Kapitel 30 ✔️
Pov Emiliano
„Sie ist in San Francisco bei Lucius Genovese." Marco stürzte aufgeregt in mein Büro.
Genovese. Der Name sagte mir etwas, doch hatten wir bisher mit ihm kaum etwas zu tun gehabt. Wieso hatte ausgerechnet er uns informiert? Fragend schaute ich Marco an.
„Lucchese ist grad dort. Er hat angerufen." Das erklärte natürlich einiges. Marcos Smartphone piepte und nach einem kurzen Blick darauf hielt er es mir vor die Nase. Lucchese hatte ein Foto geschickt, auf dem Angelina angekettet schlafend auf einem Bett lag. Ich atmete erleichtert durch. Dieses Mal würde sie nicht vor uns fliehen.
„Lasst den Jet startklar machen", wies ich meinen Stellvertreter an. Dann begab ich mich auf die Suche nach Luca, doch erst rannte ich fast Michael um, der zu mir unterwegs war.
„Ist das wahr? Wir haben endlich eine Spur von ihr?" Seine dunklen Augen blickten mir tief in die Seele. Ich hatte ihn um Lucas Willen nicht mitnehmen wollen, doch ich war mir schmerzlich bewusst, wie sehr auch er unter der Abwesenheit meiner Cousine litt.
„Ja, pack deine Sachen. Du und Luca werdet mich begleiten." Hoffentlich bereute ich diese Entscheidung nicht. Sofort flitzte er davon und ich suchte weiter nach Luca. Schließlich fand ich ihn in der Küche, wo er in Gedanken versunken am Tisch saß. Mein Consigliere war wirklich zu nichts zu gebrauchen.
„Meine Cousine ist in San Francisco aufgetaucht. Willst du mitkommen?" Müde hob er den Kopf und sah mich verständnislos an. Dann machte es bei ihm klick und er sprang freudestrahlend auf.
„Freu dich nicht zu früh. Noch haben wir sie nicht." Michael lehnte abfahrbereit am Türrahmen und dämpfte Lucas Begeisterung.
„Stimmt. Ich packe schnell, dann können wir los." Zu meiner Überraschung und Freude knurrten die beiden einander mal nicht an. Luca stürmte die Treppe hoch zu seinem Zimmer.
Ich folgte seinem Vorbild und holte meine kleine Reisetasche, die immer gepackt war. Mario fuhr uns zum Flughafen, wo der Privatjet der Familie abflugbereit wartete. Kurz darauf starteten wir auch schon. Doch die Stunden bis San Francisco vergingen nur träge. Ich machte mir Sorgen. Michael hatte Recht. Auch wenn sie meine Cousine ans Bett gefesselt hatten, es bestand noch immer eine geringe Chance, dass sie trotzdem flüchtete.
Am Flughafen erwartete uns einer von Genoveses Leuten.
„Hi, ich bin John und soll euch zur Villa bringen."
Wir stiegen in den bereitstehenden Van ein und John fuhr mit einem Affenzahn zum Anwesen seines Bosses. Sein Fahrstil gefiel mir.
„Du warst wohl in einem früheren Leben Formel Eins Rennfahrer", witzelte ich, um mich von der Furcht, Angelina nicht anzutreffen, abzulenken.
„Als Deutscher liegt es mir im Blut", lachte er. „Wer weiß, vielleicht bin ich ja mit Michael Schumacher verwandt." Mit quietschenden Reifen hielt er etwas später vor der Villa. Wir sprangen raus und stürmten zur Haustür, die geöffnet wurde, bevor wir sie erreichten. Luca konnte nicht mehr stoppen und schlitterte halb durch die Eingangshalle. Sehr zum Amüsement von Massimo Lucchese, dem Mafiaboss von Chicago.
„Da hat es aber jemand eilig", grinste er breit und nickte mir zu.
„Sie ist oben. Ich bin übrigens Stefano Genovese. Mein Bruder ist der Boss, aber da er gestern angeschossen wurde, ist er gerade verhindert." Ein Italiener Anfang zwanzig schüttelte uns die Hand, dann lief er vor zur Treppe. Wir folgten dem Jüngeren der Genovese-Brüder in den ersten Stock. Er holte einen Schlüssel hervor und schloss die Tür auf. Wir traten ein und das Erste, was mir auffiel, war das offenstehende Fenster. Dann fiel mein Blick auf das leere Bett und die geöffneten Handschellen. Luca stöhnte auf und Michael begann, aus voller Kehle zu lachen. Ich schlug mir mit der flachen Hand vor die Stirn. Er hatte mal wieder recht behalten. Lucchese drängte sich nun ebenfalls in den Raum.
„Nicht schon wieder!", stöhnte er. Betreten sah er zu mir. Ich schüttelte nur den Kopf. Es war nicht seine Schuld, dass meine Cousine so ein durchtriebenes Luder war. Michael lief ein Stück weiter in den Raum hinein, schaute nach draußen, dann drehte er sich grinsend um.
