Kapitel 25 ✔️

Pov Massimo

Die Woche über hatte ich unseren Engel der Nacht von meinen Leuten beobachten lassen. Es interessierte mich brennend, wieso sie keine Angst vor uns hatte und wie sie an die Informationen über den Spitzel gekommen war. Ihr ganzes Auftreten überzeugte mich schnell davon, dass sie keine gewöhnliche junge Frau war.

Lächelnd dachte ich an den Moment zurück, als ich ihr die Kette um den Hals gelegt hatte. Die Überraschung in ihrem Gesicht und dann ihr strahlendes Lächeln hatten mein einsames Herz erwärmt. Wenn ich sie doch nur überzeugen konnte, sich meinem Team anzuschließen! Sie arbeitete zielgerichtet, war im Nahkampf ausgebildet und erfahren im Umgang mit Schusswaffen. Nachdenklich strich ich mir übers Kinn. Sie wäre eine ausgezeichnete Ergänzung. Wer in einem so jungen Alter bereits über solch ein Können verfügte, dem standen in unserer Branche alle Möglichkeiten offen. Ich musste sie für mich gewinnen.

Und dennoch gab es etwas, das mich störte. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass etwas sie belastete. Da konnten ihre strahlenden Augen und ihr hübsches Lächeln nicht drüber hinwegtäuschen. Denn mehrfach hatte ich während unseres Gesprächs für einige Sekunden einen Funken Wehmut in ihrem Blick erkannt. Ich ballte die Hände zu Fäusten. Wer auch immer ihr Leid zugefügt hatte, würde dafür büßen!

Und dann war da noch die Sache mit der verschwundenen Mafiaprinzessin aus Philadelphia. Sie war einer der Gründe, warum die Pensatori, alte Verbündete meiner Familie, zu mir nach Chicago kamen. Das Mädchen, das untergetaucht war, war die als Fünfjährige entführte Cousine von Emiliano Pensatori. Vor nicht einmal einem Jahr war sie aufgetaucht, ohne Erinnerung an ihre Familie, und sowie sie sich erinnerte, war sie verschwunden. In Gedanken ging ich die Informationen über sie noch einmal durch. Lange braune Haare, grüne Augen und eine Brille. Intelligent und kampferprobt, hatte mir der Stellvertreter von Emiliano mitgeteilt. Ich verglich das Foto, das ich von ihr hatte, mit einer anderen jungen Frau. Unser Engel der Nacht war blond, hatte blaue Augen und trug keine Brille. Die Haarfarbe war leicht zu verändern. Augen konnte man lasern lassen oder Kontaktlinsen tragen. Aber die Augenfarbe ließ sich nicht so einfach ändern, oder? Egal, ich hatte mich auf das morgige Treffen vorzubereiten. Danach würde ich diesen kleinen Verräter Timothy mit Vergnügen umlegen und seine Leiche auf Nimmerwiedersehen verschwinden lassen.
Immer noch grübelnd lief ich durch die Lagerhalle, die uns als Hauptquartier diente. Ich hatte notgedrungen die Besprechung hierher verlegt, denn ursprünglich war sie am anderen Ende der Stadt geplant gewesen. Meine anderen Hallen standen aber zu dicht an der, in der die Bullen auftauchen würden.

„Boss, alles ist von unserer Seite vorbereitet. Ich fahre jetzt noch eine Runde und halte nach unserem Engel Ausschau. Sie ist unter Garantie wieder alleine draußen unterwegs und das gefällt mir nicht." Ich nickte Jason zu. Er war ein verdammt zuverlässiger Mitarbeiter. Loyal, nutzte seinen Kopf zum Denken und war um das Leben unserer Leute besorgt. Ich sah es ihm an, dass er unseren Engel der Nacht am liebsten hierherbringen würde. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden.

Schnellen Schrittes verschwand er aus meinem Blickfeld. Vor dem Tod meines Vaters hatte er bei diesem als vierzehnjähriger Junge angefangen. Die Eltern waren tot und er war aus einem Waisenhaus abgehauen. Mein Vater hatte ihn frierend auf dem Bürgersteig sitzend gefunden und mit zu uns nach Hause gebracht. Seitdem war Jason wie ein großer Bruder für mich. Ihm würde ich mein Leben blind anvertrauen. Und das Leben unseres Engels ebenfalls. Ich lächelte beim Gedanken an sie.
Da alles für das Treffen mit den Pensatori vorbereitet war, lief ich ins Büro und kümmerte mich einige Zeit um die anderen Geschäfte.

