Kapitel 33 ✔️
POV Michael
Das ewige Warten trieb mich in den Wahnsinn. Wo steckte sie nur? Meine Kleine war tatsächlich nach Vegas gereist. Einer von Enriques Leuten hatte sie im Mob Museum getroffen und hatte sie eindeutig identifiziert. Nun gingen Emiliano, Enrique, Massimo und Lucius die verschiedenen möglichen Ziele durch, auf die sie es womöglich abgesehen hatte. Eine Person sprang dabei besonders ins Auge; Jim Anderson.
Über die Jahre hinweg hatte er Unmengen an Geld aus einem Casino abgezweigt, doch die Autoritäten konnten ihm entweder nichts nachweisen oder sie vertuschten seine Aktionen, weil sie selbst mit drin hingen. Seit Hudsons Tod hatten wir einiges über die Bruderschaft und ihre krummen Dinger in Erfahrung gebracht. Vor allem durch die Spur an Leichen, die Ziča für uns hinterlassen hatte. Allein bei Cleveland hatte sie dreißig Menschen getötet. In unserer Zentrale hing eine Karte der Vereinigten Staaten von Amerika an der Wand, auf der wir alle Todesfälle markiert hatten, für die unserer Meinung nach ein Zusammenhang zur Bruderschaft bestand. So war ich auch auf die Idee gekommen, dass Las Vegas nach San Francisco auf ihrer Route lag.
Doch wo hielt sie sich auf? Ich sehnte mich danach, sie endlich wieder in meinen Armen zu halten. Ein Seitenblick auf Luca zeigte mir, dass er genauso genervt war. Während ich nach außen ruhig wirkte und lässig an einer Wand lehnte, wanderte er unruhig hin und her. Immer wieder überkreuzte er die Arme, rieb dann über seinen Nacken und wich jedem Blickkontakt aus.
„Luca, setz' dich jetzt endlich hin. Du treibst mich in den Wahnsinn!" Emiliano sah irritiert hoch. Luca lief mit hängenden Schultern zu mir rüber.
„Ich halte das nicht mehr aus. Enriques gesamte Truppe sucht sie in der Stadt, doch sie ist einfach nicht auffindbar." Er massierte seine Schläfen, wie um Müdigkeit zu vertreiben. Oder die Kopfschmerzen von den Sorgen, die ihn plagten.
„Sie ist einfach gut ausgebildet. Sowie sie fertig ist, wird sie sich schon zeigen." Zumindest, das hoffte ich. Nicht, dass sie uns erneut entglitt. Ich ertrug es kein weiteres Mal, sie wieder zu verlieren.
„Boss!" Ein Spanier stürzte zum Tisch, an dem die Mafiabosse einträchtig zusammensaßen. Wenn meine Kleine das jetzt sehen könnte. Ich grinste. Dank ihrem Alleingang hatten wir unsere Kontakte erweitert und verbessert.
„Was gibt es Juan?" Enrique starrte seinen Mitarbeiter mit unbeweglicher Miene an. Die Unterbrechung störte ihn und ich hoffte für diesen Juan, dass er einen triftigen Grund hatte. Mafiabosse reagierten zuweilen empfindlicher als Teenagermädchen, die ihre Menstruation hatten.
„Jim Anderson wurde tot in seinem Haus aufgefunden. Soll laut Polizeiangaben Selbstmord begangen haben. Doch Diego hat dort eine junge Frau gesehen, wie sie das Haus verließ. Seinen Angaben nach soll es sich um diese Angelina handeln. Er ist ihr zu einem Haus gefolgt und wartet auf ihre weiteren Schritte."
Ein Raunen ging durch den Raum. Luca versteifte neben mir. Er atmete tief aus, während er seinen Blick dankbar nach oben richtete.
„Endlich eine Spur. Ich will wissen, wo genau sie sich aufhält." Der Mafiaboss von Vegas sprang auf. Die anderen taten es ihm gleich. Ich sah den Hoffnungsschimmer in Emilianos Augen. Massimo grinste zuversichtlich und Lucius fuhr sich mehrmals durch die Haare.
Juan zog sein Smartphone hervor und hielt es sich ans Ohr.
„Diego. Gibt es etwas Neues?" Kurze Pause. Dann ein entsetzter Blick zu den Bossen. „Das ist jetzt nicht dein Ernst!" Er legte auf, seine Lippen zitterten. Er blinzelte einige Male schnell, dann atmete er tief ein. Eine eisige Kälte breitete sich in meinem Magen aus.
