Kapitel 22 ✔️
Vor sechs langen Monaten war der Anführer der Hermandad Contra La Mafia, der Bruderschaft der Mafia, bereits verschwunden. Unsere Mitglieder sorgten sich zu Recht. Sie brannten darauf, von mir zu erfahren, wie es mit der Bruderschaft weiterging. Wie wir den Kampf gegen die Mafia fortsetzten, jetzt wo Hudson nicht mehr unter uns weilte. Einige hatten sich missbilligend über sein Verhalten in den Monaten vor seinem Verschwinden geäußert. Dass er dieser italienischen Mafiaprinzessin völlig verfallen und dem Wahnsinn nahe gewesen war. Nicht wenige hofften darauf, zum neuen Anführer aufzusteigen. Doch kaum einer brachte die notwendigen Qualifikationen mit, um es mit der Mafia aufzunehmen.
Die Mafia war wie die Hydra. Schlug man ihr einen Kopf ab, dann wuchsen zwei neue nach.
Von unseren Mitgliedern war niemand so gerissen wie Hudson, außer mir selbst vielleicht. Von den anderen war nur ein Teil im Umgang mit einer Schusswaffe erfahren. Im Nahkampf zu bestehen, war nur für einen verschwindend geringen Anteil ein Leichtes. Ja, sie waren dazu in der Lage Menschen zu manipulieren. Doch das reichte nicht für diese begehrte Position. Nur sahen das nicht alle ein.
Mein Blick flog über die Liste mit unseren Mitgliedern, die aus den unterschiedlichsten Bundesstaaten stammten.
Zwei große Banker, ein Börsenmakler. Alle drei zuständig für die Finanzen.
Zwei Immobilienmakler. Einer davon verantwortlich für die Wohnungen und Häuser der Bruderschaft, der andere für die Lagerhallen.
Drei Staatsanwälte, die als die gnadenlosesten Hunde der Staaten galten.
Ein Richter, dem schon viele Verbrecher einen Aufenthalt im ADMAX, dem härtesten Knast Nordamerikas verdankten.
Ein Verbindungsmann zum FBI, dessen eiskalter Blick selbst Gesetzeshüter erschaudern ließ.
Zehn Leute aus dem aktiven Polizeidienst, vom einfachen Streifenpolizisten hin zu Detectives und Sheriffs. Diese hielten Kontakt zu Kriminellen wie Fälschern, die Pässe für uns herstellten, und kleinen Dealern, die Informationen von der Straße über die Mafia lieferten. Aber dabei kam nie genug rum, um die Bosse festzunageln.
Ich seufzte und beendete mein Frühstück. Bis zum Eintreffen unserer Leute hatte ich noch einiges zu erledigen. Circa dreißig Personen würden herkommen. Dieses Anwesen war perfekt für das bevorstehende Treffen. Es lag etwas abgelegen von Cleveland, ohne Nachbarn und mit nur einer Zufahrtsstraße, die obendrein durch einen Wald führte. Fenster und Türen verriegelte man per Knopfdruck. Noch dazu waren die Fensterscheiben aus Panzerglas. Niemand kam durch sie rein. Eine andere imponierende Eigenart des Hauses war ein fünfhundert Meter langer Fluchttunnel, der in einem Schuppen endete. Dieser Tunnel war von beiden Seiten mit einem Schloss gesichert, so dass sich niemand ins Gebäude hineinschlich. Wie gesagt, dieses Anwesen war perfekt für die Treffen der Bruderschaft. Der einzige Nachteil war, dass man keinen Partyservice engagieren durfte, der das Catering übernahm. Eine Großbestellung bei einem Partyservice in Cleveland wäre ebenfalls zu auffällig und wir vermieden es Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Daher blieb die Zubereitung der Snacks an mir hängen. Missmutig machte ich mich an die Arbeit.
Nach einigen Stunden war ich endlich fertig. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich etwa sechzig Minuten bis zum Eintreffen der Gäste hatte. Somit genug Zeit zum Duschen. Alles andere war vorbereitet.
Während das warme Wasser auf mich hinab prasselte, spielte ich mental den Ablauf des Treffens ab. Die Reihenfolge war minutiös geplant. Ein Abweichen vom Plan könnte fatale Folgen haben. Die eingeladenen Männer verziehen keine Fehler, wie unser ehemaliger Anführer, den es zu ersetzen galt.
Frisch geduscht und völlig in schwarz gekleidet begab ich mich zum Eingangsbereich und wartete auf die Ankunft der Gäste. Ich betrachtete bei der Garderobe kurz mein Spiegelbild, zupfte die Kleidung zurecht. Schwarzer Rollkragenpullover, schwarze Stoffhose, schwarze Anzugschuhe, die Haare streng nach hinten. Ein Abbild von Autorität, trotz meines jungen Alters. Tief atmete ich durch, bevor ich die Tür für die ersten Gäste öffnete.
Würde schon schiefgehen.