Etwa zwei Stunden später wurde ich von einem meiner Angestellten gerufen. Jason schleppte einen verletzten Mann rein, den ich auf den ersten Blick als Indianer identifizierte. Obwohl die Farbe aus seinem Gesicht gewichen war, war er ein ansprechender Bursche. Hochgewachsen, breite Schulter, durchtrainiert und wahnsinnig lange Haare. Nicht schlecht. Mit Mühe wandte ich meine Aufmerksamkeit von ihm ab. Nebenher lief eine mir bekannte überaus besorgte junge blondhaarige Frau. Ich sah, dass sie geweint hatte, was mich wunderte. Woher kannte sie ihn?

Jason brachte den Indianer in unser Krankenzimmer und half ihm auf die Liege. Unauffällig blieb ich an der Tür stehen und lauschte.

„Die Kugel steckt noch drin. Ich werde sie herausoperieren. Wir können nur hoffen, dass keine wichtigen Organe verletzt wurden." Olaf, unser Arzt, scheuchte alle aus dem Raum. Ich nutzte den Moment und umarmte meinen Engel der Nacht. Dann zog ich sie hinter mir her ins Büro.

„Du kennst ihn, oder?" Ich verschränkte die Arme und wartete auf eine Antwort.

„Ja, das ist ein alter Freund von mir. Er arbeitet für die Pensatori. Deswegen hab ich Jason angerufen und Michael herbringen lassen." Sie spielte nervös mit einer Haarsträhne. Ihrem Gesicht war sämtliche Farbe entwichen. Ob es an der Verletzung dieses Indianers lag, oder an etwas anderem konnte ich nicht sagen. Allerdings sagte mir mein Gefühl, dass sie die Nacht über hierbleiben sollte.

„Woher kennst du ihn?" Verriet sie sich oder sah ich Verbindungen zu meinen Verbündeten, wo keine waren?

„Ich bin ihm ein paar Mal begegnet." Sie hielt meinem Blick stand. Dennoch nahm ich es ihr nicht ab. Dafür war sie viel zu aufgelöst. Hatte ich hier etwa doch Angelina Pensatori, die verschwundene Cousine, vor mir? Das würde erklären, woher sie ihn kannte.

„In Ordnung. Wenn du magst, kannst du die Nacht hierbleiben. Morgen wissen wir bestimmt mehr." Entweder sie würde freiwillig bleiben, oder ich würde sie zwingen müssen. Doch zu meiner Erleichterung nickte sie. Jetzt musste ich nur das Treffen vom Nachmittag auf den Vormittag vorverlegen, ohne dass sie es mitbekam.
Ich rief Jason zu mir. Kaum betrat er mein Büro, lag sein besorgter Blick auf unserem Engel. Er würde schon auf sie aufpassen, während ich das Telefongespräch mit meiner Kontaktperson führte.
„Jason, nimmst du sie bitte mit rüber und hältst ihr die Idioten vom Hals? Ich muss noch etwas erledigen."
„Alles klar, Boss." Sanft nahm er die schlanke Blondine in den Arm und führte sie aus dem Büro heraus. Ich schaute beiden nachdenklich hinterher. Sollte sich herausstellen, dass sie keine Pensatori war, dann würde ich sie ins Team integrieren. Mein Entschluss stand fest. Ich akzeptierte es nicht länger, dass sie nachts allein in Chicago herumfuhr. Das würde ich mit Sicherheit nicht mehr zulassen. Dort draußen war es viel zu gefährlich für sie. Ich seufzte, dann nahm ich mein Telefon.

„Marco? Massimo hier. Es gibt noch eine kleine Änderung. Das Treffen muss bereits um neun Uhr vormittags stattfinden."

Er fragte mich nach dem Grund. Sollte ich ihm von meiner Vermutung berichten? Nein, es würde schlimmstenfalls nur falsche Hoffnungen wecken.
„Das werdet ihr erfahren, wenn ihr hier seid.

Ja, ich hab dafür einen verdammt guten Grund.