„Den Baum solltet ihr lieber fällen lassen, sonst hauen euch noch öfter die Frauen ab."
„Ihr habt ihr ernsthaft ein Zimmer gegeben, bei dem man das Fenster öffnen kann?" Ich wandte mich genervt der Stimme zu. Auf Spott, der nicht von meinen engsten Vertrauten kam, konnte ich verzichten. Ich musterte den großen Italiener vor mir. Er sah dem jungen Genovese sehr ähnlich. Das war dann vermutlich der hiesige Mafiaboss. Jetzt erkannte ich auch den Grund, warum sein Bruder in vertrat. Die Schulter war verbunden und er lehnte an der Wand, wobei er ein Bein kaum belastete. Er betrachtete mich breit grinsend.
„Du bist sicher Emiliano. Hast die gleiche Augenfarbe wie das Teufelchen, das meinen Hintern gerettet hat. Allerdings sollte ihr mal jemand Manieren beibringen." Er schüttelte amüsiert den Kopf. „Außerdem, wieso eigentlich schon wieder? Hat sie so etwas Ähnliches schon mal abgezogen?"
„Sie ist mir aus meiner Lagerhalle in Chicago abgehauen, als Emiliano zu einer Besprechung mit mir unterwegs war." Lucchese schüttelte resignierend den Kopf. „Wie hat sie das wieder hinbekommen? Dabei hatte ich sie dieses Mal extra angekettet."
„Ich glaube, da braucht man mehr, um sie an einem Platz festzuhalten. Sie meinte im Übrigen, dass ihre Reise fast vorbei, die Jagd aber noch nicht vorüber sei. Keine Ahnung was sie damit meinte. Ich vermute mal, dass sie nun fast alle von der Hermandad oder die mit der Bruderschaft zu tun hatten, gekillt hat."
Ihre Reise war fast vorbei, die Jagd aber noch nicht abgeschlossen. Sie war von der Ostküste quer durch die Staaten an die Westküste gereist. Hatte an verschiedenen Orten sowohl Gesetzesdiener als Kriminelle ausgeschaltet...
„Vegas", kam es wie aus der Pistole geschossen von Michael. Ich schaute ruckartig hoch und sah ihn verwirrt an.
„Ihr nächstes und vermutlich letztes Ziel wird Vegas sein", präzisierte er seine Gedanken. Ich legte die Stirn in Falten. In Las Vegas hatten sich die Tempestuoso niedergelassen, aber ich glaubte nicht, dass sie hinter denen her war. Sie hatten meiner Familie seit ihrem Wegzug aus Philadelphia keine Probleme mehr bereitet. Wir unterhielten zwar keine freundschaftlichen Beziehungen zu ihnen, allerdings brachten wir einander auch nicht um. Vielmehr besaß ich die Telefonnummer des Bosses von Vegas. Ich holte mein Smartphone raus und rief Enrique Tempestuoso an.
„Hallo Enrique. Ich habe eine Bitte an euch. Sieht so aus, als ob meine verschwundene Cousine zu euch unterwegs ist und jemanden von der Hermandad Contra La Mafia töten will. Lasst sie den Mord ausführen und meldet mir, wo sie ist. Ich komme mit zwei meiner Leute rüber. Foto von ihr habt ihr ja."
Er versicherte mir, dass er seine besten Männer auf sie ansetzen würde, dann legte er auf. Beruhigt wandte ich mich wieder den anderen zu. Lucchese telefonierte ebenfalls. Als er auflegte, grinste er breit.
„Dann mal auf nach Vegas. Mal schauen, was mein Engel der Nacht jetzt wieder anstellt." Er nickte mir aufmunternd zu.
„Engel der Nacht? Ich bleibe dabei, dass sie ein Teufelchen ist", brummte der ältere Genovese. „Aber ich komme ebenfalls mit."
„Dann sollten wir jetzt los. Gina wird vermutlich per Anhalter nach Vegas reisen, da ihr Auto noch hier steht. Wir werden mit dem Jet schneller dort sein und können uns direkt vor Ort mit Enrique und seinen Leuten in Verbindung setzen." Wie? Hatte ich jetzt endlich meinen kühl kalkulierenden Consigliere wieder? Verdattert schaute ich Luca an.
„Worauf wartest du noch? Ich will mein Mädchen nach Hause holen." Er grinste breit. Ich sah den Funken Hoffnung in seinen Augen, der heller zu brennen schien. Mein Blick wanderte zu Michael. Dieser nickte.
„Ich würde auch gern meine kleine Schwester wieder in die Arme schließen."