„Boss, Diego musste kurz pissen und in dem Moment ist sie weggefahren. Wir haben aber das Kennzeichen ihres Mietwagens."
„Gebt das Kennzeichen an alle Leute raus. Schickt sie kreuz und quer durch die Stadt", blaffte er sein Team an, das sofort in alle Richtungen davonstob. „Wir werden sie finden." Letzteres sagte Enrique mehr an uns gerichtet.
Genovese schüttelte bedächtig seinen Kopf. „Was machst du nur, Teufelchen?"
„Lasst die Ausfahrtsstraßen und den Flughafen überwachen", schaltete sich nun Lucchese ein.
„Sollten wir nicht lieber ihr Haus durchsuchen?" Vielleicht fand ich dort einen Hinweis. Wenigstens saß ich dann nicht hier rum und wartete tatenlos ab. Meine Hände kribbelten. Es musste doch etwas geben, wobei ich helfen konnte!
„Nein, das wäre Zeitverschwendung. Sie hinterlässt doch nie Hinweise." Emiliano schaute mich mit leeren Augen an.
Wir warteten die ganze Nacht und den folgenden Tag auf Anhaltspunkte, doch niemand hatte bisher sie oder ihren Wagen entdeckt. Weder am Flughafen noch beim Verlassen der Stadt hatte man sie gesehen. Mittlerweile durchkämmten Enriques Leute die Wohnviertel und den Strip. Alles ohne Erfolg.
Ziča, wo bist du nur?
Ich setzte mich auf den Boden, lehnte mich an die Wand und schloss die Augenlider. Nach einiger Zeit erschien ihr Bild vor mir. Sie war verletzt. Überall Blut. Sie bewegte ihre Lippen, um mir etwas mitzuteilen. Ich riss meine Augen auf und sprang hoch.
„Ich fahre jetzt zu ihrem Haus. Ist mir egal, ob jemand mitkommt. Gebt mir einfach die Adresse." Juan rannte mit einem Zettel auf mich zu.
„Ich fahre." Er wedelte mit einem Autoschlüssel. Ich nickte zustimmend, versteckte meine zitternden Hände in den Hosentaschen.
„Wartet, ich komme mit. Ich halte es nicht mehr aus, dieses ewige Warten." Luca folgte uns nach draußen. Ich sah zum Sternenhimmel hoch. Hoffentlich täuschte ich mich nicht und fanden wir eine Spur.
Zu dritt fuhren wir zu dem Haus, bei dem dieser Amateur Diego sie aus den Augen verloren hatte. Wie gern würde ich ihm dafür das Genick brechen! Juan parkte direkt auf der Auffahrt. Wir schlichen zur Hintertür, da diese erfahrungsgemäß leichter zu knacken waren als Vordertüren. Doch weit gefehlt. Hier war ein Sicherheitsschloss eingebaut. Der Spanier fluchte, fuhr sich mit der Hand durch die Haare.
„Muss mal kurz was aus dem Auto holen."
Gleich darauf kehrte er mit einer KAC Masterkey zurück. Keinem Schlüssel, sondern einer Schrotflinte, die hervorragend dazu geeignet war, ein Türschloss zu zerstören und sich somit Zutritt zu einem Haus zu verschaffen. Gesagt, getan.
Die Tür sprang auf und wir teilten uns auf. Da ich Zičas Vorliebe für Küchen kannte, suchte ich dort zuerst. Ich blickte auf den Küchentisch und rief die anderen.
„Sieht so aus, als ob sie noch nicht weitergezogen ist." Ich deutete auf den Tisch, auf dem unterschiedliche Waffen, ein Universalschlüssel und ein Laptop lagen. Luca stürzte an den Laptop und bewegte die Maus.
„Merda!", fluchte er und warf seine Hände in die Luft, das Gesicht zu einer Grimasse verzehrt.
„Passwortgeschützt?", fragte ich überflüssigerweise.
„Natürlich", knurrte er. „Irgendwelche Vorschläge?"
„Versuche mal deinen Namen." Er nickte und tippte auf der Tastatur.
„Nein, der ist es nicht. Ich versuche mal deinen." Wieder tippte er. „Merda!"
„Schaut mal hier." Juan hielt uns ein Blatt mit mehreren Zeichnungen unter die Nase. Alle stellten eine liegende Acht, auch bekannt als Zeichen für die Unendlichkeit, dar. Es sah aus, als wenn sie für ein Tattoo vorgezeichnet hatte. Bei einigen hatte sie das Wort ili, bei anderen das Wort ilimitada integriert.