Eine Weile später waren alle in Grüppchen in Gespräche vertieft. An einigen Stellen hörte ich negative Kommentare über das Verhalten von Sam Hudson, unserem verschwundenen Anführer, als ich an ihnen vorbeilief, bevor ich mir einen Platz in der Nähe des Podiums suchte.
„Die Leute warten auf eine Rede von dir." James, der Verbindungsmann zum FBI stand neben mir und blickte abwertend auf die anderen Gäste. „Einige machen sich Hoffnungen auf den Posten des Anführers, aber wir wissen alle, wer dafür am besten geeignet ist."
James war ein absoluter Schleimer. Dazu passte gleichermaßen sein Äußeres. Die halblangen braunen Haare hatte er nach hinten gegelt, wodurch seine Geheimratsecken extra betont wurden. Er trug ein hellblaues Businesshemd, eine schwarze Stoffhose und schwarze Stiefel. Das Hemd war nicht komplett zugeknöpft und die Hose wurde von einem Gürtel mit einer großen rechteckigen Silberschnalle gehalten. Seine Augen waren stechend und seine schiefen, vom übermäßigen Rauchen vergilbten Zähnen ekelten mich an. Er hatte echt was weg von diesen korrupten FBI-Leuten aus Filmen über die siebziger Jahre. Seine Nähe widerte mich an, dennoch ließ ich mir nichts anmerken.
Aber er hatte Recht. Es war Zeit für meine Rede. Ich atmete tief durch und trat vor die versammelte Mannschaft. Rücken kerzengerade, Schultern nach hinten, Hände auf mittlerer Höhe vor dem Körper. Gefälligst jeder hatte mich zu respektieren. Um mir die Aufmerksamkeit aller zu sichern, räusperte ich mich kurz.
„Bevor ich anfange, noch eine kleine organisatorische Sache, damit uns niemand stört." Ich nahm die kleine Fernbedienung vom Rednerpult und drückte auf einen Knopf. Ein Klacken lief durch das Haus wie eine Welle. Fenster und Türen waren verriegelt. Eine gewöhnliche Vorgehensweise bei unseren Treffen. Niemand hatte so die Möglichkeit, uns zu belauschen. Daher nickten alle zustimmend.
„Gut, jetzt wo das erledigt ist, komme ich gleich zu meinem Hauptanliegen. Wie ihr wisst ist der Anführer unserer Bruderschaft vor einem halben Jahr spurlos verschwunden. Es gibt keine Spur von Sam Hudson. Deswegen sollten wir uns damit abfinden, dass wir einen neuen Anführer benötigen." Zustimmendes Gemurmel schwappte wie eine warme Welle auf mich zu und ich genoss den Augenblick. Es war an mir, diesen alten, verbrauchten Männern zu zeigen, wozu die junge Generation fähig war. Denn an Nachwuchs fehlte es uns.
„Dieser Anführer sollte nicht zu alt, sowohl im Nahkampf als auch im Umgang mit Waffen geübt und ein Meister der Tarnung sein. Nicht umsonst ist es Hudson nach dem Mord an Sergio Pensatoris Bruder und Schwägerin gelungen, die Mafia geschickt auf falsche Fährten und damit an der Nase herumzuführen." Ich ballte die Hand zur Faust, um meiner Aussage noch mehr Nachdruck zu verleihen. Dabei blickte ich nacheinander jeden einzelnen der vor mir stehenden Männer an. Bei einigen sah ich, wie erwartet, die Gier nach dem Posten. Andere schauten vertrauensvoll zu mir. Ihr Wohlwollen ließ mich gefühlt zehn Zentimeter wachsen.
„Unsere Bruderschaft wurde nach dem misslungenen Coup gegen Vincente Pensatori vom allerersten Sam Hudson ins Leben gerufen, um diese verdammten Mafiosi in die Schranken zu weisen. Zu oft versagten und versagen unsere legalen Institutionen im Kampf gegen das Verbrechen. Es liegt an uns, wie erfolgreich unser Unternehmen ist. Jeder trägt mit seinem Verhalten zu Erfolg oder auch Misserfolg bei. Nur wer fokussiert ist, sämtliche Emotionen ausschaltet und auch bereit ist, kompromisslos Menschen zu opfern, kann in diesem Kampf bestehen." Gebannt starrten sie zu mir. Einige schienen überrascht von der Schärfe in meiner Stimme. Hatten mir solch eine Rede nicht zugetraut, nur weil ich jung war. Sie brauchten mir nur die Zügel in die Hand zu geben, dann würde alles zu einem guten Ende kommen.
