Kapitel 13 ✔️
Die zwei darauffolgenden Tage blieb ich in der Schule immer brav in Marios Nähe. Dadurch verliefen die Pausen ereignislos. Abgesehen von den finsteren Blicken, die Aiden und seine Schoßhündchen uns zuwarfen. Meine Nachmittage verbrachte ich teils mit Lernen, teils im Fitnessstudio. Von den Mafiosi tauchte niemand bei mir zuhause auf. Herrlich. Keine nervigen Überraschungen, wenn man Ruhe benötigte. Doch etwas langweilig war mir schon, wenn alles in geordneten Bahnen ablief. Das hatte mich früher nie gestört. Mein Leben war durchgetaktet gewesen: Aufstehen, Frühstück, Schule, Fitness, Waffentraining, Nahkampf, Schlafen.
Und dann kam der Donnerstag. Schulsport. Da ich in der Vorwoche verletzungsbedingt gefehlt hatte, war es heute für mich das erste Mal. Die Mädchen musterten mich in der Umkleide schon herablassend nach dem Motto: der Nerd wird eh nix gebacken kriegen. Kopfschüttelnd zog ich mich um. Wenn die wüssten.
Mit Giulia lief ich zusammen in die Turnhalle und fluchte sofort innerlich los. Die Jungs waren ebenfalls anwesend. Mein Magen krampfte kurz. Kälte schoss mir in die Glieder. Ärger stand auf dem Programm. Das spürte ich tief in meinen Knochen. Unauffällig sah ich mich um.
„Da Frau Archer heute krankheitsbedingt ausfällt, wird der Unterricht für euch dieses Mal nicht getrennt stattfinden", teilte uns Mr. Connor mit, der normalerweise die Jungs trainierte.
„Geht euch aufwärmen. Wir spielen heute Basketball." Meine Begeisterung hielt sich in Grenzen. Ich hasste Teamsport. Man war viel zu sehr von Anderen abhängig. Leise knurrend stelle ich mich auf.
Die Sportler kamen der Aufforderung natürlich sofort nach. Sie sprinteten los wie Affen auf Zucker. Die Normalos, zu denen wir gehörten, liefen entspannt los und quatschten beim Laufen.
„Ich habe ein mieses Gefühl bei der Sache." Giulia starrte stur geradeaus. Es entging mir nicht, wie ihre Unterlippe leicht zitterte.
„Wird schon nichts passieren. Ich bin doch für euch da." Mario grinste wie ein Honigkuchenpferd. Oder wie ein Affe auf Zucker. Er könnte locker mit den Sportlern mithalten, wenn er wollte. Aber er musste ja auf uns Mädels aufpassen.
„Wird's dahinten bald mal was? Ihr sollt laufen, nicht über den Hallenboden kriechen." Die Worte des Lehrers verscheuchte unsere miese Stimmung und brachte uns zum Lachen. Ich drehte mich um und lief ein Stück rückwärts. Die unsportlichsten Schüler bewegten sich im Schneckentempo, beziehungsweise schnauften nach wenigen Metern schon wie alte asthmatische Ackergäule. Nicht jedem lag Sport, wie sie eindrucksvoll bewiesen.
Nach dem Aufwärmen wies Herr Connor vier Mannschaftskapitäne an, damit sie ihre Mannschaften zusammenstellten. Aiden stellte sich ein Team mit seinen Hunden zusammen. Mario wählte zwei andere Jungs, dazu Giulia und mich. Dann gab es ein reines Mädchenteam und ein weiteres gemischtes.
Im Wettstreit mit den beiden letztgenannten Gruppen gewannen wir ohne Probleme. Zum Schluss mussten wir gegen Team Vollpfosten ran. Pardon, ich meinte Team Aiden. Wie erwartet wurde es ein harter Kampf, bei dem keiner dem anderen einen Punkt gönnte, weswegen unsere Widersacher recht schnell zu kleineren Regelverstößen wie Reach-in-Fouls übergingen. Dabei berührte man den Gegner unerlaubt. Zum Beispiel schlug einer der Hunde Giulia beim Dribbeln auf die Finger. Mein Blut kochte und ich verdoppelte meine Anstrengungen. Geschickt warf ich den Jungs den Ball zu, den diese an Mario abgaben.
