Kapitel 31 ✔️


Jim Anderson. Das war der Name des Mistkerls, dem ich bald das Gehirn herausblasen würde. Er kümmerte sich um ein kleines Casino in Vegas, das der Hermandad gehörte, und hatte über die Jahre Gewinne für die Bruderschaft abgezweigt. Oder mit Hilfe von fingierten Überfällen auf die Geldtransporter verschwinden lassen. Dem Casino waren dadurch keine Verluste entstanden. Nein. Die Versicherungen waren so dämlich und kamen für diese sogenannten Schäden der Raubüberfälle auf.

Was das Abzweigen von Gewinnen betraf, dem Skimming, dies dürfte mit der heutigen Technologie gar nicht mehr möglich sein. Im zwanzigsten Jahrhundert wurden bevorzugt beim Entleeren der einarmigen Banditen Münzen abgezweigt. Oder man zählte brav alle Einnahmen, zum Beispiel zweihunderttausend Dollar, gab dann aber als Einkünfte nur einhundertfünfzigtausend Dollar an. Die restlichen fünfzigtausend verschwanden in einem Koffer, Geldsack, Kofferraum oder was auch immer. Je weniger Gewinne ein Casino meldete, desto weniger musste es versteuern. Demnach eine Win-Win-Situation für das Casino, wenn man schon vorher Geld abzweigte.

Irgendwo hatte ich gelesen, dass Ende der siebziger Jahre das Stardust Casino in Vegas erwischt worden war, nachdem sie fünf Millionen Dollar durch Skimming hatten verschwinden lassen. Ich tippte mich nachdenklich ans Kinn.

Tja, heutzutage sollte es dank moderner Technologie nicht mehr möglich sein. Alle Spielautomaten, die ab dem Jahr zweitausendzehn hergestellt wurden, zählten die eingeworfenen Münzen automatisch. Das ermöglichte es, das entnommene Geld mit der Zählung der jeweiligen Maschine abzugleichen und sofort Alarm zu schlagen, wenn etwas fehlte.

Und genau da lag der Hase im Pfeffer beim Casino der Hermandad. Gutgläubige Spieler wurden mit einer nostalgischen Spielatmosphäre angelockt. Sollte heißen, das Casino verwendete ältere Spielautomaten. Welcher Heini das auch immer durchgesetzt hatte, der gehörte erschossen. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Dann grinste ich breit. Unter Umständen war er bereits beim Feuer bei Cleveland umgekommen. Oder ein Nachfahre von ihm.

Ja, die Hermandad war wirklich kein Stück besser gewesen als die Mafia. Im Ende ging es allen doch nur um Geld und Macht. Ich klopfte mir gedanklich auf die Schulter. Meine Aufräumaktion war ein Dienst an der Menschheit.

Ich fokussierte mich wieder auf die Mission. Dieser Anderson stand als letzter Punkt auf meiner imaginären To-do-Liste. Sollte ich entgegen allen Erwartungen noch andere ehemalige Mitglieder der Bruderschaft killen müssen, dann würde ich das zusammen mit meiner Familie machen. Keine Alleingänge mehr. Die selbstauferlegte Einsamkeit ging mir immer gravierender auf den Geist. Bald würde sie ein Ende haben. Ich seufzte erleichtert auf, während ich mich in meinem Versteck umsah. Es war ebenfalls ein Haus der Hermandad und lag in einem Wohnviertel im Norden von Vegas.

Las Vegas, das war nicht nur der Strip mit seinen Hotels und Casinos. Auch wenn diese eine absolute Sehenswürdigkeit waren. Egal ob das Luxor mit Pyramide und Sphinx, das Paris Las Vegas mit Eiffelturm, das Excalibur oder eines der vielen anderen Hotels.

Die Wohnviertel waren, so wie mein Versteck, unscheinbar. Das Gebäude, in dem ich mich aufhielt, war ein einstöckiger Bungalow mit zwei Schlafzimmern, einem Bad, Küche und Wohnzimmer. Und in eben diesem saß ich am Tisch, auf dem ein Reserve-Laptop und meine Waffen lagen. Was ich vor wenigen Augenblicken auf dem Bildschirm gesehen hatte, gefiel mir nicht im Geringsten. Irgendwer hatte nach dem Ableben von Hudson und dem feurigen Ende der Hermandad eine Villa hier in der Stadt auf den Namen der Bruderschaft gekauft.