„Ich gebe euch nun fünfzehn Minuten, in denen ihr euch über einen geeigneten Nachfolger unterhalten könnt." Dabei hielt ich meine Hände wie Waagschalen. „Bedenkt bei euren Überlegungen die Vor- und Nachteile der möglichen Kandidaten. Wenn ihr mich nun bitte solange entschuldigen würdet." Mit einem Nicken zu den Anwesenden verließ ich den Raum. Aufgeregtes Gemurmel schwoll hinter mir an. Ich versicherte mich kurz, dass mir niemand folgte, dann lief ich summend die Treppe hinab in den Vorratskeller. Bei einer von einem Weinregal halb verdeckten Metalltür gab ich die Kombination ein, öffnete die Tür und verschloss sie fest hinter mir. Mit der Taschenlampe, die ich dort hingelegt hatte, eilte ich die fünfhundert Meter Tunnel entlang, bis ich das andere Ende erreichte. Ich packte meinen Rucksack mit den für die nächsten Tage notwendigen Gegenständen, bevor ich einen letzten Blick zurück in die Dunkelheit warf.
So ahnungslos.
Dann öffnete ich auch hier die Tür mit der Kombination. Es war so weit. Ich stieg aus dem Fluchttunnel und schaute mit hoch erhobenem Kinn zum Haus. Diabolisch grinsend packte ich die Fernbedienung, die ich während den Vorbereitungen hier deponiert hatte. Der rote Knopf zwinkerte mir fast schon zu. Lachend drückte ich ihn. Der erste laute Knall vom Haus ließ mir einen warmen Schauer über den Rücken laufen. Der Zweite wärmte mein Herz. Alle Weiteren trösteten meine durch die Bruderschaft verletzte Seele. Mit Genugtuung sah ich zu, wie die Flammen das Haus verzehrten. Sie fraßen sich über die Außenwände nach oben. Streckten ihre lodernden Zungen nach dem Dach aus. Ich sah auf mein Smartphone, kontrollierte, ob ich schon wieder Empfang hatte. Noch ein kleiner Augenblick.
Das war ebenfalls eines der Dinge, die mir an diesem Versteck gefallen hatten. Der Störsender auf dem Dach, der sämtliche Ein- und Abgänge von Nachrichten und Anrufen blockierte. Doch gleich würde das Feuer auch ihn holen. Dann war es Zeit, zum letzten Punkt meines Plans zu kommen.
Ich schaute ein weiteres Mal auf das Display. Ja, endlich!
Jetzt würden mehr Menschen von diesem Anblick genießen können. Ich hob mein Smartphone, richtete es auf das herzerwärmende Schauspiel, wählte eine Nummer und startete die Liveübertragung. Nach drei Minuten brach ich ab. Holte die Speicherkarte mit allen Daten aus dem Smartphone, band dieses an eine Stange Dynamit, zündete Selbige an und warf sie in den Fluchttunnel. Dann lief ich zu meinem Wagen, den ich hier hinten zwischen ein paar Bäumen abgestellt hatte. Es war an der Zeit abzuhauen, bevor die Bullen und die Feuerwehr auftauchten.
Ich befreite meine langen braunen Haare aus dem strengen Zopf, in die ich sie hineingequält hatte. Kurz ließ ich den Wind damit spielen, wie an dem Tag mit Michael in den Black Hills. Oder nach der Sache mit Hudson. Immerhin hatte ich dieses Mal keine kugelsichere Weste mit Tierblut präpariert benötigt, wie vor sechs Monaten in der Lagerhalle. Meine Familie dachte aller Wahrscheinlichkeit noch immer, dass ich an dem Tag gestorben war. Es war besser so, redete ich mir ein, auch wenn ich Michael schmerzlich vermisste. Noch mehr als Luca, der mich womöglich schon vergessen und durch ein anderes Mädchen ersetzt hatte.
Mit einem letzten Blick in den Rückspiegel nahm ich von meinem wundervoll inszenierten Kunstwerk, das bereits unter der Flammenlast zusammenbrach, Abschied. Es lenkte mich vom Heimweh ab, denn vor der Rückkehr nach Philadelphia hatte ich noch viel zu erledigen.
Dachteile stürzten brennend auf die Erde. Kichernd stellte ich fest, dass Coutelle nun endlich in der Hölle angekommen war. Ja, nichts gegen Sam Shephard, aber seine Darstellung des Coutelle in Thunderheart rief bei mir selbst jetzt noch Hassgefühle hervor. Und James sah ihm für meinen Geschmack zu ähnlich.
Burn Baby Burn.
Ich wischte die Tränen weg, die die Erinnerung an meine Familie heraufbeschworen hatte, und rückte die Brille gerade. Endlich konnte ich meine Augen lasern lassen, um so noch besser verdeckt zu handeln. Ich startete den Motor und gab Gas. Je eher ich alles hinter mich brachte, desto eher würde ich alle wiedersehen.
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Eigenlob stinkt, aber ich liebe dieses Kapitel. ;-)
Und Coutelle in Thunderheart (Halbblut) hasse ich abgrundtief.
Einfach mal auf Youtube "Thunderheart At the Stronghold" suchen. Ist das Ende vom Film. Bekommt ihr eine Vorstellung, wie James aussehen soll.
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