„Versuch mal ilimitada", schlug ich Luca vor. Nervös hörte ich dem Klacken der Tasten zu.
„Bin drin." Gebannt stellte ich mich hinter ihn und starrte auf den Bildschirm. Google Maps war noch offen, mit einer Adresse in einer luxuriösen Wohngegend von Vegas: Tournament Hills.
„Iron Hills Lane", murmelte Juan. „Ruhig gelegen, teuer und verschwiegene Nachbarn."
„Fahren wir." Luca sprang auf. Er rannte zum Wagen und wir folgten ihm. Den Universalschlüssel steckte ich vorsorglich ein. Wir brauchten nicht weit zu fahren und standen schon bald vor einer großen Villa im italienischen Stil.
„Dort ist der Mietwagen." Der Spanier zeigte auf ihr Auto.
„Gehen wir über die Hintertür rein?" Luca zog eine Augenbraue hoch, als er mich ansah. Ich nickte nur.
„Schon wieder so ein Schloss." Juan seufzte theatralisch und wollte zurück zum Wagen gehen, um die Schrotflinte zu holen, doch ich zog den Schlüssel aus meiner Tasche. Mit einem leisen Klacken sprang die Tür auf.
„Juan, du sicherst das Erdgeschoss. Michael und ich suchen oben." Luca schlich die Treppe hoch und ich folgte ihm ebenso leise. Er fing beim ersten Raum an. Ich dagegen lief zum letzten Zimmer am Ende des Ganges. Als ich näherkam, sah ich etwas Licht bei der Türschwelle hervorscheinen. Vorsichtig stieß ich die Tür auf. Wie angewurzelt blieb ich stehen.
„Luca!" Eiseskälte lähmte meinen Körper. Waren wir zu spät gekommen?
Er stürzte zu mir und schaute ebenso fassungslos auf das Bild, das sich uns bot. Ziča lag schwer verletzt und bewusstlos, oder tot, auf dem Boden in einer Blutlache. Mein Herz krampfte sich zusammen. Verbissen blinzelte ich die Tränen weg, die sich in meinen Augen bildeten.
„Ruf Emiliano an. Ich kümmere mich um sie." Ich stürzte zu ihr. Tastete mit rasendem Herzschlag nach ihrem Puls, den ich schließlich schwach unter meinen Fingern wahrnahm. Dann verschaffte ich mir einen Überblick. Ihre linke Schulter und ihr linker Oberschenkel hatten jeweils eine Kugel abbekommen, bluteten aber nicht mehr. In ihrem Bauch steckte ein Messer. Ich schluckte schwer.
„Wird sie das überleben?" Luca stand neben mir. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht entschwunden.
„Ich weiß es nicht", erwiderte ich monoton. Ich wusste es wirklich nicht. Tränen sammelten sich in meinen Augen. Erneut hatte ich versagt. Wie damals, als Hudson sie mir entriss.
„Wir sollen sie ins Summerlin Hospital bringen, meint mein Boss. Einerunserer Ärzte hat gerade Dienst." Der Spanier klopfte mir auf die Schulter. Ichhob meine geliebte kleine Schwester hoch,darauf bedacht, ihre Verletzungen nicht zu verschlimmern. Juan half mir, Ziča vorsichtig zum Wagen zu tragen. In demMoment tauchten die Ersten von Enriques Leuten auf, die sich um alles in derVilla kümmern würden. Luca wies sie an,die Hintertür zu nehmen, die im Gegensatz zum Rest des Hauses nicht durch einenAlarm geschützt war.
Ich setzte mich mit meiner Kleinen im Arm auf die Rückbank, strich ihr miteiner blutverschmierten Hand die Haare aus dem Gesicht und drückte die Lippen auf ihre Stirn. Luca presste seine Lippen aufeinander, sagte aber nichts, sondernstieg schnell ein. Juan sprang auf den Fahrersitz und raste los. Innerhalbweniger Minuten kamen wir beim Krankenhaus an. Zwei Krankenhausmitarbeiter, diezu Enriques Team gehörten, warteten bereitsauf uns. Sie brachten Ziča im Eiltempo zum OP. Jetztkonnten wir nur beten und hoffen, dasssie es überlebte. Wenn nicht, würde iches mir niemals verzeihen. Ich hätte auf meinen Instinkt hören und Stunden eher zu ihremHaus fahren sollen. Langsam rutschte ichan einer Wand auf den Boden. Ich hatte versagt, meinekleine Schwester nicht beschützt.
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