Unsere Familien arbeiten seit Jahrzehnten gut zusammen. Vertraut mir einfach."
Widerwillig stimmte er zu. Aber wenn sich herausstellte, dass unser Engel Emilianos Cousine war, dann würden sie mir ewig dankbar sein.
Ich lief zurück in die Halle. Mein Blick glitt durch den Raum. Einige der Männer beobachteten mehr oder weniger heimlich die blonde Schönheit, die sich angeregt mit Jason unterhielt. Sie schien sich von dem Schrecken, dass dieser Michael angeschossen worden war, bereits erholt zu haben. Vermutlich hatte Jason ihr erklärt, dass Olaf der beste in seinem Fach war. Wenn es jemand verstand, Kugeln aus Körpern zu entfernen oder diese sonst wie wieder zusammen zu flicken, dann er. Wir hatten ihn vor einem Jahr eingestellt. Mein alter Arzt war bei einem Angriff unserer Feinde draufgegangen. Ich hatte ebenfalls eine Kugel abbekommen und mich zwangsweise ins Krankenhaus begeben, um mich verarzten zu lassen. Zu meinem Entsetzen hatte Jeanne, die dort als Ärztin arbeitete, in mich verliebt. Wäre das nicht passiert, dann hätte ich sie hierher mitgenommen und sie für die Familie arbeiten lassen. Aber ich konnte keine liebestolle Frau an meiner Seite gebrauchen.
Jason brachte gerade unseren Engel zum Lachen. Dabei warf sie elegant ihre blonde Mähne nach hinten. Meine Männer konnten kaum ihre Augen von ihr nehmen. Einige fingen fast schon an zu sabbern. Da musste ich wohl eingreifen, bevor jemand auf dumme Gedanken kam. Zielstrebig lief ich auf die beiden zu und setzte mich neben unseren Engel. Sie schaute kurz zu mir und schenkte mir ein Lächeln. Ihre Augen leuchteten dabei wie die Sterne. Jason dagegen schien nicht so begeistert zu sein, dass er ihre Aufmerksamkeit teilen musste. Er hatte definitiv einen Narren an ihr gefressen. Amüsiert betrachtete ich, wie er sie an seine Seite zog und ein Selfie mit ihr schoss.
„Jetzt bin ich aber dran", schmollte ich und zog sie blitzschnell auf meinen Schoß. Nach einigen Fotos versuchte sie sich wieder neben mich zu setzen, aber ich schlang die Arme fest um sie und vergrub Gesicht in ihren Haaren. Ich atmete tief durch und sog ihren lieblichen Geruch ein. So könnte ich ewig dasitzen!
Die meisten der Leute sahen verwirrt zu uns herüber. Absolut keiner verstand in diesem Augenblick, was er da sah, war es doch völlig im Gegensatz zu dem, was sie von mir gewöhnt waren. Aber das war mir egal, so lange wie mein Engel der Nacht in meinen Armen lag, konnte sie sich nicht in Gefahr begeben.
Nach einiger Zeit tauchte Olaf zufrieden bei uns auf.
„Ich konnte ohne Probleme die Kugel entfernen und die Wunde nähen. Er schläft jetzt, wird aber bald wieder auf dem Damm sein."
Die Schönheit auf meinem Schoß atmete erleichtert auf. Die Anspannung fiel von ihr ab. Das nutzte ich aus und drückte ihren Kopf an meine Halsbeuge. Je ruhiger und entspannter sie war, desto besser für den Plan.
Zwei Stunden später war sie auf mir sitzend und an mich gelehnt eingeschlafen. Ich stand vorsichtig mit ihr auf dem Arm auf und brachte sie in das kleine Zimmer, das ich hier für Übernachtungen hatte. Ich legte sie sanft auf das Bett und zog sie um. Immer darauf bedacht, sie nicht versehentlich aufzuwecken. Dann entkleidete ich mich bis auf die Boxershorts und legte mich zu ihr. Das Bett war schmaler als das, was ich in der Villa hatte. Also zog ich sie sanft auf meine Brust.
Am Morgen weckte Jason ich leise. Vorsichtig manövrierte ich meinen Engel von mir runter und zog mich an. Die junge Frau schlief seelenruhig weiter. Perfekt.
Kurz darauf trank ich Kaffee, als Olaf breit grinsend zu mir trat.
„Dem Verletzten geht es gut. Er würde allerdings gern mit seinen Leuten telefonieren, aber sein Smartphone ist weg."

