Kapitel 34 ✔️
POV Luca
Sechs verdammt Monate waren nun schon vergangen. Sechs Monate, in denen sie im Koma gelegen hatte. Sie hatte die Operation gut überstanden. Der Arzt hatte sogar die Hoffnung geäußert, dass sie bald aufwachen würde, aber nichts dergleichen. Nach einem Monat hatten wir sie zu uns in die Villa geholt. Die Frau meines Bruders kümmerte sich seitdem um sie. Es war ein Glücksfall, dass Lucchese sie damals mit uns von Chicago aus nach Philadelphia geschickt hatte, damit sie ein Auge auf Michaels Verletzungen hatte. Matteo hatte sofort ein Auge auf die rothaarige Ärztin geworfen, so wie ich damals auf Gina.
Wie gern würde ich mein Mädchen wieder in den Arm nehmen, sie küssen oder selbst ihr Augenrollen ertragen! Ich fummelte nervös an meiner Kleidung herum, während ich mit den anderen Familienmitgliedern im Besprechungsraum auf die Mitteilung unserer Ärztin wartete.
„Ich glaube nicht, dass sie noch einmal aufwachen wird. Es tut mir leid, Emiliano." Jeanne schaute mitfühlend zu unserem Don, der regungslos am Tisch saß. „Es ist das Beste, wenn wir die Maschinen abschalten."
Nur gedämpft, wie durch eine dicke Schicht Watte, drangen ihre Worte bis in mein Bewusstsein durch. Mein Herz krampfte sich zusammen. Ich wollte nicht ohne Gina leben. Obwohl ich es seit einer Ewigkeit musste. Wir sollten aufgeben? Es musste doch noch eine andere Möglichkeit geben!
„Nach dieser langen Zeit im Koma ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sie dies unbeschadet überstanden hat. Ihre Vitalfunktionen werden rein von den Apparaten gesteuert. Ich habe mehrere Tests durchgeführt und alle kommen zu diesem Ergebnis. Es tut mir wirklich leid." Jeanne stand mit Tränen in den Augen auf und verließ den Raum. Sie war wirklich ein herzensguter Mensch und fühlte unseren Schmerz, als ob es ihr eigener wäre. Ich starrte auf meine Hände, die ich zu Fäusten geballt hatte. Tief im Innern wusste ich, dass sie Recht hatte. Dennoch, Gina durfte nicht sterben! Ich schluckte meinen Schmerz runter.
„Sie hat Recht", sagte Emiliano nun leise. „Marco, gib bitte unseren Freunden Bescheid, damit sie vorbeikommen können, wenn sie sich noch von ihr verabschieden wollen. Danach schalten wir ab."
Mit einem Knall flog ein Stuhl zu Boden. Ich schaute hoch und sah gerade noch Michael aus dem Besprechungsraum verschwinden.
Michael.
So wie ich saß er jeden Tag bei Gina. Zündete Salbei an. Betete auf seine Art für sie.
Jetzt war er vermutlich wieder auf dem Weg zu ihr, also beschloss ich, ihm zu folgen.
Kurz nach ihm kam ich im Krankenzimmer an. Die Wände waren in sanften Gelbtönen gehalten. Auf einem Tisch standen immer frische Blumen. Auf der Fensterbank tummelten sich unterschiedliche Kuscheltiere. Auf dem Schränkchen neben ihrem Bett saß ein weiteres Plüschtier. Eine kleine graue Piratenkatze mit Augenklappe und Holzbein. Ich schluckte. Ohne die Apparate, die Gina am Leben hielten, wäre es ein heimeliger Raum. Ihr wäre er vermutlich zu idyllisch. Ich schüttelte den Kopf. Dann setzte ich mich am Bett an ihre rechte Seite. An der Linken saß bereits Michael.
Er sah mit schmerzverzerrter Miene zu mir rüber. Tränen liefen ihm über die Wangen. Es war für mich ein ungewohnter Anblick. Unser stoischer Lakota, dem man selten etwas am Gesicht ablesen konnte, weinte. Um mein Mädchen. Ich atmete tief ein.
