Kapitel 16 ✔️
Pov Michael
Vor einigen Tagen hatte Ziča uns von den Russen erzählt. Natürlich wussten wir über sie Bescheid, aber dass dieser Aiden mit ihnen zu tun hatte, gefiel mir gar nicht. Die anderen waren genauso misstrauisch. Was hatte ein amerikanischer Badboy mit der russischen Mafia am Hut?
Wir hatten zu unseren bisherigen Daten weitere Informationen über ihn eingeholt, aber nichts sonderlich Auffälliges gefunden. Mario und ich hatten Aiden überprüft, nachdem er die beiden Mädchen zum ersten Mal belästigt hatte. Außer einigen kleinen Verstößen wie das Herumlungern an öffentlichen Plätzen, Belästigung junger Frauen und regelmäßiges Schwänzen des Unterrichts, hatten wir nichts entdeckt.
Deswegen beschlossen wir, dass ich mich am Wochenende zusammen mit Lorenzo in Cleveland, Ohio, treffen sollte. Dort war diese Bruderschaft von der Michalov-Familie gegründet worden. Im Gegensatz zu anderen Mafia-Gruppierungen kam man nur schwer an sie ran. Daher existierten kaum Informationen. Das beunruhigte mich. Ein Feind, den man nicht kannte, dessen Stärken und Schwächen unbekannt waren, zählte zu den gefährlichsten überhaupt. So wie der Mistkerl, der damals den Bruder und die Schwägerin meines Bosses getötet und deren einzige Tochter entführt hatte.
Angelina. Jetzt hatten wir sie endlich wieder. Aber wieso war sie nach all den Jahren bei uns in Philly aufgetaucht? Ich hatte sie sofort erkannt, mein kleines Eichhörnchen. Deswegen hielt ich mich, so oft es ging, in ihrer Nähe auf. Wann kam endlich ihre Erinnerung an uns wieder? Was hatte das Schwein ihr nur angetan, dass sie sogar mich vergessen hatte?
Ich schüttelte betrübt den Kopf und entspannte meine zu Fäusten geballten Hände. Gesprochen hatte ich mit ihr bisher nicht über die Sache. Nur Hinweise konnte ich geben. So wie den Spitznamen, den ich ihr gegeben hatte, als sie gerade laufen lernte. Der Familie gegenüber hatte ich nichts von meinen Erkenntnissen erwähnt. Ich fürchtete, dass sie Angelina noch mehr unter Druck setzten als bisher. Vor allem Luca hatte sich gefälligst von ihr fernzuhalten! Er verunsicherte meine Kleine viel zu sehr. Das musste ich mit aller Macht verhindern. Damals hatte ich versagt, sie nicht beschützt. Das würde mir kein zweites Mal passieren. Jeder, der sich mir in den Weg stellte, würde dafür leiden, dachte ich grimmig.
Doch jetzt hatte ich keine andere Wahl als sie für einige Tage in der Obhut der Familie zu lassen. Auch wenn es mir keineswegs gefiel. Sie hatte zwar gemurrt, dass sie einen anderen Aufpasser bekam, aber dank meinen Überredungskünsten eingestimmt, damit Emiliano sie nicht in die Villa verschleppte.
„Matteo, pass mir gut auf sie auf. Und halte deinen verdammten Bruder von ihr fern." Ich starrte den Italiener, der direkt vor mir stand, finster an. Er setzte ein ehrliches Lächeln auf.
„Mach dir keine Sorgen. Ich habe keine Ahnung, was er mit ihr an meinem Geburtstag angestellt hat, aber ich könnte ihm dafür auch den Hals umdrehen. Seitdem geht sie uns aus dem Weg. Nur dir scheint sie zu vertrauen."
Ich nickte. Ja, sie vertraute mir mit jedem Tag mehr. Selbst wenn sie nachts einen Alptraum hatte, reichte eine Berührung von mir und sie schlief friedlich weiter. Hoffentlich bedeutete es, dass ihr Unterbewusstsein sich an mich erinnerte.
Aus welchem Grund sie auch aufgetaucht war, es steckte mit Sicherheit der Bastard dahinter, der sie entführt hatte. Zu meiner Erleichterung hatte er sie professionell ausgebildet, was für uns von Nutzen sein würde, sobald sie wieder vollständig zur Familie gehörte.
Seit Montag hatten wir sie ebenfalls hart trainiert. Zuerst weigerte sie sich standhaft, doch Emiliano drohte ihr abermals mit einem dauerhaften Aufenthalt in der Villa. Wenn Blicke töten könnten, läge er nun einige Fuß unter der Erde. Gleichwohl hatte die Drohung gewirkt und sie hatte die Erlaubnis, weiter in ihrem Haus zu wohnen. Zu meiner und ihrer Erleichterung. Ich weigerte mich, ihre Aufmerksamkeit mit den anderen teilen und betete zu den Geistern, dass sie sich so an mich als Erstes erinnerte. Wenn ihre Erinnerung jemals zurückkam.
Beim Training hatten wir festgestellt, dass sie nicht nur erfahren im Umgang mit Schusswaffen war, sondern ebenso ausgezeichnete Kenntnisse von Nahkampftechniken besaß. Ich grinste beim Gedanken an ihre erste Trainingsstunde bei uns. Einer der Soldaten hatte sich freiwillig gemeldet. Jetzt saß er mit einer gebrochenen Nase und zwei angeknackste Rippen bei seiner Frau. Seit dem Tag respektierten unsere Männer sie ohne Ausnahme. Vor allem wegen ihres Blickes. Es war, als wenn sich eine Gewitterfront direkt vor einem aufbaute. In ihr loderte ein Feuer, das sie schon zu lange unterdrückte. Die aufgestauten Emotionen würden sich eines Tages einen Weg nach draußen bahnen. Ich hoffte inständig, dass ich dann für sie da sein würde. Und nicht wie jetzt zu einem Einsatz gezwungen war.
