Kapitel 3 ✔️
Ein schrilles Klingeln riss mich aus dem Schlaf. Nicht, dass ich etwas dagegen hatte. Das Schlafshirt klebte an meinem Körper und der geflochtene Zopf hatte sich über Nacht gelöst. Die Haare hingen mir wirr ins Gesicht, als ich mich aufsetzte.
Mann, war der Traum Scheiße gewesen. Dabei hatte er himmlisch angefangen. Maxwell hatte mich auf ein Date in einen angesagten Club eingeladen. Wir hatten eng umschlungen getanzt und waren dann nach draußen gegangen. Er hatte mich sanft in seine Arme genommen und gerade, als er mich küssen wollte, hatte mein Traum sich in einen Alptraum gewandelt. Ein lauter Knall hatte uns zusammenzucken lassen. Oder besser gesagt mich. Denn Maxwell war von einer Kugel getroffen worden. Und mich hatten zwei Mafiosi von ihm weggezerrt, als er im Sterben lag. Einer hatte mir dabei etwas mit einem ekelerregenden italienischen Akzent ins Ohr geflüstert.
Leg dich nie mit einem Pensatori an.
Dieser Satz hallte in meinem Kopf wider. Mit schlurfenden Schritten tapste ich ins Bad. Während das Wasser auf mein müdes Haupt gnadenlos einprasselte, grübelte ich über die ganze Situation nach. Keine Gefühle, nahm ich mir vor. Es lenkte mich nur von der Mission ab. Es war besser, wenn Onkel Sam mir eine andere Kontaktperson zuteilte. Maxwell durfte nicht in die Schusslinie geraten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und den Pensatori würde ich es zeigen.
Etwas später marschierte ich entschlossen zur Schule. In der ersten Stunde stand Geschichte an. Ein Fach, das ich über alles liebte. Aus der Menschheitsgeschichte gab es vieles zu lernen, doch die Menschen waren zu verbohrt dazu. Schon faszinierend, wie sich gewisse Strukturen immer wiederholten, obschon in einer abgewandelten Form.
Bei der Schule angekommen, quietschten Bremsen hinter mir auf. Ich schrak zurück, strauchelte und landete unsanft auf meinem Po, als ein schwarzer BMW 118i mit verdunkelten Scheiben neben mir stoppte. Giulia und Mario stiegen hinten aus. Der Beifahrer, ein großer Italiener kam zu mir, ergriff meine Hand und half mir hoch. Mein Atem stockte mir im Hals.
„Scusa Signorina, mein Freund Marco ist manchmal ein Idiot." Er wies auf den Fahrer, der entschuldigend seine Hand hob.
„Komm schon Luca. Wir müssen weiter", rief dieser dem Typen vor mir zu.
Ich betrachtete beide kurz. Sie waren etwa drei Jahre älter als ich. Hatte ich das Vergnügen mit dem Sottocapo und dem Consigliere von Emiliano Pensatori? Die Vornamen passten.
Dieser Luca hielt weiterhin meine Hand fest und sah mir dabei tief in die Augen. Seine waren braun mit einigen goldenen Sprenkeln. Und sie strahlten eine sagenhafte Wärme aus, die meine Beine in Wackelpudding verwandelte. Schnell schaute ich auf unsere Fußspitzen. Mario trat zu uns und schlug dem Italiener auf den Rücken.
„Luca, könntest du bitte Giulias Freundin in Ruhe lassen?"
„Erst, wenn ich den Namen dieser Signorina erfahren habe." Sein Blick ruhte weiter auf mir. Giulia seufzte theatralisch.
„Angela, das ist Luca, ein Freund meines Bruders. Luca, das ist Angela. Könntest du sie bitte jetzt loslassen? Der Unterricht fängt gleich an." Ihre energische Stimme überraschte mich. Verdutzt schaute ich zu Mario, der mit einem breiten Grinsen und verschränkten Armen wartete. Giulia war doch nicht so ein Mäuschen, wie ich erwartet hatte.
„Es war mir ein Vergnügen dich kennenzulernen, Angela." Der große Italiener beugte sich über meine Hand und hauchte einen Kuss drauf. Richtig, er sabberte mich nicht voll, sondern verhielt sich korrekt nach den Richtlinien vom Knigge. Ein Schauer lief über meinen Rücken.
Ich sah ihm verwirrt hinterher, als er ins Auto einstieg und fing mich erst, als jemand neben mir kicherte.
„Du hast es dem armen Luca aber voll angetan." Giulia schaute belustigt auf den sich entfernenden Wagen.
„Kommt, gehen wir zum Unterricht", mischte sich Mario ein. Ich nickte nur und folgte den beiden wie ein Schatten in den Unterrichtsraum und setzte mich auf meinen Platz. Die Aktion des Mafioso hatte mir die Sprache verschlagen. Nachdenklich strich ich über die Hand, die er festgehalten hatte. Sie kribbelte noch leicht von der warmen, sanften Berührung. Was war das bitteschön?
