. „Kannst du uns nicht einmal einfach machen lassen, so wie jede andere normale Frau?"
Ich warf ihm nur einen spöttischen Blick zu und gab Jason die Pistole zurück. Marco verschwand kopfschüttelnd aus dem Raum.
„Wenn die Bande dich nicht so akzeptiert, wie du bist, kannst du gern nach der Hochzeit mit deinem Mann zu uns nach Chicago ziehen." Massimo zog mich an seine Brust und ich kuschelte mich dankbar an.
„Wenn die so weitermachen werde ich sicher über dein Angebot nachdenken." Verdient hätten sie es, dass ich die Familie verließ.
Ein tiefer Seufzer ertönte hinter uns. Ohne mich umzudrehen wusste ich, dass es Luca war. Ihm gefiel die Voraussicht, Philadelphia zu verlassen, weitaus weniger als mir. Jason stand grinsend auf.
„Ich geh mal den Kühlschrank plündern. Bei italienischen Mafiosi gibt es immer das beste Essen."
Gleich darauf plumpste mein Verlobter aufs Sofa. Nachdenklich musterte er mich, wie ich in den Armen eines anderen Mannes lag. Obwohl er mittlerweile erfahren hatte, dass Massimo schwul war, gefiel es ihm trotzdem kein bisschen, mich so zu sehen.
„Wie kommt es, dass du Marco absagst, aber für Gina hier auftauchst?" Der leicht negative Unterton gefiel mir keineswegs. Was störte ihn daran, dass meine Freunde mir halfen?
„Für meinen Engel der Nacht tue ich alles. Und ich lasse nicht zu, dass sie in einem Kleid heiraten muss, das ihr nicht gefällt." Wieso waren nicht alle in der Familie so verständnisvoll? Ich nagte nachdenklich an meiner Unterlippe.
Luca schaute zwischen uns beiden hin und her, grinste nach einer Weile zufrieden.
„Na wenigstens nimmt sie dann nicht auch noch Michael mit zum Shopping."
„Doch, ich darf auch mit." Mein Großer beugte sich über das Sofa und küsste mich sanft auf die Haare. Mein Verlobter brummelte irgendwas Unverständliches. Da hallte aus der Eingangshalle wieder lautes Italienisch zu uns rüber. Eine Stimme, die ich schon eine Weile nicht mehr gehört hatte.
„Kommt der Fettarsch etwa auch her für das Meeting?"
„Jetzt weiß ich, warum Genovese dich als Teufelchen bezeichnet." Luca grinste mich kopfschüttelnd an. „Und ja, er wollte zusammen mit einem seiner Leute herkommen."
„Wo ist denn das Teufelchen?", drang die tiefe Stimme von Lucius herüber.
„Sitzt im Wohnzimmer und kuschelt mit Lucchese, falls Luca sich nicht dazwischen gedrängelt hat." Marcos Grinsen hörte man aus seiner Stimme deutlich heraus. Ich hätte dem Mistkerl doch in den Bauch schießen sollen.
„Ich dachte du wärst zu beschäftigt, um dich mit uns zu treffen?" Lucius schaute fragend den Italiener neben mir an, nachdem er sich zu uns gesetzt hatte. Sein Mitarbeiter John musterte währenddessen in aller Seelenruhe mich. Der hatte wohl auch so einiges über mich gehört. Ich lächelte ihn unschuldig an.
„Ich bin doch nicht euretwegen hier", erwiderte Massimo gespielt theatralisch. „Aber für einen Kuss verrate ich dir, warum ich dennoch hier bin."
„Nein danke. Du bist nicht mein Typ." Lucius winkte lachend ab. Mittlerweile hatte er sich an die Flirterei gewöhnt. Dafür schaute sein Mitarbeiter voller Neugierde zu dem Mafiaboss aus Chicago. Täuschte ich mich oder ging das Interesse über das Übliche hinaus?
„Lucius, kann ich morgen zum Shopping John mitnehmen?", fragte ich ihn, einem Einfall folgend.
„Na meinetwegen, wenn's unbedingt sein muss", brummte dieser. Innerlich breit grinsend schmiedete ich einen Plan.
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