„Hast du endlich mit ihr mal geredet? Ihr von deinen Gefühlen erzählt?" Seine Stimme zitterte. Sie offenbarte, wie wenig er sich noch unter Kontrolle hatte. Ich schnaubte verächtlich. Mit Gina reden? Was sollte das bringen? Sie lag doch im Koma.
„Tue es bitte. Es ist vielleicht die einzige Chance, die wir haben. Jeanne meinte, dass Menschen, die im Koma liegen, zuhören können." Michael sah mich flehend an. Doch ich schüttelte nur den Kopf, überzeugt davon, dass es nichts brachte. Ich erhob mich und verschwand auf meinem Zimmer, wo ich weinend auf dem Bett zusammenbrach.
Einige Tage später hatten sich alle versammelt, um Abschied von Gina zu nehmen. Emilianos und Giulias Vater, meine Eltern, viele unserer Mitarbeiter aber auch die Dons von Chicago, San Francisco und Las Vegas waren erschienen, um uns in dieser schweren Stunde beizustehen. Ich beobachtete sie alle.
Einer nach dem anderen trat zu ihr ans Bett, sprach ein paar Worte und verließ dann den Raum. Michael war als Vorletzter dran. Ich sah zu, wie er sie sanft auf die Stirn küsste, und sie anflehte, die Augen zu öffnen. Schließlich stand er auf und lief zur Tür. Auf dem Weg nach draußen warf er mir einen wütenden Blick zu. Aber das war egal. Ich hatte vergangene Nacht einen Beschluss genommen. Sowie sie starb, würde ich ihr folgen.
Ich zog meine Beretta und setzte mich neben Gina. Die Waffe legte ich auf ihrem Bauch ab. Ihr Brustkorb hob und senkte sich langsam, doch ich wusste, dass es nur von der künstlichen Beatmung herrührte, dass ihr Körper nicht dazu in der Lage war, sie am Leben zu halten. Es schnürte mir mal wieder die Kehle zu, meine kleine Raubkatze so zu sehen.
Ich hatte lange überlegt, was ich ihr sagen sollte. Wie ich es ihr sagen sollte. Hatte Jeanne Recht und hörte Gina jedes Wort? Dann hätte sie doch bereits vor Ewigkeiten auf Michael reagieren müssen, den sie am längsten von uns allen kannte. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Ich konnte das nicht. Ich sollte einfach verhindern, dass jemand die Maschinen, die mein Mädchen am Leben erhielten, abschaltete.
„Luca? Bist du soweit?" Jeanne war eingetreten und stand hinter mir. Ich spürte die Wärme ihres Körpers, die die Eiseskälte in meinem Herzen nicht vertreiben konnte.
„Nein, gib mir bitte noch etwas Zeit", krächzte ich, meine Stimme brach.
Ohne ein Wort zu sagen, lief sie hinaus und schloss die Tür hinter sich. Sie hatte sicher die Pistole gesehen und ahnte, was ich vorhatte. Ich seufzte leise.
„Gina, ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem ich dich das erste Mal gesehen habe. Marco und ich brachten Giulia und Mario zur Schule und du erschrakst so heftig vor uns, dass du gestolpert und auf dem Hintern gelandet bist. Ich bin aus dem Auto ausgestiegen und habe dir hochgeholfen. Wir haben einander angesehen und ich habe mir in dem Moment geschworen, dass ich dich nie gehen lassen würde. Am Nachmittag habe ich vor der Schule herumgelungert, um dich wieder zu sehen. Ich habe mitbekommen, dass dieser Aiden dich verletzt hat und habe die Chance ergriffen, dich mit zu unserer Villa zu nehmen. Wenn es nach mir gegangen wäre, hättest du sie nie wieder verlassen. Doch du bist in einem unbeobachteten Moment einfach abgehauen. Hast du eine Ahnung wie sauer ich da war?" Ich machte eine kurze Pause und küsste sie sanft auf ihre Wange, die sich warm und unter meinen Lippen anfühlte. Sie sollte ich sterben lassen? Ich kämpfte gegen den Kloß in meiner Kehle an, um ihr noch den Rest zu erzählen.