Nein, keine Gefühle für einen Verbrecher. Garantiert nur eine allergische Reaktion. Mein Körper reagierte überempfindlich auf ihn, weil er ein Mafioso war.
Ach ja, was hatten wir als erstes Fach? Geschichte. Ich packte mein Buch und etwas zum Schreiben aus. Giulia saß neben mir und lächelte versonnen vor sich hin.
„Kann es sein, dass Luca dir auch gefällt?"
„Nein," erwiderte ich langsam, „der Schreck sitzt nur etwas tief." Da der Lehrer in den Raum trat, beließ sie es zum Glück dabei.
DAS war unser Geschichtslehrer? Hammer, sah der umwerfend aus. Etwa Ende zwanzig. Circa ein Meter neunzig groß, breite Schultern, lange schwarze Haare, die er in einem geflochtenen Zopf trug, dunkle Augen und eine bronzefarbene Haut. Definitiv ein Indianer.
Er ließ seinen Blick über die Klasse schweifen. Bei Giulia und mir blieb er länger hängen. Ich bereitete mich auf die Frage vor, ob wir miteinander verwandt wären. Aber nix dergleichen. Seine Augen nahmen nur kurz einen belustigten Ausdruck an.
„Mein Name ist Michael Black Cloud. Ich bin euer neuer Geschichtslehrer." Boah, seine warme dunkle Stimme war ebenfalls zum Dahinschmelzen.
Mann, was war in letzter Zeit nur mit mir los? Kerle hatten mich nie interessiert. Die Ausbildung, wie mein Onkel und ich sie nannten, hatte immer im Vordergrund gestanden. Und jetzt schmachtete ich ständig irgendwelche Kerle an. Scheiße.
„Sind sie ein Indianer?" Die Piepsstimme einer der Barbies riss mich aus meinen Gedanken. Keine Ahnung, wie das Mädel hieß, aber sie war mir vom ersten Augenblick an unsympathisch. Blond, blauäugig, blöd. Haare waren blondiert, um genau zu sein. Ihr Gesicht war mit zwei Tonnen Make-up zugekleistert und die Möpse fielen ihr fast aus ihrer aufgeknöpften und zu engen, pinken Bluse. Dass die Augenfarbe echt war, bezweifelte ich.
„Ich bin ein Lakota. Da wir schon dabei sind, kann mir jemand einen bekannten Lakotahäuptling des neunzehnten Jahrhunderts nennen?" Mein Arm schoss wie von selbst nach oben. Eher durch Zufall hatte ich mich mal mit der Schlacht am Little Big Horn auseinandergesetzt. Sie war ein herausragendes Beispiel dafür, dass man nicht zu großkotzig und unüberlegt an eine Sache herangehen durfte, so wie General Custer es getan hatte.
„Na super, eine von den Zwillingen bitte." Giulia hatte sich ebenfalls gemeldet.
„Mach du", sagte ich zu ihr.
„Sitting Bull, Red Cloud und Crazy Horse." Sie lächelte ihn zufrieden an. „Und wir sind keine Zwillinge. Nicht einmal miteinander verwandt."
„Antwort zu den Häuptlingen ist korrekt. Und wer von euch beiden ist wer?" Amüsiert betrachtete er uns.
„Ich bin Giulia, das neben mir ist Angela." Ich horchte auf. Bei diesem Lehrer war ihre Stimme fester, selbstbewusster als bei den anderen. Ich musterte ihn genauer. Dann entschied ich mich, etwas anzugeben, und meldete ich mich erneut.
„Ja Angela?"
„Spotted Tail und American Horse wären vielleicht noch erwähnenswert." Die wurden grundsätzlich vergessen und brachten mir mit Sicherheit Pluspunkte. Weiter hinten stöhnte jemand laut auf. Ich nahm an, dass es Aiden war.
„Auch die Antwort ist korrekt. Sehr gut Angela." Dann richtete der Lehrer sich an die ganze Klasse. „Wie ihr vielleicht schon vermutet habt, werden die Indianerkriege unser Thema für die nächsten Monate sein."
„Muss das wirklich sein?" Jake, einer von Aidens Freunden, den Badboys, murrte rum.
„Ja, das muss sein. Oder meint ihr, Amerika hätte sich ohne die Kriege so entwickelt?" Black Cloud sprach kühl und seine Augen waren starr auf die Störenfriede gerichtet. Damit war die Klasse erstmal still und ich grinste heimlich in mich hinein.
Den Rest der Stunde verbrachten wir damit, eine Liste mit indianischen Stämmen zusammenzustellen.
Nachdem es zum Stundenende geläutet hatte, liefen Giulia und ich schon mal zur Tür, um uns auf den Weg zum Kunstraum zu machen. Denn Kunst stand als Nächstes an. Aus dem Augenwinkel bekam ich mit, wie unser Lehrer kurz Mario zurückhielt und etwas leise mit ihm besprach. Sofort war mein Misstrauen geweckt.