Dieser schaffte mehrere Korbwürfe von hinter der 3-Punkte-Linie. Unser Punktevorsprung wuchs ansehnlich. Aidens Miene wurde immer finsterer. Wie ein aufziehender Sturm tobte es in ihm. Die Augenbrauen berührten einander. Seine Kiefermuskeln spannten unnatürlich. Ihm war klar, dass er mit seinem Sauhaufen nicht in der Lage war, uns zu stoppen. Beim nächsten Angriff zerrte er Giulia an den Klamotten, so dass sie stolperte.
„Lass deine Pfoten von den Mädchen", zischte Mario ihm zu.
„Du hast mir gar nichts zu sagen, Spaghettifresser." Aiden rempelte mich hart von der Seite an und ich knurrte leise. Wenn der Idiot so weitermachte, vergaß ich mit Sicherheit meine guten Manieren und polierte ihm die Fresse.
Mario kniff die Augen zusammen, sagte jedoch keinen Ton. Giulia rief ihm etwas auf Italienisch zu und er nickte. Wieder sprintete er zur 3-Punkte-Linie, doch dieses Mal foulte Aiden ihn in dem Moment, als Mario zum Wurf ansetzte. Aiden sprang hoch und stieß dem Italiener mit voller Wucht mit dem Ellenbogen gegen den Kopf. Unser Anführer fiel zu Boden und blieb bewusstlos liegen.
„Bist du jetzt vollkommen übergeschnappt?" Herr Connor baute sich wutschnaubend vor Aiden auf, während Giulia und ich zu Mario eilten. „Du meldest dich sofort beim Direktor!" Der Lehrer wies zur Tür, sein Arm zitterte ein wenig.
Aiden lief völlig unbeeindruckt zur Umkleide, drehte sich aber kurz vor der Tür zu uns um und grinste zufrieden. Was für ein Arsch. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Dieses Mal war der Mistkerl zu weit gegangen.
Giulia brachte Mario in eine stabile Seitenlage, während der Lehrer einen Krankenwagen rief.
„Geht euch umziehen", herrschte ich meine Mitschüler an. Innerlich kochte ich vor Wut. Mein Gesichtsausdruck sprach wohl Bände, dann sie ergriffen regelrecht die Flucht zur Umkleide. Sogar Aidens Hunde zogen mit eingeklemmter Rute ab.
Als der Krankenwagen endlich kam, war Mario noch immer bewusstlos. Ein Eisklumpen in meiner Brust kühlte jegliche Emotion in mir ab.
„Wir bringen ihn ins Krankenhaus", teilte der Notarzt uns mit.
„Fahr mit ihnen mit und lass dich später vom Krankenhaus abholen", wies ich mit ausdrucksloser Stimme Giulia an.
„Und was ist mit dir?" Sie schaute mich besorgt an. Ich las ihr an den Augen ab, dass mein Stimmungswandel sie verunsicherte.
„Mach dir um mich keine Gedanken. Ich komme schon zurecht." Heute hoffte ich, auf dem Nachhauseweg Aiden zu begegnen.
Während des Unterrichts sah ich ihn zu meiner Enttäuschung nicht mehr. Ich hatte die beiden Italiener bei den Lehrern der nachfolgenden Stunden mit einer kurzen Beschreibung der Ereignisse entschuldigt.
Meine Mitschüler waren mal ausgesprochen leise. Diejenigen, die Aiden und seine Spießgesellen eh nicht leiden konnten, weil sie sie fürchteten, schauten zwischenzeitlich neugierig zu mir rüber. Seine Anhänger dagegen warfen mir ab und an verächtliche Blicke zu. Weder das eine noch das andere juckte mich sonderlich.