Luca atmete tief durch. Sämtliche Anspannung des letzten Jahres schien von ihm abzufallen. Ich verstand endlich. Deswegen also der ständige Zoff zwischen den beiden. Luca wollte sein Mädchen für sich allein und hatte Michael als Bedrohung gesehen. Michael wollte seine ‚Schwester' beschützen und hatte dementsprechend genervt auf Luca reagiert. Und ich Idiot hatte befürchtet, dass beide in meine Cousine verknallt waren. Wieso hatte ich das so völlig falsch eingeschätzt? Io ero un bovino. Ich war ein Rindvieh.
„Dann lasst uns mal zum Flughafen fahren. Nicht, dass das Teufelchen wieder entkommt, weil ihr zu viel quatscht." Genovese humpelte zum Ausgang, dicht gefolgt von Lucchese und uns. Was hatte meine Cousine nur angestellt, dass gleich zwei fremde Dons uns halfen?
Einer von Genoveses Leuten fuhr uns zum Jet, der aufgetankt am Flughafen wartete. Kurze Zeit später schwebten wir über den Wolken.
„Glaube mir, sie ist ein Teufelchen." Genovese ahmte mit den Zeigefingern Teufelshörner nach. Lucchese schüttelte vehement den Kopf.
„Sie ist ein wundervoller Engel. Wahrscheinlich hast du sie einfach nur verärgert", verteidigte der Don aus Chicago Angelina. Ich neigte dazu, Genovese Recht zu geben. Wenn ich daran dachte, wie viele Leute mein Cousinchen auf dem Gewissen hatte, wurde mir fast übel. Für uns Männer war es normal, jemanden zu töten, aber sie als Frau sollte sich nicht dazu gezwungen fühlen. Erst recht nicht zu Aktionen wie bei Cleveland! Das nächste Streitgespräch forderte meine Aufmerksamkeit.
„Vergiss es, Luca. Du wirst sie nicht ändern können. Sie ist und bleibt eine Kriegerin. Es ist das, was ihr von klein an beigebracht wurde." Michaels Worte ließen mich schlucken, hinterließen einen schalen Geschmack in meinem Mund. Tief im Innern wusste ich, dass er Recht hatte. Hudson hatte sie zum Töten ausgebildet. Aber mir wäre es lieber, wenn sie ihre Zeit mit zwei oder drei Kindern in einer gesicherten Villa verbrachte. So wie ich Luca kannte, dachte er genauso.
„Nenn sie gefälligst nicht Kriegerin. Sie ist keine Indianerin." Mein Consigliere knurrte mal wieder wie ein tollwütiger Wolf.
„Welche Bezeichnung würde dir besser gefallen? Profikillerin? Auftragsmörderin?" Unser Lakota musterte Luca mit hochgezogener Augenbraue.
„Kennt ihr das Sprichwort: Wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte?" Genovese grinste die beiden provokant an.
„Du lässt gefälligst deine Pfoten von ihr." Lucas Augen verdunkelten sich vor Zorn.
„Im Gegensatz zu dir würde ich ihr schon Manieren beibringen." Sein anzüglicher Blick brachte mein Blut in Wallung. Ihm überließ ich meine Cousine mit Sicherheit nicht.
„Ach Ladies, wenn ihr solche Probleme damit habt, dass eine Frau kämpft, nehme ich meinen Engel der Nacht gern mit nach Chicago. Sie wäre eine wertvolle Ergänzung für mein Team." Jetzt starrten wir alle Lucchese entsetzt an. Er grinste nur schief. „Was denn? Ich stehe halt auf Männer und habe daher keinen zu ausgeprägten Beschützerinstinkt, was Frauen angeht."
„Klar, deswegen hast du sie ja auch nur betäubt und ans Bett gefesselt, damit sie nicht abhauen konnte. Was ihr aber dennoch gelungen ist", stichelte nun Michael. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er Angelinas Verhalten im Stillen guthieß, gar bewunderte.
„Es hätte mich auch nicht gestört, mal wieder die Nacht bei ihr im Bett zu verbringen, aber das hätte der Hübsche hier wohl nicht verkraftet." Anzüglich grinsend wies er auf Luca.
Langsam wurde es mir zu bunt.
„Sagt mal Jungs, gehören wir zu den gefährlichsten Männern Amerikas oder ist das hier ein Kindergarten?"
„Gina würde auf Letzteres schließen, wenn sie hier wäre." Luca schüttelte grinsend seine Locken. „Ich freue mich schon darauf, sie endlich wieder in meine Arme schließen zu dürfen. Und nein, ich teile sie nicht mit euch."
„DAS werden wir ja noch sehen." Lucchese lehnte sich entspannt zurück.
Kurze Zeit darauf landeten wir auf dem Flughafen von Las Vegas, der Stadt, die niemals schlief. Am Rand des Rollfeldes wartete bereits zwei schwarze Vans.
Tief einatmend verließ ich den Jet, die einander ärgernden Kleinkinder hinter mir lassend. Enriques Leute nahmen uns in Empfang und verteilten uns auf die beiden Wagen. Nicht viel später erreichten wir das Hauptquartier der spanischen Mafiafamilie. Jetzt hieß es abwarten.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top