Das einzige noch lebende Mitglied, das sich in Vegas herumtrieb, war Anderson. Aber der wohnte nach wie vor mit seiner geldgierigen Schlampe von Ehefrau in einem Bungalow nicht weit entfernt von mir. Ich schlussfolgerte daraus, dass er sich entweder von ihr scheiden lassen und dann in die Villa ziehen wollte, die ja eh nicht auf seinen Namen lief, womit er ihr nicht noch mehr Geld in den habgierigen Rachen zu schmeißen brauchte. Oder es war hier etwas ganz anderes im Busche. Zweites würde mir gar nicht gefallen. Es bedeutete, dass es eine Gefahr gab, die ich nicht kannte und daher nicht beseitigen konnte. Jemand, der nicht im Buch von Hudson stand und bei meiner Aufräumaktion außen vor geblieben war. Denn alle mir bekannten wichtigen Mitglieder der Bruderschaft schmorten in der Hölle.

Ich knetete jeden Einzelnen meiner Finger durch, während ich nachdachte. Anderson würde ich in ein paar Stunden erledigen. Seine Frau ging immer, kurz nachdem er am Vormittag von der Nachtschicht im Casino heimkehrte, mit einer Freundin ins Café und verbrachte dort den halben Tag. Falls sie nicht zum Frisör musste oder sich eine wilde Shoppingtour mit seinem Geld erlaubte. Da blieb mir genug Zeit, ihn umzulegen. Nur was sollte ich wegen der Villa unternehmen? Sie allein auskundschaften oder mir Backup von meiner Familie oder den Tempestuoso holen? Meine Familie würde mich aller Wahrscheinlichkeit nach unverrichteter Dinge auf dem kürzesten Weg nach Philadelphia schleppen. Die Spanier hatten keinen Grund, mir zu helfen. Es wäre was anderes, wenn ich mich im Gebiet von Lucchese oder Genovese aufhielt. Massimo täte vermutlich alles für mich, schon allein damit ich mich nicht in Gefahr brachte. Und bei Lucius hatte ich noch etwas gut, weil ich ihm seinen Arsch gerettet hatte.

Autsch. Ich schüttelte die linke Hand. Da hatte ich meinen kleinen Finger wohl etwas zu hart angefasst. Murrend massierte ich die schmerzende Stelle. Aber da musste ich alleine durch. Genauso wie bei der Sache mit der Villa. Ich fasste einen Entschluss. Niemand sollte da mit reingezogen werden.

Etwas später wartete ich im Mietwagen vor dem Haus meines Zielobjekts. Fünfzehn Minuten zuvor war er reingegangen. Also würde seine Frau innerhalb der nächsten Stunde verschwinden. Die beiden schienen einander kaum noch zu ertragen. Wieso sie nicht längst geschieden waren, war mir ein Rätsel. Da öffnete sich wie auf Kommando die Haustür und die Ehefrau Andersons trat in einem Fummel heraus, der ihrer Figur nicht gerade freundlich gesonnen war. Entsetzt wandte ich den Blick ab. Das konnte ich mir wirklich nicht länger mit ansehen.

Ich wartete fünf Minuten, dann lief ich zur Haustür und klingelte. Anderson öffnete und starrte mich verblüfft an.

„Komm doch rein Angela." Er führte mich ins Wohnzimmer und räusperte sich. „Was verschafft mir die Ehre?" Sein Blick flog gierig über meinen Körper und er leckte sich die Lippen.

„Dein bevorstehender Tod." Ich sah ihm gelassen in die Augen. Beobachtete entspannt und voller Genugtuung, wie seinem Gesicht sämtliche Farbe entwich und sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten.

„D-d-das kannst du doch nicht machen", stotterte er fassungslos. „I-i-ich war der Bruderschaft doch immer treu ergeben."

„Tja, ich diene nicht mehr der Bruderschaft. Hudson hat mich von klein an belogen und betrogen. Und du stehst mir dabei im Weg, ein neues Leben zu beginnen." Ich stellte eine Medikamentenschachtel vor ihm auf den Tisch. „Die Tabletten wirst du jetzt alle schlucken."

„Digitalis? Du weißt, dass ich unter einer Hyperkalzämie und einer Niereninsuffizienz leide. Das Zeug wird mich umbringen." Seine Stimme zitterte zum Satzende hin immer mehr. Ich fragte mich, ob er in seiner Angst nicht auch ohne das Medikament einen Herzstillstand bekam. Die Ader an seiner Schläfe trat stark hervor und pochte auffällig. Jetzt war er nicht mehr so mutig wie damals.