Nur widerwillig packte ich die Reisetasche, die mir den Kleiderschrank ersetzte. Angelinas Schrank zu benutzen widerstrebte mir. Es war in meinen Augen ein zu großer Eingriff in ihre Privatsphäre. Unten fiel die Haustür ins Schloss. Ich grinste breit. Sie war endlich da. Mit der Tasche lief ich die Treppe runter und zog meine Kleine in eine Umarmung. Ich sog ihren Geruch durch die Nase und prägte ihn mir ein. Verdammt, ich wollte nicht weg. Sie nicht mit Matteo allein lassen.
„Du hast keine Lust auf deinen Auftrag, oder?", flüsterte sie mir ins Ohr.
„Wie kommst du nur darauf?", brummte ich in ihre Haare, nicht gewillt, sie loszulassen.
„Na weil du mich fast zerdrückst."
„Entschuldige." Ich ließ sie ruckartig los, küsste sie sanft auf die Stirn und verließ mit meinen Sachen das Haus. Draußen stieg ich zu Lorenzo in den Wagen.
„Hast du deinem Sohn deutlich gemacht, dass er Angela in Ruhe lassen soll?", knurrte ich direkt los. Ein eiskalter Klumpen im Magen kühlte meine Laune erheblich runter. Wieso schickten sie nicht wen anders nach Cleveland?
„Ich habe es vorsichtshalber beiden gesagt, obwohl ich Matteo in dieser Angelegenheit vertraue. Er wird vernünftig auf das Mädchen aufpassen." Ich nickte kurz und wartete darauf, dass er weiterredete.
„Allerdings mache ich mir Sorgen um Luca. Er ist seit der Feier sehr verschlossen. Nicht einmal meine Frau kriegt ihn dazu uns zu erzählen, was vorgefallen ist. Mein Jüngster leidet enorm." Lorenzo verstummte und blickte starr nach vorne auf die Straße.
Lucas Gefühle waren mir sowas von egal. Das, was Ziča wollte, hatte absoluten Vorrang. Und sie wünschte keinen Kontakt zu Luca, weil es ihr aus irgendeinem Grund weh tat. Ich ballte die Hände zu Fäusten, bis meine sonst so dunklen Knöchel fast weiß hervorstachen. Zu gern wollte ich wissen, was der kleine Mistkerl ihr angetan hatte. Dafür würde er noch büßen.
„Willst du die Sache noch immer so durchziehen? Oder sollen wir nach Sergios Plan vorgehen?", fragte mich mein Begleiter.
„Auf gar keinen Fall nehmen wir ihr Blut ab, um es zu testen. Ich verstehe, dass der Don wissen will, ob sie seine Nichte ist. Aber lasst mir bitte noch etwas Zeit. Wenn wir sie überrumpeln, flüchtet sie womöglich. Dann verlieren wir sie, bevor wir sie überhaupt richtig hatten." Pfoten weg von meiner Kleinen! Nun schaute ich starr auf die Straße vor uns.
„Sie bedeutet dir verdammt viel." Lorenzo seufzte tief. „Ich verstehe, dass du sie vor allem schützen möchtest."
„Ich habe Angelina das erste Mal im Arm gehalten, als sie einen Tag alt war. Und ich erinnere mich daran, als ob es gestern wäre, dass ihr Entführer mich angeschossen und die Kleine von mir fortgerissen hat." Ihre Schreie, ihre vor Angst weit aufgerissenen Augen verfolgten mich bis heute. „Ich hoffe, dass Angela in Wirklichkeit Angelina ist." Meine Stimme versagte und ich schloss kurz die Augenlider. Sie war es. Ich war mir so verdammt sicher. Ich lehnte den Kopf an die Kopflehne. Bilder der verhängnisvollen Nacht schossen vorbei, wirbelten umher wie ein Zyklon. Eiskalte Schauer rannen mir über den Rücken. Entschlossenheit breitete sich in meinem Herzen aus. Niemand nahm sie mir wieder weg. Sie war die einzige Familie, die ich hatte.
Lorenzo verfolgte das Thema zu meiner Erleichterung nicht weiter. Wie sollte ich ihm erklären, dass ich mit seinem jüngsten Sohn als Partner für Ziča nicht im Geringsten einverstanden war? Ihr Onkel würde mir das Leben zur Hölle machen, wenn er davon erfuhr. Zwar gab es keine Bestrebungen, eines der Mädchen zu einer Ehe zu zwingen, die der Familie von Vorteil war. Doch eine Einmischung meinerseits würde mit Sicherheit zu Streitereien führen. Ich müsste die Angelegenheit klüger anpacken. Nur wie?
Kurze Zeit später kamen wir am Flughafen an. Lorenzo fuhr uns direkt zur kleinen Startbahn, die den Privatflugzeugen reicher Unternehmer vorbehalten war. Der Privatjet unseres Dons wartete bereits auf uns. Auf nach Cleveland. Mein Magen krampfte sich zusammen.
Ich vermisste meine Kleine jetzt schon.
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