„Er soll sich etwas gedulden. Die sind eh gleich hier", murrte ich nur. Ohne unseren Engel in den Armen sackte meine Laune rapide ab.

Keine zwanzig Minuten trafen die drei Italiener aus Philadelphia ein. Der Boss Emiliano Pensatori, sein Consigliere Luca Calieri sowie dessen Vater Lorenzo.
„Buongiorno. Folgt mir bitte, ich habe eine Überraschung für euch." Ich führte sie ins Krankenzimmer.
„Michael, was machst du denn hier?" Lorenzo Calieri sah ihn überrascht an.
„Ich wurde gestern angeschossen, aber das ist nicht wichtig. Angelina ist hier in der Stadt. Sie hat mich gestern hierher gebracht." Der Indianer schlug die Decke zur Seite und schwang die Beine über den Rand des Bettes. Entschlossenheit lag in seinem Blick.

„Bist du dir hundertprozentig sicher, dass es Gina ist?" Luca Calieri riss die Augen weit auf. Er taumelte leicht und krallte sich reflexartig an der Wand fest.

„Ihr kennt die Schönheit, die im Bett vom Boss liegt?" Olaf schaute fragend in die Runde, wodurch sich die vier Augenpaare meiner Gäste auf mich richteten.

„Bastardo!" Luca starrte mich finster an, während sein Vater auf ihn zur Beruhigung einredete.
„Wo ist sie jetzt?" Emiliano fixierte mich mit seinem Blick. Michael dagegen zog sich still seine Kleidung über. Seine Miene verriet keinerlei Emotionen.
„Sie müsste, wie Olaf bereits sagte, noch in meinem Bett sein." Ich hörte Luca knurren, daher fügte ich schnell etwas hinzu.
„Keine Angst, sie ist nicht mein Typ. Ich habe nur auf sie aufgepasst. Folgt mir."
Alle vier waren mir auf dem Weg zu ihr auf den Fersen, selbst der verletzte Indianer. Ich führte sie zum Zimmer und öffnete die Tür. Das Herz sackte mir in die Kniekehlen.

Mein Engel war weg!
„Das kann doch wohl nicht wahr sein", stöhnte Lorenzo auf.
Michael scannte mit seinen Augen den Raum. Dann lief er zielstrebig zum Bett und nahm einen kleinen Zettel vom Kissen hoch, der mir gar nicht aufgefallen war. Er trat wieder zu uns und gab ihn mir.

Netter Versuch Massimo. Aber ich kann noch nicht zu meiner Familie zurück. Es ist noch nicht vorbei.
„Du weißt nicht zufällig, wo sie wohnt?" Die dunklen Augen durchbohrten mich.

„Das müsste Jason wissen. Folgt mir." Wir liefen zurück in die Halle. „Jason, ich benötige sofort alle Informationen, die du über unseren Engel der Nacht hast." Er sah uns nur stumm an. Verwirrung spiegelte sich in seinen Augen wider.

„Jason, ich sagte sofort!" Meine lauter gewordene Stimme weckte ihn aus seiner Trance. Kurz darauf reichte er mir eine Akte. Emiliano riss sie mir aus den Händen. Normalerweise hasste ich sowas, aber in diesem Fall konnte ich es nachvollziehen. Immerhin war sie wohl doch seine Cousine, die abermals verschwunden war.
Stumm betrachtete er die Fotos, dann reichte er sie weiter. Luca sah sie an und schrie auf. Es lag so viel Schmerz darin, dass sich mein Herz zusammenzog. Er liebte meinen Engel. So viel stand fest. Ich gab die Hoffnung, sie in mein Team zu integrieren, auf.
„Luca, Michael, ihr bleibt hier. Emiliano und ich fahren hin." Lorenzo packte die Adresse. Kaum waren die beiden davongestürmt, setzte der Indianer sich an einen Tisch. Luca hockte sich ihm gegenüber.

„Du hattest Recht, Michael. Du hattest die ganze Zeit Recht. Es tut mir leid", flüsterte er fast unhörbar. Tränen bildeten sich in seinen Augen.

„Ja, aber das bringt uns nichts. Sie wird nicht dort sein." Er starrte vor sich auf den Tisch. Dann sah er wehmütig hoch. „Der Sturm ist weitergezogen."

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