„Doch als ich dich schlafend in deinem Haus vorfand, wäre ich am liebsten zu dir ins Bett gekrochen. Um dich einfach nur festzuhalten, deinen Duft einzuatmen. So wie ich es auf der Geburtstagsfeier meines Bruders getan habe. Deine Abweisung danach hat mir unglaublich wehgetan. Doch ich glaubte weiter an uns, an ein gemeinsames, langes Leben. Und dann kamst du mit in den Club. Du sahst in dem schwarzen Kleid so heiß aus. Ich wollte den ganzen Abend in deiner Nähe sein, doch ich musste kurz mit Emiliano etwas regeln. Als ich zurück zur VIP Ecke kam, warst du weg. Ich hatte Angst um dich und ging dich sofort mit Matteo und Mario suchen." Ich schluckte einige Male, als die Erinnerung an den Abend hochkam. So verletzlich, wie sie nach dem Übergriff an der Wand gelehnt hatte oder später bei der Polizei.
„Bitte verzeihe mir, dass ich dich nicht vor den drei Typen beschützt habe." Meine Stimme brach und ich wartete einen Augenblick, um mich erneut zu sammeln.
„Als du dann später mit in die Villa wolltest und dich an mich gekuschelt hast. Als du noch später mir sagtest, dass du bei mir schlafen wolltest. Es dich nicht einmal gestört hat, dass ich dich halbnackt gesehen habe. Da wusste ich, dass du mich auch liebst. Du warst längst eingeschlafen, da malte ich mir unsere gemeinsame Zukunft aus. Unser Kuss am darauffolgenden Tag. Ich wünschte, wir könnten ihn wiederholen."
Tränen bahnten sich ihren Weg und ich ließ sie laufen. Es machte eh nichts mehr aus. Mein Herz schlug träge in meiner Brust, als wenn es ihm immer schwerer fiel, von alleine zu schlagen.
„Als ich dann Monate später aus dem Koma erwachte und erfuhr, dass du abgehauen warst, nachdem du Giulia gerettet hattest, brachst du mein Herz zum zweiten Mal. Weitere Monate vergingen, bis zu der Sache bei Cleveland. Ich wollte mir keine Hoffnung machen, dass es ein Lebenszeichen von dir war. Dann bist du uns in Chicago durch die Lappen gegangen. Ich hätte Massimo umbringen können, als er meinte, dass du mit ihm in einem Bett geschlafen hast. Später hat Matteo dann von deinem Anruf aus Des Moines berichtet. Ich hätte morden können, nur um deine Stimme zu hören. Dann die Nachricht, dass du in San Francisco aufgetaucht warst. Wieder kamen wir zu spät. Immer warst du uns mehrere Schritte voraus. Noch schlimmer wurde es, als wir zwar wussten, dass du in Vegas warst, dich aber niemand finden konnte. Enrique hatte seine gesamte Truppe auf dich angesetzt, doch du warst wie vom Erdboden verschwunden. Bis Michael auf die Idee kam, zu deinem dortigen Unterschlupf zu fahren. Dann fuhren er und ich zusammen zu der Adresse auf deinem Laptop. Es war Michael, der dich fand. Blutüberströmt am Boden, mit einem Messer im Bauch." Wieder brach ich ab. Weinte bei dem Gedanken, dass ich sie eigentlich an dem Tag endgültig verloren hatte.
„Gina, sie wollen gleich die Maschinen abstellen. Weil sie nicht mehr daran glauben, dass du jemals erwachst. Ich werde bis zu deinem letzten Moment bei dir bleiben, um dir dann in den Tod zu folgen. Ich liebe dich und will nicht ohne dich leben." Mit zitternden Händen holte ich die kleine schwarze Schatulle aus meiner Jackentasche. Öffnete sie vorsichtig, bevor ich den schlichten goldenen Ring herausholte.
„Ich weiß, dass du dir nichts aus Schmuck machst. Deswegen habe ich nichts Auffälliges genommen. Wenn du schon nicht in diesem Leben meine Frau sein kannst, möchte ich wenigstens im Tod mit dir vereint sein. Werde meine Frau bis über den Tod hinaus."
Ichsteckte ihr den Ring an die linke Hand, küsste ihr warmen Fingerspitzen. Müdelegte ich mein tränenüberströmtes Gesicht auf ihre Brust. Bald hatte diesesLeben ein Ende, doch wenigstens waren wir dann wieder miteinander vereint.
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