Meine Gedanken schweiften immer wieder zu Mario ab. Ich hoffte, dass er nur eine Gehirnerschütterung hatte. Was an sich schon scheiße war. Aber so brutal, wie Aiden ihn erwischt hatte, schloss ich Schlimmeres nicht aus. Wütend ballte ich die Fäuste. Mein Herz schlug so hart, dass das Blut in meinen Ohren rauschte. Fast hätte ich dadurch die Klingel überhört, die den Unterricht für den Tag beendete. Ich packte meine Sachen zusammen und verließ mit schnellen Schritten den Raum, das Gebäude und danach das Schulgelände. Nach einigen hundert Metern hörte ich eine verhasste Stimme.
„Hey Nerdie. Komm mal her zu mir."
Ich drehte mich zu Aiden um. Den Blick starr auf ihn gerichtet, die Muskeln spannten unter meiner Kleidung. Da war ja dieser Mistkerl. Und er war mal ganz alleine. Keines seiner Schoßhündchen weit und breit. So ein Pech aber auch. Für ihn wohlbemerkt.
Ich schaute mich schnell um. Auch sonst beobachtete uns niemand. Die Situation war wie geschaffen für meine Rache. Konzentriert verfolgte ich jede noch so kleine Bewegung meines Gegenübers. Jedes Muskelzucken nahm ich wahr. Seine Stimme erreichte mich wie durch einen Tunnel. Andere Geräusche blendete ich komplett aus.
„Na dann komm ich halt zu dir, wenn du solch eine Angst vor mir hast, dass du dich nicht rühren kannst."
Angst? Vor so einem Vollpfosten? Den Traum würde ich ihm mit Freuden zerstören.
Er streckte den Arm aus, um mich am Shirt zu packen, doch ich reagierte blitzschnell. Mit der rechten Hand griff ich ihn am Handgelenk, während ich mit meiner linken Hand seinen Oberarm packte. In einer geschmeidigen Bewegung zog ich ihn auf den Boden, so dass er bäuchlings dort lag.
„Du verdammte Schlampe, was soll der Scheiß?", schrie er mich an. In seiner Stimme lag ein Hauch von Überraschung. Er zappelte wie ein Fisch auf dem Trockenen herum, um sich zu befreien, doch geschickt hielt ich ihn unten. Dann kniete ich mich auf seinen Rücken.
„Jetzt hör mir mal zu du Kakerlake. Du lässt uns ab sofort in Ruhe, oder du wirst mich noch von einer ganz anderen Seite kennenlernen", zischte ich ihm kalt zu. Dabei griff ich hart in seine Haare, riss seinen Kopf hoch und knallte diesen mit der Stirn voran auf den Boden. Der Mistkerl stöhnte vor Schmerzen auf.
Zufrieden grinsend erhob ich mich und lief nach Hause, nachdem ich Aiden einen letzten verachtungsvollen Blick geschenkt hatte. Der Vollpfosten hatte sich etwas aufgerichtet, blieb aber benommen auf dem Boden sitzen. Blut rann in einem dünnen Rinnsal über sein Gesicht von der Platzwunde an seiner Stirn. Seine Nase war ebenfalls blutig und schwoll bereits an. Da hatte ich ohne sonderliche Anstrengung ganze Arbeit verrichtet. Innerlich klopfte ich mir auf die Schulter.
Zuhause angekommen fläzte ich mich auf das Sofa und atmete tief durch. Die Anspannung, die mich seit dem Sportunterricht quälte, floss langsam aus meinem Körper ab. Es kam einem Gewitter gleich, das sich entladen hatte. Niemand rührte ungestraft meine Freunde an!
Apropos Freunde. Ich schrieb erst einmal Giulia per Whatsapp an, um zu fragen, wie es Mario ging.
„Er ist wieder bei Bewusstsein. Muss aber wohl einige Tage im Krankenhaus bleiben. Er liegt im Chestnut Hill."
Ich bedankte mich bei ihr für die Info und überlegte. Chestnut Hill, das waren ab der Schule keine zwei Meilen. Locker zu Fuß erreichbar. Aber dazu war ich zu faul. Nachdenklich scrollte ich die anderen Telefonnummern durch. Giulia hatte mir die gesamte Bande einprogrammiert, als ich bei ihr in der Villa geschlafen hatte. Fast alle. Eine Nummer hatte ich erst am Vortag erhalten und genau diese schrieb ich jetzt an.