„Genau das ist ja auch Sinn der Sache. Damit es wie ein Selbstmord aussieht. Ich verspüre nämlich gerade wenig Lust, deinen fetten Körper irgendwo in der Wüste zu verscharren."

Er war schwer übergewichtig. Deswegen auch die gesundheitlichen Probleme. Aber auf ein natürliches Ableben seinerseits zu warten, dauerte mir zu lange. Schon allein wegen einer Sache vor vielen Jahren.

„E-es tut mir leid, dass du das damals falsch aufgefasst hast."

„WAS habe ich falsch aufgefasst?" Drohend näherte ich mich ihm. Den Lauf meiner Beretta Pico zielte auf seine Brust in Höhe seines Herzens. „Habe ich es falsch aufgefasst, dass du mir, als ich zwölf war, zwischen die Beine gefasst hast?"

„D-d-das hätte ich nie tun dürfen. Und du hast mir ja deutlich gezeigt, dass du es nicht wolltest." Schweißperlen bildeten sich auf seiner fettig glänzenden Stirn.

Ich erlaubte meiner Erinnerung, zurück zu dem Tag zu wandern. Nachdem er mich angefasst hatte, hatte ich ihm sein rechtes Handgelenk und die Nase gebrochen.

„A-aber du musst verstehen, du warst damals schon ein verdammt heißes Teil." Er wischte den Schweiß von seiner Stirn.

„Und du warst schon damals ein verdammtes pädophiles Schwein. Wie auch andere der Bruderschaft." Angewidert schaute ich ihn an, dann wies ich mit der Waffe auf die Medikamentenschachtel. „Schluck jetzt die Pillen. Bring es endlich hinter dich."

Mit zitternden Händen öffnete er die Medikamentenpackung. Schluckte eine Tablette nach der anderen. Es wunderte mich, dass er gehorchte und nicht einen Tod durch Fremdeinwirkung bevorzugte. Bei Selbstmord zahlte seine Lebensversicherung keinen Cent an seine Ehefrau aus. Andererseits war das womöglich der Grund, warum er den Freitod einer Kugel im Kopf vorzog.

Nachdem er alle geschluckt hatte, bedeutete ich ihm, sich aufs Sofa zu setzen. Nach und nach wurde er benommener. Ich holte eine Spritze und eine Ampulle aus meiner Tasche, zog sie auf und spritzte ihm das Mittel am Fuß in eine Vene. Noch mehr Digitalis. Ich stellte damit sicher, dass sein frühzeitiges Ableben schnell eintrat. Die Bewusstlosigkeit ließ nicht lange auf sich warten. Sein fetter Körper kippte seitlich aufs Sofa. Seine Frau würde ihn in ein paar Stunden finden, doch dann wäre alles schon zu spät. Lächelnd verließ ich das Haus, nachdem ich die Spuren verwischt hatte. Das hatte sogar noch besser geklappt als erwartet.

Zufrieden fuhr ich zu meinem Versteck zurück. Mich wurmte die Sache mit der neuen Villa der Bruderschaft und ich überlegte, welche Vorgehensweise am geeignetsten war. Zu meinem Bedauern hatte ich keinen Plan von dem Gebäude. Beim Architekten anzurufen war zu auffällig. Daher würde ich ‚blind' reingehen müssen. Bei normalen Bauwerken störte mich das nicht, doch bei einem Haus der Bruderschaft schon. Denn diese hatten immer eine Besonderheit. Mal war es ein Panic Room, dann war es ein Fluchttunnel oder ein schallisolierter Keller mit Gefängniszellen. In manchen Fällen hatte Hudson eine komplette Videoüberwachung installiert, wenn man eine nichtsahnende Person observieren musste, aus der man Informationen herausbekommen wollte, die diese aber niemals freiwillig hergeben würde.

Daher hatte ich keinen blassen Schimmer, was mich in dieser Villa erwartete, und es verursachte mir zugegebenermaßen Magenschmerzen. Irgendetwas war faul an der Sache. Ich beschloss, das Anwesen für einige Zeit zu observieren. Den Tee dafür füllte ich in eine Thermoskanne und ich schmierte mir drei Sandwiches. Seufzend packte ich alles ein. Ofenfrische Focaccia und italienische Hörnchen wären jetzt ein Traum. Oder eine frisch gebackene Lasagne von Luca. Ich schob den Gedanken an ihn beiseite. Bald war die Mission vorbei. Ich brauchte dann nur ein Flugticket zu kaufen und zurück nach Philadelphia zu fliegen, falls meine Mitfahrgelegenheit nicht in Vegas auftauchte. Ich sah mich noch einmal in der Küche um. Laptop und die anderen Sachen würde ich später wegräumen. In meinen Augen notdürftig versorgt fuhr ich zur Villa.