War dieser Michael Black Cloud etwa der zweite Mafioso, der auf Giulia aufpasste? Durchtrainiert schien er ja zu sein, schloss ich aus seinem breiten Kreuz und seinen bemerkenswerten Oberarmen. Ich beschloss, ihn ebenfalls durchleuchten zu lassen.
Das bedeutete, es war wieder Pizza angesagt. Und somit ein klitzekleines Treffen mit Maxwell, da ich meinen Onkel bisher nicht um einen anderen Kontakt gebeten hatte. Ich grinste dümmlich vor mich hin. Den Kunstunterricht durchstand ich irgendwie. Es war ein Schulfach, das kein sonderliches Interesse bei mir weckte, obwohl ich künstlerisch begabt war. Malen und Zeichnen waren in meinem Job überflüssig.
In der Mittagspause saßen nur wir Mädels in der Kantine. Mario hatte etwas gemurmelt und war nach draußen gegangen. Zu gern wäre ich ihm gefolgt, um ihn zu beobachten. Doch es hätte nur Fragen aufgeworfen.
„Magst du heute Nachmittag etwas mit mir unternehmen?" Giulia schob sich ohne Vorwarnung in mein Blickfeld, nachdem sie auf ihrem Smartphone herumgetippt hatte.
„Ich weiß nicht so recht", blockte ich halbherzig ab. Einerseits war es eine verlockende Gelegenheit, um mich bei ihr einzuschleimen. Aber andererseits legte ich es nicht darauf an, verzweifelt und einsam rüberzukommen.
„Ach komm schon. Ein guter Freund hat am Samstag Geburtstag und ich bin zu seiner Feier eingeladen. Muss noch ein Geschenk für ihn kaufen." Ihre großen braunen Augen erinnerten mich an einen bettelnden kleinen Welpen. „Außerdem bist du doch neu in Philly. Dann könnte ich dir gleich ein paar schöne Geschäfte zeigen."
„Guck mich nicht mit so einem Dackelblick an", lachte ich.
„Also kommst du mit?" Sie rutschte noch näher an mich heran.
„Ja, du hast gewonnen." Onkel Sam klatschte mit Sicherheit vor Begeisterung in die Hände, wenn er es erfuhr.
„Fantastico!" Giulia grinste zufrieden.
„Hallo Schönheiten", erklang unerwarteterweise Aidens Stimme hinter uns. „Habt ihr meinetwegen so gute Laune?"
Giulia und ich schauten einander nur an und packten stumm unsere Sachen. Zwei Blöde, ein Gedanke. Bloß weg hier, wenn Mario nicht da war.
„Habe ich euch erlaubt zu gehen?" Aiden schubste mich zurück auf meinen Stuhl und packte Giulia am Arm. Seine Kumpels, drei an der Zahl, kamen ebenfalls auf uns zu.
„Lass mich los." Giulia versuchte, sich aus dem Griff zu befreien. Wo war nur Mario, wenn man ihn brauchte? Zuschlagen durfte ich ja nicht, sonst ging meine Tarnung flöten.
„Nein. Dein Wachhund ist ja grad nicht in der Nähe. Dann kann ich mich ruhig mit dir unterhalten." Der Blödmann grinste siegessicher.
„Arschloch." Die sonst so beherrschte Italienerin hatte genug und schüttete dem Badboy ihr Getränk ins Gesicht. Verdutzt ließ er sie los. Seine Augen verengten sich.
„Was hast du gesagt?", zischte er sie an.
„Ach, hast du was an den Ohren?" Sie lächelte süffisant. „Dann wiederhole ich es für dich. Arschloch!"
Aiden und seine Kumpels versteiften. Das würde hier gleich sowas von eskalieren, wenn wir keine Hilfe bekämen. Ich stand erneut auf. Giulia war wichtiger als meine Tarnung, daher bereitete ich mich mental darauf vor, dem Anführer der Idioten an die Kehle zu gehen.
„Was soll die Scheiße?", brüllte eine tiefe Stimme quer durch die Kantine. Die Jungs hielten erschrocken inne und starrten auf etwas hinter mir. Ich drehte mich um. Unser Geschichtslehrer stürmte wütend zu uns rüber. Dann baute er sich vor den Jungs auf, sodass Giulia und ich geschützt hinter ihm standen.
„Lasst die Mädchen gefälligst in Ruhe", knurrte er. „Und zwar grundsätzlich, nicht nur heute."
„Unser Häuptling ist wohl verknallt in die Zwillinge", höhnte Aiden.
„Nicht so unverschämt, Aiden. Ich kann gerne deine Eltern über dein Verhalten in Kenntnis setzen." Black Clouds Stimme wurde eisig. Seinen dazugehörigen Blick hätte ich gern gesehen. Auf jeden Fall bestätigte sein Auftreten meine Annahme, dass es sich bei ihm ebenfalls um einen Mafioso handelte, der zum Schutz von Giulia an der Schule war.
Was ich von der Mafia auch hielt, jetzt war sie praktisch. Wenn die nur wüssten, wer ich war...
Obwohl, nein, ganz dämliche Idee.
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