„Michael, kannst du mich bitte zu Mario ins Krankenhaus fahren?"
Keine dreißig Sekunden später war er online.
„Alles klar, hole dich gleich ab."
Zehn Minuten später klingelte es an der Haustür. Ich schnappte mir meine Handtasche und öffnete die Tür. Mein Geschichtslehrer, der hauptberuflich ein Mafioso war, stand in Lederkluft vor mir und reichte mir einen Motorradhelm. Ich musterte Michael, als er vor mir zu seiner Maschine lief. Wie Luca hatte er eine Yamaha R125, nur war seine in Icon Blue. Insgeheim fand ich das Motorrad weniger interessant als den stattlichen Lakota vor mir. In normaler Kleidung sah er schon heiß aus. Jetzt seine breiten Schultern und schmale Hüfte in Biker-Klamotten zu sehen, in Kombination mit seinen langen offenen schwarzen Haaren, und ich sabberte fast los.
Ganz böse Angela.
Flink setzte ich den Helm auf und klappte das Visier runter. Er sollte mich nicht beim Starren erwischen. Wir stiegen beide auf die Maschine. Ich schlang die Arme um ihn und kuschelte mich eng an seinen Rücken. Elegant kurvte er durch die vollen Straßen. Viel zu schnell war die Fahrt zum Krankenhaus für meinen Geschmack vorbei.
Zusammen liefen wir zur Station, auf der Mario lag. Dort trafen wir auf Marco und Luca, wobei Letzterer Michael einen Todesblick zuwarf. Nicht zuletzt, weil dieser beschützend den Arm um meine Taille gelegt hatte. Innerlich grinsend betrat ich mit ihnen Marios Zimmer. Dort hockten bereits Giulia und Emiliano, der mich sofort ins Visier nahm. In seinen giftgrünen Augen blitzte es auf.
„Cousinchen, schön dass du da bist. Dich wollte ich eh sprechen. Du bleibst morgen Zuhause. Du und Giulia werdet nicht zur Schule gehen, solange wie Mario euch nicht beschützen kann. Um diesen Aiden kümmern wir uns noch." Für einen Moment war ich sprachlos. Erstens, er hatte mich schon wieder als seine Cousine bezeichnet und das ausgerechnet vor dem Rest der Bande. Zweitens, für wen hielt er sich eigentlich? Er hatte nicht über mein Leben zu bestimmen. Abgesehen davon hatte ich mich bereits um Aiden gekümmert. Am liebsten wäre ich dem Italiener vor mir an die Gurgel gesprungen. Mein Gesicht zeigte wohl meinen inneren Konflikt, denn er fuhr sogleich fort.
„Keine Widerrede, oder du kommst direkt mit in die Villa."
Zwar hatte ich meinen Mund schon für eine Diskussion geöffnet, aber ich schloss ihn blitzschnell. Der Wirkung, die von seiner Drohung mit der Villa ausging, war er sich vollends bewusst. Denn seine Augen blitzten zufrieden. Dieser verflixte Mistkerl!
„Angie kann doch trotzdem mit euch in die Villa. Wäre eh besser für sie." Na toll, jetzt fiel Mario mir zu allem Überfluss in den Rücken. Wütend starrte ich ihn an, sodass er hilfesuchend zu Michael schaute.
„Tu was, die beißt mich gleich." Er zog die Decke bis über seine Nasenspitze, als ob ihn diese ausreichend vor mir schützte.
„Du verdienst es zwar, aber ich werde unsere kleine Raubkatze schon zurückhalten." Der große Lakota hinter mir schlang einen Arm um meine Taille und zog mich an seine Brust. Jetzt war es Luca, der wütend vor sich hinstarrte. Emiliano betrachtete alles nachdenklich. Dann sah er mir direkt in die Augen und grinste diabolisch. Mein Magen sank geschwind in meine Kniekehlen.
Was zum Teufel hatte der Italiener jetzt wieder ausgeheckt?
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