Nach einigen Stunden Observierung langweilte ich mich zu Tode. Es passierte rein gar nichts. Niemand ließ sich blicken. Ich brummte halbwegs beruhigt, denn ich hatte nichts anderes erwartet. Nur weil es nicht Hudson war, der die Villa gekauft hatte, hieß das nicht, dass jemand sie benutzte. Es konnte sich tatsächlich um eine Notfallimmobilie handeln. Nur wer steckte dahinter?

Ich beschloss, erst einmal zurück zu meinem Versteck zu fahren, etwas zu schlafen und dann nachts zur Villa zurückzukehren. Allein zu observieren, war echt beschissen. Es war öde und man konnte nicht mal eben auf Toilette. Der Liter Tee, den ich mir reingezogen hatte, machte sich mittlerweile bemerkbar. Zu meinem Glück waren es nur wenige Kilometer Fahrt.

Im Versteck angekommen, warf ich eine Tiefkühlpizza in den Ofen. Bei einer Sache war ich mir verdammt sicher. Diesen Dreck würde ich nie wieder essen, sowie ich zurück bei meiner Familie war. Diese Pappscheibe war echt eine Beleidigung für eine Italienerin wie mich, die gerne aß. Ich verzog angewidert das Gesicht.

Nach der Pizza schlief ich vier Stunden, duschte, um einen klaren Kopf zu bekommen, und fuhr danach erfrischt zur Villa. Es war mittlerweile dunkel, doch im Haus brannte kein Licht. Ich stieg aus dem Auto und lief ums Gebäude herum zur Hintertür. Wenn ich Glück hatte, dann passte hier der Generalschlüssel der Bruderschaft. Schlauerweise hatte ich einen mitgenommen. Der zweite lag auf dem Küchentisch neben meinem Laptop. Das leise Klicken des Türschlosses erklang und ich grinste zufrieden. Das war doch schon mal positiv.

Auf Zehenspitzen schlich ich durch das Gebäude, kontrollierte alle Räume, aber es war verlassen. Erleichtert setzte ich mich ins Büro und rollte mit den Schultern. Nicht viele Häuser der Hermandad hatten ein Bürozimmer. Nur solche, die von der Führungsriege regelmäßig genutzt wurden. Doch von denen war nur noch ich am Leben. Wer zum Teufel hatte diese Bude gekauft und sich ein Büro mit allen Daten eingerichtet? Das Ziehen in meiner Magengegend kehrte zurück. Ich übersah etwas. Mein Blick schweifte forschend durch den Raum.

Ich stand auf, packte die Ordner aus dem Aktenschrank und durchforstete sie nach Hinweisen. In einem waren meine Morde fein säuberlich notiert. Da war mir also jemand auf der Spur. Ich ballte eine Faust, bis die Fingerknöchel von der Anspannung schmerzten. Murrend packte ich den letzten Ordner, aus dem ein großer brauner Umschlag herausfiel. Ich öffnete ihn und schüttete den Inhalt auf den Schreibtisch. Ein kalter Schauer lief über meinen Rücken und ich schnappte hörbar nach Luft. Fassungslos schaute ich auf die Fotos, nahm jedes einzeln in die Hände. Sie waren ausnahmslos von mir. Einige aus meiner Jugend, andere aus Philadelphia. Eins selbst von dem Abend, nachdem Timothy mich hinter dem Aladin angegriffen hatte. Jemand hatte es von mir bei der Polizei gemacht. Nur wer?

Ein stechender Schmerz ließ mich auf meinen Arm sehen. Ein Betäubungspfeil steckte drin. Ich riss ihn raus, doch ahnte, dass es bereits zu spät war. Ich biss mir auf die Unterlippe, kämpfte gegen die aufsteigende Müdigkeit an, die meinen Körper lähmte.

„Schlaf schön, Liebste. Endlich bist du zu mir zurückgekehrt." Diese Stimme hatte ich seit Philadelphia nicht mehr gehört. Ich sah dem Mann, der gemächlich auf mich zu schlenderte, direkt ins Gesicht, während meine Sicht langsam verschwamm und alles dunkler wurde. Wie hatte ich ihn vergessen können?

„Du?", brachte ich keuchend hervor, dann verschluckte mich die Dunkelheit.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top